Rider Haggard
Die heilige Blume
Rider Haggard

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13. Kapitel

Die Stadt Rica

Indes kamen wir erst volle vierundzwanzig Stunden später, als es abgemacht worden war, aus Beza heraus. Denn der alte Babemba brauchte viel Zeit, um die Eskorte von fünfhundert Mann zusammenzutrommeln und zu verproviantieren.

Als wir zu unseren Hütten zurückkamen, fanden wir zu unserem Erstaunen Tom und Jerry dort vor. Sie waren damit beschäftigt, einen Riesentopf Maisbrei zu leeren, und sahen sehr heruntergekommen aus. Es stellte sich heraus, daß der abgeschiedene Zauberdoktor Imbozwi die beiden nach einer entfernten Gegend geschickt hatte, wo sie gefangengehalten worden waren. Als dann die Nachricht von der Hinrichtung Imbozwis und seiner Untergebenen dort eintraf, waren sie sofort in Freiheit gesetzt worden und zu uns nach Bezar zurückgekehrt.

Es war nun nötig, unseren Dienern unser Vorhaben auseinanderzusetzen. Als sie begriffen, um was es sich bei dieser Expedition handelte, schüttelten sie die Köpfe, als sie aber hörten, daß wir versprochen hatten, keine Gewehre mitzunehmen, waren sie sprachlos vor Staunen.

»Kransick! Kransick!« – das heißt »krank im 198 Kopfe« oder »verrückt« – rief Hans zu den anderen gewandt aus und tippte sich mehrmals an die Stirn. Dann kam die Frage, wer von ihnen uns begleiten sollte.

»Soweit es mich betrifft, ist das bald abgemacht«, sagte Mavovo. »Ich gehe mit meinem Vater Macumazana, denn ich bin auch ohne Gewehr noch stark genug, und ich kann mit einem Speer kämpfen, wie es meine männlichen Vorfahren taten.«

»Und ich gehe ebenfalls mit dem Baas Quatermain,« grunzte Hans, »denn ich bin auch ohne ein Gewehr noch schlau genug, wie es auch meine weiblichen Vorfahren gewesen sind.«

»Ausgenommen wenn du Medizin genommen hast, gefleckte Schlange, und dein bißchen Verstand sich im Schlafe des Nebels verliert«, höhnte einer der Zulus.

Nach einigem Hin und Her wurde Jerry, ein unternehmender Bursche, zum Mitgehen bestimmt. Er war auch ohne weiteres einverstanden. Den Rest des Tages verbrachten wir mit Vorbereitungen, die, so einfach sie auch waren, oder gerade deshalb, ein gut Teil Nachdenken erforderten. Zu meinem Ärger war überdies Hans unauffindbar. Endlich erschien er, und ich fragte ihn, wo er gewesen wäre. Er zeigte mir einen Stock, den er sich geschnitten hatte – einen fast zwei Meter langen und fast armdicken Bambus –, ein wahrer Pfahl, den er da mitzuschleppen gedachte.

»Wozu brauchst du denn dieses Ungetüm von Knüppel, wo doch allerwärts Stöcke wachsen?« fragte ich ihn. 199

»Eine neue Reise, ein neuer Stock, Baas. Außerdem ist diese Art von Holz voll von Luft, und er kann mir helfen, mich über Wasser zu halten, wenn wir mit dem Boote kentern.«

»Eine Schnapsidee!« sagte ich, und damit war die Sache für mich erledigt.

Beim Morgengrauen des nächsten Tages brachen wir auf. Stephan und ich ritten die zwei Esel, die jetzt feist und übermütig geworden waren, und Bruder John saß auf seinem weißen Ochsen, einem sehr zahmen Tier, das erstaunlich anhänglich schien. Die Jäger begleiteten uns in voller Bewaffnung bis zu den Grenzen von Mazituland. Hier wollten sie zusammen mit dem Mazituregiment auf unsere Rückkehr warten. Der König selber gab uns bis zum westlichen Tor der Stadt das Geleite, wo er uns allen, und besonders Bruder John, ein aufrichtiges Lebewohl wünschte. Außerdem erklärte er Komba nochmals, sollte uns ein Leid geschehen, dann werde er um jeden Preis einen Weg finden, um die Pongo mit Stumpf und Stiel auszurotten.

