Rider Haggard
Die heilige Blume
Rider Haggard

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2. Kapitel

Der Auktions-Saal.

Ich glaube nicht, daß wir auf unserem Wege nach Durban noch einmal auf die Pongo zurückgekommen sind. Natürlich behielt ich Scroope und auch Bruder John als Gäste bei mir. Der letztere schlug sein Zelt in meinem Garten auf, da ich nur zwei kleine Räume hatte.

Eines Nachts saßen wir rauchend auf den Verandastufen.

»John,« sagte ich, »ich habe über Ihre Erzählung von Pongoland nachgedacht und einige Schlüsse daraus gezogen.«

»Was für Schlüsse, Allan?«

»Das erste ist, daß Sie ein mächtiger Esel waren, aus Kalubi nicht mehr herauszuholen.«

»Das stimmt, Allan; aber neben manchem anderen bin ich ein Arzt, und die Operation nahm mich fast völlig in Anspruch.«

»Mein zweiter Schluß ist, daß dieser Kalubi die Obhut über den Gorilla-Gott hatte, und daß eben dieser der Gorilla war, der ihm den Finger abgebissen hat.«

»Was wollen Sie damit sagen?«

»Ich habe schon einmal etwas über große Affen 26 gehört, die in Zentralafrika leben sollen und Sokos genannt werden. Von diesen wird behauptet, daß sie den Menschen Zehen und Finger abbeißen. Man sagte mir auch, daß diese Biester den Gorillas sehr ähnlich seien.«

»Das stimmt, Allan. Ich habe selbst einmal einen solchen Soko gesehen, wenn auch nur aus der Entfernung. Es war ein großmächtiger, brauner Kerl, der auf den Hinterfüßen stand und mit den Fäusten gegen seine Brust trommelte.«

»Drittens würde ich ganz gern dabei helfen, diese Orchidee auszugraben, um einen Anteil von den zwanzigtausend Pfund, die sie wert ist, zu bekommen.«

Das interessierte Bruder John.

»Ah,« sagte er, »jetzt kommen wir endlich auf die richtige Fährte. Es hat lange gedauert, bis Sie soweit waren.«

»Und schließlich«, fuhr ich fort, »soll eine solche Expedition erfolgreich sein, so kostet sie einen Haufen Geld, das weder ich noch Sie aufbringen können. Wir brauchen Teilnehmer, aktive oder stille. Aber nur Teilnehmer mit barem Gelde.«

Bruder John blickte nach dem Fenster des Raumes, in dem Charly Scroope schlief.

»Nein«, sagte ich. »Der hat genug von Afrika. Außerdem spielt eine Frau in seinem Leben eine wichtige Rolle. Nun hören Sie zu. Ich habe es auf mich genommen, jener Dame einen Brief zu schreiben. Ich teilte ihr mit, daß Scroope todkrank wäre, daß ich aber immer noch hoffe, er würde mit dem Leben 27 davonkommen. Ich setzte, in der Annahme, es würde sie interessieren, hinzu, daß er fortwährend von ihr phantasiert, und daß er ein Held wäre. Das ›Held‹ doppelt unterstrichen. Der Brief ging mit dem letzten Dampfer fort. Nun hören Sie weiter. Scroope will, daß ich mit ihm nach England gehe, um auf der Reise ein wenig nach ihm zu sehen, tatsächlich hofft er wohl, daß ich vielleicht ein gutes Wort bei jener Dame für ihn einlege. Ich werde wohl mitfahren.«

»Was wird dann mit der Expedition, Allan?« fragte Bruder John.

