Rider Haggard
Die heilige Blume
Rider Haggard

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7. Kapitel

Der Sturmangriff der Sklaven

Wir taten alles, um uns so gut als möglich in Verteidigungszustand zu setzen. Nachdem wir den Dornenwall, die Boma, verstärkt und verschiedene Feuer außerhalb desselben angezündet hatten, teilte ich den Jägern ihre Plätze zu und prüfte nochmals ihre Gewehre und ihre Munition. Dann drängte ich Stephan, sich auszuruhen. Ich wünschte, daß er frisch in sein erstes Gefecht ginge.

Sobald er die Augen geschlossen hatte, setzte ich mich auf eine Kiste nieder, um nachzudenken. Die Lage war nichts weniger als rosig.

Eine schlimme Sache war die ungünstige Lage unserer Boma. Ringsum standen eine ganze Anzahl Bäume, hinter denen die Angreifer gute Deckung fanden. Noch mehr fürchtete ich einen mit dickem Gras und Dornenbüschen bewachsenen Hügel, der sich hinter uns etwa einhundertfünfzig Meter hoch erhob. Wenn die Araber imstande waren, diese Bodenwelle zu besetzen, konnten sie von oben direkt in das Lager schießen. Oder sie konnten uns, wenn der Wind für sie günstig war, einfach ausräuchern oder unter dem Schutze der Rauchwolken zumindest ihren Angriff herantragen. Gott sei Dank waren alle 107 diese meine Befürchtungen unbegründet, weil ganz etwas anderes geschah.

Bei einem Angriff während der Nacht oder noch vor Morgengrauen habe ich immer die Stunde, bevor der Himmel sich zu lichten beginnt, als die unerträglichste empfunden. In dieser Stunde ist die Spannkraft des menschlichen Körpers recht gering. Noch war es ganz dunkel, da kroch Hans heran; ich sah im Licht des Wachtfeuers sein gelbes, faltiges Gesicht

»Ich rieche die Dämmerung«, sagte er und verschwand wieder.

Mavovo erschien. Seine massiven Umrisse wuchsen vor den Flammen auf.

»Macumazana, die Nacht ist vorbei,« sagte er, »wenn der Feind überhaupt kommt, muß er gleich hier sein.«

Er hob die Hand zum Salut, glitt wieder in die Dunkelheit zurück, und gleich darauf hörte ich das leise Aneinanderklirren von Speerblättern und das Schnappen von Gewehrhähnen. Ich ging zu Stephan und weckte ihn. Er richtete sich gähnend auf, murmelte irgend etwas über Treibhäuser; dann erinnerte er sich und sagte:

»Kommen die verdammten Araber endlich? Ich freue mich auf die Rauferei; unterhaltsam, alter Junge, nicht wahr?«

»Sie sind ein unterhaltsamer Dummkopf!« antwortete ich ärgerlich und ging fort.

In den nächsten fünf Minuten war jedermann im Lager auf den Beinen, trotzdem Fußtritte nötig 108 waren, um die meisten der Träger aus ihrem Schlummer hochzubringen. Diese armen Menschen waren ja so an die Gegenwart des Todes gewöhnt, daß er sie nicht mehr in ihrem Schlummer stören konnte. Trotzdem bemerkte ich, daß sie leise und aufgeregt miteinander flüsterten.

»Wenn du irgendein Zeichen von Verräterei bei ihnen siehst, mußt du sie töten«, sagte ich zu Mavovo, der in seiner ernsten, schweigsamen Art dazu nur nickte.

Nur die befreite Sklavin und ihr Kind ließen wir in der Ecke des Lagers weiterschlafen. Was hätte es für einen Zweck gehabt, sie zu beunruhigen?

Sammy, dem nichts weniger als behaglich zumute zu sein schien, brachte zwei Blechtassen Kaffee für Stephan und mich.

In diesem Augenblick brach ein furchtbarer Lärm in dem bis dahin völlig stillen Lager der Sklavenjäger aus. Gerade spiegelte sich das erste Licht des erwachenden Tages auf den Läufen unserer Gewehre.

