Rider Haggard
Die heilige Blume
Rider Haggard

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

3. Kapitel

Vater und Sohn

In diesem Augenblicke betrat ein Neuankömmling den Raum. Er sah sich suchend um, dann trat er an mich heran und fragte, den Hut lüftend:

»Vielleicht könnten Sie mir sagen, mein Herr, ob sich in diesem Raume ein Herr Somers befindet?«

,Ja,« antwortete ich, »er hat soeben jene wundervolle Orchidee, die Odontoglossum Pavo, erstanden.«

»So, wirklich, hat er sie gekauft? Und bitte, können Sie mir sagen, was er für den Artikel bezahlt hat?«

»Eine gewaltige Summe«, antwortete ich. »Zweitausenddreihundert Pfund.«

Der distinguierte alte Herr wurde rot im Gesicht. Ein paar Sekunden lang atmete er tief und schnaufend.

»Ein Sammler und Rivale«, dachte ich und erzählte weiter von dem Kauf.

»Wissen Sie, ich hörte, wie der junge Herr seinen Gärtner beauftragte, die Pflanze um jeden Preis für ihn zu erstehen.«

»Um jeden Preis! Sehr interessant, äußerst interessant, bitte fahren Sie fort, mein Herr.« 43

»Ja, und dann hat sie der Gärtner gekauft. Das ist alles. Aber es war ein heißes Rennen.«

Der jugendliche Herr Somers, ein wenig blaß und verstört, kam gerade herangeschlendert. Er hatte die Hände in den Taschen. Da fiel sein Blick auf den ältlichen Herrn.

»Hallo, Vater!« sagte er mit seiner angenehmen Stimme. »Ich habe dich überall gesucht, aber auf den Gedanken, dich hier zu treffen, bin ich nicht gekommen. Für Orchideen hast du doch nicht viel übrig, nicht wahr?«

»So, du hast mich nicht gefunden?« antwortete sein Vater mit einer Stimme, die wie verstopft klang. »Nein, ich habe allerdings nicht viel übrig für – für dieses stinkige Zeug hier«, und dabei zeigte er mit seinem Regenschirm nach den schönen Blumen. »Aber es scheint mir, daß du allerlei dafür übrig hast. Dieser kleine Herr hier sagt mir, daß du eben ein sehr feines Exemplar gekauft hast?«

»Ich muß um Entschuldigung bitten,« fiel ich, zu Herrn Somers gewendet, ein, »ich hatte nicht die leiseste Ahnung, daß dieser große Herr hier ein so naher Verwandter von Ihnen ist.«

»Oh, das macht nichts, Herr Quatermain. Ja, Vater, Wooden hat es für mich gekauft, während ich dich suchte.«

»Und was hast du für diese Blume bezahlt, wenn ich fragen darf? Ich hörte eine Zahl nennen, aber das muß wohl ein Irrtum sein.«

»Ich weiß nicht, was du gehört hast, Vater. Aber mir scheint, die Blume ist mir für den Preis von 44 zweitausenddreihundert Pfund zugeschlagen worden. Es ist ein ganzes Teil mehr, als ich augenblicklich aufbringen kann, das ist richtig, und ich wollte dich schon bitten, mir das Geld zu leihen. Aber darüber können wir ja nachher reden.«

»Ja, Stephan, darüber können wir nachher reden. Oder besser sogleich. Komm in mein Büro, und, mein Herr,« das war an mich gerichtet, »da Sie einiges von den Umständen zu wissen scheinen, möchte ich Sie bitten, ebenfalls dahin zu kommen; und Sie Dummkopf auch.« Das ging an Woodens Adresse, der gerade mit der eingepackten Pflanze daherkam.

Es ist richtig, ich hätte eine in solch einem Tone an mich gerichtete Einladung abschlagen können. Doch ich tat es nicht, denn mich interessierte selbst, was bei der Sache herauskam, und ich hatte auch die Absicht, wenn sich eine Gelegenheit dazu bot, für den jungen Somers ein gutes Wort einzulegen.

Wir fuhren alle vier nach des alten Herrn Somers Privatbüro.

»So, jetzt sind wir allein und haben es gemütlich«, sagte der Vater mit grimmigem Sarkasmus.

