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Kapitel I.
Skobelieff

Als der Russisch-Türkische Krieg im Anfang des Jahres 1877 ausbrach, wußte ich sofort, wo ich meinen Sommer verbringen sollte. Ich wollte aus eigener Erfahrung feststellen, wie ein moderner Krieg aussah, und dabei lockte es mich, Rußland, die Balkanländer und die Türkei kennenzulernen – ich entschloß mich, sofort an die Front zu gehen.

Mit der Intuition, die hie und da englische Journalisten überkommt, wenn sie über den Krieg schreiben, hatten sie den Namen Skobelieffs, des Eroberers von Turkestan, in den Zeitungen ausposaunt, der meine keltische Phantasie gefangennahm. Ich setzte mich hin, schrieb ihm sofort mit der Bitte, ihm bei seiner Arbeit zuschauen zu dürfen, um über seinen Kampf gegen die Türken für eine amerikanische Zeitung zu berichten. Zwei Zeitungen hatten sich schon bereit erklärt, meine Berichte für zwanzig Dollar pro Spalte aufzunehmen, was mir in meiner damaligen Unkenntnis als angemessene Bezahlung erschien. Im Juni war ich in Moskau und schrieb wieder an Skobelieff, mit dem Ersuchen, mich zu empfangen. Ich fand jedoch zu meiner Verblüffung, daß Skobelieff nicht der Hauptkommandeur war, eigentlich überhaupt keine offizielle Stellung hatte und nur in der Hoffnung, sich nützlich zu machen, auf den Kriegsschauplatz gegangen war.

Die erste offizielle Stellung, die er bekam, und zwar erst nach dem Überschreiten der Donau und der Belagerung von Plewna, war eine Art von Assistentenposten beim General Dragomiroff. Aber weder Neid noch Eifersucht konnten diesen Feuergeist niederhalten. Sobald er sich auf dem Felde zeigte, fiel er auf. In einigen Tagen brachte ich es fertig, ihm vorgestellt zu werden. Bald freundeten wir uns an. Seine reiche Menschlichkeit und die Verachtung des Konventionellen zogen mich unwiderstehlich an. Er hatte etwas Ungekünsteltes und Junges, das meine enthusiastische Bewunderung, meine Heldenverehrung, wenn man will, ohne viel Umschweife annahm. Ich habe seither diese Naivität bei allen großen Tatmenschen getroffen. Skobelieff war mittelgroß, breitschultrig und stark. Die untere Gesichtshälfte war von einem dichten, gewellten Schnurrbart bedeckt, der Bart war in der Mitte auseinandergebürstet, die Stirn breit und hoch, die Nase dick und jüdisch gebogen, die Augen grau und scharf. In dem Gesicht war nichts Auffallendes. Sein ungestümer Charakter verriet sich in schnellen, abgerissenen Bewegungen, er schien immer sprungbereit, und doch war in ihm ein Unterton von großer Güte und eine Reserve unzerstörbarer guter Laune.

Mitte August bot sich ihm die erste wirkliche Gelegenheit. Er hatte schon vor einer Woche erklärt, daß ein bestimmtes Fort den Schlüssel zu Plewna bilde. »Wenn wir das hätten,« sagte er, »könnten wir Osman einheizen!« Ich weiß nicht, durch wessen Einfluß er das Kommando über große Streitkräfte bekam, wahrscheinlich durch den Zaren Alexander selbst, von dem Skobelieff immer mit Zuneigung sprach.