»Achtung, da,« schrie ich und goß den Rest meines Kaffees hinunter, »jetzt geht es los.«

Der Lärm wurde lauter und lauter, bis die ganze Atmosphäre mit einem Gemisch von Flüchen, Heulen und Schreien angefüllt schien. Auf einmal drang auch der Knall von Gewehrschüssen dazwischen, Todesschreie und das Tappen vieler laufender Füße. Das Tageslicht nahm rasch zu, wie es den Tropen eigentümlich ist. Nach drei Minuten sahen wir durch den leichten Morgennebel Trupps schwarzer Menschen über die Steppe auf unser Lager zu hasten 109 und laufen. Ich erkannte schon von weitem, daß einige von ihnen Holzblöcke nachschleiften, die mit Stricken und Ketten an ihren Füßen befestigt waren. Andere krochen auf allen Vieren entlang. Wieder andere schleppten Kinder an der Hand, und alle schrien und brüllten durcheinander, was ihre Stimmen nur hergeben wollten. Sie kamen in atemlosem Laufe heran, ein furchtbar anzusehender Haufen von Menschen, viele von ihnen noch mit dem hölzernen Sklavenjoch auf dem Nacken, und hinter ihnen her kamen die Araber, die unaufhörlich auf die Fliehenden feuerten. Unsere Lage war ohne Zweifel höchst bedenklich; denn wenn die verzweifelten Flüchtlinge in unser Lager einbrachen, würden sie uns, ohne feindliche Absicht natürlich, einfach über den Haufen rennen. Und daß wir nicht wieder aufständen, dafür würden die verfolgenden Araber schon sorgen.

»Hans,« schrie ich, »nimm schnell die Leute, die in der letzten Nacht bei dir waren, und versuche diese Sklaven hinter das Lager zu treiben! Aber schnell! Ganz schnell, ehe sie uns breitgetrampelt haben!«

Hans sprang sofort auf, und ich sah ihn dann mit den zwei anderen der anwogenden Masse entgegenlaufen, ein Hemd oder irgend etwas anderes Weißes mit der Hand schwenkend, um ihre Aufmerksamkeit auf sich zu lenken. Die Flucht der Unglücklichen kam zum Stehen. Sie hatten die Läufe unserer Gewehre gesehen; sie hoben die Arme hoch, einige knieten nieder oder warfen sich nieder, und ein einziger Schrei: »Gnade! Rettet uns!« stieg zum Himmel auf. 110

Es war ein Glück, daß sie unsere Waffen gesehen und ihnen die Furcht vor diesen Halt geboten hatte; denn es wäre Hans und seinen Kameraden kaum gelungen, die um Leben und Freiheit rennenden Unglücklichen aufzuhalten. Dann sah ich das flatternde weiße Hemd seitwärts schwenken, auf einen Pfad zu, der an unserer Boma vorbei in das mit Busch und hohem Gras bestandene Land führte. Hinter der weißen Flagge her rannte der Haufen der Sklaven, wie eine Schafherde hinter dem Leithammel. Für sie schien Hansens Hemd so etwas wie »der weiße Helm von Navarra« zu sein.

Diese Gefahr war also vorüber. Einige der Sklaven waren unter den Kugeln gefallen oder von ihren eigenen Gefährten niedergerannt worden. Noch immer feuerten die Araber in die fliehende Masse. Eine Frau, die unter dem Gewicht des Sklavenjoches zusammengebrochen war, kroch auf Händen und Knien vorwärts. Ein Araber schoß auf sie. Aber ich zielte auch und – nun, ich bin auf diese Art von schnellen Schüssen eingefuchst. Er sprang einen halben Meter in die Luft und fiel zurück. Ich hatte ihn glatt durch den Kopf geschossen.

Die Jäger stießen ein tiefes, grunzendes »Ow!« als Zeichen des Beifalls aus, während Stephan in einer Art Ekstase ausrief:

»Ein himmlischer Schuß!«

»Nicht schlecht, aber ich hätte doch nicht schießen sollen,« antwortete ich, »denn bis jetzt haben sie uns nicht angegriffen. Es bedeutet eine Art von Kriegserklärung an sie, und« – im selben 111 Augenblick riß ich Stephan an der Schulter nieder – »da haben Sie die Antwort! Nieder, ihr alle! Schießt auf sie!«

Das Feuer der Araber hatte sich sofort auf unser Lager gerichtet, und damit begann der Kampf. Die Araber nahmen zunächst einen Anlauf mit dem üblichen Allahgeschrei. Wenn sie auch beherzte Burschen waren, so verging ihnen doch die Lust, das Experiment ein zweites Mal zu wiederholen. Stephan hatte nämlich das Glück oder das Geschick, mit den beiden Schüssen seines doppelläufigen Gewehrs zwei von ihnen umzulegen. Ich selbst verfeuerte das ganze Magazin meines Gewehrs, und zwar nicht ohne Resultat, und auch die Jäger machten zwei oder drei kampfunfähig.

