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Kapitel VI.
Feiertage und irische Tugend

Ich fuhr mit dem Schiff von Athen nach Konstantinopel und bewunderte die herrliche Lage der Stadt, die gleich Newyork eine Königin vieler Gewässer ist. Ich war schon im Begriff wegzufahren, ohne viel gelernt zu haben, als ich glücklicherweise mit einem Deutschen, einem Kenner der byzantinischen Architektur, ins Gespräch geriet, der mir die Schönheiten der Hagia Sophia erklärte, bis mir schließlich die Schuppen von den Augen fielen und ich einsah, daß er recht hatte, sie die größte Kirche der Welt zu nennen, obwohl mir die Fassade weniger gefiel als das Innere. Die kühnen Bogen, die ungeheure Atemweite der Säulen, die Mosaiken, Fresken und Inschriften an den Wänden geben einen einzigartigen Eindruck von Glanz und Größe, von einer Einheit der Farbe und Form, die durch ihre Pracht überrascht.

Fromme Türken beten immer in der Kirche zu Mohammed, hie und da kauern Schulklassen auf dem Boden, aber auf den Wänden schimmern die Fresken mit dem Gekreuzigten unter der mohammedanischen Übermalung oder Tünche hindurch, und ich hatte den Eindruck, daß überall das Kreuz langsam aber sicher über den Halbmond triumphierte. Später sah ich ein, daß die Hagia Sophia eine größere Erfüllung bedeutete als das Parthenon sogar, und ich begriff, daß der höhere Geist auch immer die edlere Verkörperung findet.

Mein deutscher Freund nahm mich auch in die Erlöserkirche mit, die er das Juwel byzantinischer Kunst nannte, und ich fand die Mosaiken, die spätestens aus dem vierzehnten Jahrhundert stammen, reicher und komplizierter als alles, was ich sogar in Palermo bis jetzt gesehen hatte.

Wir hatten eine stürmische Überfahrt über das Schwarze Meer, und weder Warna noch die Donau waren imstande, mich für mein Unbehagen zu entschädigen.

Aber Belgrad mit seiner Zitadelle gefiel mir sehr gut, und Buda mit Pest jenseits der großen Brücke nahm mein Auge gefangen; der Festungshügel erinnerte mich an die Akropolis; Wien jedoch hat mein Herz gewonnen. Das alte Burgtheater mit den Schauspielerkräften, die so gut waren wie die in Paris, das vornehme Opernhaus mit der besten Musik in Europa, das Belvedere mit den herrlichen venetianischen Gemälden und der wunderbaren Waffensammlung machten auf mich einen großen Eindruck, dann war da noch die Hofburg mit ihrer Wachtparade, die große Bibliothek und in erster Linie das liebenswürdige Volksleben im Wurstlprater, wo, sozusagen, der dichte deutsche Teppich mit tausend Farben der slawischen und semitischen, der böhmischen und polnischen Stickerei durchsetzt ist, dem sogar die Zigeuner Farbflecke barbarischen Aberglaubens, die als Saum oder Franse für ein so farbenprächtiges Gewebe notwendig sind, hinzufügen. In mancher Hinsicht schien mir Wien sogar reicher als Paris, und Pauline Lucca, die ausgezeichnete Sängerin und zugleich die schöne, bezaubernde Frau, wurde für mich zum Genius dieser Stadt neben Billroth, dem großen Arzt, als Symbol der Wissenschaft, auf der das ganze Leben aufgebaut war. Ich kann dem Barbaren Wilson diese Verkrüppelung und Verarmung eines edleren Gemeinschaftslebens, als er und seine Landsleute je zu erzeugen imstande sein werden, nicht verzeihen. Tausend Jahre waren nötig, um ein Wien zu schaffen, und glücklicherweise war ein einziger Mensch nicht imstande, es ganz zu vernichten.

