Rider Haggard
Die heilige Blume
Rider Haggard

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19. Kapitel

Die wahre heilige Blume

Ich muß fünfzehn oder sechzehn Stunden geschlafen haben. Denn als ich mich wieder auf mich selbst besann, stand die Sonne eines neuen Tages schon hoch am Himmel.

Hans, der mich aus den Augenwinkeln heraus beobachtete, kam sofort mit einer Blechtasse heißen Kaffees daher. Ich trank ihn bis zum letzten Tropfen aus und fühlte mich danach wie neugeboren. Während ich mich dann mit ein paar Stücken gerösteten Fleisches beschäftigte, berichtete mir Hans, was unterdessen vorgegangen war.

Dann wusch ich mich mit einer wahren Wollust, zog meine Unterkleider, die Hans ausgewaschen und getrocknet hatte, an und fragte den würdigen Hottentotten, wie er sich jetzt nach all unseren Abenteuern befände.

»Oh, ganz gut, Baas,« antwortete er, »zumal ich jetzt den Bauch voll habe. Meine Hände freilich sind noch ganz wund davon, daß ich wie ein Pavian auf allen Vieren kriechen mußte, und den Gestank der Haut jenes Gottes kann ich nicht aus der Nase kriegen. Ja, Baas, ich glaube, du hast doch gut daran getan, den versoffenen alten Hans auf deine Reise 306 mitzunehmen. War es nicht klug von mir, das kleine Gewehr hinüberzuschmuggeln? Und auch mein Vorschlag, daß du durch das Krokodilwasser schwimmen solltest?«

»Ja, Hans,« sagte ich, »es war gut, daß ich dich mitgenommen habe, denn ohne dich wären wir jetzt längst aufgefressen worden in Pongoland. Ich danke dir für diese Hilfe, alter Freund. Aber, Hans, ein andermal flicke die Löcher in deinen Westentaschen! Vier Zündhütchen waren nicht viel.«

Vor dem Zelteingang traf ich Bruder John, der mir mitteilte, daß er Stephans Wunde ausgewaschen und genäht habe, und daß sie gut aussähe, trotzdem der Speer die Schulter durchbohrt hatte. So ging ich denn hinein und fand den Patienten in ganz fideler Stimmung vor, wenn auch schwach durch die Anstrengungen und den Blutverlust. Fräulein Hoffnung fütterte ihn gerade mit Fleischbrühe. Ich blieb nicht lange bei ihm, denn er kam bald auf die verlorene Orchidee zu sprechen; dieser Gegenstand schien ihn aufzuregen. Und jetzt beschwichtigte ich ihn damit, daß ich ihm von der Samenkapsel erzählte, die ich eingesteckt hatte.

Hocherfreut gab er mir sofort eingehende Instruktionen. Ich sollte diese Kostbarkeit in eine vollkommen trockene und luftdichte Büchse verpacken, und – da er kein Ende dabei fand, komplimentierte mich Fräulein Hoffnung ohne weitere Zeremonien hinaus.

Über unsere Reise nach Bezar ist nichts zu sagen; sie verlief ohne Zwischenfälle. 307

Stephan ertrug den Transport recht gut, und Bruder John, der einer der besten Ärzte war, die mir je begegneten, gab gute Berichte über ihn aus. Doch es fiel mir auf, daß der Patient in keiner Weise zu Kräften kam, trotzdem er futterte wie ein Löwe. Auch sagte mir Fräulein Hoffnung, daß er nur sehr wenig schlafe.

»O Allan,« klagte sie, kurz bevor wir die Stadt erreichten, »Stephan, Euer Sohn (sie nannte ihn stets meinen Sohn, warum, weiß ich nicht), ist sehr krank. Mein Vater sagt, es ist nur die Speerwunde, aber ich weiß, es ist mehr als das. Er ist in sich selbst krank«, und Tränen füllten ihre grauen Augen. Sie hatte auch recht. Denn in der Nacht nach unserer Ankunft in Bezar wurde Stephan von einem sehr bösartigen afrikanischen Fieber befallen, das ihn in seinem geschwächten Zustande das Leben hätte kosten können.

Unser Willkommen in Bezar war im höchsten Grade imponierend. Die ganze Bevölkerung, von dem alten Bausi selber angeführt, kam uns entgegen und geleitete uns im Triumph in unsere alten Hütten.