Nach dieser Kostprobe gingen die Araber in Deckung. Ein Teil sprang hinter einzelne Bäume, und wie ich es befürchtet hatte, versteckten andere sich in dem Schilf- und Binsendickicht am Flußufer. Von dort aus belästigten sie uns auf recht fühlbare Weise; denn unter ihnen gab es ein paar ganz anständige Schützen. Hätten wir nicht die Vorsichtsmaßregel ergriffen, unsere Dornenmauer durch einen dicken Wall von Erde zu verstärken, so hätten wir empfindliche Verluste erlitten. Immerhin wurde einer unserer Jäger getötet; die Kugel fuhr erst durch die Schießscharte, die er sich in dem Wall gemacht hatte, und dann ihm durch den Hals. Auch die unglücklichen Träger hatten unter dem Feuer der Araber schwer zu leiden. Zwei von ihnen wurden getötet, vier schwer und einige weitere leicht verwundet. Ich 112 veranlaßte sie, sich vor den Dornen und vor unseren Gewehren flach auf den Boden niederzulegen, so daß wir über ihre Körper hinwegfeuern konnten.

Es wurde uns bald klar, daß die Zahl der Araber größer war, als wir vermutet hatten. Mindestens fünfzig feuerten von allen möglichen Seiten her auf uns. Dazu kam, daß sie, wenn auch ganz langsam, Boden gewannen. Ihr Ziel war unverkennbar die Bodenerhöhung hinter dem Lager. Natürlich erwischten wir einige, als sie von Deckung zu Deckung sprangen, aber diese Art von Schießen war mindestens so schwierig wie die Jagd auf zwischen Steinblöcken hüpfende Kaninchen. Ich kann nur sagen, daß ich allein Erfolge dabei erzielte; denn hier kam mir mein schnelles Auge und meine lange Erfahrung zustatten.

Binnen einer Stunde war die Situation für uns so bedenklich geworden, daß wir einen gemeinsamen Kriegsrat abhielten. Ich machte meinen Gefährten klar, daß bei unserer geringen Anzahl ein Angriff auf die verstreuten, gut gedeckten Schützen ein vollständig hoffnungsloses Unternehmen wäre; ebenso aussichtslos aber wäre es, die Boma auch nur bis zur Nacht halten zu wollen. Sobald die Araber erst den Hügel hinter uns erklommen hätten, könne es nur eine Frage von einer Viertelstunde sein, bis der letzte von uns getötet sei.

»Ich glaube, es bleibt nur noch eins übrig«, sagte ich in einer Gefechtspause, in der die Araber entweder ebenfalls Kriegsrat hielten oder vielleicht auf Munitionsnachschub warteten. »Wir müssen das Lager 113 und alles darin aufgeben und uns auf den Hügel zurückziehen. Da die Angreifer jetzt müde und wir alle gute Läufer sind, mag es sein, daß wir wenigstens das nackte Leben retten.«

»Und was wird mit den Verwundeten«, fragte Stephan, »und mit der Sklavin und ihrem Kind?«

»Das weiß ich allerdings nicht«, antwortete ich und sah zu Boden.

In Wirklichkeit wußte ich es natürlich nur zu gut, aber hier erwuchs wieder einmal die alte Frage: sollten um einiger Menschen willen, an denen wir kein tieferes Interesse nahmen und die wir auch mit unserem Hierbleiben nicht retten konnten, wir alle zugrunde gehen?

Mit ein paar Worten setzte ich Mavovo unsere Lage auseinander und fragte ihn um Rat.

»Wir müssen flüchten«, antwortete er. »Trotzdem ich das Ausreißen nicht liebe, ist das Leben doch allerhand wert, und der, der lebt, kann vielleicht eines Tages seine Schulden bezahlen.«

»Aber die Verwundeten, Mavovo, die nicht selber laufen und die wir nicht tragen können?«

»Ich werde sie töten, Macumazana, wie es Kriegsbrauch bei uns Zulus ist, oder falls sie es vorziehen, können wir sie auch den Arabern überlassen.« –

Ich muß gestehen, daß ich Mavovos Plan innerlich zustimmte. Plötzlich aber geschah etwas ganz Unerwartetes.