Nachdem ich einige Monate in Wien verbracht hatte, merkte ich, daß die Donau das große Erbteil ist, das die Wiener unausgenützt ließen. Wien sollte der größte Hafen in Südwesteuropa sein. Aber die Österreicher haben den Strom nicht so ausgebaggert und entwickelt, wie sie es hätten tun sollen. Werden sie jetzt in ihrem Elend und ihrer Armut den Fehler gutmachen? Es ist noch nicht zu spät! Es ist dank einem gütigen Schicksal nie zu spät!

Ich habe Wien um einer Frau willen verlassen, einer Tänzerin, die in ihr Heim nach Salzburg zur Erholung zurückkehrte und mir so viel von dieser Geburtsstadt Mozarts, der »schönsten Stadt der Welt«, sprach, daß ich hinreiste und mich von ihr führen ließ. Marie hieß sie, Marie Kirschner! Ich habe sie in meiner Geschichte »Eine tolle Liebe« zu schildern versucht, denn sie war für mich der beste Typus einer Deutschen oder, richtiger gesagt, einer Österreicherin. Sie verkörperte in meinen Augen Wien mit seinem ganzen Zauber. Sie hatte eine schmale mädchenhafte Gestalt, ein pikantes, intelligentes Gesicht mit einer Stuppnase, so frech wie ihre hellen, haselnußbraunen Augen. Das Beste an ihr war ihre seltsame Offenheit, mit der sie von ihren erotischen Erfahrungen erzählte, und sie gewann mein Herz, als sie mir an einem der ersten Abende schilderte, wie sie sich mit kaum dreizehn Jahren aus lauter Neugier ganz willig von einem alten Budapester Bankier verführen ließ. »Er gab mir und meiner Mutter so viel Geld, daß wir sechs Jahre oder noch länger bequem leben konnten, und ließ mich im Tanzen ausbilden. Otto starb plötzlich im Schlaf, sonst hätte er noch mehr für uns getan. Er war wirklich gut, und ich mochte ihn gern leiden, obwohl er als Liebhaber nicht viel taugte. Er hinterließ uns das Haus und die Möbel, und damals konnte ich mich schon selbst erhalten.«

»Und seither?« fragte ich.

Marie schüttelte den Kopf. »Qui a bu, boira!« sagte sie. »Ist nicht Liebe ein Teil des Lebens, und der bessere Teil? Selbst die Illusion der Liebe ist mehr wert als alles andere, und hie und da lockt und reizt mich die Hoffnung – so wie ich dich reize ... Oh, wenn wir Salzburg, Berchtesgaden, Geiereck zusammen sehen könnten! In dieser herrlichsten Umgebung der Welt würde es ein wunderbarer Sommer werden ...«

»Es ist unmöglich, dir ein unvergeßliches Erlebnis zu bieten. Du hast zu viele Liebhaber gehabt.«

»Hab' nie Angst vor der Zahl,« erwiderte sie lachend, »die große Mehrzahl läßt keine Erinnerung zurück. Die Männer verstehen so wenig von Liebe. Bis jetzt war mein alter Bankier mein bestes Erlebnis. Er war wirklich gut und hat mich auf Händen getragen –« Nach dieser Versicherung fuhr ich mit Marie nach Salzburg. – –

Es war das erstemal, daß mir jemand Salzburg als eine der schönsten Städte Europas aufzählte; später fand ich, daß der schottische Maler Wilkie das richtige Wort für Salzburg geprägt hat, als er es mit Edinbourgh verglich. Es liegt zwischen romantischen Bergen, hat den Traunsee im Osten, den Chiemsee mit dem wunderbaren Königsschloß im Westen, während sich im Süden, über die bayrische Grenze hinweg, Berchtesgaden, einer der schönsten Landstreifen Europas, hinzieht. Hier liegt der Untersberg, fast siebentausend Fuß hoch, mit den berühmten Kolowratgrotten und den Eismassen, die wie plötzlich gefrorene Wasserfälle aussehen, und im Osten Geiereck mit den Klippen und Klüften, denen es seinen Namen verdankt. Marie war ein unvergleichlicher Führer, von gleichmäßiger Laune, der beste Reisekamerad, sie war eine geborene Schmeichlerin. Güte und Weichheit der Natur sind jedoch weder dramatisch noch interessant. Vierzig Jahre später, als ich Marie in der »Tollen Liebe« zu schildern versuchte, bemühte ich mich, einen Fehler an ihr zu entdecken, um sie menschlicher zu gestalten, und ich fand die Tatsache, daß sie jedem gern ihre Lippen bot, der an ihr Herz rührte, selbst wenn sie ihn nicht liebte – aber ich bin ihr nicht gerecht geworden.

