Rider Haggard
Die heilige Blume
Rider Haggard

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4. Kapitel

Mavovo und Hans

Wir kamen glücklich in Durban an und bezogen beide mein Haus an der Berea. Ich hoffte, Bruder John zu finden. Aber kein Bruder John war zu sehen. Er war in Maritzburg und nach den Berichten einiger mir bekannter Kaffern späterhin noch an der Grenze von Zululand gesehen worden; dann aber war er wie im Weltenraum verschwunden.

Eine niederdrückende Feststellung. Bruder John hatte ja unser Führer sein sollen. Er allein kannte das Mazituvolk.

Als zwei Wochen ohne ein Lebenszeichen von Bruder John vergangen waren, hielten Somers und ich eine ernsthafte Aussprache miteinander ab. Nach einigem Hin und Her einigten wir uns, bei unserer ursprünglichen Absicht zu bleiben und nach der goldenen Cypripedium zu suchen.

In den nächsten zwei Wochen hatten wir alle Hände voll zu tun. Zufällig lag ein kleiner Schoner in der Bay. Dieser gehörte einem portugiesischen Händler namens Delgado, einem schuftig aussehenden Kunden, den ich nebenbei im Verdacht hatte, auch mit Sklaven zu handeln und mit der ganzen Sippschaft von Sklavenhändlern, die damals äußerst 54 zahlreich war und eine förmliche Macht im Lande bildete, in Verbindung zu stehen. Da er nach dem Ausgangspunkt unserer Reise, nach Kilwa, ging, kam er mir gelegen, um unsere Gesellschaft und unser Gepäck zu befördern.

Dann machte ich mich dahinter, eine Mannschaft zusammenzustellen. Sie sollte mindestens aus zwanzig Mann bestehen. Ich hatte schon Boten nach Zululand und den oberen Distrikten von Natal geschickt, um verschiedene Jäger, meine Begleiter auf früheren Jagdexpeditionen, nach Durban zusammenzutrommeln. Ungefähr ein Dutzend erschien auch in den nächsten Tagen. Ich bin mit meinen Kaffern immer sehr gut ausgekommen. Sie waren stets bereit, ohne viele Fragen mit mir überallhin zu gehen.

Der Mann, den ich als ihren Anführer ausgewählt hatte, war ein Zulu namens Mavovo, ein untersetzter Bursche von mittlerem Alter und mit einer enormen Brust. Wie ich selbst, hatte er in der großen Schlacht am Tugela unter Prinz Umbelazi gefochten, ein Verbrechen, das ihm der Zulukönig Cetewayo niemals vergab. Er war ein treuer Diener und tapfer wie ein Löwe oder, besser gesagt, wie ein Büffel; denn ein Löwe ist durchaus nicht immer tapfer.

Ein anderer Mann war ein alter Hottentotte namens Hans, mit dem ich mehr oder weniger schon mein ganzes Leben hindurch in Beziehungen gestanden hatte. Als ich noch ein Junge war, drunten in der Kapkolonie, war er ein Diener meines Vaters und mein Gefährte in den Zulukriegen und in 55 anderen Abenteuern. Er und ich waren beispielsweise die einzigen, die entkamen, als Retief und seine Gefährten durch den Zulukönig Dingaan niedergemetzelt wurden.

Endlich war alles fertig; die Kisten mit Gewehren und Munition, mit Medizin, mit Geschenken und Proviant waren an Bord des Seglers verstaut. Ebenso hatten wir vier Esel, die ich in der Hoffnung gekauft hatte, sie könnten vielleicht als Reit- oder Packtiere nützlich sein, auf den Schoner gebracht. Der Portugiese Delgado hatte uns wissen lassen, daß er am nächsten Nachmittag absegeln wolle. Stephan Somers und ich saßen auf den Stufen der Veranda und besprachen bei einer Pfeife Tabak den Stand der Dinge.

»Es ist eine komische Geschichte,« sagte ich, »daß Bruder John nicht wieder aufgetaucht ist. Ich weiß, daß ihm daran liegt, diese Expedition mitzumachen, nicht nur wegen der Orchidee, sondern auch aus anderen Gründen, von denen er allerdings nicht gesprochen hat. Ich glaube fest, der alte Bursche ist tot.«

»Sehr wahrscheinlich,« antwortete Stephan (wir waren intimer geworden, und ich nannte ihn jetzt nur beim Vornamen), »wenn ein Mann sich allein unter Wilden herumtreibt, kann er allerdings nur zu leicht seinen Tod finden, und man wird nichts mehr von ihm hören. Horch! Was ist das?« Und er zeigte auf einen Gardenia-Busch im Schatten des Hauses, aus dem ein Geräusch kam, als ob sich etwas Lebendiges darin bewege. 56

»Ein Hund vielleicht oder vielleicht ist es auch Hans. Er kriecht überall herum, wo ich bin. Hans bist du da?«

Eine Gestalt richtete sich im Gardenia-Busch auf.