Die Angriffstruppen mußten einen Strom überschreiten und dann das abschüssige Glacis emporklimmen. Es hatte in der vorhergehenden Nacht stark geregnet, und der lange Abhang war schlüpfrig. Sobald die Russen heraufzuklimmen begannen, tobte das türkische Feuer betäubend um ihre Ohren, aber zuerst war es wirkungslos. Als die Russen jedoch drei Viertel des Weges durchmessen hatten, wurden sie einfach in Scharen niedergemäht. Einen Moment dachte Skobelieff nach, galoppierte plötzlich in den Wiesengrund herunter, ritt über den Fluß und befand sich bald unter den gefallenen Russen. Natürlich folgte ich ihm auf den Fersen. Hier war das türkische Feuer von einer teuflischen Wut. Ich bemerkte, daß es die Büsche in unserer Nähe in einer gewissen Höhe glatt abrasierte. Ich konnte nicht verstehen, warum. Aber Skobelieff löste das Rätsel sofort. Er wendete sein Pferd, galoppierte zurück und gab den Auftrag, daß die Soldaten in Reih' und Glied vorrücken sollten, mit hundert Yards Abstand zwischen den Gliedern. Als die erste Menschenwelle die Gefallenen erreichte, wurde sie von dem tödlichen türkischen Feuer zu Boden gerissen, aber die nächste Welle kam durch und kletterte bis dicht an die Festung heran. Die dritte Welle wurde wieder ausgemerzt, aber die vierte drängte sich durch und gesellte sich zu der zweiten. Sofort durchmaß Skobelieff das Glacis im Galopp und führte selbst den Angriff unter den Jubelschreien der Soldaten, die auf die Redoute emporrasten. In seiner Hast fiel Skobelieff in den Festungsgraben und mußte herausgezogen werden. Aber obwohl er sehr zerschlagen und verletzt war und die Offiziere ihn baten, zurückzubleiben, weigerte er sich, und als wir in das Fort hereinkamen, sahen wir, wie die Türken in panischer Flucht zur andern Seite des Forts herausströmten.

Ein Blick auf die Mauer erklärte mir die Technik der Türken. Um sich selbst nicht herauszustellen, hatten die türkischen Soldaten einfach ihre Gewehre in die Scharten gestellt und schossen los. Ungefähr fünfhundert Yards entfernt im Tal regnete es Kugeln, in einer Höhe von vier Fuß. Dies war die Todeszone. Einige hundert Yards weiter gingen die Kugeln in die Luft, dreihundert Yards höher pfiffen sie harmlos über den Kopf hinweg. Als er den Abhang hinaufgaloppierte, hatte Skobelieff bemerkt, daß die Gefahrzone sehr schmal war, er begriff sofort die ganze Lage und nutzte sie zum Siege aus.

Aber er hatte ohne seine Führer gerechnet. Sobald er die russischen Soldaten im Fort verteilt hatte, forderte er Verstärkungen an. Aber es wurden ihm keine geschickt, nicht einmal eine Antwort auf seine Bitten. Er hatte Plewna eingenommen – die ausschlaggebende Lage der Redoute war selbst einem Kinde klar, aber er hatte schwere Verluste und konnte einem Angriff nicht widerstehen. Die Nacht fiel langsam herab. Wir hatten gegen drei Uhr das Fort eingenommen, und das Dunkel faltete sich allmählich, aber sicher zusammen. Immer wieder und wieder schickte Skobelieff nach Verstärkungen. Er bekam schließlich die Antwort, daß man keine entbehren konnte.

Es wurde uns später gesagt, daß der Zar selbst die Generale gedrängt habe, die Verstärkungen zu schicken. Es wurde ihm jedoch versichert, daß man keine erübrigen konnte, obwohl es sonnenklar war, daß man von den zweihunderttausend Truppen im Felde leicht zwanzigtausend abkommandieren konnte, und mit einem Viertel dieser Streitkräfte hätte an diesem Augusttage Skobelieff Plewna erobern lassen.

Als Skobelieff endlich einsah, daß er keine Hilfe zu erwarten hatte, schien er wie betäubt vor Enttäuschung. Dann schüttelte ihn die Wut, sein Gesicht zuckte, Tränen rollten seine Wangen herab, während er in Empörung über seine Vorgesetzten tobte. »Der Großfürst haßt mich«, schrie er, »und auch der Generalstab, weil ich für ihn Siege erfochten habe. Aber sie sollen doch selbst herkommen, um sich den Ruhm zu holen – wer kümmert sich um den Ruhm, solange die Arbeit geleistet wird? – Der Teufel soll sie holen mit ihrer kleinlichen Eifersucht. Sie können nicht einmal fünftausend Mann entbehren, diese Lügner und Schurken!«

An diesem Abend saßen einige Offiziere mit ihm, und wir tranken und sprachen über die vorliegenden Möglichkeiten. Es erwies sich später, daß Skobelieff seinen osmanischen Gegner besser verstand als irgendeiner von uns.