Nach ungefähr sechs Wochen empfand ich eine gewisse Müdigkeit. So wunderbar Marie auch war, wollte ich doch etwas Neues lernen. Auch die Möglichkeiten der Sprache hatte ich, wenigstens für den Augenblick, erschöpft. Als wir aus diesem köstlichen Stück Erde zurückkehrten, trennte ich mich von Marie und reiste beinah fluchtartig nach Florenz ab.

Dort arbeitete ich zuerst an meinem Italienisch, dann studierte ich die Sammlungen und das Kunstleben. Um meine Kunstkenntnisse zu erweitern, sah ich mir die Mosaiken von Ravenna an. In Mailand stöberte ich eine kleine Kollektion der Visconti-Rüstungen des vierzehnten und fünfzehnten Jahrhunderts auf, und es gelang mir, für ganz geringe Summen einige zu erstehen. Bevor die amerikanische Nachfrage in der Mitte der achtziger Jahre einsetzte, kosteten Rüstungen sehr wenig. Ich kaufte eine goldeingelegte Rüstung für hundert Pfund, die ich fünf Jahre später in London für fünftausend verkaufte, während der Händler fünfzehntausend Pfund dafür bekam.

Italien scheint eine gute Schule für die meisten Reisenden zu sein. Ich lernte jedoch dort nicht sehr viel. Aber eine Erfahrung in Mailand war mir wertvoll. Ich traf dort Lamperti, den großen Gesanglehrer, und seine deutsche Frau, und von Lamperti erfuhr ich manches über den bel canto und die Ausbildung der Stimme, die in Italien so berühmt ist. Lamperti wollte mich ausbilden. Er ließ sich vorsingen und versicherte mir, daß ich eine große Karriere vor mir hätte, denn ich konnte ohne jede Schulung zwei Noten tiefer singen, als je komponiert worden ist. »Sie haben Gold in der Kehle«, pflegte er zu sagen, aber ich versicherte ihm, ich hätte es im Kopf. Die Laufbahn eines basso profundo reizte mich nicht, obwohl ich glaube, daß ich ein guter Schauspieler geworden wäre. Lamperti kannte ein Fülle interessanter Anekdoten über Sänger und Musiker, und er war der erste, der mir sagte, daß meine tiefeingewurzelte Abneigung gegen das Klavier sich auf mein gutes Gehör zurückführen läßt. »Sie haben ein außerordentliches Gehör«, sagte er, »und eine große Stimme. Es ist eine Sünde, sie nicht auszubilden.« Aber ich hatte damals Wichtigeres auszubilden, wenigstens redete ich mir es ein. Ich mußte jedoch oft daran denken, wie anders mein Leben ausgefallen wäre, wenn ich Lampertis Rat befolgt hätte und mich von ihm hätte ausbilden lassen. Aber zu jener Zeit habe ich seinen Vorschlag nicht einmal ernsthaft in Betracht gezogen.

Ich las alles über Musik, was ich auftreiben konnte, außerdem vertiefte ich mich in Leopardi, dessen abgründiger Pessimismus mich selbst in meiner Jugend ergriff:

»........ non val cosa nessuna
Il moti tuoi, ne di sospiri è degna
La terra. Amaro e noia
La vita, altro nulla, e fango è il mondo.«

Ich habe dort in Florenz zum ersten Male erfahren, was Whistler nachher alle lehrte, die Ohren hatten, zu hören, daß es so etwas wie eine künstlerische Periode oder ein künstlerisches Volk nicht gibt, daß große Künstler ebenso sporadische Produkte sind wie alle andern großen Männer, daß in der Tat das Genie so selten ist, wie das Talent gewöhnlich. Aber ich hatte keine Ahnung, daß die Welt immer unter dem Fehlen eines leitenden Genies leidet und daß Liebe und Ehrfurcht vor dem Genie ein Vorbote der Erfüllung ist.