»Wir haben jetzt den ersten November«, antwortete ich. »Die Regenzeit in jenen Landstrichen beginnt soeben und dauert bis April. Ich habe also genügend Zeit für meine Reise und kann auch noch rechtzeitig zurückkommen. Wenn Sie mir die Blume anvertrauen, möchte ich sie mitnehmen. Vielleicht kann ich jemand finden, der um der Pflanze willen bereit wäre, die Expedition zu finanzieren. Unterdessen wären Sie mir als Hüter dieses Hauses willkommen, wenn Sie überhaupt hierbleiben wollen.«

»Danke Ihnen, Allan. Aber ich kann für so viele Monate nicht stillsitzen.« Er machte eine Pause, und ein träumerischer Ausdruck kam in seine dunklen Augen. »Sehen Sie, lieber Allan, es ist mein Schicksal, durch dieses große Land zu wandern und zu wandern, bis – ich volle Klarheit habe.«

»Bis Sie worüber Klarheit haben?«

Er riß sich zusammen und sagte mit gemachter Gleichgültigkeit: »Bis ich über alle seine Bewohner Klarheit habe.« 28

»Übrigens, wenn ich das Geld für die Expedition zusammenbekomme,« sagte ich, »so kommen Sie selbstverständlich mit, nicht wahr? In jedem Fall steht die Sache für mich fest Denn ich hoffe, daß Sie uns auch mit Hilfe Ihrer dortigen Freunde durch Mazituland und bis zu jenen merkwürdigen Pongo bringen können.«

»Ganz bestimmt komme ich mit. Ich wäre sogar entschlossen, allein zu gehen.«

Ich sah ihn noch einmal zweifelnd an und antwortete: »Sie riskieren viel für eine Blume, John. Oder suchen Sie etwa noch etwas anderes? Ich hoffe, Sie werden mir die Wahrheit sagen.«

»Allan, wenn Sie mir so die Pistole auf die Brust setzen, muß ich Ihnen sagen, daß ich noch einiges mehr über die Pongo gehört habe, als ich Ihnen damals erzählte.«

»Und was war das?«

»Ich hörte, daß sie außer ihrem weißen Affen-Gott auch eine weiße Göttin haben.«

»Nun, und? Ein weiblicher Gorilla vermute ich.«

»Nichts, außer daß Göttinnen mich immer stark interessiert haben. Gute Nacht, Allan.«

»Du bist ein seltsamer alter Fisch«, brummte ich vor mich hin, nachdem er gegangen war.

Mehrere Tage nach meiner letzten Unterredung mit Bruder John verließen Scroope und ich Durban. In Kapstadt nahmen wir den Postdampfer, der nach einer langen Reise in Plymouth landete.

Ich erwähnte schon, daß ich Fräulein Manners einen Brief über Charles Scroopes Ergehen 29 geschrieben hatte, und als wir dann an einem milden Novembertage in Plymouth ankamen, sah ich auf dem Boote, das Post und Passagiere von Bord abholen sollte, eine untersetzte, in Pelze gehüllte Dame sitzen und neben ihr ein sehr hübsches blondes und elegantes junges Mädchen. Gleich darauf sagte mir ein Steward, daß mich jemand im Salon zu sprechen wünsche. Ich ging hinunter und fand diese beiden dort auf mich warten.

»Ich glaube, Sie sind Herr Allan Quatermain?« sagte die untersetzte Dame. »Wo ist Herr Scroope, den Sie, wie ich gehört habe, heimbringen? Sagen Sie es mir sofort.«

Irgend etwas in ihrer Erscheinung und ihrer draufgängerischen Art erschreckte mich derartig, daß ich nur erschüttert stammeln konnte:

»Drunten, gnädige Frau, drunten.«

»Siehst du, Liebe,« sagte die untersetzte Dame zu ihrer Begleiterin, »ich sagte dir schon, daß du dich auf das Schlimmste gefaßt machen müßtest. Sei stark. Mache nicht vor all diesen Leuten hier eine Szene! Du hättest den armen Menschen niemals hinaus in jene Heidenländer schicken dürfen.«

Dann drehte sie sich nach mir herum und setzte scharf hinzu:

»Ich nehme an, er ist einbalsamiert. Wir möchten ihn gern hier in Essex begraben!«

»Einbalsamiert?« schnappte ich Luft. »Einbalsamiert?! Ja, warum denn? Er sitzt in der Badewanne. Jedenfalls war er vor fünf Minuten noch drin.«

Eine Sekunde später hatte ihre Begleiterin ihren 30 hübschen, blonden Kopf auf meine Schulter gelegt und weinte herzzerreißend.