Ich glaube, Stephan verdankte sein Leben einer, wie soll ich sagen, geistigen Überrumpelung oder einem Trick Fräulein Hoffnungs. An jenem gefährlichen Abend nahm sie seine Hand, und auf einen Fleck im Fußboden zeigend, sagte sie:

»Sieh da, sieh, Stephan, die Blume ist zurückgebracht worden.« Er starrte und starrte, und zu meinem Erstaunen antwortete er:

»Bei meiner Tante, es ist wahr. Aber diese 308 Schweinehunde haben ja alle Blüten bis auf eine abgebrochen!«

»Ja,« gab sie zurück, »aber eine ist übriggeblieben, und es ist die schönste von allen.«

Danach fiel er in einen Schlaf, und er schlief zwölf Stunden lang. Erwacht, nahm er etwas Nahrung zu sich und schlief wieder ein. Und das beste dabei war, daß seine Temperatur plötzlich ein wenig unter Normal fiel. Als er daraufhin wieder aufwachte – ich war zufällig gerade in der Hütte –, starrte er auf den Fleck, den sie gezeigt hatte, dann starrte er auf das Mädchen und sagte schließlich mit schwacher Stimme:

»Haben Sie mir nicht gesagt, Fräulein Hoffnung, daß die Pflanze wiedergekommen ist und daß die schönste ihrer Blüten noch daran ist?«

Ich war neugierig, was sie ihm wohl antworten würde. Sie zeigte sich der Situation gewachsen.

»O Stephan,« sagte sie mit ihrer weichen Stimme und in so natürlicher Art, daß es in keiner Weise unschicklich oder kühn erschien, »sie ist hier, denn bin ich nicht ihr Kind? O Stephan, ich bitte Euch, trauert nicht mehr wegen einer verlorenen Pflanze, von der Ihr ja den Samen habt, um neue zu ziehen. Sprecht doch lieber ein Dankgebet, daß Ihr noch lebt und daß durch Euch meine Mutter noch lebt und ich auch noch lebe, die, wenn Ihr gestorben wäret, sich die Augen ausgeweint hätte.«

»Durch mich?« antwortete er. »Sie meinen wohl durch Allan und Hans! Und dann waren Sie es ja, die mir dort im Wasser das Leben gerettet hat! Oh, 309 ich besinne mich jetzt auf alles. Sie haben recht, Hoffnung; obgleich ich es nicht wußte, sind Sie die wirkliche heilige Blume.«

Sie setzte sich an seine Seite und gab ihm ihre Hand, worauf ich mich aus der Hütte hinausstahl und es ihnen überließ, sich weiterhin über die verlorene Blume, die nun wiedergefunden war, zu unterhalten. Es war eine liebliche kleine Szene, eine Szene, die meiner Meinung nach einem im übrigen fast verrückt zu nennenden Abenteuer erst einen eigentlichen und richtigen Sinn gab. Er hatte eine ideale Blume gesucht und die Liebe seines Lebens gefunden.

Danach erholte sich Stephan sehr rasch, denn die Liebe ist die beste Medizin – wenn sie erwidert wird.

Wir blieben noch einen vollen Monat in Bausis Kral, um die völlige Herstellung Stephans abzuwarten. Innerhalb dieser Zeit bekam ich die Stadt bis zum Halse satt, und dasselbe war bei Mavovo und den Zulus der Fall. Nur Bruder John und seine Frau schienen sich ganz behaglich zu fühlen.

Eines Tages erklärte ich, es wäre an der Zeit, aufzubrechen, zumal auch Stephan schon marschfähig sei.

»Ganz recht,« sagte Bruder John milde, »was haben Sie arrangiert, Allan?«

Ein wenig gereizt, denn ich haßte diese Redensart, antwortete ich, daß ich bis jetzt gar nichts arrangiert hätte, aber ich wolle einmal mit Hans und Mavovo über die Sache sprechen.

Ich brauche das Ergebnis unserer Unterredung nicht darzulegen; denn inzwischen waren andere 310 Arrangements für uns getroffen worden, von denen wir uns nichts hatten träumen lassen. –

Es kam sehr plötzlich, wie große Geschehnisse im Leben von Menschen und Nationen oftmals plötzlich zu kommen pflegen. Obgleich die Mazitu der Zulurasse angehörten, war ihre militärische Organisation keineswegs so auf der Höhe wie bei den Zulus. Als ich Bausi und Babemba einmal fragte, warum sie nicht einen Grenzbewachungs- und Nachrichtendienst eingerichtet hätten, lachten sie mich aus. Sie seien noch niemals angegriffen worden, sagten sie, und jetzt, nachdem die Pongo eine solche Lektion bekommen hätten, würden sie es noch weniger werden.