Ich kehrte im Frühjahr des Jahres 1881 nach Paris zurück und zog nach Argenteuil hinaus. Ich weiß nicht, warum ich eigentlich Argenteuil wählte. Ich nahm mir eine Wohnung in einer Villa am Flusse und verbrachte da einen herrlichen Sommer. Ich arbeitete schwer am Französischen und sprach es schließlich fließend und ziemlich korrekt, aber ich versuchte nicht, es so zu beherrschen wie das Deutsche, obwohl die französische Literatur und die französische Kunst des neunzehnten Jahrhunderts mir unendlich mehr gefielen als die deutsche Literatur und Kunst derselben Zeit. In jenem Frühjahr in Argenteuil las ich gründlich Balzac und kam bald zu der Überzeugung, daß er der größte aller modernen Franzosen sei, der einzige eigentlich, der unsere Konzeption des französischen Genies erweitert und dem edlen Gebäude, das Montaigne entwarf und dekorierte, ein Stockwerk hinzugefügt hatte. Balzac ist einer der ausgewählten Geister dieser Erde, jedoch nicht intellektuell genug, oder vielleicht nicht Träumer genug, um in der ersten Linie als Führer der Menschheit zu stehen. Trotz seiner märchenhaften, schöpferischen Fähigkeit hat er das Pantheon um keine Gestalt einer neuen Gattung bereichert. Er kannte Frauen sehr gut, aber selbst seine Baronne Hulot hat nicht die Bedeutung von Goethes Gretchen.

Dieses Jahr in Paris ist mir auch unvergeßlich durch die Begegnung mit Turgenjeff, wie ich es in meinem Essay erzähle. Ich wußte damals, daß er ein großer Mann war, aber ich stellte ihn bei weitem nicht so hoch, wie ich es später tat. Ich sehe heute nach seiner Schöpfung Bazaroffs, des Realisten, daß er der größte russische Schriftsteller ist und unter die Führer und Lehrer der Menschheit gehört – ein größerer Künstler sogar als Balzac, obwohl nicht so produktiv vielleicht, weil künstlerische Produktivität doch letzten Endes durch den Aufenthalt unter Landsleuten bedingt ist.

In diesem Sommer traf ich auch bei einem Essen bei Blanche Macchetta Guy de Maupassant, und so begann unsere Bekanntschaft, die uns Jahr für Jahr einander näherbrachte bis zu seinem zehn Jahre später erfolgten tragischen Tode. Zu jener Zeit dachte ich ihn mir mindestens groß wie Turgenjeff. Jetzt weiß ich es besser.

Ich lernte auch den schönen, jüdischen Journalisten Catulle Mendès kennen, sicherlich den wunderbarsten Improvisator, der mir je begegnet ist. Er konnte in wenigen Minuten ein Gedicht im Stil von Hugo oder Musset schreiben, konnte jeden Meister der französischen Prosa oder Poesie mit derselben Leichtigkeit und vollkommenen Beherrschung imitieren. Er war für mich immer das Musterbeispiel eines talentierten Mannes, der keinen Hauch von Genie besitzt, das seine einzigartige Wortbegabung veredelt oder zerstört hätte. Zu jener Zeit konnte ich ihn nur bewundern, obwohl ich immer das Gefühl hatte, daß da etwas fehlte. Sein Spottname in Paris umschrieb ihn vollkommen – un Christ de bordel!

Ich verbrachte einen unvergeßlichen Sommer in Paris. Trotzdem ich keine Einführungsbriefe hatte, lernte ich diesen und jenen kennen, hier einen Journalisten beim Figaro, dort einen Künstler, durch die ich wieder andere Menschen traf.