»Margarete!« kam es scharf von den Lippen der untersetzten Dame. »Ich habe dir gesagt, du sollst keine Szene hier vor der Öffentlichkeit machen. Herr Quatermain, da Herr Scroope also am Leben ist, wollen Sie ihn bitte auffordern, hierherzukommen.«

Nun, ich holte ihn, halbrasiert wie er war, und den Rest der Angelegenheit mag man sich selber vorstellen. Er hat jetzt schon Enkel. Sie alle verehren ihn als Helden. Er hat auch nichts dagegen einzuwenden.

Nachdem ich Scroope also gut abgeliefert hatte, ging ich an meine eigentliche Arbeit. In der Stadt gab es eine Firma, die ständige Auktionen von Orchideen veranstaltete. Diese Blumen kamen damals unter reichen Liebhabern gerade in Mode. Eine solche Auktion dachte ich mir als geeigneten Platz, um meinen Schatz zu zeigen. Ohne Zweifel würde ich mit Leuten in Verbindung kommen, die schon einige tausend Pfund für den Besitz dieser Pflanze riskierten. Auf jeden Fall wollte ich es versuchen.

So spürte ich eines Tages, es war ein Freitag, meine goldene Cypripedie unterm Arm, das Geschäftslokal der Firma May & Primrose auf.

Ich schien aber Tag und Stunde nicht recht getroffen zu haben, denn auf meine Frage nach Herrn May wurde mir gesagt, er sei nicht im Hause.

»Dann möchte ich Herrn Primrose sprechen«, sagte ich. 31

»Herr Primrose ist in den hinteren Räumen und verkauft«, antwortete ein Angestellter sehr beschäftigt.

»Wo sind die Räume?« fragte ich.

»Zur Tür hinaus, dann zur Linken, dann wieder zur Linken und unter der Uhr«, sagte der Buchhalter und schloß den Schalter.

Diesen Anweisungen folgend, trottete ich einen engen Gang hinunter und landete schließlich in einem großen Raum.

Auf einem Podium am unteren Ende des Lokals saß ein Herr mit einem recht sympathischen Gesicht. Dieser leitete die Auktion, und zwar so schnell, daß der Schreiber an seiner Seite Schwierigkeiten haben mußte, Käufe und Käufer aufzunotieren. Ihm gegenüber, um einen hufeisenförmigen Tisch, saßen die Käufer. Direkt unter dem Podium stand ein zweiter kleinerer Tisch. Hier waren etwa zwanzig Blumentöpfe aufgebaut, lauter Orchideen. Ein Schildchen verkündete, daß diese Töpfe um halb zwei Uhr versteigert werden würden. Der ganze Raum war angefüllt mit Männern (die wenigen anwesenden Damen saßen am Tisch), und viele von ihnen hatten reizende Orchideen in den Knopflöchern. Diese Leute waren Händler und Liebhaber.

Der Raum machte einen unsagbar friedlichen Eindruck. Ich drückte mich in eine Ecke.

Auf einmal fragte mich jemand an meiner Seite, ob ich Interesse für den Katalog hätte. Der Sprecher gefiel mir. Er war ein blondhaariger, junger Mann von vier- oder fünfundzwanzig Jahren, mit lustigen 32 blauen Augen. Er schien mir ein sympathischer Kerl zu sein.

»Danke, nein«, antwortete ich. »Ich bin nicht hierhergekommen, um zu kaufen. Ich kenne nur sehr wenige Orchideen. Nur solche, die ich in Afrika gesehen habe, und diese hier«, und ich tippte auf die Blechschachtel unter meinem Arm.