»Ja, ich bin hier, Baas – bewache meinen Herrn.«

»Gut«, antwortete ich. Dann kam mir ein Gedanke. »Hans, hast du von dem weißen Baas mit dem langen Barte gehört, den die Kaffern Dogitah nennen?«

»Ich habe von ihm gehört, und einmal habe ich ihn auch gesehen, vor ein paar Monaten. Als er durch Pinetown kam.«

»Mag sein, aber wo ist er jetzt, Hans? Er sollte hier sein, um mit uns nach Pongoland zu gehen.«

»Bin ich ein Geist, daß ich dem Baas sagen kann, wohin ein weißer Mann gewandert ist? Aber warte, Mavovo ist imstande, es dir zu sagen. Er ist ein großer Zauberdoktor, er kann entfernte Dinge sehen.«

Ich übersetzte Stephan, was Hans gesagt hatte, denn er hatte holländisch gesprochen, und ich fragte ihn, ob er einmal etwas von Kaffernmagie sehen wollte.

»Selbstverständlich,« antwortete er, »aber es ist natürlich alles Unsinn, nicht wahr?«

»O ja, alles Unsinn, oder man sagt wenigstens so,« antwortete ich ausweichend, »aber manchmal sagen diese Inyangas merkwürdige Dinge.«

Dann gingen wir, von Hans geführt, leise um das Haus herum. Hinter dem Hause lagen um einen kleinen freien Platz herum die Hütten meiner 57 Kaffern. Der Platz selbst bestand aus festgestampftem Lehm und diente meinen Leuten als Kochplatz. Hier sahen wir Mavovo sitzen, das Gesicht uns zugekehrt, und umgeben von sämtlichen Zulujägern. Mavovo gegenüber brannte eine Anzahl kleiner Holzfeuerchen. Ich zählte sie und fand, daß es vierzehn waren. Das war gerade die Zahl der Expeditionsmitglieder. Mavovo sah aus, als schliefe er. Er kauerte auf dem Boden; sein großer Kopf lag auf den Knien. Um den Leib hatte er sich eine Schlangenhaut gebunden, und von seinem Halse hing eine Kette, anscheinend aus Menschenzähnen, herab. Auf seiner rechten Seite lag ein Haufen Federn aus den Schwingen von Geiern, und zu seiner Linken ein kleiner Haufen Silbergeld – ich nehme an, die Gebühren, die ihm von den Jägern für seine Wahrsagerei bezahlt worden waren.

Nach einer Weile schüttelte er sich dreimal konvulsivisch und rief mit klarer Stimme aus:

»Meine Schlange ist gekommen. Sie ist in mir. Jetzt kann ich hören, jetzt kann ich sehen.«

Drei Feuer, ihm gerade gegenüber, waren größer als die anderen. Er ergriff sein Bündel Geierfedern, suchte eine bedachtsam heraus, hielt sie gegen den Himmel und zog sie dann durch die Flammen des mittleren der drei Feuer, wobei er meinen Eingeborenen-Namen Macumazana murmelte. Dann untersuchte er den versengten Bart der Feder mit vieler Sorgfalt. Ein kalter Schauer jagte meinen Rücken hinunter; denn ich wußte recht gut, daß er nun seinen »Geist« nach meinem Schicksal auf dieser 58 Expedition befragte. Was der Geist antwortete, weiß ich nicht; er legte die Feder schweigend nieder und nahm eine andere, mit der er dieselbe Manipulation vornahm. Diesmal jedoch nannte er den Namen Mwamwazela, der in seiner gekürzten Form Wazela der Eingeborenen-Name des jungen Somers war. Das Wort bedeutete ein »Lächeln« und war wohl mit bezug auf den freundlichen Gesichtsausdruck des jungen Mannes gewählt worden.

Nachdem er die Feder durch das Feuer zur rechten Hand gezogen hatte, betrachtete er sie und legte sie neben sich nieder wie die erste.