»Wenn wir sie nicht am Morgen angreifen,« sagte er, »muß Osman zu der Schlußfolgerung kommen, daß wir schwach sind, und er wird uns mit einem Frühangriff überraschen. Wir müssen uns auf den Rückzug vorbereiten. Aber wenn ich fünftausend Mann und fünfzig Feldgeschütze hätte – genau das, um was ich gebeten hatte –, könnte ich Plewna um die Mittagszeit einnehmen. Osman müßte sich ergeben. Der blödsinnige Neid unserer Kommandeure wird Rußland eine halbe Million Menschenleben kosten und den Krieg um sechs Monate verlängern.« Ich habe durch Skobelieff gelernt, daß das Wesen der strategischen Kunst darin beruht, sich an die Stelle des Gegners zu versetzen. Als wir allein waren, drehte er sich zu mir um:

»Berichten Sie, bitte, kein Wort darüber,« sagte er, »kein Russe würde die russische Schmach bloßstellen. Es ist, als ob wir über die Verfehlung unserer Mutter sprechen würden. Ich will nicht, daß die verdammten Deutschen sich darüber lustig machen. Ach, wenn ich nur die Möglichkeit hätte, würde ich ihnen schon zeigen, daß unsere russischen Soldaten die besten auf der Welt sind. Unvergleichlich!« Und er fuhr fort, uns ein Beispiel nach dem andern von ihrem Mut und ihrer Todesverachtung zu geben. Es kam alles, wie Skobelieff es vorausgesagt hatte, aber es verschob sich um einige Stunden. Die Mittagszeit war schon vorbei, als die türkischen Soldaten uns angriffen. Wir hatten alle Schwierigkeiten, uns zu behaupten. Eine Stunde später warf Osman dreißigtausend Mann mehr gegen uns, und wir wurden zum Rückzug gezwungen. In einer Stunde wurde der geordnete Rückzug zu einer panischen Flucht, und noch stundenlang strömten abgesplitterte Reste unserer Schar hinkend, schwankend und fluchend in das frühere Lager zurück.

Am nächsten Tage blieb Skobelieff auf seinem Zimmer. Ich bemerkte sofort, daß sein Ruf ungeheuer gestiegen war. Seine eigenen Offiziere wußten alle, was er geleistet hatte. Und als die Offiziere aus anderen Kommandos kamen, zeigten sie ihre Achtung vor seinen großen Fähigkeiten. Das Schöne an ihm war, daß der ganze Respekt und die Vergötterung nicht die leiseste Wirkung auf ihn ausübten. Sooft wir uns später trafen, behandelte er mich mit derselben gütigen Vertraulichkeit.

Selbstverständlich war Plewna durch nichts zu retten. Ein Armeekorps nach dem andern wurde zur Unterstützung der russischen Streitkräfte geschickt. Die türkischen Verbindungen wurden abgeschnitten, Plewna war umzingelt. Monate später ergab sich Osman und wurde mit aller Achtung von Skobelieff empfangen, den jetzt jeder als den Helden von Plewna begrüßte. Osman bot ein schönes Bild, als er an der Spitze seiner Garnison von fast hunderttausend Mann ritt. Er war schmal und blaß und hatte einen Arm, an dem er jüngst verwundet worden war, in der Binde, und als er an der Spitze seines Stabes durch die russischen Reihen ritt, jubelten ihm die Russen auf ein Zeichen Skobelieffs zu.