An jenem Morgen lag über ganz Mazituland ein dichter, schwerer Nebel. Seine Schwaden waren so dick, daß es unmöglich war, weiter als drei Meter zu sehen. Wir hatten unser Frühstück beendet; ich hatte gerade einem Zulu den Auftrag gegeben, nach dem Zaumzeug der beiden Esel und Johns weißem Ochsen zu sehen, und ich wollte die Gewehre und die Munition inspizieren gehen, die Hans aus dem Lagerhause hervorgeholt hatte. In diesem Momente war's mir, als hörte ich noch weit entfernt einen ungewöhnlichen Klang. Ich fragte Hans, was das gewesen wäre.

»Ein Schuß, Baas«, antwortete er unruhig.

Seine Unruhe war erklärlich. Denn wir beide wußten, daß im ganzen Lande außer uns kein Mensch ein Gewehr besaß. Wohl waren eine Anzahl Mazitusoldaten im Gebrauch jener Gewehre unterrichtet 311 worden, die wir seinerzeit den Sklavenhändlern abgenommen hatten. Aber ich hatte darauf bestanden, daß die Waffen nach jeder Übung abgegeben wurden, und sie lagen jetzt alle hier vor mir.

Ich befahl der Torwache, schnellstens zu Bausi und Babemba zu eilen, ihnen Meldung zu erstatten und sie zu bitten, sofort Kundschafter auszuschicken und alle Soldaten, die sich in der Stadt aufhielten, zu versammeln. Es standen uns an jenem Tage unglücklicherweise insgesamt kaum dreihundert Mann zur Verfügung, die anderen hatten Ernteurlaub bekommen. Von einer unerklärlichen Unruhe befallen, befahl ich den Zulus, sich zu bewaffnen. Dann setzte ich mich nieder und überlegte, was zu tun sei, wenn wir in dieser starkbevölkerten Stadt einmal plötzlich angegriffen werden sollten. Ich rief Hans und Mavovo herbei. Sie stimmten mit mir darin vollkommen überein, daß der einzige verteidigungsfähige Platz außerhalb der Stadt lag, dort, wo die Straße nach dem Südtore einen felsenbestreuten und baumbestandenen steilen Abhang kreuzte.

Während wir noch sprachen, kamen zwei Mazituhäuptlinge angerannt, die einen verwundeten Hirten mit sich schleppten. Der Mann hatte eine Schußwunde im Arm.

Er erzählte, daß er mit zwei Jungen etwa eine halbe Meile nördlich der Stadt die Kühe des Königs gehütet hatten, als plötzlich eine große Schar weißgekleideter Männer, alle mit Gewehren bewaffnet, aus dem Nebel auftauchten. Diese Leute begannen sofort das Vieh wegzutreiben und auf die Hirten 312 zu schießen, wobei der Erzähler verwundet und seine beiden Gefährten getötet wurden. Daraufhin war er fortgerannt und hatte die Nachricht hierhergebracht Er setzte noch hinzu, daß einer der Männer hinter ihm her gerufen habe, er solle den weißen Leuten nur sagen, jetzt wären sie gekommen, um sie und die Mazitu, ihre Freunde, zu töten und die weißen Frauen wegzuführen.

»Hassan-Ben-Mohammed und seine Sklavenjäger!« sagte ich, als auch schon Babemba mit einer Anzahl Soldaten ankam und schon von weitem rief:

»Die arabischen Sklavenhändler sind hier, Herr Macumazana. Sie sind durch den Nebel hergekrochen. Ein Herold ist an das Nordtor gekommen und hat verlangt, daß wir euch Weiße und eure Diener und mit euch hundert junge Männer und hundert junge Frauen ausliefern, die als Sklaven verkauft werden sollen. Wenn wir das nicht täten, würden sie uns alle töten, außer den unverheirateten Jünglingen und Mädchen. Und sie würden euch Weiße ergreifen und euch dem Feuertode übergeben und nur die zwei Frauen am Leben lassen. Ein Mann namens Hassan sendet diese Nachricht«

»So, so,« antwortete ich ruhig, denn in dieser Situation kam meine gewohnte Ruhe über mich, »und will Bausi uns ausliefern?«