Und so ging es weiter. »Sprich!« riefen seine Zuhörer mit gespannter Neugierde. »Hast du was gesehen? Was sagt deine Schlange von mir? Von mir? Von mir?«

»Alles habe ich gesehen und gehört. Meine Schlange sagt mir, daß wir vor einem sehr gefahrvollen Unternehmen stehen. Von den Teilnehmern werden sechs durch die Kugel, durch den Speer oder durch Krankheit sterben, und andere werden verwundet werden.«

»Welche werden denn sterben,« rief einer der Jäger, »und welche werden davonkommen? Hat deine Schlange dir nicht auch das gesagt, Doktor?«

»Ja, sicher, meine Schlange sagte mir auch das. Aber meine Schlange riet mir auch, den Mund darüber zu halten, damit nicht einige von euch plötzlich zu Feiglingen werden.«

»Meine Schlange hat mir auch noch etwas anderes verkündet«, fuhr Mavovo fort. »Wenn einer unter 59 euch ein Schakal sein sollte, der denkt, er gehört zu denen, denen es bestimmt ist, zu sterben, und er denkt, er könnte seinem Schicksal dadurch entgehen, daß er desertiert, so ist das ein großer Irrtum. Meine Schlange wird mir ihn zeigen und wird mir auch sagen, wie ich mit ihm verfahren soll.«

Daraufhin erklärten sie alle einstimmig, daß sie niemals daran denken würden, zu desertieren. Ich glaube auch, daß diese braven Burschen die Wahrheit sagten.

»Sagen Sie mal, Quatermain,« sagte Stephan, »da unser Freund Mavovo über alles Bescheid zu wissen scheint, so fragen Sie ihn doch mal, was aus Bruder John geworden ist. Sagen Sie es mir nachher wieder, ich muß jetzt noch etwas besorgen.«

So ging ich hin und tat so, als ob ich über das, was vorging, ganz erstaunt wäre.

»Was, Mavovo,« sagte ich, »bist du wieder beim Zauberdoktern? Ich dachte, es hätte dich schon genug in Schwulitäten gebracht, drüben in Zululand.«

»Ganz recht, Baba«, versetzte Mavovo, der mich Vater zu nennen pflegte, trotzdem er älter war als ich. »Es hat mich meine Häuptlingswürde gekostet und mein Vieh und meine zwei Weiber und meinen Sohn. Du, Baba, hast die Gabe zu schießen, und hörst du etwa auf mit dem Schießen? Du hast auch die Gabe, forschen zu müssen, und hörst du etwa auf mit dem Forschen?«

Er las eine der verbrannten Federn aus dem Haufen an seiner Seite heraus und sah sie nachdenklich 60 an. »Ich sehe an dieser Feder, die in meinem Zauberfeuer gebrannt hat, etwas von deiner Zukunft, o mein Vater Macumazana. Weit und immer weiter läuft deine Straße«, sagte er und zog die Feder durch die Finger. »Hier ist eine Reise,« dabei pflückte er eine verkohlte Strähne von der Feder ab, »hier wieder eine, und noch eine und noch eine«, und jedesmal pflückte er wieder eine Faser ab. »Hier ist eine, die sehr erfolgreich ist, sie macht dich reich, und hier ist wieder eine andere, eine wundervolle Reise, in der du viele fremde Dinge und fremde Völker siehst.«

»Dann,« jetzt blies er auf die Feder, daß alle die verkohlten Fäserchen davonflogen, »und dann – dann ist nichts mehr übriggeblieben als solch eine Stange, die die Männer meines Volkes aufrecht auf ein Grab stecken; den Pfahl der Erinnerung nennen sie sie. Oh, mein Vater, du wirst in einem fernen Lande sterben; doch du wirst Hunderte von Jahren in der Erinnerung der Menschen leben; denn siehe, wie stark ist doch dieser Schaft, über den das Feuer keine Macht gehabt hat. Mit einigen von diesen anderen ist's ganz anders«, setzte er hinzu.