»Habe nur keine Angst,« antwortete Komba ernst, »in unserer heiligen Stadt Rica binden wir keine unschuldigen Gäste an Pfähle, um sie mit Pfeilen totzuschießen.«

Diese Entgegnung irritierte Bausi, der an jene Angelegenheit nicht gern erinnert werden wollte, außerordentlich.

»Wenn die weißen Männer so sicher sind, warum erlaubst du ihnen dann nicht, ihre Gewehre mitzunehmen?« fragte er ein bißchen unlogisch. 200

»Wenn wir Übles im Sinne hätten, König, würden ihnen dann, wo sie so wenige unter so vielen sind, ihre Gewehre helfen? Könnten wir sie ihnen zum Beispiel nicht stehlen, wie du es getan hast, als du auf Mord gegen diese weißen Herren sannst? Es ist aber Gesetz unter den Pongo, daß keine solchen Zauberwaffen in ihr Land hineinkommen dürfen.«

»Warum?« fragte ich, um zu verhindern, daß die beiden aneinandergerieten.

»Weil es eine Prophezeiung gibt, mein Herr Macumazana, daß unsere Götter uns verlassen werden, und daß der Motombo, ihr Priester, stirbt, wenn jemals ein Gewehr in Pongoland abgefeuert wird. Diese Prophezeiung ist uralt. Und bis vor kurzem wußte niemand, was sie bedeutete, denn sie sprach von einem ›hohlen Speer, welcher raucht‹.«

Nach dreitägigem Marsch erreichten wir den See Kirua. Wir konnten allerdings von ihm selbst nichts sehen. Nur von einem einzelnen hohen Hügel aus konnte man das blaue Wasser des Sees erkennen, und in weiter Entfernung etwas, was im Fernstecher aussah wie ein waldbestandener Berggipfel. Ich fragte Komba, wie dieser Berg hieße. Er antwortete:

»Das ist die Heimat der Götter von Pongoland.«

»Welcher Götter?« fragte ich, worauf er wie ein schwarzer Herodot antwortete, es wäre gegen die Gesetze, darüber zu sprechen.

Ich habe selten jemand getroffen, der schwerer auszuhorchen war als dieser frostige und ganz unafrikanische Komba.

Auf der Spitze dieses Hügels pflanzten wir auf der 201 höchsten Stange, die wir finden konnten, den Union-Jack auf. Komba fragte mißtrauisch, was das zu bedeuten hätte, und da ich dieser unsympathischen Person zeigen wollte, daß andere ebenso schwer auszufragen seien, antwortete ich:

»Das ist der Gott unseres Stammes. Wir richten ihn hier auf, damit er angebetet werde. Aber jeder, der den Versuch machen sollte, ihn zu stehlen, zu beleidigen oder zu verletzen, würde unfehlbar sterben, wie der Zauberdoktor Imbozwi und seine Kinder es schon erfahren haben.«

Worüber ich ihn nicht unterrichtete, war, daß wir die Flagge hier gehißt hatten, um eine Wegmarke zu haben für den Fall, daß wir bei unserer Rückkehr in Not oder Eile wären. Und wie sich späterhin herausstellte, sollte dieser vorsorgliche Gedanke, der komischerweise gerade von dem unbekümmertsten und unvorsorglichsten Mitglied unserer Gesellschaft, nämlich von Stephan stammte, unsere Rettung bedeuten.

Am Fuße dieses Hügels schlugen wir unser Lager auf.

Auf meine Frage, wann und wie wir den See kreuzen würden, antwortete Komba, wir würden am nächsten Morgen aufbrechen und, guten Wind vorausgesetzt, noch am Abend in der Stadt Rica ankommen. Auf meinen Wunsch hin zeigte er mir auch sein am Ufer des Sees verstecktes Boot.

Ein Stück weiter, dicht am Rande des Schilfes, erblickte ich eine schmale, rechteckige Vertiefung im Kies und eine verrostete alte Senfbüchse. 202

»Was ist das?« fragte ich mit geheucheltem Erstaunen, trotzdem ich recht gut wußte, was es war.

