Rider Haggard
Die heilige Blume
Rider Haggard

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14. Kapitel

Der Eid des Kalubi

»Seid still!« flüsterte ich, und alle verstanden, wenn auch nicht die Worte, so doch den Ton. Dann zwang ich mich mit Gewalt zur Ruhe. Aber diese schreckliche Vision, die ein Blick in die Hölle hätte sein können, raubte mir fast die Besinnung. Ich schielte auf Komba, der uns ein paar Schritte voraus war. Offensichtlich war er selbst sehr erschrocken. Wohl in der Erkenntnis, daß er einen schweren Fehler gemacht hatte. Die Bewegungen seines Rückens verrieten es mir. Einen Augenblick stand er still, dann drehte er sich rasch um und fragte mich, ob wir etwas gesehen hätten.

»Ja«, antwortete ich gleichgültig. »Wir sahen eine Anzahl Leute um ein Feuer herumsitzen.«

Er suchte in unseren Gesichtern zu lesen. Aber glücklicherweise verbarg gerade eine dicke Wolke den Vollmond. Mit einem Seufzer der Erleichterung sagte er:

»Der Kalubi und die Häuptlinge braten ein Schaf, wie es ihre Gewohnheit ist in diesen Nächten, wenn der Mond wechseln will. Folgt mir, weiße Herren.«

Er führte uns quer durch den Garten zu den oben erwähnten zwei schönen Hütten hin. Hier klatschte 213 er in die Hände, und eine Frau erschien. Er gab ihr mit halblauter Stimme einen Befehl. Sie ging weg und kam gleich darauf mit vier oder fünf anderen Frauen zurück, die in den Händen ölgefüllte Tonlampen trugen. Die Lampen wurden in den Hütten niedergesetzt Diese waren sehr sauber und mit einigen hölzernen Stühlen und einer Art von niederem Tisch, dessen Beine als Antilopenfüße endigten, ausgestattet. Im Hintergrunde der Hütten ragte eine hölzerne Plattform auf, die mit Matten und Kissen bedeckt war. Das war unser Bett.

»Hier mögt ihr in Frieden schlafen«, sagte Komba. »Seid ihr nicht die geehrten Gäste des Pongolandes, weiße Herren? Es wird euch sofort eine Mahlzeit gebracht werden, und wenn ihr gegessen habt und es euch recht ist, werden der Kalubi und seine Räte euch in jenem Festhause empfangen, und ihr könnt mit ihm sprechen, bevor ihr schlafen geht. Wenn ihr irgend etwas braucht, so schlagt mit diesem Stock auf den Krug hier«, und er zeigte auf ein kupfernes Gefäß, das im Garten neben dem Eingang stand. »Es wird dann jemand kommen, um euch zu bedienen. Ich muß jetzt gehen, um dem Kalubi Bericht zu erstatten«, und er verschwand mit einer höflichen Verbeugung.

»Bei meiner Tante!« sagte Stephan und wedelte sich mit dem Taschentuch Luft zu, »haben Sie die Frau gesehen, aus der Rostbraten gemacht wurde? Ich habe schon oft von Kannibalen gehört –, aber der Vorgang selbst! – Bei meiner Tante!«

»Es hat keinen Zweck, Ihre abwesende Tante 214 anzurufen, – wenn Sie überhaupt eine haben. Was haben Sie eigentlich erwartet, als Sie darauf bestanden, in eine Hölle wie diese zu gehen?« fragte ich düster.

»Kann's nicht sagen, alter Junge. Ich plage mich im allgemeinen nicht viel mit Erwartungen. Das ist's auch, warum ich und mein armer Vater keinen guten Faden miteinander spannen. Aber was ich sagen wollte: meinen Sie, daß es uns bestimmt ist, auch auf jenem Roste da drüben die Erfahrungen des Heiligen Lorenz zu machen?«

»Sicherlich meine ich das«, antwortete ich. »Und Sie können sich, da der alte Babemba Sie gewarnt hat, nicht einmal darüber beschweren.«

»Oho! Aber ich will und werde mich beschweren!«

Ich war in niedergedrücktester Stimmung; da steckte Hans den Kopf zur Tür herein und sagte:

»Das Abendbrot kommt, Baas, ein sehr feines Abendbrot!«

Wir gingen in den Garten. Die großen, gleichmütigen Frauen waren dabei, eine Anzahl hölzerner Schüsseln auf den Boden niederzusetzen. Beim hellen Licht des Mondes prüften wir ihren Inhalt. In einigen lag gekochtes Fleisch, mit einer Art Soße übergossen, so daß seine Herkunft nicht festzustellen war. Ich glaube, es war Hammelfleisch, aber – wer konnte wissen? Andere Gerichte bestanden unzweifelhaft aus Gemüsen. Da gab es zum Beispiel ein ganzes Brett voll gerösteter Maiskolben und einen großen, gekochten Kürbis, sowie einige Näpfe mit saurer Milch. In Erinnerung an das unheilige Festmahl 215 in jener Hütte drüben wurde ich mir auf einmal einer vollständigen und plötzlichen Hinneigung zu den vegetarischen Prinzipien bewußt, die mir Bruder John immerfort predigte.

Ich packte vier der gerösteten Maiskolben und schlug zugleich dem Kürbis mit meinem Messer den Kopf ab.

Merkwürdigerweise schien sich auch Stephan zur Pflanzennahrung bekehrt zu haben, denn auch er hielt sich an die Maiskolben und den Kürbis. Dasselbe tat Mavovo und sogar der eingefleischte Fleischesser Hans. Nur der einfache Jerry bekannte sich zu den Fleischtöpfen Ägyptens oder besser Pongolands und erklärte sie für gut. Ich glaube aber, daß er nicht erkannt hatte, was auf jenem Roste gelegen hatte, denn er war der letzte gewesen, der zum Tor hereinkam.

Endlich war unsere Mahlzeit beendigt. Es nimmt viel Zeit in Anspruch, von wäßrigen Kürbissen satt zu werden. Dies ist wahrscheinlich auch der Grund, weshalb Wiederkäuer und andere Tiere eigentlich in einem fort fressen.

»Allan,« sagte Bruder John halblaut zu mir, als wir unsere Pfeifen anzündeten, »jener Mann vor dem Roste mit dem Rücken zu uns war der Kalubi. Ich konnte den Stumpf an seiner Hand sehen; dort habe ich ihm den Finger abgenommen.«

»Nun, wenn wir etwas erreichen sollen, müssen Sie sich an ihn halten,« antwortete ich, »aber die Frage ist, werden wir überhaupt etwas erreichen – außer etwa jenen Rost? Ich glaube wirklich, wir 216 sind hierhergelockt worden, um aufgefressen zu werden.«

Ehe Bruder John antworten konnte, kam Komba zurück. Er fragte, ob uns das Abendbrot geschmeckt habe; dann teilte er uns mit, daß der Kalubi und die Häuptlinge bereit wären, uns zu empfangen. Wir ließen Jerry zurück und folgten Komba mit unseren Geschenken bepackt.

Das Feuer in der Grube war ausgegangen und der Rost mit seiner schrecklichen Bürde verschwunden. Alle Matten waren jetzt hochgezogen, so daß klares Mondlicht den Raum erleuchtete. In einem Halbkreis, auf hölzernen Stühlen, saßen der Kalubi und acht Räte, alles grauhaarige Männer. Der Kalubi war ein großer, hagerer Mensch in mittlerem Alter, mit dem nervösesten Gesichtsausdruck, den ich jemals bei einem Schwarzen gesehen habe. Seine Züge veränderten sich unaufhörlich, seine Hände konnten niemals stillstehen, und sogar seine Augen zitterten vor unbekannten Schrecknissen.

Er stand auf und verbeugte sich. Die Räte blieben sitzen und grüßten uns mit leisem und langanhaltendem Klatschen der Hände.

Wir verbeugten uns ebenfalls und setzten uns dann auf drei Stühle nieder, Bruder John auf den mittleren. Mavovo und Hans standen hinter uns; der Letztgenannte stützte sich auf seinen großen Bambusstock. Dann bat der Kalubi den Komba, einen Bericht über seine Reise zu erstatten und zu sagen, wie es käme, daß sie die Ehre hätten, die weißen Herren hier zu sehen. 217 Komba gehorchte. Er gab eine kurze Darstellung von allem, was er seit seiner Abreise von hier erlebt hatte.