Dann sah er mich an und sagte: »Wollen Sie mir bitte wiederholen, was Sie mir dort im Auktionsraume sagten?«

»Warum sollte ich das?« fragte ich. »Ich habe mich dort ja ganz klar ausgedrückt, und Sie scheinen es auch verstanden zu haben.«

»Sie haben recht«, antwortete er. »Wir wollen nicht die Zeit verschwenden.« Er drehte sich mit 45 einer scharfen Wendung zu Wooden herum, der, noch immer mit der in Papier gepackten Pflanze im Arm, an der Türe stand. »Warum haben Sie Dummkopf eigentlich das Ding hierhergebracht?«

»Also bitte, Vater«, sagte Herr Stephan und trat zwischen die beiden. »Was soll denn das alles bedeuten? Die Sache ist doch vollständig klar. Ich gab Wooden den mündlichen und schriftlichen Auftrag, die Pflanze für mich zu erstehen. Daran ist nichts mehr zu ändern. Natürlich dachte ich niemals daran, daß die Kaufsumme bis zu zweitausenddreihundert Pfund hinaufgetrieben werden könnte. Es liegt kein Anlaß vor, ihn dafür zu beschimpfen, daß er meinen Auftrag ausgeführt hat.«

»Jawohl, so ist das und nicht anders«, bekräftigte Wooden.

»Sehr schön, junger Mann«, sagte der Vater. »Du hast das Ding da also gekauft, willst du nun so freundlich sein und mir auch sagen, wie du es zu bezahlen gedenkst?«

»Ich hoffe, daß du es bezahlen wirst, Vater«, antwortete Stephan freundlich. »Aber wenn du darüber anders denkst, was ja möglich wäre, dann werde ich sie eben bezahlen. Wie du weißt, ist mir ja von meiner Mutter eine bestimmte Summe vermacht worden, von der mir nur die Zinsen zustehen.«

Wenn der alte Herr schon vorher gereizt gewesen war, so fing er jetzt an zu toben. Er raste in dem Zimmer auf und nieder, er gebrauchte Ausdrücke, er warf Gegenstände auf den Tisch. Als er sich ausgetobt hatte, rannte er an ein Pult, riß einen Scheck 46 aus einem Buche, füllte ihn auf zweitausenddreihundert Pfund aus, knüllte ihn zusammen und warf ihn buchstäblich seinem Sohne an den Kopf.

»Du unnützer, fauler Schlingel,« brüllte er, »ich habe dich hier in mein Kontor genommen, damit du ehrbare und ordentliche Gewohnheiten annehmen und auf dem herkömmlichen Wege ein brauchbarer Geschäftsmann werden solltest. Was aber geschieht? Du verfällst auf Blumen, armselige, lächerliche Blumen, Zeug, das die Kühe fressen und das kleine Angestellte in Schrebergärten ziehen.«

»Eine ehrwürdige und idyllische Liebhaberei. Auch Adam hat in einem Blumengarten gelebt«, wagte ich einzuwerfen.

»Vielleicht wirst du deinen Freund mit dem struppigen Haar ersuchen, hier gefälligst still zu sein«, schnaubte er. »Ich möchte nur noch hinzusetzen, daß ich dich enterbe. Denn, Gott sei Dank, haben wir kein Majorat in der Familie, und aus der Firma schmeiße ich dich auch heraus! Du kannst gehen und dir deinen Lebensunterhalt verdienen, wie du willst, durch Orchideensuchen meinetwegen.« Er hielt inne und schnappte nach Luft.

»Ist das alles, Vater?« fragte Herr Stephan und zog eine Zigarre aus der Tasche.

»Nein, noch nicht, du kaltblütiger, junger Schuft! Das Haus in Twickenham, das du bewohnst, gehört mir. Du wirst also so freundlich sein, es zu räumen.«

»Ich nehme an, Vater, daß ich wöchentliche Kündigung habe wie jeder andere Mieter«, sagte Herr Stephan und brannte sich die Zigarre an. 47

»Oh! daß dich doch der Teufel holte, du lächerliche Tulpenzwiebel! Du Orchideenfatzke!« schäumte der gereizte Kaufherr. Auf einmal kam ihm eine neue Idee. »Dir ist also diese schäbige Blume lieber als dein Vater? Nun, so will ich die wenigstens zum Teufel schicken«, und er machte einen Satz zu dem Tische hin, wahrscheinlich um den Blumentopf gegen die Wand zu werfen. Aber der wachsame Wooden hatte es erspäht. Er schob sich wie ein Turm zwischen den Vater und das Objekt seines Zornes.

»Berühren Sie die Pavian, und ich schlage Sie in den Fußboden hinein«, grollte er wie ein gereizter Bär.

»Die Pavian soll verdammt sein und jeder Pavian, der mit ihr zu tun hat, auch!« schrie der alte Herr, fuhr zum Loch hinaus und knallte die Tür hinter sich zu.