»Oh,« antwortete Komba, der augenscheinlich noch nicht ganz zu sich gekommen war, »das ist der Platz, wo der weiße Herr Dogitah, Bausis Blutsbruder, sein kleines Leinwandhaus errichtete, als er sich vor mehr als zwölf Monaten hier aufhielt«

»Woher weißt du, daß er sich hier aufhielt?«

»Einer unserer Leute, der hier fischte, hat ihn gesehen.«

»So, so, Komba! Aber was ist das für ein merkwürdiger Platz zum Fischfang, Komba! So weit von zu Hause entfernt; und ich möchte wissen, wonach er gefischt hat. Wenn du einmal Zeit hast, Komba, mußt du mir erzählen, was der Mann zwischen den Wurzeln dieses dicken Schilfes und in diesem flachen Wasser gefischt hat.«

Komba antwortete, er würde das mit Vergnügen tun – wenn er einmal Zeit hätte. Daraufhin rannte er, wie um weiteren Fragen auszuweichen, vorwärts, bog das Schilf auseinander und zeigte mir ein großes Kanu. Es war groß genug, um dreißig bis vierzig Mann aufzunehmen, und es war mit unendlicher Mühe aus dem Stamme eines einzigen, riesigen Baumes ausgehauen. Das Kanu unterschied sich von den meisten anderen, die ich in Afrika gesehen habe, dadurch, daß es einen Mast, der aber jetzt nicht aufgerichtet war, besaß. Ich sah mir das Kanu an. Es war ein schönes Boot. Nach Kombas Aussage befanden sich in der Stadt Rica gegen hundert solcher 203 Boote. Allerdings sollten sie nicht alle diese ungewöhnliche Größe aufweisen.

Mitten in der Nacht kam der alte Babemba unter mein Zeltdach gekrochen. Er weckte mich auf und beschwor mich in einer endlos langen Rede, nicht mitzugehen.

Ich antwortete, daß ich seine Befürchtungen teile, da aber meine Gefährten auf diese Reise bestünden, könnte ich sie nicht im Stich lassen. Alles, was ich tun könnte, wäre, ihn zu bitten, scharf Ausguck zu halten, so daß er, falls wir in Bedrängnis gerieten, imstande wäre, uns zu helfen.

»Ich will hierbleiben und Wache halten, Lord Macumazana«, antwortete er; »aber wenn du in einen Hinterhalt fällst, bin ich dann imstande, wie ein Fisch durch das Wasser zu schwimmen oder wie ein Vogel durch die Luft zu fliegen, um dich zu befreien?«

Kaum war er weg, erschien ein Mann namens Ganza, einer der Zulujäger, und sang dasselbe Lied. Es wäre nicht recht von mir, ohne Gewehre unter jene Pongoteufel zu gehen und ihn und seine Gefährten hier, in einem fremden Lande, allein zu lassen.

Ich antwortete, ich wäre ungefähr derselben Meinung, aber Dogitah bestünde auf diese Reise, und mir bliebe keine Wahl.

»Dann laß uns diesen Dogitah töten oder ihn zu mindestens anbinden, auf daß er in seiner Verrücktheit kein weiteres Unheil anrichte«, schlug Ganza in rührender Naivität vor, worauf ich ihn sofort hinauswarf. 204

Endlich brach der Morgen an. Wir sechs gingen zum Kanu hinunter. Hier mußten wir eine Art von Zolluntersuchung durch Komba und seine Gefährten über uns ergehen lassen. Sie waren voller Angst, daß wir Feuerwaffen in ihr Land schmuggeln könnten.

»Ihr wißt, wie Gewehre aussehen«, sagte ich ärgerlich. »Könnt ihr welche in unseren Händen sehen? Außerdem gebe ich euch mein Wort, daß wir keine bei uns haben.«

Komba verbeugte sich höflich, aber vielleicht seien einige »kleine Gewehre«, er meinte wahrscheinlich Revolver, in unserem Gepäck zurückgeblieben – durch Zufall natürlich. Komba war eben ein außerordentlich mißtrauischer Geselle.

»Öffne alle Lasten«, sagte ich zu Hans, der mit einer Begeisterung gehorchte, die mir ein bißchen verdächtig vorkam.