Gegen Ende des Sommers entschloß ich mich, wieder nach Irland zu gehen, um dort Land und Leute zu studieren. Kurz vorher hatte Disraeli von dieser irischen Wolke gesprochen, die nicht größer als eine Hand breit ist und sich trotzdem zu einem großen Sturm entwickeln könnte. Die zunehmende Macht des Landbundes, das Wachstum des Schiedsgerichtes für Pachtfestsetzung, der Sieg Parnells erweckte in mir den Wunsch, das Problem für mich selbst zu studieren, und so fuhr ich nach Dublin, um mir die seit meiner Kindheit vertrauten Szenen anzusehen. Von Anfang an ging ich zu allen nationalistischen Versammlungen, und es war ganz natürlich, daß meine starke Voreingenommenheit zugunsten der irischen Freiheit dadurch noch bestärkt wurde.

Ich ging aber auch ins Trinity College in Dublin, und fand, vom unabhängigen wissenschaftlichen Standpunkte aus, sogar gewisse gute Seiten in der englischen Herrschaft. Ich fuhr auch nach Galway und Kerry, wo meine Mutter begraben war, und dort hörte ich das einzige unabhängige Urteil über sie. Ein berühmter Plymouth-Bruder hielt eine Vorlesung, nach deren Schluß ich an ihn heranging, um mich genauer über seinen seltsamen Glauben zu informieren. Als er meine Karte sah, sagte er: »Ich kannte einmal einen Harris in Kerry, Hauptmann Harris und Frau. Sind das Ihre Verwandten?« Es stellte sich heraus, daß er sowohl meinen Vater wie meine Mutter sehr gut gekannt hatte. Er sprach von der Energie meines Vaters, es war jedoch offensichtlich, daß er ihn nicht besonders mochte. Aber meine Mutter nannte er eine Heilige, die das liebenswürdigste Wesen besaß und sehr gut und »viel, viel zu gut für ihren herrschsüchtigen, kleinen Mann war. Ich empfand eine große Bewunderung für sie«, fuhr er fort, »und einen tiefen Schmerz, als ich von ihrem Tode hörte. Sie haben in ihr eine gute Mutter verloren.« Meine eigenen Kindheitserinnerungen übermitteln mir denselben Eindruck der weichen Güte ihrer Natur, den er hervorhob. Auch mein Vater, wenn er von ihr sprach, was sehr selten geschah, betonte immer, daß es schwierig war, sie zu reizen – »sie hatte ein sehr weiches und sanftes Wesen«, das ihr ältester Sohn Vernon von ihr geerbt hatte.

Als erstes fiel mir in Irland das ewige Regenwetter und die Armut des benachteiligten Landes auf, die mich um so tiefer rührte, je mehr Einblicke ich gewann. Der moralische Einfluß der katholischen Kirche hat sich überall diesem physisch so herrlichen Volke aufgeprägt, und ich sollte zu meinem eigenen Leidwesen seine ganze Strenge erfahren. Ich kam in einen Gasthof in Ballinasloe und wurde von der Schönheit der Gastwirtstochter gefesselt. Ich war viel umhergewandert, hatte schwer gearbeitet, und so gönnte ich mir eine Erholungswoche, als ich in diesen Gasthof geriet. Das Mädel gefiel mir. Sie hatte nicht viel zu tun, und ich mietete oft ihren ratternden Wagen und nahm Molly als Führerin mit. Ihre Mutter war schon lange tot, der Vater arbeitete in der Schenke, während seine ältere Schwester die Wirtschaft führte. Wir waren viel und oft zusammen. Ich machte ihr von Anfang an den Hof. Als ich ihr sagte, daß ich sie liebte, fand ich, daß sie die Sache viel ernster nahm als ich. »Sie denken ja gar nicht an Heiraten,« sagte sie, »Sie würden sich meiner in London, Paris und Wien schämen.« (Die Kofferzettel hatten meine Wanderfahrten verraten.)

»Du bist ein Engel,« erwiderte ich, »aber ich habe noch manches zu leisten, bevor ich an Heirat denken kann.«

Eines Abends bat ich Molly, auf mein Zimmer zu kommen. Zu meiner Verblüffung willigte sie ein. Ich wagte kaum, an mein Glück zu glauben. Um elf Uhr hörte ich das Tappen der nackten Füße an meiner Tür. Molly stand da und hatte nur einen roten Schal über ihr Nachthemd geworfen.