»So, das wäre vorüber«, sagte Herr Stephan sanft und wedelte sich mit seinem Taschentuch Kühlung zu. »'s war ein bißchen aufregend, nicht wahr, Herr Quatermain – aber ich habe mich nicht unterkriegen lassen. Und was meinen Sie jetzt zu einem kleinen Frühstück? Pym ist hier ganz in der Nähe, und es gibt dort ausgezeichnete Austern.«

Dann verließen wir das Haus, gaben im Vorübergehen unseren Scheck auf die Bank – er wurde trotz der Höhe der Summe anstandslos akzeptiert – und aßen dann Austern in einem Restaurant, das zu überfüllt war, um miteinander reden zu können.

»Herr Quatermain,« sagte mein Gastgeber, »es ist klar, daß wir hier kein vernünftiges Wort sprechen können. Ich möchte Ihre Orchidee auch lieber 48 mit Muße betrachten. Da ich nun noch für etwa eine Woche ein Dach über dem Kopfe habe, bitte ich Sie, doch mein Gast sein zu wollen.«

»Ich bin ein Fremder aus Südafrika«, antwortete ich, »und wohne in einem Hotel. Wenn Sie mir Zeit geben, meinen Koffer zu holen, will ich mit Vergnügen die nächste Nacht in Ihrem Hause verbringen.«

In Herrn Somers' elegantem Dogcart erreichten wir Twickenham eine halbe Stunde vor Dunkelheit. Das kleine Haus, das den Namen Verbena trug, war von einem riesigen Garten umgeben. Es war schon zu spät geworden, um noch die Treibhäuser zu besuchen.

Mein Gastgeber war also an demselben Tage ein wenig plötzlich und gewaltsam auf eigene Füße gestellt worden; aber das schien seine Stimmung nicht im geringsten zu stören.

»Sehen Sie, Herr Quatermain,« sagte er, »ich bin fast froh, daß das Gewitter, das schon lange im Heraufziehen war, endlich zum Ausbruch gekommen ist. Ich liebe Blumen, besonders Orchideen, und ich hasse den Edelmetallhandel. Die einzigen anständigen Plätze in London sind für mich der Auktionsraum, wo wir uns getroffen haben, und der Botanische Garten.«

»Hm, ja,« antwortete ich ein bißchen nachdenklich, »aber die Sache sieht doch einigermaßen ernsthaft aus. Die Absichten Ihres Vaters schienen ziemlich unerschütterlich zu sein.«

»Das wird mich nicht im geringsten scheren; es 49 wird im Gegenteil eine ganz angenehme Abwechslung sein. Auch wenn mein Vater seine Absicht nicht ändert – was immerhin der Fall sein könnte –, stehen meine Aktien noch lange nicht so schlecht. Ich habe von meiner Mutter ein bißchen Geld, sechs- oder siebentausend Pfund, und ich werde jene Odontoglossum Pavo an Sir Joshua Tredgold verkaufen – der Herr mit dem langen Bart, der so hitzig gegen Wooden bot – oder an sonst jemanden. Ich werde noch heute Nacht deswegen schreiben. Ich habe auch keine nennenswerten Schulden«, und er hielt mir mit seinem angenehmen, heiteren Lachen das Portweinglas entgegen.

Ich stieß mit ihm an und trank meinen Portwein. Ich schätze ein gutes Glas Wein wie jeder, der zuweilen monatelang gezwungen ist, halbverfaultes Wasser zu trinken. Dabei gebe ich jedoch gern zu, daß Wasser besser zu mir paßt als Portwein.

»Nun, Herr Quatermain,« fuhr er fort, »zünden Sie Ihre Pfeife an und lassen Sie uns hinübergehen und Ihre Cypripedium bewundern. Ich könnte heute nacht doch nicht schlafen, wenn ich sie nicht vorher gesehen hätte. Warten Sie ein Weilchen, ich will sehen, daß ich erst noch den alten Esel Wooden erwische, bevor er ins Bett kriecht.«

»Wooden,« sagte er, als sich der Gärtner hereinschob, »der Herr hier, Herr Quatermain, wird Ihnen eine Orchidee zeigen, die noch zehnmal schöner ist als Ihre Pavian.«

Ich öffnete den Kasten und enthüllte die Cypripedium. 50

»Wooden, setzen Sie sich nieder, und Sie, Herr Quatermain, erzählen Sie uns bitte einmal die ganze Geschichte dieser Orchidee von Anfang bis zu Ende.«

So setzte ich mich hin, rauchte meine Pfeife und sprach eine halbe Stunde lang ununterbrochen. Ich erwähnte hierbei meine Absicht, jemand ausfindig zu machen, der eine Expedition finanzieren würde, um die Pflanze nach Europa zu bringen.

»Wieviel wird es kosten?« fragte Herr Somers.