Da ich seine geheimtuerische und listige Art kannte, erschien mir diese plötzliche Offenheit ziemlich unnatürlich. Er begann mit dem Aufrollen seiner eigenen Decke. Eine bunte Sammlung aller möglichen und unmöglichen Gegenstände kam zum Vorschein, und als letztes ein mächtiger Kopf zusammengeballter gelber Tabakblätter.

»Wozu, um Himmels willen, brauchst du soviel Tabak, Hans?« fragte ich.

»Für uns drei schwarze Männer zum Rauchen, Baas, oder um eine Prise zu nehmen, oder um zu kauen. Es kann sein, daß wir im Pongolande wenig zu essen vorfinden, und dann ist Tabak eine 205 Nahrung, von der man tagelang leben kann. Auch bringt er bei Nacht Schlaf.«

»Der gelbe Mann hat nicht nötig, dieses Unkraut mitzunehmen,« fiel Komba ein, »wir haben drüben genug davon. Warum bepackt er sich mit solchem Zeug?« und er streckte lässig die Hand aus, wie um sich den Tabak näher zu besehen.

In demselben Moment lenkte jedoch Mavovo Kombas Aufmerksamkeit auf sein Bündel, ob mit Absicht oder durch Zufall, weiß ich nicht, und den Tabak vergessend, wandte sich der Pongo ihm zu. Blitzschnell hatte Hans seine Decke zusammengerollt, die Stricke darum geschnürt und sich das Bündel über den Rücken gehängt. Mich überkam nochmals ein Argwohn, aber eine Differenz zwischen Bruder John und Komba über des ersteren Schmetterlingsnetz, das Komba als eine neue Art von Gewehr oder mindestens als ein Zauberinstrument gefährlichster Sorte zu betrachten schien, nahm mich in Anspruch. Nach diesem Disput erhob sich ein anderer über einen gewöhnlichen Gärtnerspaten, den Stephan mit sich führte. Komba fragte, wozu er ihn zu gebrauchen gedenke. Stephan antwortete durch Bruder John, der Spaten diene dazu, Blumen auszugraben.

»Blumen!« sagte Komba. »Einer unserer Götter ist eine Blume. Will der weiße Herr unseren Gott ausgraben?«

Das war gerade dasjenige, was Stephan tatsächlich wollte. Aber es war zu verstehen, daß er diese Absicht für sich behielt. Die Auseinandersetzung wurde jetzt so erregt, daß ich schließlich sagte, wir 206 wollten lieber die ganze Reise aufgeben, wenn unsere Habseligkeiten mit soviel Argwohn betrachtet würden.

»Wir haben unser Wort gegeben, keine Feuerwaffen mitzunehmen,« sagte ich mit dem würdevollsten Ton, der mir zu Gebote stand, »und das sollte dir genügen, Komba.«

Endlich gab er nach. Augenscheinlich lag ihm viel daran, daß wir nach Pongoland kamen.

Dann brachen wir auf. Wir drei Weißen setzten uns zusammen mit unseren Dienern hinten im Kanu auf Graskissen nieder. Komba und seine Leute schoben und stakten das Boot durch das Schilf, aus dem Enten und andere Wasservögel in Schwärmen und mit lautem Getöse aufstiegen. Nach einer Viertelstunde erreichten wir offenes Wasser. Hier wurde als Mast ein großer Pfahl aufgerichtet und ein viereckiges Segel aus dicht gewobenen Matten daran befestigt. Es füllte sich mit der von Land herwehenden Brise, und bald schossen wir mit einer Geschwindigkeit von ungefähr acht Meilen über das Wasser dahin.

Uns allen war nicht besonders wohl. Hans aber sah geradezu verstört aus. Er war auf einer wilden Jagd nach etwas in den zahllosen zerlumpten und fettigen Taschen seiner alten Weste begriffen.

»Drei«, hörte ich ihn murmeln. »Beim Geiste meines Urgroßvaters, es sind nur noch drei da.«

»Drei was?« fragte ich auf kapholländisch.