Als ich sie in die Arme nahm, wehrte sie mir. »Nein, du mußt brav sein.«

»Du liebst mich nicht, sonst würdest du dich nicht weigern«, gab ich zur Antwort.

»Und ob ich dich liebe!« Sie schlang die Arme um mich und zog mich an sich heran, bis ich fast verrückt vor Begierde war. Zuerst lächelte ich vor mich hin. Ich dachte, die Natur würde sich doch als zu stark erweisen. Aber ich habe die Rechnung ohne den Wirt gemacht.

Ich habe bis jetzt Molly nicht geschildert, und doch sehe ich sie immer vor mir, wie sie in der ersten Nacht dastand. Sie war ebenso groß wie ich, hatte den herrlichen Muttertyp mit starken Brüsten und schweren Hüften. Sie wandte den Kopf ab, als ob sie meinen Blicken entgehen wollte. Aber ihr Blumengesicht war sogar noch schöner als ihre Gestalt: die großen, grauen Augen von langen, schwarzen, aufgebogenen Wimpern beschattet, während eine Fülle sehr dunklen Haares ihr bis zum Gürtel fiel. Sie hatte die seltsam helle Haut blonder Frauen. Halb ängstlich, halb lächelnd drehte sie sich zu mir um. »Warum schaust du so? Ich sehe doch wie jede andere Frau aus. Da müßtest du erst meine Kusine Anne Moriarty mit ihrem goldenen Haar sehen.« – »Sie kann nicht so schön sein wie du.« – »Wie weißt du das, wenn du sie doch nicht gesehen hast?« Zur Antwort küßte ich sie. »Du wirst dich erkälten, kannst du morgen kommen?« Sie nickte, und ich ging wie im Fieber zu Bett. Es war ein Mißerfolg, aber ich hatte keine Eile, und die letzte Niederlage schien mir undenkbar.

In der nächsten Nacht küßte ich sie, bis sie atemlos in meinen Armen schluchzte; und trotzdem wehrte sie sich.

»Bitte, nicht, sei brav –.« – »Aber warum, warum?« Die Frage traf sie wie ein Peitschenhieb.

»Wie könnte ich je wieder in die Kirche gehen? Ich beichte jeden Monat, und es ist doch eine Todsünde.« – »Es ist keine Sünde, und niemand braucht es zu wissen.«

»Pater Sheridan würde mich fragen. Er weiß, daß ich dich gern habe, ich habe es ihm gesagt.«

»Und würde er es verurteilen?«

»Und ob! Deswegen kann ich ja zu dir kommen, weil keiner sich auch nur träumen ließe, daß ich es tue. – Aber ich liebe es, dich in den Armen zu halten, dich sprechen zu hören, und der Gedanke, daß ich dir gefalle, macht mich so stolz und froh ...«

»Liebst du denn nicht meine Küsse am meisten?«

»Die jagen mir Angst ein! Sprich zu mir jetzt ... Erzähl' mir, wo du gewesen bist. Ich habe von Paris gelesen – es muß herrlich sein – und die französischen Frauen ziehen sich so gut an – wie gern möchte ich reisen ...«

Immer wieder versuchte ich, sie umzustimmen, aber sie blieb bei ihrer unerschütterlichen Weigerung. Molly bebte und schmolz unter meinen Küssen, aber sie wich vor dem zurück, was sie später dem Beichtvater hätte eingestehen müssen.