Besonders erwähnte er, daß er einem Befehle des Motombo folgend die weißen Herren nach Pongoland eingeladen und sie sogar als Gesandte König Bausis anerkannt hatte. Nur hätte er zur Bedingung gestellt, sie dürften keine ihrer magischen Waffen, die Rauch und Feuer ausspien, mitbringen. Bei dieser Stelle zeigte das Gesicht des Kalubi einen stark verstörten Ausdruck, was auch Komba bemerkt haben mußte. Doch sagte er hierüber nichts und fuhr nach einer kurzen Pause fort, solche Waffen wären wirklich nicht mitgekommen, denn er hätte unser Gepäck vor der Abreise durchsucht.

Deshalb, setzte er weiter hinzu, wäre keinesfalls zu fürchten, durch uns könnte die alte Prophezeiung erfüllt werden, daß die Götter das Land verließen und das Pongovolk aufhören würde, ein Volk zu sein, sobald innerhalb ihres Landes ein Gewehr abgefeuert würde.

Nach Beendigung seiner Rede setzte er sich demütig in einiger Entfernung von uns nieder. Dann stand der Kalubi auf, begrüßte uns förmlich als Gesandte Bausis, des Königs der Mazitu, und erläuterte in einer langen Rede die Vorteile, die beiden Völkern aus einem dauernden Frieden erwachsen würden. Die Artikel dieses Friedensvertrages bezogen sich auf gegenseitige Verheiratung, freien Handel zwischen den beiden Stämmen, auf Blutsbrüderschaft und auf andere Dinge, und es wurde 218 festgesetzt, daß die Bestätigung dieses Vertrages dadurch erfolgen sollte, daß Bausi eine Tochter des Kalubi und der Kalubi wiederum eine Tochter Bausis zum Weibe nehme.

Wir hörten schweigend zu, und nach einer Pause sprach ich als der Mund Bruder Johns, der, wie ich erklärte, eine zu hohe Persönlichkeit wäre, um selber zu reden, und ich sagte, diese Bedingungen wären vorteilhaft und vernünftig, und wir würden glücklich sein, sie Bausi und seinen Räten zu überbringen.

Der Kalubi bemerkte darauf, daß die ganze Angelegenheit noch vor den Motombo gebracht werden müßte, ohne dessen Zustimmung kein Vertrag gesetzliche Gültigkeit unter den Pongo hätte. Er setzte hinzu, wir würden Seine Heiligkeit am besten morgens aufsuchen, etwa drei Stunden nach Sonnenaufgang, denn sie lebe eine Tagereise von der Stadt Rica entfernt. Nach kurzer Beratung erklärten wir uns einverstanden, den Motombo aufzusuchen, denn wir hätten gehört, er wäre alt und könnte nicht zu uns kommen. Wir täten es, trotzdem wir wenig Zeit hätten. Jetzt aber wären wir müde und wünschten zu Bett zu gehen. Daraufhin übergaben wir noch unsere Geschenke. Sie wurden dankbar und mit der Versicherung angenommen, daß uns Gegengeschenke übergeben werden sollten, bevor wir Pongoland verließen.

Danach nahm der Kalubi ein Stäbchen und zerbrach es; das bedeutete, daß die Konferenz beendigt war. Wir boten ihm und seinen Räten gute Nacht und kehrten in unsere Hütten zurück. 219

Ich muß hier bemerken – denn es hat mit einem späteren Vorkommnis zu tun –, daß wir jetzt nicht von Komba, sondern von zwei Räten zurückbegleitet wurden. Komba hatte sich, als wir »gute Nacht« sagten, entfernt.

»Was halten Sie von der ganzen Geschichte?« fragte ich die anderen, als die Tür hinter uns geschlossen war.

Bruder John schüttelte nur den Kopf und sagte nichts, denn in diesen Tagen schien er in einer Art von Traumland zu leben.

Stephan antwortete: »Mist! Blödsinn alles miteinander! Diese menschenfressenden Teufelssöhne führen etwas im Schilde, alles Mögliche kann es sein, nur nicht Frieden mit den Mazitu.«

»Das stimmt,« sagte ich, »wenn ihr Ziel wirklich Frieden wäre, würden sie mehr gefeilscht und außerdem die Zustimmung des Motombo vorher eingeholt haben. Es ist klar, daß er die Hauptperson ist, nicht der Kalubi. Wenn es ernst gemeint wäre, würde er zuerst gesprochen haben, immer vorausgesetzt, daß er überhaupt existiert und keine Sage ist. Doch werden wir das alles früh genug erfahren, obgleich ich persönlich denke, daß es klüger wäre, den Motombo Motombo sein zu lassen und uns so schnell wie möglich aus Pongoland davonzumachen.«

»Ich beabsichtige, diesen Motombo aufzusuchen«, fuhr Bruder John mit Entschiedenheit dazwischen.