Ich möchte Skobelieff mit Roberts vergleichen, der der beste General war, dem ich je begegnete, und den interessanten Kontrast zwischen beiden herausholen. Keiner von beiden war von bedeutender Intelligenz. Im Burenkriege ging Roberts jeden Sonntag in die Kirche und wich nicht um ein Haar von den Gebräuchen und Konventionen ab. Er war ein ehrlicher Christ und folgte in allen gesellschaftlichen Dingen seiner Frau. Zuerst ließ er sich von Kitcheners Äußerem täuschen, und selbst, als er bei Paardeberg gezwungen war, dessen militärische Unzulänglichkeit zu erkennen, behielt er dieses Wissen so lange für sich, daß er noch den Kitchener-Mythos unterstützte. Skobelieff andrerseits war von jeder Form des Snobismus vollkommen frei. Er hatte sogar eine gewisse Sympathie für die Verachtung der Disziplin und aller gesellschaftlichen Konventionen. Ein Teil der »Rückkehr zur Wahrheit« der Nihilisten war ihm ins Blut gelangt. Er haßte alles Unehrliche und schien mir in dieser Hinsicht sogar größer als Roberts. An Einsicht und Aktivität waren sich die beiden gleich.

In den Tagen der Ruhe, die jetzt der Einnahme des Forts folgten, brachte ich Skobelieff dazu, mir von seiner Jugend zu erzählen. Er gestand mir lachend, daß er mit vierzehn oder fünfzehn Jahren hinter jedem hübschen Mädel her war, das in seiner Nähe auftauchte. Eines Tages fand ihn ein Onkel dabei, als er ein junges Hausmädchen umarmte. Sie stieß den Knaben weg, als sie des Onkels ansichtig wurde. Darauf sagte er ruhig: »Du solltest stolz sein, mein Täubchen, daß dich der junge Herr küßt!« – »Seit jener Zeit machte man mir keine Schwierigkeiten,« sagte Skobelieff einfach, »die Nachricht verbreitete sich mit Windeseile durch das ganze Haus, und ich traf auf keine Weigerungen mehr.«

Ich fand nichts Bezeichnenderes für die wirkliche Bedeutung der Leibeigenschaft als diese kleine Episode. Sie ist meiner Ansicht nach so charakteristisch wie die Erzählung von Krapotkin, in seinen »Erinnerungen eines Revolutionärs«, über die orientalischen Sitten im Pagenkorps, über die dort herrschende Unzucht und die teuflischen Grausamkeiten der Zeit der Leibeigenschaft. Einige der Tatsachen sprechen Bände. Wenn ein Soldat oder Dienstbote durch Auspeitschen bestraft wurde und unter der Knute starb, wurde das volle Maß der Prügel dem fühllosen Leichnam aufgezählt. Auch die Heirat unter den Leibeigenen wurde oft vom Herrn ohne Rücksicht auf Liebe oder eigene Wahl vereinbart.

»Was geschah nun mit dem hübschen Mädel?« fragte ich. – »Ich besaß sie oft,« erwiderte Skobelieff lachend, »und wenn sie's nicht war, dann war's eine andere. Ich besaß sie alle. Jedes Mädel und jede Frau im Orte von dreizehn bis fünfzig. Aber die alten gefielen mir besser«, fügte er nachdenklich hinzu. »Wenn ich nicht zur Schule hätte gehen müssen, hätte ich mich dabei umgebracht. Heute spüre ich noch die Nachwirkung jener Jahre.«

»Bedauern Sie Ihre früheren Ausschweifungen?« fragte ich. »Nein,« erwiderte er, »es ist im großen ganzen eine schöne Zeit gewesen. Und wenn ich als Knabe doppelte Portionen verspeist habe, wie die Franzosen sagen, besitze ich jetzt viele unvergeßliche Erinnerungen. In Petersburg verlebte ich später herrliche Stunden. Dort traf ich auf eine wirkliche Leidenschaft, auf den Wunsch, mein Gefühl mit Gleichem zu vergelten, auf ein Verständnis des Lebens, einen Entschluß, Großes zu vollbringen ohne Rücksicht auf Konventionen – – – Ach, die siegreichen Augenblicke des Lebens sind alles, aber auch alles, was uns zuteil wird.«