»So, so,« sagte er, »ich würde gern etwas über afrikanische Orchideen hören. Was haben Sie da in dem Kasten, eine Pflanze oder Blumen?«

»Nur eine Blume. Sie gehört nicht mir. Ein Freund in Afrika beauftragte mich – aber das ist eine lange Geschichte, die Sie wohl nicht interessieren wird.«

»Darüber bin ich mir nun nicht so ganz sicher. Ich vermute, es wird eine Cymbidium sein, der Größe nach.«

Ich schüttelte den Kopf. »Nein, mein Freund nannte einen anderen Namen. Er nannte sie Cypripedium.«

Der junge Mann wurde neugierig. »Eine einzige Cypripedium in dieser großen Kiste? Das muß eine mächtige Blume sein.«

»Ja, mein Freund sagte, es sei die größte, die jemals gefunden wurde. Sie mißt vierundzwanzig Zoll über die Flügel, Petale, wie er sie nannte, und ungefähr einen Fuß über die Blattscheide.«

»Vierundzwanzig Zoll über die Petale und einen Fuß über das hintere Kelchblatt!« sagte der junge Mann und riß Mund und Augen auf. »Und dabei eine Cypripedium! Mein Herr, Sie machen sicherlich nur Spaß?« 33

»Es fällt mir gar nicht ein, zu scherzen«, antwortete ich ein wenig verletzt. »Aber es kann natürlich eine andere Sorte sein, denn ich verstehe nichts von Orchideen.«

»Lassen Sie mich bitte sehen.«

Ich fing an auszupacken. Der Kasten war schon halb offen, als zwei andere Herren, die entweder etwas von unserer Unterhaltung aufgeschnappt oder den aufgeregten Ausdruck im Gesicht des jungen Mannes bemerkt hatten, auf uns zusteuerten. Auch sie trugen Orchideen in den Knopflöchern.

»Hallo, Somers,« sagte der eine in beiläufigem Tone, »was haben Sie denn da?«

»Nichts,« sagte der junge Mann, der mit Somers angeredet worden war, »nichts Besonderes. Es ist nur ein Kasten mit tropischen Schmetterlingen.«

»Ach so, Schmetterlinge«, sagte der eine der Herren und schlenderte weiter. Aber der andere, ein unternehmend aussehender Mensch mit einem Paar Augen wie ein Falke, war nicht so leicht zufriedengestellt.

»Lassen Sie uns die Schmetterlinge sehen«, sagte er zu mir.

»Geht nicht,« versetzte Somers, »mein Freund fürchtet, daß der Rauch hier dem Schmelz der Flügel schaden könnte. Nicht wahr, Braun?«

»Ja, so ist es, Somers«, antwortete ich ihm in demselben vertraulichen Tone und klappte den Deckel wieder zu.

Daraufhin trollte sich auch der Mann mit den Falkenaugen. 34

»Liebhaber!« flüsterte der junge Mann. »Schreckliche Leute, diese Orchideenliebhaber! So eifersüchtig! Und sehr reiche Leute dazu, diese beiden. Also, Herr Braun – ich hoffe, daß das wirklich Ihr Name ist, trotzdem alle Vermutungen dagegen sprechen.«

»Ich heiße Allan Quatermain.«

»Also, Herr Allan Quatermain, dort ist ein Privatkontor, zu dem ich Zutritt habe. Würden Sie nicht einmal mit Ihrem Schmetterlingskasten dort hineinkommen?«

»Mit Vergnügen«, antwortete ich und folgte ihm in ein kleines Zimmer.

Er schloß hinter uns die Tür und drehte den Schlüssel herum.