»Drei Amulette, Baas. Und vierundzwanzig sollen es sein. Die anderen sind durch ein Loch gefallen, das der Teufel selbst in meine neue Weste gemacht 207 haben muß. Wir werden also nicht Hungers sterben, wir werden nicht erschossen werden, und wir werden nicht ertrinken, davon wenigstens wird uns nichts geschehen. Aber es sind noch einundzwanzig andere Übel übriggeblieben, die uns um die Ecke bringen können, da ich die Amulette verloren habe, die uns davor bewahren sollen. So –«

»Oh, höre mit deinem Blödsinn auf«, sagte ich. Danach schlief auch ich ein.

Gegen Mittag wachte ich auf. Wir aßen ein bißchen, kurz darauf flaute der Wind ab, und die Pongo griffen zu den Paddelrudern. Auf meine Veranlassung hin machten wir uns erbötig, ihnen dabei zu helfen, denn mir fiel ein, daß es vielleicht ganz nützlich sein könnte, mit diesen Paddeln umgehen zu 1ernen. Es wurden uns sechs Paddeln gegeben, und Komba, der jetzt in etwas majestätischem Tone zu uns zu sprechen anfing, unterwies uns in ihrer Handhabung. Anfangs kam nicht viel dabei heraus, aber nach drei- oder vierstündiger Übung hatten wir es ganz gut begriffen.

Nachmittags um drei rückten uns die Ufer der Insel – ob es wirklich eine Insel war, habe ich nie herausbekommen – näher, und durch mein Glas konnte ich schon Einzelheiten auf dem großen Berge im Hinterlande erkennen. Gegen fünf Uhr liefen wir in die Mündung einer tiefen Bucht ein, die beiderseits mit Wald bestanden war.

Nach ein paar Meilen verengte sich die Bucht, und ein kleiner Fluß ergoß sich in sie. Und beiderseits dieses Flusses, den hier und da primitive Brücken 208 überquerten, erstreckte sich die Stadt Rica. Sie bestand aus einer beträchtlichen Anzahl großer Hütten, die mit Palmwedeln bedeckt und, wie wir später herausfanden, aus mit Häcksel vermischtem Seeschlamm erbaut worden waren.

Gerade bei Sonnenuntergang landeten wir an einer kleinen Werft. Dort lagen viele Kanus angebunden. Unsere Ankunft war bemerkt worden. Als wir uns näherten, wurde ein Horn geblasen, woraufhin eine ganze Anzahl Leute herbeieilte und uns das Kanu festmachen half. Ich bemerkte, daß sie alle eigentlich immer wieder dieselbe Ausgabe von Komba waren, hinsichtlich ihrer Figur sowohl wie ihres Gesichtes; sie ähnelten einander so außerordentlich, daß es, von Altersunterschieden abgesehen, schwer war, sie auseinanderzuhalten. Sie hätten alle Mitglieder einer Familie sein können; und das war auch tatsächlich der Fall, denn in diesem Lande hatten die Familien seit Generationen immer wieder untereinander geheiratet.

Etwas lag im Ausdruck dieser großen, kalten und scharfgeschnittenen Gesichter, was mir das Blut gefrieren machte. Etwas Unnatürliches und fast Unmenschliches. Hier war nichts von der gewohnten afrikanischen Fröhlichkeit zu bemerken. Kein einziger all dieser Menschen rief, keiner lachte oder schwatzte, keiner drängte sich an uns heran, um unsere Personen und Sachen zu befühlen, keiner schien ängstlich oder auch nur erstaunt zu sein. Sie betrachteten uns still und in frostiger und unnahbarer Weise, als wäre die Ankunft von drei Weißen in 209 einem Lande, in das noch niemals ein weißer Mann seinen Fuß gesetzt hatte, ein alltägliches Ereignis.

Dazu kam noch, daß unser Äußeres nichts weniger als Eindruck auf sie zu machen schien. Ich bemerkte, wie sie spöttisch über Bruder Johns langen Bart und über mein struppiges Haar lächelten, wobei sie mit ihren langen dünnen Fingern oder den Schäften ihrer großen Speere auf uns zeigten. Der einzige in unserer Gesellschaft, der ihre Verwunderung oder ihr Interesse erregte, war Hans, und zwar wahrscheinlich durch die außerordentliche Häßlichkeit und durch die Runzeln seines Gesichtes und seines Körpers. Jedenfalls hörte ich einen von ihnen Komba fragen, ob der Affenmann unser Gott sei oder nur unser Anführer. Dieses Kompliment schien Hans, der bis jetzt noch niemals für einen Gott oder einen Anführer gehalten worden war, mächtig zu erfreuen. Aber wir anderen fühlten uns nicht gerade geschmeichelt. Und Mavovo war sogar offenkundig erbost und sagte Hans gerade ins Gesicht, er würde ihn vor allen diesen Leuten verprügeln, wenn er noch einmal so etwas höre, um ihnen zu zeigen, daß er weder unser Anführer noch unser Gott sei.