»Dito, dito«, rief Stephan aus. »Aber es hat wirklich keinen Zweck, das alles noch einmal durchzukauen.« 220

»Nein«, sagte ich gereizt »Es hat, wie Sie sagen, wirklich keinen Zweck, mit Schwachsinnigen zu disputieren. So wollen wir denn zu Bett gehen und, da es vielleicht zum letztenmal ist, noch einen guten Schlaf tun.«

Ich begann eben meine Decken zurechtzulegen, als es an die Türe klopfte. Wir öffneten, und Hans erschien.

»Einer von diesen Menschenfresserteufeln will mit dir reden, Baas. Mavovo hält ihn draußen fest.«

»Laßt ihn herein«, sagte ich, denn unter diesen Umständen schien Furchtlosigkeit noch die beste Wirkung zu haben. »Aber paßt gut auf, während er hier drinnen ist.«

Hans flüsterte ein Wort über seine Schulter, und im nächsten Moment kam ein großer Mann, von Kopf bis zu Füßen in weiße Gewänder gehüllt, so daß er aussah wie ein Geist, mit einem Sprunge hereingeschossen und schlug die Türe hinter sich zu.

»Wer bist du?« fragte ich.

Statt jeder Antwort zog er das Tuch von seinem Gesicht fort. Es war der Kalubi selbst.

»Ich wünsche mit dem weißen Herrn Dogitah allein zu sprechen,« sagte er mit heiserer Stimme, »und es muß sofort sein, späterhin ist es unmöglich.«

Bruder John stand auf und sah ihn an.

»Wie geht es dir, Kalubi, mein Freund?« fragte er. »Ich sehe, deine Wunde ist gut geheilt.«

»Ja, ja, aber ich möchte mit dir allein sprechen.«

»Das geht nicht«, antwortete Bruder John. »Wenn du irgend etwas zu sagen hast, mußt du es uns allen 221 sagen oder es überhaupt ungesagt lassen; denn diese Herren und ich sind wie ein Mensch, und das, was ich höre, hören auch sie.«

»Kann ich ihnen vertrauen?« murmelte der Kalubi.

»So wie du mir vertrauen kannst. Deshalb sprich oder geh. Doch vor allem andern, können wir in dieser Hütte belauscht werden?«

»Nein, Dogitah, die Wände sind dick. Es ist niemand auf dem Dache, ich habe überall herumgeschaut, und wenn einer heraufklettert, würden wir es hören, auch würde dein Mann, der die Türe bewacht, ihn sehen. Niemand kann uns hören – außer den Göttern.«

»Nun, so mögen uns die Götter hören, Kalubi. Sprich, meine Brüder kennen deine Geschichte.«

»Meine Herren«, begann er und rollte die Augen wie ein gehetztes Wild. »Ich bin in einer schrecklichen Lage. Einmal schon, seit ich dich sah, Dogitah, sollte ich den weißen Gott aufsuchen, der im Walde drüben auf dem Berge lebt, um die heilige Saat zu säen. Aber ich gab vor, krank zu sein, und Komba, der zukünftige Kalubi, der an dem Gotte vorbeigegangen ist, ging an meiner statt hin und kam heil zurück. Morgen nun, wenn der Mond voll wird, muß ich als Kalubi wieder den Gott aufsuchen, und ich muß wieder die heilige Saat ausstreuen, und – Dogitah, diesmal wird er mich, den er schon einmal gebissen hat, töten.

Er wird mich sicher töten, es sei denn, ich kann ihn töten. Dann wird Komba Kalubi. Und er wird 222 euch auf eine Weise töten, die ihr erraten könnt, nämlich durch den ›heißen Tod‹, als Opfer für die Götter, auf daß die Frauen der Pongo wieder Mütter von vielen Kindern werden. Ja, ja, wenn wir den Gott, der im Walde lebt, nicht töten können, müssen wir alle sterben!« Er machte eine Pause und rang nach Atem. Der Mann zitterte am ganzen Leibe, und der Schweiß tropfte ihm von der Stirn.