Seitdem, kurz nach Sonnenaufgang, Hans die Sklaven mit seiner Hemdfahne in den Busch hinter 114 dem Lager geführt hatte, hatten wir von ihm und seinem Trupp nichts mehr gesehen und gehört. Jetzt auf einmal erschien er wieder. Wieder schwenkte er das weiße Hemd, und hinter ihm quoll das Heer nackter Männer, etwa zweihundert an der Zahl, aus Busch und Gras hervor. Sie schwangen Stücke zerbrochener Sklavenjoche in den Händen und Steine und Baumäste und stießen ein furchtbares Gebrüll aus. Ich starrte sprachlos vor Erstaunen auf Mavovo. Er lachte und sagte:

»Ah! die gefleckte Schlange« (das bezog sich auf Hans) »ist groß! Sie ist sogar imstande gewesen, in die Herzen von Sklaven Mut zu bringen. Verstehst du nicht, mein Vater, daß die jetzt einen Sturmangriff auf die Araber machen, ja, und sie werden sie niederreißen, wie wilde Hunde ein Büffelkalb niederreißen!«

Als die Araber diesen schwarzen Menschenstrom auf sich losbrausen sahen, fingen sie an, wie Rasende zu schießen; sie töteten natürlich einige der Sklaven, verrieten durch die Schüsse aber auch ihre Stellungen. Auf jeden einzelnen von ihnen stürzten sich jetzt fünf oder sechs oder noch mehr Schwarze; er wurde niedergerissen, sie zerschmetterten ihm mit Steinen und Holzstücken den Kopf und trampelten mit ihren nackten Füßen auf den blutigen Resten herum. In fünf Minuten waren zwei Drittel der Araber tot; der Rest, von denen auch wir mit unseren Gewehren noch unsern Zoll erhoben, raste in wilder Flucht nach allen Windrichtungen davon.

So wurde uns das Leben durch diejenigen gerettet, 115 die wir selbst zu retten bemüht waren. Und dieses eine Mal wurde in jenen dunklen Teilen Afrikas – in jener Zeit waren sie wirklich noch dunkel – der Gerechtigkeit Genüge getan. Wäre Hans nicht gewesen, er und seine Fähigkeit, in diesen geknechteten Schwarzen den Geist der Empörung zu erwecken, hätten wir alle miteinander noch vor Einbruch der Nacht höchstwahrscheinlich den Hyänen als Mahlzeit gedient, denn ich glaube nicht, daß uns die Flucht auf den Hügel hinauf geglückt wäre. Und selbst wenn sie geglückt wäre, was wäre dann aus uns in diesem wilden Lande, umgeben von Feinden und mit nur wenigen Schuß Munition in der Tasche, geworden?

»Ah! Baas,« sagte der Hottentotte eine Weile danach und funkelte mich mit seinen schwarzen Perlenaugen an, »also hast du schließlich doch gut daran getan, mich mit dir zu nehmen! Der alte Hans ist ein Trunkenbold, ja, oder wenigstens ist er einer gewesen, und der alte Hans spielt, ja, und vielleicht wird der alte Hans in die Hölle kommen, aber bis dahin kann der alte Hans pfiffig sein, wie er schon eines Tages es war, damals vor der Attacke bei Marais Fontain und damals auf dem Hügel des Gemetzels bei Dingaans Kraal, und wie er es wieder heute morgen war, dort zwischen den Büschen! Und jetzt, Baas, habe ich ein so eigentümliches Gefühl in meinem Bauche, es hat heute kein Frühstück gegeben, und die Sonne war sehr heiß, ich glaube, daß ein einziger kleiner Schluck Schnaps – ich weiß, ich weiß, ich versprach, nicht mehr zu 116 trinken, aber wenn du ihn mir gibst, ist es ja deine Sünde, nicht meine.«

Nun, ich gab ihm den Schluck, sogar einen ausgiebigen, trotzdem es gegen meine Grundsätze war, und schloß die Flasche dann wieder sorgfältig ein. Ich schüttelte auch dem alten Burschen die Hand und dankte ihm, was ihn sehr zu freuen schien; denn er brummte so etwas wie, daß es nichts gewesen wäre. Wenn ich getötet worden wäre, würde es auch sein Tod gewesen sein, und so liefe es eigentlich darauf hinaus, daß er an sich und nicht an mich gedacht hätte. Dabei kugelten ihm zwei dicke Tränen über seine Knopfnase herunter. Doch diese konnten ebensogut den scharfen Schnaps zur Ursache gehabt haben.

Dann gingen wir daran, das Mittagsmahl zuzubereiten.

Sobald wir gegessen hatten, hielten wir Rat, was mit den Sklaven geschehen solle. Sie saßen draußen vor dem Dornenwall. Viele hatten Verletzungen in dem Kampfe davongetragen, und alle starrten sie uns mit runden Augen an. Dann auf einmal begannen sie wie mit einer Stimme nach Essen zu schreien.