»So gegen zweitausend Pfund«, antwortete ich.

»Das nenne ich billig. Aber vorausgesetzt, daß die Expedition Erfolg hat und wir die Pflanze finden?«

»Nun, dann würde Bruder John, von dem ich Ihnen erzählte, ein Drittel der Summe bekommen, die bei dem Verkauf herauskäme, das zweite Drittel ich als Führer der Expedition und den Rest derjenige, der das Geld vorgestreckt hat.«

»Gut, das ist abgemacht.«

»Was ist abgemacht?«

»Nun, daß wir den Gewinn so teilen, wie Sie vorgeschlagen haben, nur möchte ich ausmachen, daß ich meinen Teil in natura bekomme – ich meine, daß ich das Vorkaufsrecht für die Pflanze habe, nachdem ihr Wert abgeschätzt worden ist.«

»Ja, Herr Somers, wollen Sie damit sagen, daß Sie die zweitausend Pfund herbeischaffen und diese Expedition persönlich mitmachen?«

»Selbstverständlich. Ich dachte, das hätten Sie schon verstanden. Das heißt, wenn Sie mich mitnehmen wollen. Ihr alter Freund, der Trottel, Sie 51 und ich werden zusammen nach dieser goldenen Blume suchen und sie auch finden. Das betrachte ich als abgemacht«

Am nächsten Tage wurde es auch noch schriftlich durch ein Dokument, das wir beide unterzeichneten, festgelegt.

Ich hielt es für meine Pflicht, dem jungen Manne die Gefahren, denen er auf solch einer Expedition entgegenging, zu schildern.

»Diese Gefahren gehören zu dem rauhen Handwerk, das ich nun einmal betreibe«, sagte ich. »Dazu kommt, daß ich meine Jugend hinter mir habe. Ich bin durch genug Enttäuschungen und Bitterkeiten des Lebens hindurchgegangen, von denen Sie nichts wissen, die aber Ursache sind, daß ich sehr wenig Wert auf das Leben lege. Es kümmert mich wenig, ob ich sterbe oder noch einige Jahre länger auf dieser Erde wandle. Ihre Verhältnisse aber sind ganz andere. Sie sind noch ganz jung. Wenn Sie hier bleiben und sich ein wenig den Wünschen Ihres Vaters fügen, wird er sicherlich alle rauhen Worte vergessen, die er Ihnen gestern sagte, und zu denen Sie ihm immerhin einige Veranlassung gegeben haben. Überlegen Sie sich noch einmal, ob es die geringe Wahrscheinlichkeit, eine seltene Blume zu finden, wert ist, daß Sie Ihre glänzende und gesicherte Zukunft hier aufgeben.«

Der junge Somers sah mich eine Weile an, dann sagte er:

»Ich habe noch zu bemerken, daß auch ich nicht dauernd in England leben mag und die Welt sehen 52 möchte. Auch ich sehne mich nach Romantik und Abenteuern.«

»Ja, Herr Somers,« antwortete ich ziemlich ernst, »Sie werden wohl Abenteuer und Romantik finden. Von beiden gibt es in Afrika zur Genüge. Vielleicht wartet auch ein namenloses Grab in irgendeinem fieberhauchenden Sumpfe dort auf Sie. Doch Sie haben gewählt, und mir gefällt Ihre Entschlossenheit.« –

Die Vorbereitungen zur Reise wurden getroffen. Geld genug war vorhanden. Der Wiederverkauf der Orchidee an Sir Joshua Tredgold hatte eine Summe eingebracht, die uns instand setzte, alles Erforderliche anzuschaffen. Ich hatte in meinem ganzen Leben noch keine solche Ausrüstung besessen.

Schließlich kam der Tag der Abreise. Auf der Plattform des Paddington-Bahnhofs warteten wir auf den Zug nach Dartmouth. Ein oder zwei Minuten vor Abgang des Zuges sah ich plötzlich ein Gesicht unter der Menge, das mir bekannt vorkam. Es war Briggs, des alten Somers' Buchhalter.

Ich sah ihn Herrn Somers einen Brief übergeben. Somers las ihn, riß ein Stück von dem unbeschriebenen Bogen ab und kritzelte hastig ein paar Worte darauf. Er reichte ihn mir durchs Fenster, daß ich ihn Briggs übergäbe, und ich las, was er geschrieben hatte: »Zu spät jetzt. Gott segne Dich, lieber Vater. Ich hoffe, daß wir uns wiedersehen. Wenn nicht, so versuche eine freundliche Erinnerung zu bewahren an Deinen Stephan.«

Eine Minute später fuhren wir zur Bahnhofshalle hinaus . . . 53

 


 << zurück weiter >>