»Wie kann Bausi Dogitah, seinen Blutsbruder, und euch, seine Freunde, ausliefern?« rief der alte General empört aus. »Bausi schickt mich zu seinem Bruder Dogitah, um die Befehle in Empfang zu nehmen, die der weiße Mann in seiner Weisheit gibt.« 313

»Dann ist Bausi von einem guten Geiste erfüllt,« antwortete ich, »und dieses sind Dogitahs Befehle, gesprochen durch meinen Mund: Geh zu Hassans Boten und frage ihn, ob er sich an einen gewissen Brief erinnere, den zwei weiße Männer einstmals für ihn außerhalb ihres Lagers hinterlassen hätten. Und sage ihm, daß jetzt für die weißen Männer die Zeit gekommen ist, ihre Versprechungen zu erfüllen, und daß Hassan, ehe morgen die Sonne sinkt, an einem Baume hängen wird. Dann, Babemba, sammle deine Soldaten und verteidige das Nordtor der Stadt, solange du kannst. Wenn du es nicht mehr verteidigen kannst, ziehe dich durch die Stadt zurück und vereinige dich mit uns hinter dem Südtore der Stadt, bei jenem steinigen Abhang mit den Bäumen. Lasse einige deiner Leute alle Alten und die Frauen und Kinder durch das Südtor der Stadt treiben und in den Wäldern jenseits der Hügel Zuflucht suchen. Sie sollen nicht zögern! Sie müssen sofort gehen! Verstehst du?«

»Ich verstehe alles, Herr Macumazana. Die Worte Dogitahs sollen befolgt werden. Oh! Ich wünschte, wir hätten auf dich gehört und besser Wache gehalten!«

Er schoß mit der Leichtfüßigkeit eines Jünglings davon und brüllte schon im Laufen nach rechts und links an seine Leute Befehle.

»Jetzt ans Werk«, sagte ich, und wir rafften Gewehre und Munition und einige andere Gegenstände zusammen, nahmen die Esel und den weißen Ochsen und marschierten dem Südtore zu. Unterwegs fiel 314 mir ein, daß wir auch Decken und eiserne Kochtöpfe brauchen würden, und ich befahl Sammy, der ziemlich verstört aussah, zurückzugehen und sie zu holen.

»Herr Quatermain,« antwortete er, »ich werde gehorchen, wenn auch mit Furcht und Zittern.«

Er ging, und wie ich ein paar Stunden später plötzlich konstatierte, kam er nicht mehr zurück.

Mit einem Seufzer, denn ich war dem Burschen zugetan, kam ich zu der Überzeugung, sein »Furcht und Zittern« hätte ihm den Verstand verwirrt, und er wäre mit den Kochtöpfen in die verkehrte Richtung gelaufen und von den Sklavenjägern erschlagen worden.

Jenseits des Marktplatzes hatten wir unseren Weg durch einen Strom von Menschen, die in Todesangst flüchteten, förmlich zu erkämpfen. Viele Hunderte waren es, alte Leute, Kranke, die getragen werden mußten, Kinder und Frauen mit Säuglingen an der Brust. Auf dem Abhange angekommen, gingen wir sofort ans Werk, unsere Stellung mit Steinblöcken und Baumstämmen so gut als möglich zu befestigen. Unter uns tobte der Strom der Flüchtlinge vorbei und verschwand jenseits der Hügel in den Wäldern.

Ich schlug Bruder John vor, mit Frau und Tochter und den drei Reittieren den Flüchtenden zu folgen. Er schien nicht abgeneigt, den Vorschlag anzunehmen, natürlich nicht seinetwegen, denn er war ein furchtloser alter Herr; aber die zwei Damen weigerten sich entschieden, wegzugehen. Hoffnung sagte, sie wolle bleiben, wo Stephan sei, und ihre Mutter 315 erklärte, sie habe zu mir Vertrauen und ziehe es vor, bei ihrer Tochter zu bleiben. Daraufhin schlug ich Stephan vor, mit den beiden zu gehen, aber er wurde so wild über diesen Vorschlag, daß ich nicht mehr darüber zu sprechen wagte.

So wies ich ihnen denn eine kleine Bodenvertiefung, gerade auf dem Gipfel des Abhanges und neben einer Quelle, als einen vorläufig sicheren Zufluchtsort zu. Außerdem aber, ohne etwas hinzuzusetzen, drückte ich jeder von ihnen eine doppelläufige geladene Pistole in die Hand. 316

 


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