Es war ein Geständnis ganz nach meinem Sinne –

Zwei kleine Szenen dieses Feldzuges machten einen großen Eindruck auf mich. Es war nach der Einnahme einer Stadt namens Lovtscha, wenn ich mich nicht irre. Skobelieff und sein Stab trafen auf eine Schar verwundeter Türken, die von ihren Kameraden auf dem Wegrande zurückgelassen worden waren, schon Tage vorher, sterbende und tote Männer, die Verwundeten peinlich gekrümmt. Skobelieff ließ durch einen Dolmetscher fragen, was man für sie tun könnte, bevor man sie ins Feldspital transportierte. Alle jammerten nach Nahrung, nur der eine große Türke mit einem ganz verbundenen Kopf bat um eine Zigarette. Sofort beugte sich Skobelieff vom Pferde herab und bot ihm sein eigenes Zigarettenetui an. Der Türke nahm es, ein Offizier reichte ihm das Streichholz hin, und er blies den Rauch vor sich hin mit dem Ausdruck ungetrübter Zufriedenheit. Und dann begann er als Gegendienst den Knoten seiner Bandage aufzumachen und den schmutzigen Leinenstreifen abzuwickeln, der seinen Kopf bedeckte. Trotz Skobelieffs protestierender Geste und seiner Bitte, es nicht zu tun, fuhr er fort, und als der letzte Streifen, vom Blut verklebt, abgemacht war, fiel der halbe Kiefer des Mannes auf die Brust herab – die andere Hälfte war anscheinend von einem Granatsplitter abgerissen. Es war ein grauenhafter Anblick. Aber der Türke lächelte, hob seinen Kiefer empor und begann wieder die Bandage zu wickeln. Als er sie festgebunden hatte, steckte er die Zigarette wieder in den Mund und lächelte uns in wärmster Dankbarkeit an. »Ein stolzes Volk,« lächelte Skobelieff, »große Soldaten!« Und das waren sie – und sind's noch heute!

Noch eine Szene: Als Engländer gelang es mir, lange vor den russischen Truppen nach Adrianopel zu kommen. Ich wollte Konstantinopel und die Türken sehen, bevor ich mich wieder an meine Arbeit machte. Auf einer Station, deren Namen ich schon vergessen habe, mußte ich mich einen oder zwei Tage aufhalten. Die Karawanserei war eine jämmerliche Bude. Eines Morgens hörte ich, daß einige russische Gefangene hereingebracht wurden, und als ich vor die Tür trat, sah ich sie auf den Bänken der Station sitzen, von einem halben Dutzend Türken bewacht. Ein gigantischer Türke schritt vor den armen Gefangenen auf und ab und schimpfte und brummte vor sich hin. Ich bat den Dolmetscher, den ich bei mir hatte, einen türkischen Offizier ausfindig zu machen, denn sonst würde man die Russen umbringen. Er stürzte im Augenblicke fort. Plötzlich blieb der riesige Türke vor einem bärtigen Russen stehen, ergriff ihn beim Bart und beim Haarschopf, riß seinen Mund auseinander und spuckte ihm in die Kehle – ich habe nie eine solche Geste des Hasses und der wilden Wut gesehen. Mein Blut kochte, aber ich konnte nichts tun, als um die baldige Rückkehr eines Offiziers beten. Glücklicherweise kam noch einer rechtzeitig an, und die armen Russen waren gerettet.

Ich habe Skobelieff nach jener Zeit nicht mehr gesehen. Aber er blieb leuchtend in meiner Erinnerung haften, und ich will jetzt von seinem Ende erzählen. Ich sprach von ihm eines Tages begeistert in London, als ein russischer Offizier, der der russischen Botschaft attachiert war, mir von seinem Tode erzählte:

»Sie wissen, daß er unser Held war«, begann er. »Es hängen mehr Bilder von Skobelieff als sogar vom Zaren in unseren Bauernhütten in ganz Rußland. Und auch sein Ende war wunderbar. Er war nach Moskau gekommen, um einige Armeekorps zu inspizieren. Wie immer nach einer Inspektion, bei der er sehr scharf gegen einige Offiziere vorgegangen war, bat er eine Schar der jüngeren, mit ihm im Slaviansky Bazaar zu speisen. Er wollte wohl den Stachel seiner bitteren Kritik vergessen machen. Selbstverständlich stellten wir uns alle, stolz wie ein Pfau, von ihm eingeladen zu sein, ein, und es wurde ein großes Fest gefeiert.