»Warte, bis ich eins von beiden zu sein wünsche, du Schlächter von einem Zulu, ehe du mich in dieser Weise behandelst!« rief Hans gereizt aus. Dann setzte er mit seinem eigenartigen Hottentottengekicher hinzu:

»Und doch könnte es sein, daß du mich für beides hältst, ehe das ganze Fleisch gegessen ist.« (Das heißt, »ehe alles zu Ende ist«.) 210

Eine dunkle Äußerung, die wir damals nicht verstanden.

Nachdem wir gelandet waren, forderte Komba uns auf, ihm zu folgen. Wir durchschritten eine ziemlich breite, sehr saubere und an beiden Seiten von großen Hütten eingefaßte Straße. Jede dieser Hütten stand in ihrem eigenen Garten, was ich nirgends sonst in Afrika gesehen habe. Infolgedessen war die Ausdehnung der Stadt, trotz der an sich geringen Bevölkerungszahl, eine ganz beträchtliche. Die Stadt selbst besaß keinerlei Befestigung. Die Einwohner schienen keine Gefahr zu fürchten und das Wasser des Sees als ihren besten Schutz zu betrachten. Eine Menge Leute schauten unserer Ankunft zu. Doch ballten sie sich nicht zu Haufen zusammen wie anderswo, sondern die einzelnen Familien lugten aus den Toren ihrer Gärten hervor.

Diese Familien bestanden größtenteils aus einem Mann und ein oder zwei Weibern, gut geformten und hübschen Frauen. Manchmal sahen wir Kinder, aber das war selten. Und mehr als drei Kinder sah ich bei keiner Familie. Frauen und Kinder waren wie die Männer in lange weiße Gewänder gekleidet. Es bewies, daß diese Eingeborenen mit gewöhnlichen afrikanischen Wilden keineswegs zu vergleichen waren.

Gerade als der letzte Schimmer des Tages verblich, erreichten wir eine lebende hohe Hecke, die mit wunderschönen purpurfarbigen Blumen übersponnen war. Komba drückte das Tor auf, und wir sahen ein Bild, das wohl keiner von uns jemals vergessen 211 wird. Die Hecke umschloß ein großes Stück Land. Im Hintergrund inmitten der üblichen Gärten lagen zwei große Hütten.

Vor diesen, aber nicht mehr als fünfzehn Schritte von uns entfernt, stand ein Gebäude von ganz anderer Bauart. Es war ungefähr fünfzehn Meter lang und zehn Meter breit und bestand eigentlich nur aus einem Dache, das auf geschweiften hölzernen Säulen ruhte. Vor die Zwischenräume waren Grasmatten gespannt. Die meisten dieser Grasmatten waren heruntergelassen. Aber vier davon, gerade uns gegenüber, waren in die Höhe gezogen. Unter diesem Dach saßen vierzig bis fünfzig Männer in weißen Roben und mit ebensolchen Mützen. Sie saßen an drei Seiten eines mächtigen Feuers, das in einer flachen Grube brannte, und sie sangen im Chor ein schauerliches und unsagbar melancholisch klingendes Lied. An der vierten Seite des Feuers, den Rücken uns zugekehrt, stand ein einzelner Mann mit ausgestreckten Armen. Auf einmal hörte er unsere Tritte. Er drehte sich um und sprang seitwärts, so daß der Schein des Feuers auf uns fiel. Und jetzt sahen wir einen eisernen Rost, der fast einer Bettstelle glich, und auf ihm etwas Fürchterliches – Stephan, der ein wenig vorausgeeilt war, starrte mit vorquellenden Augen hin; dann rief er heiser aus:

»Mein Gott! Es ist eine Frau!«

In der nächsten Sekunde fielen die Matten herunter, und der Gesang verstummte . . . 212

 


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