»Also, jetzt sind wir allein, Herr Quatermain, nun lassen Sie mich bitte diese Schmetterlinge sehen.«

Ich setzte den Kasten auf einen Tisch und öffnete ihn. Und da, zwischen zwei Glasplatten, lag die goldene Blume, auch nach all den Reisen, die sie gemacht hatte, und noch im Tode herrlich anzusehen, und an ihrer Seite lag das breite grüne Blatt.

Der junge Mann starrte darauf, daß ich zuletzt dachte, die Augen würden ihm aus dem Kopfe springen. Dann wandte er sich weg, murmelte etwas, und starrte wieder darauf.

»Großer Gott! – Großer Gott! Ist es möglich, daß so etwas auf dieser unvollkommenen Welt existiert? Sie haben sie doch nicht nachgemacht, Herr Quatermain, nicht wahr?«

»Ich verbitte mir das,« sagte ich, »zum zweiten Male sagen Sie mir heute eine Ungehörigkeit. Guten 35 Morgen.« Und ich begann meinen Kasten einzupacken,

»Seien Sie bitte nicht beleidigt!« rief er aus. »Haben Sie Nachsicht mit der Schwäche eines armen Sünders. Sie verstehen nicht. Wenn Sie nur verständen, so würden Sie mich anders beurteilen.«

»Nein,« sagte ich, »ich lasse mich hängen, wenn ich Sie verstehe.«

»Sie werden mich verstehen, wenn Sie einmal beginnen, Orchideen zu sammeln, Herr Quatermain,« – das brachte er förmlich mit heiserer Stimme hervor – »diese unbezahlbare Cypripedium – Ihr Freund hat recht, es ist wirklich eine Cypripedium – ist eine Goldmine wert.«

»Soweit ich von Goldminen etwas verstehe, glaube ich das wohl«, sagte ich zögernd und, wie ich hinzusetzen möchte, prophetisch.

»Zumindest die Pflanze, an der diese Blüte gewachsen ist, ist unbezahlbar. Wo wächst die Pflanze, Herr Quatermain?«

»In einer ziemlich unbekannten Gegend Afrikas, drunten im Südosten«, antwortete ich.

»Würden Sie mir nicht erzählen, wie Sie zu dieser Blume gekommen sind?«

»Ich sollte das eigentlich nicht«, bemerkte ich, von Zweifeln erfüllt. Dann, nachdem ich noch einen forschenden Blick auf ihn geworfen hatte, gab ich ihm kurz die Geschichte zum besten, wobei ich alle Namen und genauen Ortsbestimmungen wegließ und hinzusetzte, daß ich nach England gekommen sei, um jemand zu finden, der eine Expedition nach 36 jenem abgelegenen und romantischen Landstrich finanzieren würde.

Gerade als ich mit meinem Bericht zu Ende war, hörten wir heftiges Klopfen an der Tür.

»Herr Stephan,« sagte eine Stimme, »sind Sie hier, Herr Stephan?«

»Himmel! Das ist Briggs«, rief der junge Mann aus. »Briggs ist der Direktor meines Vaters. Schließen Sie den Kasten, Herr Quatermain.« Dann ging er zur Tür, schloß auf und sagte: »Kommen Sie herein, Briggs. Was ist los?«

»Ihr Vater ist unerwartet ins Kontor gekommen und war in keiner kleinen Aufregung, als er Sie dort nicht fand, Herr. Und als er herausbekam, daß Sie zu der Orchideenauktion gegangen waren, wurde er fuchsteufelswild und hat mich geschickt, Sie zu holen!«

»So, hat er Sie geschickt?« antwortete Somers. »Nun, sagen Sie ihm, daß ich sogleich kommen werde.«

Briggs ging nur zögernd fort.

»Ich muß Sie verlassen, Herr Quatermain«, sagte Somers. »Aber wollen Sie mir versprechen, diese Blume niemand zu zeigen, bis ich zurückkomme? Ich bin in einer halben Stunde wieder hier.«

»Ja, Herr Somers, ich werde eine halbe Stunde im Auktionsraum auf Sie warten, und ich verspreche Ihnen auch, daß ich die Blume niemand anders zeigen will.«

»Ich danke Ihnen, Sie sind ein guter Kerl. Und 37 ich verspreche Ihnen, Sie sollen durch Ihr Entgegenkommen nichts verlieren.«

Wir gingen zusammen hinauf. Auf einmal schien Somers etwas einzufallen.