»Wie sollen wir jetzt mehrere hundert Menschen abfüttern?« fragte Stephan.

»Die Sklavenhändler müssen es ja auch zuwege gebracht haben,« antwortete ich, »wir wollen einmal gehen und drüben in dem Lager nachsehen.«

Wir gingen, von unserer hungrigen Horde gefolgt, hinüber, und neben einer Menge brauchbarer Sachen fanden wir zu unserer Freude auch einen 117 großen Vorrat an Reis, Mais und Hirse, zum Teil schon in gestampftem Zustande, vor. Davon wurde, zusammen mit ein wenig Salz, ein genügender Teil verausgabt, und bald waren die Kochtöpfe voll Brei. Und wie diese armen Kreaturen aßen! Trotzdem es nötig gewesen wäre, die Vorräte einzuteilen, konnten wir es nicht übers Herz bringen, sie abzuhalten, sich zum ersten Male seit langen Wochen wieder richtig sattzuessen. Als sie schließlich zufrieden auf ihre Bäuche klopften, hielt ich ihnen eine Rede, dankte ihnen für ihre Tapferkeit, sagte ihnen, daß sie frei wären, und fragte sie, was sie nun tun wollten.

Über diesen Punkt schienen sie alle nur einer Meinung zu sein. Sie wollten uns, ihre Retter und Beschützer, begleiten. Wir stimmten zu und verteilten die Decken und andere Vorräte der Araber unter sie. Vor die Säcke mit den Nahrungsmitteln allerdings stellten wir eine Wache.

Als wir wieder zu unserer Boma kamen, wurde gerade der Zulujäger, der durch den Kopfschuß getötet worden war, begraben. Seine Gefährten hatten außerhalb des Dornenzauns ein tiefes Loch gegraben, und in diesem wurde er in sitzender Stellung aufgebahrt. Das Gesicht war Zululand zugekehrt, und zwei Kürbisflaschen, die ihm gehört hatten, wurden ihm zur Rechten und zur Linken niedergestellt Auch eine Decke und seine zwei Wurfspeere bekam er mit ins Grab. Die Decke wurde vorher zerrissen und die Blätter von den Speeren abgebrochen. Dann warfen sie schweigend Erde auf ihn und füllten den oberen Teil des Grabes mit großen Steinen aus, um 118 die Hyänen daran zu hindern, den Leichnam auszugraben. Als es so weit war, zogen sie einer nach dem anderen an dem Grabe vorüber. Jeder blieb einen Augenblick stehen, rief den Namen des Toten, nannte seinen eigenen und sagte: »Fahr wohl!« Mavovo, der zuletzt kam, hielt eine kleine Rede und sagte dem Toten: Namba Kachle, d. h. »Gehe beruhigt ins Land der Geister«, und er setzte hinzu, daß er gestorben wäre, wie ein Mann sterben soll. Er bat ihn auch, wenn er als Geist zurückkehre, ihnen nur Gutes zu bringen; andernfalls würde er, Mavovo, wenn er später einmal ein Geist wäre, mit ihm über diesen Punkt reden. Zum Schluß erinnerte er ihn daran, daß seine, Mavovos, Schlange ja vorausgesagt hatte, daß er sterben würde, eine Tatsache, die der Tote jetzt wohl zur Kenntnis genommen hätte, und daß er sich also nicht darüber beklagen könnte, für seinen Schilling keinen Gegenwert bekommen zu haben.

»Ja,« rief einer der Jäger mit einem Unterton von Besorgnis in der Stimme aus, »aber deine Schlange hat dir sechs von uns genannt, o Doktor!«

»Das hat sie getan,« entgegnete Mavovo und zog einen Hornlöffel voll Schnupftabak in sein Nasenloch, »und unser Bruder hier ist der erste der sechs gewesen. Habe keine Angst, die anderen fünf werden sich bald zu ihm gesellen, wenn ihre Zeit gekommen ist; denn meine Schlange spricht immer die Wahrheit.«

»Ich bin froh, daß ich an Mavovo keinen Schilling bezahlt habe,« sagte Stephan, als wir ins Lager 119 zurückgekehrt waren, »aber sagen Sie, warum haben die Zulus dem Toten seine Kalibassen und Speere ins Grab mitgegeben?«

»Damit er sie als Geist auf seiner Wanderung gebrauchen kann,« antwortete ich, »denn obgleich sie sich nicht ganz klar darüber sind, glauben auch diese Zulus wie fast alle Völker der Erde an das Weiterleben der Seele nach dem Tode.« 120

 


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