Später schlug jemand vor, uns zu Madame X zu begeben, die in der benachbarten Straße ihr Haus hatte. Skobelieff ging zu unserem Staunen darauf ein, wir fuhren alle hin, suchten uns die Mädchen aus und verschwanden in den Schlafzimmern. Gegen Mitternacht hörte ich einen wahnsinnigen Schrei, öffnete, wie ich war, die Tür und fand im Korridor die Frau, die Skobelieff sich ausgesucht hatte. ›Der General ist tot‹, jammerte sie.

›Tot?‹ schrie ich, ›was heißt das? Führ' mich hin!‹ Und hysterisch schluchzend nahm sie mich in ihr Schlafzimmer. Dort lag Skobelieff regungslos mit weit offenen Augen auf die Decke starrend; ich rief ihn, legte erst meine Hand, und dann mein Ohr an sein Herz. Es hatte aufgehört zu schlagen. Ich sah das Mädel an. ›Es war nicht meine Schuld,‹ schrie sie, ›wirklich nicht. Es war nicht meine Schuld.‹

Ich stürzte in mein Schlafzimmer zurück und zog mich hastig an. Alle Offiziere waren schon auf den Beinen. Wir riefen nach dem Eigentümer des Bordells und sagten ihm, daß wir den General sofort in sein Hotel, den Slaviansky Bazaar transportieren müßten. Aber der Bordellwirt erklärte uns, es sei nach den polizeilichen Bestimmungen verboten, und wir müßten uns erst eine Erlaubnis holen. Sofort stürzten einige der Offiziere heraus, fuhren in das Polizeipräsidium, aber selbst dort konnten wir nichts erreichen. Es stellte sich heraus, daß nur der Gouverneur von Moskau die Erlaubnis erteilen konnte. So rasten wir zum Palast hin. Wie das Pech es nun einmal wollte, war der Gouverneur in seiner Villa außerhalb der Stadt, wir mußten eine Droschke nehmen, und sausten wie irrsinnig hin. Gegen drei Uhr morgens klopften wir ihn aus dem Schlafe heraus, bekamen die notwendige Erlaubnis, und stürzten zum Bordell zurück.

Der General war kalt und steif. Es war unerhört schwierig, ihn anzukleiden, aber es mußte getan werden. Mein Freund faßte ihn bei einem Arm und ich beim zweiten, und halb führten, halb trugen wir ihn zu der Droschke hinunter. Keiner von uns hatte an die Zeit gedacht. Es war jedoch leider inzwischen Tag geworden, und zu unserer Verblüffung war die Nachricht durchgesickert, und die Straßen waren von Menschen überfüllt. Sobald sie uns sahen, wie wir Skobelieff halb trugen, knieten sie auf dem Bürgersteige und auf der Straße hin – das gute Volk –, bekreuzigten sich und begannen für den Frieden seiner Seele zu beten.

Durch eine kniende Menge hindurch fuhren wir unsern Helden in den Slaviansky Bazaar und legten ihn auf sein Bett. Und das fromme Mitleid des russischen Volkes ist so groß, seine Bewunderung der Größe so tief, daß die Geschichte nie verbreitet wurde und nie in der Presse erschien. Wundern Sie sich nun, daß unser Vaterland für uns das Heilige Rußland ist?«

Als ich der Geschichte zuhörte, kamen mir die großen Worte von Blake in den Sinn, das letzte Wort für uns Sterbliche:

»Soll durch alle Ewigkeit
Zwischen uns Vergebung sein, –
Unser teurer Heiland sprach:
Dies das Brot und dies der Wein.«


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