»Ich bitte,« fuhr ich dazwischen, »bringe mich nicht in deine Magie hinein. Ich will überhaupt nicht wissen, was mir bevorsteht.«

»Sehr richtig, o Macumazana, was willst du also von mir wissen? Beeile dich, denn meine Schlange wird sehr müde. Sie wünscht in ihr Loch zurückzugehen, das drüben im Jenseits liegt.«

»Ich würde gern erfahren, was aus dem weißen 61 Manne mit dem langen Bart geworden ist, den ihr Schwarzen Dogitah nennt. Er sollte jetzt hier sein, um uns auf dieser Reise zu begleiten, sogar um unser Führer zu sein, und wir können ihn nicht finden. Wo ist er, und warum ist er nicht hier?«

»Hast du irgend etwas bei dir, Macumazana, was Dogitah gehört hat?«

»Nein,« antwortete ich, »das heißt doch«, und ich kramte einen Bleistiftstumpf aus meiner Tasche, den mir Bruder John einmal gegeben hatte. Mavovo nahm ihn, und nachdem er ihn aufmerksam betrachtet hatte, wischte er mit seiner hornigen Hand ein Häufchen Asche von dem größten der kleinen Feuer herunter. Dieses Aschenhäufchen breitete er flach auf den Boden aus. Dann zog er mit dem Bleistift ein paar Linien hinein, die dem rohen Bild eines Menschen ähnelten. Hierauf betrachtete er sein Meisterwerk mit der Zufriedenheit eines Künstlers. Ein Windhauch blies die feine Asche hoch, so daß einige der Linien verwischt und andere verzerrt oder vergrößert wurden.

Dann saß Mavovo mit geschlossenen Augen still da. Er öffnete sie wieder, betrachtete die Asche und das, was von der Zeichnung übriggeblieben war:

»Es ist alles klar, mein Vater«, sagte er in einem Tone größter Selbstverständlichkeit. »Der weiße Mann Dogitah ist nicht tot. Er lebt, aber er ist krank. Er hat etwas an einem Bein, so daß er nicht gehen kann. Er liegt in einer Hütte, wie sie die Kaffern machen; nur hat diese Hütte ringsherum eine Veranda, und es hängen Bilder an den 62 Wänden. Die Hütte ist weit entfernt von hier; ich weiß allerdings nicht, wo sie ist. Dogitah ist im Begriffe zu genesen. Er wird in jenem Lande, in das wir gehen wollen, in einer Stunde der höchsten Gefahr zu uns stoßen. Das ist alles, und die Gebühr ist eine halbe Krone.«

Ich gab ihm die halbe Krone und sagte:

»Also mein Freund Mavovo, ich glaube an dich als einen Krieger und Jäger, aber was das Zaubern betrifft, halte ich dich für einen Hokuspokusmacher. Ich bin so fest überzeugt davon, daß ich bereit bin, dir das doppelläufige Gewehr, das du letzthin so bewundert hast, zum Geschenk zu machen, falls wirklich der Dogitah in jenem fernen Lande und gerade in einer Stunde der Not auftauchen sollte.«

»Ah,« sagte Mavovo, »ihr weißen Leute dünkt euch sehr klug und bildet euch ein, alles zu wissen. Aber vor lauter neuer Weisheit habt ihr die alte vergessen. Jetzt kannst du nur höhnen und sagen, ›Mavovo, der Tapfere in der Schlacht, der große Jäger, der treue Diener wird zum Lügner, wenn er auf die verbrannte Feder bläst oder wenn er liest, was der Wind auf die gekräuselte Asche geschrieben hat‹.«

»Ich sage nicht, daß du ein Lügner bist, Mavovo; ich sage nur, daß du dich von deiner eigenen Einbildung täuschen läßt. Es ist nicht möglich, daß Menschen wissen können, was den Menschen nun einmal verborgen ist.«

»Ist es wirklich so, Macumazana? Aber wenn dir morgen einer von dem Schiff, mit dem wir fahren 63 wollen, eine Botschaft schickt, du sollst schnell hinkommen, da etwas auf dem Schiff nicht in Ordnung ist, dann denke an deine und an meine Worte. Gut, mein Vater, weil du denkst, ich bin ein Betrüger, werde ich niemals wieder die Feder für dich blasen oder das, was der Wind auf die Asche schreibt, lesen, weder für dich, noch für irgend jemand, der dein Brot ißt.«

Dann stand er auf, gab mir mit der erhobenen rechten Hand den Zulugruß, sammelte seinen kleinen Haufen Silbergeld und seine Medizin in einen Sack zusammen und marschierte ab, seiner Schlafhütte zu.

Als wir ums Haus herumgingen, stießen wir auf den lahmen Jack, einen meiner alten Griqua-Diener.

»Inkoosi,« sagte er, »der weiße Herr Wazela gebot mir, dir zu sagen, daß er und Sam, der Koch, heute nacht auf dem Schiff schlafen, um auf die Sachen zu achten. Sam ist gerade jetzt gekommen und hat Wazela geholt Er sagt, wir werden morgen alles weitere sehen.« 64

 


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