»Eine sehr erfreuliche Nachricht«, sagte Bruder John. »Aber angenommen, wir könnten den Gott totschlagen, wie könnten wir uns dann vor dem Motombo und deinem mordlustigen Volke retten? Sie würden uns sicherlich wegen dieses Verbrechens töten.«

»Nein, Dogitah, mit dem Gott stirbt auch der Motombo, das ist schon seit alten Zeiten überliefert, und deshalb wacht auch der Motombo über den Gott wie eine Mutter über ihr Kind. Dann würde, bis ein neuer Gott gefunden ist, die ›Mutter der Heiligen Blume‹ regieren, und sie ist mild und tut niemand etwas zuleide, und ich würde regieren und würde dann sicherlich alle meine Feinde töten, vor allem jenen Hexenmeister Komba.«

Hier war's mir, als hörte ich einen schwachen Ton, etwa wie das Zischen einer Schlange. Aber da es sich nicht wiederholte und nichts Verdächtiges zu sehen war, nahm ich an, daß ich mich geirrt hatte.

»Außerdem«, fuhr er fort, »will ich euch mit Goldstaub und allen Dingen beladen, die ihr nur haben wollt, und euch sicher über das Wasser zu euren Freunden, den Mazitu, zurückbringen.« 223

»Hör' mich einmal an,« unterbrach ich ihn, »wir wollen alles klar verstehen! Freund Kalubi, zunächst sage uns, wer und was ist dieser Gott, von dem du sprichst?«

»Herr Macumazana, er ist ein großer Affe, der weiß vor Alter ist; oder vielleicht ist er auch weiß geboren; ich weiß das nicht. Er ist mehr als doppelt so groß wie der größte Mann, und er ist stärker als zwanzig Männer, die er in seiner Hand zerbrechen kann wie ein Rohr, oder deren Köpfe er abbeißen kann, so wie er meinen Finger zur Warnung abgebissen hat. Denn so behandelt er die Kalubis, deren er überdrüssig ist. Erst beißt er ihnen einen Finger ab und läßt sie gehen, und beim nächsten Male zerbricht er sie wie ein Rohr, wie er auch die zerbricht, die verurteilt sind, als Opfer der Götter auf dem Feuer gebraten zu werden.«

»Ah!« sagte ich. »Ein großer Affe. Das habe ich mir gedacht. Schön, und wie lange lebt dieses Vieh schon als Gott unter euch?«

»Ich weiß nicht, wie lange. Vom Anfang der Welt an. Er war immer da, wie der Motombo immer da war, denn sie sind wie einer.«

»Und wer ist diese Mutter der Heiligen Blume? War sie auch immer da, und lebt sie dort, wo der Affengott lebt?«

»Nein, Herr Macumazana. Sie stirbt wie gewöhnliche Menschen auch. Dann nimmt eine andere ihren Platz ein. Die jetzige Mutter ist eine weiße Frau von eurer Rasse. Sie ist nun von mittlerem Alter. Wenn sie stirbt, wird ihr ihre Tochter nachfolgen, 224 die auch eine Weiße und sehr schön ist. Und wenn diese einmal stirbt, wird eine andere, die weiß ist, gesucht werden, vielleicht eine, die schwarze Eltern hat, aber weiß geboren wurde.«

»Wie alt ist diese Tochter?« unterbrach ihn Bruder John. »Und wer ist ihr Vater?«

»Die Tochter ist vor mehr als zwanzig Jahren geboren, Dogitah. Die Mutter der Blume wurde damals gefangen und hierhergebracht. Sie sagt, der Vater war ein weißer Mann und ihr Gatte, aber er wäre tot.«

Bruder Johns Kopf sank auf seine Brust nieder, und seine Augen schlossen sich, als wenn er eingeschlafen wäre.