»Donnerwetter!« sagte er, »ich habe ja ganz jene Odontoglossum vergessen. Wo ist Wooden? Ah, kommen Sie einmal her. Ich will mit Ihnen reden.«

Der Gerufene kam. Er war ein Mann von ungefähr fünfzig Jahren. Er hatte große Hände, die von harter Arbeit sprachen. Es war mir sofort klar, daß er Gärtner war.

»Wooden,« sagte Somers, »dieser Herr hier besitzt die wundervollste Orchidee der ganzen Welt. Behalte ihn im Auge, und pass' auf, daß er nicht ausgeraubt wird. Es gibt Leute in diesem Raume hier, Herr Quatermain, die Sie um jene Blume ermorden und Ihre Leiche in die Themse werfen würden«, setzte er düster hinzu.

Als Antwort wiegte sich Wooden nur ein paarmal hin und her. Dann richtete er sein bleiches Auge auf mich und sagte:

»Ihr Diener, mein Herr. Und wo ist diese Orchidee?«

Ich zeigte auf die Blechschachtel.

»Ja, hier drin,« fuhr Herr Somers fort, »und auf die sollen Sie aufpassen!«

»Nun hören Sie weiter, Wooden. Haben Sie sich jene Odontoglossum Pavo angesehen, und was denken Sie davon?« Und er wies mit einem Kopfnicken auf eine Pflanze, die inmitten anderer auf dem Tisch vor dem Pulte des Auktionators stand. 38

»Ja, es ist das hübscheste Ding, welches ich jemals angeguckt habe. 's gibt keine Orchidee in England wie diese Pavian«, setzte er mit Überzeugung hinzu und schwankte wieder hin und her. »Aber da sind 'ne Menge hinterher.«

»Ganz recht, Wooden. Aber wir müssen jene Pavo haben, was sie auch kostet. Jedoch der alte Herr hat nach mir geschickt; ich hoffe zwar, gleich zurück zu sein, aber ich könnte doch aufgehalten werden. Wenn ich also noch nicht zurück bin, so bieten Sie für mich, Wooden, denn auf diese Agenten kann man sich nicht yerlassen. Hier ist Ihre Vollmacht«, und er kritzelte etwas auf eine Karte. »Nun passen Sie auf, Wooden, und lassen Sie sich die Blume nicht durch die Finger rutschen.«

Im nächsten Augenblick war er verschwunden.

»Was sagte mein Herr?« fragte mich Wooden; »daß ich diese Pavian kaufen soll, was sie auch kostet?«

»Ja,« sagte ich, »das hat er gesagt. Sie wird wohl einen Haufen Geld kosten – verschiedene Pfund.«

»'s kann sein, Herr, ich kann's nicht sagen. Ich soll sie also für jeden Preis kaufen, wie Sie bezeugen können. Was er haben will, will er haben, das heißt wenn's Orchideen betrifft.«

»Ich glaube, Sie sind auch ein Liebhaber von Orchideen?«

»Liebhaber, Herr? Kann Ihnen sagen, ich habe meine Alte daheim nicht so lieb. Aber entschuldigen 39 Sie, Herr, drücken Sie doch lieber Ihren Blechkasten ein bißchen fester an sich heran.«

Die Auktion zog sich lange hin. Von einer bestimmten Sorte getrockneter Orchideen waren so viele da, daß sich keine weiteren Käufer dafür fanden. Da nahm sich der tüchtige Herr Primrose hinter dem Katheder einen anderen Artikel vor.