Einige Tage später suchte ich Pater Sheridan auf und fand ihn sehr intelligent. Er gehört der alten Schule an, war in St. Omer erzogen und hatte einen köstlichen französischen Hauch von Belesenheit und Humor. Aber er war leider so verrückt, wie nur ein in Irland geborener Priester es sein kann, wenn es sich um Keuschheit handelt. Er sprach über dieses Thema mit großer Beredsamkeit. Er schüttelte die Statistik der unehelichen Kinder aus dem Handgelenk und war stolz auf die Tatsache, daß sie in England fünfmal so hoch war wie in Irland. Ich stellte mit Belustigung fest, daß diese Zahl in Wales höher war als in Schottland. Sheridan wollte jedoch nicht zugeben, daß die Waliser überhaupt Christen sind. »Lauter Heiden,« sagte er mit ungeheurem Pathos, »eine Schar von Wilden ohne Kirche und ohne Heilige.« Er betrachtete es stolz als seine Pflicht, von der Kanzel auf jeden Jüngling und jedes Mädel hinzuweisen, die man intimer Beziehungen verdächtigte. »Sie sollten heiraten, die Kinder der jungen Eltern sind immer gesund und stark.« Es war bei ihm wie eine fixe Idee. Und doch trank er Whisky mit mir, bis wir beide mehr als genug hatten.

Wie kommen die Iren zu diesem verrückten Glauben an die Notwendigkeit und Tugend der Keuschheit? Er entspringt ihrer gläubigen Religiosität; aber die Bauern in den bayrischen Bergen und in gewissen Gegenden in den Abruzzen, die ebenso religiös sind, lassen sich nicht mit Irland vergleichen. Ich habe mich oft vergeblich nach der Ursache gefragt.

Jedenfalls sind alle meine Verführungskünste an Molly gescheitert. Sie kam fast jede Nacht zu mir herauf, aber sie ließ sich von ihrer Weigerung nicht abbringen. Dieser Fehlschlag machte mir Ballinasloe unerträglich. Ich hatte seit langem alle Schönheiten der Umgebung erschöpft und kam zu der Schlußfolgerung, daß der Ort, abgesehen von der Liebe, so wenig intellektuelles Interesse bot wie irgendeine Stadt in Westamerika. Ich machte einen Ausflug nach Londonderry, dieser Zitadelle des irischen Protestantismus, um mir den endgültigen Abschied von Molly zu erleichtern. Als ich zurückkam, bat ich sie nicht mehr, auf mein Zimmer zu kommen. Wozu denn? Aber in der letzten Nacht kam sie von selbst herauf, und ich sprach mit ihr von meinen Plänen. Ich gestand ihr mit aller Offenheit, daß ich seit der Zeit, da ich Smith getroffen hatte, nur aus Ehrgeiz bestand, als ob ich ein Gelübde abgelegt hätte, jede Fähigkeit in mir um jeden Preis zu entwickeln. »Ich habe keinen Ehrgeiz nach Stellung, Macht oder Vermögen, sondern nach Wissen und Weisheit, und ich lass' mich nicht von meinem Wege abbringen.«

Ich erklärte ihr, daß dies die Ursache meiner Reise nach Irland war, ebenso wie mich der Wissensdurst vor Jahren um die Welt getrieben hatte und mich wieder herumjagen würde. »Ich strebe nicht einmal nach Glück, Molly, oder Wohlleben, obwohl ich von beidem, soviel ich kann, herauspressen werde. Aber sie sind nicht mein Zweck oder Ziel. Ich habe mich der einen Sache wie ein Ritter des Heiligen Grales gelobt, und ich widme mein ganzes Leben der Erfüllung. Frage mich nicht, warum, ich weiß es nicht. Ich weiß nur, daß Smith in mir das heilige Feuer angezündet hat, und es treibt mich vorwärts bis zum Tode – du darfst nicht glauben, daß ich dich nicht genug liebe. Ich liebe dich aus tiefstem Herzen. Du bist eine große Frau, Herz, Seele und Leib, aber mein Werk ruft mich, und ich muß weg.«

»Ich habe es immer gefühlt,« sagte sie ruhig, »daß du hier nicht bleiben wirst, um irgend jemanden zu heiraten. Ich verstehe dich, und ich hoffe nur, daß dein Ehrgeiz dich glücklich machen wird. Denn gibt es ohne Glück, ohne Liebe etwas Lebenswertes im Leben? Ich glaube es nicht, aber ich bin eben nur eine Frau. Wenn du je zurückkommen solltest, schreibe mir erst. Wenn ich dich plötzlich sähe, würde mein Herz vor Freude stocken.«


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