»Was den Wohnort der Mutter betrifft,« fuhr der Kalubi fort, »so liegt er auf der Insel eines Sees, und dieser See liegt auf einem Berge, der auch wieder von Wasser umgeben ist. Sie hat nichts mit dem weißen Gott zu tun. Aber die Frauen, die ihr dienen, gehen manchmal über den See, um die Felder zu bearbeiten, auf denen die Saat wächst, die der Kalubi sät und deren Frucht die Nahrung des weißen Gottes bildet.«

»Gut«, sagte ich. »Jetzt verstehen wir, wenn auch noch nicht alles. Doch sage uns weiter, was ist eigentlich dein Plan? Wie können wir nach jenem Orte hinkommen, wo dieser große Affe lebt? Und wenn wir hinkommen können, wie sollen wir denn die Bestie töten, da doch Komba, dein Nachfolger, dafür gesorgt hat, daß wir keine Feuerwaffen in euer Land mitbringen konnten?« 225

»Ja, Herr Macumazana, mögen die Zähne des Gottes sich für diesen Streich in sein Gehirn schlagen. Ja, er mag sterben, wenn ich nur wüßte, wie man ihn zum Sterben bringen kann! Jene Prophezeiung, von der er euch sprach, ist gar keine alte Weissagung. Sie kam erst im vergangenen Monat im Lande auf; ob sie vom Komba oder vom Motombo verbreitet wurde, weiß ich nicht. Niemand außer mir und vielleicht noch ein paar anderen Leuten hier hat jemals etwas von eisernen Röhren gehört, die den Tod ausspeien. Wie sollte also eine Prophezeiung bestehen, die sie betrifft?«

»Ich weiß es auch nicht, Kalubi. Aber beantworte den Rest der Frage.«

»Wie du in den Wald kommst, in dem der weiße Gott lebt? Das ist leicht zu beantworten. Denn der Motombo und das Volk werden glauben, ich locke euch als ein Opfer für bestimmte Zwecke dahin«; und er blickte in bezeichnender Weise auf den wohlgenährten Stephan. »Doch wie ihr ohne eure Eisenröhren den weißen Gott töten wollt, weiß auch ich nicht. Aber ihr seid sehr tapfer und große Zauberer, sicherlich werdet ihr einen Weg finden.«

Hier schien Bruder John wieder aufzuwachen.

»Ja,« sagte er, »wir werden einen Weg finden. Habe deswegen keine Angst, Kalubi. Wir fürchten uns nicht vor dem großen Affen, den ihr euren Gott nennt. Doch tun wir es nur für einen Preis. Wir werden diese Bestie nicht töten, und wir werden nicht versuchen, dein Leben zu retten, wenn wir nicht einen Preis dafür bekommen.« 226

»Welchen Preis?« fragte der Kalubi nervös. »Wir können euch Weiber und Vieh geben – nein, ihr werdet die Weiber nicht wollen, und das Vieh kann nicht über den See gebracht werden. Aber es gibt hier Goldstaub und Elfenbein, das habe ich euch schon versprochen. Etwas anderes, was ich euch geben könnte, gibt es nicht.«

»Der Preis ist, Kalubi, daß du uns die weiße Frau, die ihr die Mutter der Blume nennt, mit ihrer Tochter übergebt, damit wir sie mitnehmen –«

»Und«, fuhr hier Stephan, dem ich als Dolmetscher diente, dazwischen, »außerdem noch die Heilige Blume selbst mit Wurzeln und allem, was dazu gehört.«

Auf diese bescheidenen Bitten hin schien der Kalubi in eine Art Raserei zu verfallen.

»Versteht ihr denn nicht,« keuchte er, »versteht ihr denn nicht, daß ihr die Götter meines Landes von mir verlangt?«

»Ganz recht,« antwortete Bruder John milde, »der Preis sind die Götter eures Landes – nichts mehr und nichts weniger.«

Der Kalubi machte einen Sprung in die Luft. Es schien, als wolle er sofort davonstürzen.

»Ich schlage es ab«, antwortete er sodann mürrisch. »Anzunehmen würde den furchtbarsten Fluch für meinen Geist bedeuten, der zu schrecklich ist, als daß ich ihn aussprechen könnte.«

»Und abzuschlagen bedeutet den furchtbarsten Fluch für deinen Körper; nämlich den, daß er innerhalb weniger Stunden zerbrochen und zersplittert und 227 von den Zähnen eines großen Affen, den ihr einen Gott nennt, zerrissen wird. Ja, zerbrochen und zerfleischt und nachher, wie ich glaube, noch gebraten und als Opfer gegessen. Ist es nicht so?«

Der Kalubi ließ den Kopf sinken und stöhnte.