»Verehrte Anwesende,« sagte er, »ich verstehe vollkommen, daß Sie nicht hierher gekommen sind, um einen Haufen ziemlich armseliger Cattleya Mossiae zu kaufen. Sie sind gekommen, um das größte Blumenwunder, das je in diesem Lande zu sehen gewesen ist, eine herrliche Odontoglossum, zu kaufen oder wenigstens darauf zu bieten, oder zum allerwenigsten um zuzusehen, wie sie verkauft wird. Es soll mich wundern, wer die Ehre haben wird, der Besitzer dieses im höchsten Grade vollkommenen Produkts der Natur zu sein. Dreihundert. Vier. Fünf. Sechs. Sieben an drei Stellen. Acht. Neun. Zehn. Na, meine Herren, lassen Sie uns ein wenig rascher vorwärts gehen. Fünfzehn. Sechzehn. Siebzehn.«

Dann kam eine Pause in dem wilden Rennen um die Blume. Ich benutzte die Zeit, um siebzehnhundert Schillinge in Pfund Sterling umzurechnen.

»Schmidt, halten Sie die Blume in die Höhe.«

Schmidt hielt die Blume hoch.

»Achtzehnhundert.«

»Neunzehn, Herr«, sagte Wooden mit steinerner Stimme. 40

»Zweitausend«, echote ein Herr mit einem langen Bart.

»Einundzwanzighundert«, sagte Wooden.

»Zweiundzwanzighundert«, sagte der Langbart.

»Dreiundzwanzig«, erwiderte Wooden.

»Odontoglossum Pavo geht für dreiundzwanzighundert, für nur dreiundzwanzighundert«, schrie der Auktionator. »Wer bietet mehr? Was? Keiner? Dann muß ich meine Pflicht tun. Eins, zwei . . .! Zum letzten Male, kein Mehrgebot? Drei!! – Zugeschlagen Herrn Wooden, der für seinen Prinzipal, Herrn Somers, bietet.«

In demselben Moment betrat mein junger Freund wieder den Raum.

»Nun, Wooden,« sagte er, »sind Sie schon bei der Pavo?«

»Schon gewesen, Herr. Habe sie richtiggehend gekauft.«

»Donnerwetter, wirklich? Was hat sie gekostet?«

»Ich weiß wirklich nicht genau, Herr. Bin niemals gut mit Zahlen gewesen. Aber es ist so etwas wie dreiundzwanzig.«

In diesem Augenblicke schaute Herr Primrose zu uns her.

»Ah, da sind Sie ja, Herr Somers«, sagte er. »Im Namen aller Anwesenden möchte ich Ihnen gratulieren, daß Sie der Eigentümer dieser noch nie dagewesenen Odontoglossum Pavo geworden sind, noch dazu zu dem mäßigen Preis von zweitausenddreihundert Pfund.«

Tatsächlich, dieser junge Mensch war ein ganzer 41 Kerl. Er schüttelte sich ein wenig und wurde einen Schein blasser im Gesicht. Dann hörte ich ihn halblaut sagen:

»Wooden, Sie sind ein geborener Idiot!« und hörte auch die Antwort:

»Genau dasselbe hat mir meine Mutter auch immer gesagt, Herr. Aber ich habe Ihren Auftrag ausgeführt und die Pavian gekauft.«

»Es ist meine Schuld, nicht die Ihre. Ich bin der geborene Idiot. Aber was fange ich jetzt nur mit der Blume und mit meinem Vater an?«

Dann rappelte er sich zusammen, schlenderte nach der Tribüne hin und sagte ein paar Worte zu dem Auktionator. Herr Primrose nickte, und ich hörte ihn sagen:

»Oh, das macht nichts, mein Herr, darüber brauchen Sie sich nicht zu beunruhigen. Wir können nicht erwarten, daß eine Summe wie diese binnen einer Minute bezahlt wird. Ein Monat Ziel wird es tun.«

Dann fuhr er mit dem Verkauf fort. 42

 


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