»Jedoch«, fuhr ich fort, »wir sind für unseren Teil sehr froh, daß du abgelehnt hast, denn nun sind wir eine mühselige und gefährliche Sache los und können in Sicherheit nach Mazituland zurückkehren.«

»Wie wollt ihr in Sicherheit zurückkehren, Herr Macumazana, da ihr doch zum ›heißen Tode‹ verurteilt seid, wenn ihr wirklich den Fängen des Gottes entgeht?«

»Sehr leicht, Kalubi, indem wir nämlich Komba, dem zukünftigen Kalubi, von deinen Plänen gegen euren Gott erzählen und ihm sagen, daß wir uns geweigert haben, auf deine Schlechtigkeit einzugehen. Und das, glaube ich, wird am besten gleich geschehen, solange du noch hier bei uns weilst, wo dich wahrscheinlich niemand vermutet, Kalubi! Ich werde jetzt hingehen und auf jenen Krug dort schlagen, und obgleich es spät ist, wird schon jemand kommen. Nein, Mann, steh still! Wir haben Messer, und unsere Diener haben Speere«, und ich tat, als wollte ich an ihm vorüber zur Türe gehen.

Da warf sich das arme Geschöpf vor mir auf den Boden nieder.

»Herr,« sagte er, »ich will dir die Mutter der Heiligen Blume und ihre Tochter geben, und die Heilige Blume selbst mit den Wurzeln ausgraben, und ich schwöre, daß ich alles tun will, euch und sie sicher 228 über den See zu setzen. Ich bitte nur, daß ich mit euch kommen darf, denn hier kann ich dann nicht mehr bleiben. Doch der Fluch wird auch mit mir kommen. Aber es sei! Denn es ist besser, an einem Fluche in zukünftigen Tagen zu sterben, als schon morgen unter den Fängen des Gottes. Oh! Warum wurde ich geboren? Warum wurde ich geboren!« Und er begann bitterlich zu weinen.

»Ich glaube, daß du klug gewählt hast,« sagte ich mit gütiger Stimme, »und wir halten dich bei deinem Wort. Solange du treu zu uns stehst, werden wir nichts sagen. Aber dessen sei sicher – wenn du versuchst, uns zu verraten, werden wir, die wir nicht so hilflos sind, wie es aussieht, dich verraten, und du wirst es sein, der sterben muß, nicht wir. Ist es also abgemacht?«

»Es ist abgemacht, weißer Herr. Ich schwöre euch, Treue zu halten, und ich schwöre bei dem Eid, der nicht gebrochen werden kann.« Dabei zog er ein Messer aus seinem Gürtel, steckte die Zunge zwischen den Zähnen hervor und piekte mit der Messerspitze hinein. Ein Tropfen Blut fiel herunter auf den Fußboden.

»Wenn ich meinen Eid breche,« sagte er, »so mag mein Fleisch kalt werden, wie dieses Blut kalt wird, und es mag verfaulen, wie dieses verfault! Jawohl, und mein Geist mag vernichtet werden und sich in der Welt der Geister verlieren, so wie dieses Blut vernichtet wird und aufgesogen wird von der Luft und sich verliert im Staube der Welt!«

Wir sagten nichts mehr, und im nächsten Moment 229 hatte er sein Tuch über das Gesicht gezogen und war hinausgeschlüpft.

»Ich fürchte, wir haben mit diesem alten Jungen keinen sehr guten Trumpf im Spiele«, sagte Stephan bedenklich.

»Die weiße Frau – die weiße Frau und ihre Tochter«, brummelte Bruder John vor sich hin.

Stephan verfiel in lautes Nachdenken. »Man ist verpflichtet, irgend etwas zu unternehmen, um zwei weiße Frauen aus dieser Hölle herauszuholen – wenn sie überhaupt existieren! Und so kann man ebensogut auch gleich die Orchidee mitnehmen, denn ohne diese würden sich die armen Frauen dann einsam fühlen, nicht wahr? Ich bin froh, daß ich daran gedacht habe. Es beruhigt mein Gewissen.«

»Ich hoffe, es wird Ihnen auch als Gewissensberuhigung dienen, wenn wir alle miteinander auf jenem Roste dort drüben schmoren, der, wie ich schon bemerkt habe, gerade groß genug für drei ist«, bemerkte ich sarkastisch. »Nun seien Sie still, ich möchte schlafen gehen.« 230

 


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