Rider Haggard
Die heilige Blume
Rider Haggard

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12. Kapitel

Bruder Johns Erzählung

Obgleich ich spät zu Bett ging, war ich schon vor Sonnenaufgang wieder auf. Hauptsächlich aus dem Grunde, weil ich eine Unterredung unter vier Augen mit Bruder John haben wollte. Auch er war ein Frühaufsteher. Von allen Menschen, die ich jemals kennengelernt habe, bedurfte er am wenigsten Schlaf.

Wie ich erwartet hatte, fand ich ihn in seiner Hütte schon damit beschäftigt, bei Kerzenlicht Blumen zwischen Papierbogen zu pressen.

»John,« sagte ich, »ich bringe Ihnen etwas, was, wie ich vermute, Ihr Eigentum ist und was Sie wahrscheinlich verloren haben«, und ich übergab ihm das in Leder gebundene christliche Jahrbuch und das Aquarellbild, das wir in dem ausgeplünderten Missionshause gefunden hatten.

Dann ging ich hinaus vor die Hütte, um – den Sonnenaufgang anzuschauen. Nach ein paar Minuten rief er mich herein, und als er die Tür hinter mir geschlossen hatte, sagte er mit bebender Stimme:

»Wie sind Sie zu diesen Reliquien gekommen, Allan?«

Ich erzählte ihm die Geschichte von Anfang bis 178 zu Ende. Er hörte, ohne ein Wort zu sagen, zu, und als ich fertig war, sagte er:

»Ich kann es Ihnen ruhig sagen; dieses Bild ist das meiner Frau, und auch das Buch ist das ihrige.«

»Ist?« fragte ich erstaunt.

»Ja, Allan, ich sage ist, denn ich glaube nicht, daß sie tot ist.«

»Nach zwanzig Jahren, John?«

»Ja, nach zwanzig Jahren. Was denken Sie eigentlich, warum ich –« und plötzlich brach er leidenschaftlich los – »seit Jahrzehnten unter afrikanischen Wilden herumwandere und mich dabei für verrückt ausgebe? Nur weil ich den Umstand ausnutzen will, daß diese wilden Völker die Wahnsinnigen für heilig halten und sie passieren lassen, ohne sie weiter zu belästigen?«

»Ich dachte, Sie sammelten Schmetterlinge und botanische Raritäten?«

»Schmetterlinge und botanische Raritäten! Das ist doch der Vorwand. Ich habe mein Weib gesucht und suche es noch immer!«

Nach einer Pause fuhr er fort: »Jetzt werden Sie verstehen, warum ich gerade diese Pongo aufsuchen will – diese Pongo, die eine weiße Göttin anbeten!«

»Ich verstehe«, sagte ich und verließ ihn.

Jetzt, nachdem ich über alles Bescheid wußte, hielt ich es für das beste, diese schmerzliche Konversation nicht allzusehr in die Länge zu ziehen. Mir selbst schien es unvorstellbar, daß seine Frau noch leben sollte.

Während wir dann beim Frühstück saßen, kam 179 Hans, immer noch von Kopfschmerzen geplagt und durch die Hohnreden der anderen fast zur Verzweiflung getrieben, wie ein geprügelter Hund in die Hütte gekrochen mit der Meldung, daß Babemba, begleitet von einer Anzahl Lasten tragender Soldaten, sich unserer Behausung nähere. Ich wollte schon hinausgehen, um ihn zu empfangen, als ich mich darauf besann, daß nach den komischen Ansichten der Wilden jetzt Bruder John der bedeutendste Mann unserer Gesellschaft war. So bat ich ihn denn, freundlichst meinen Platz einzunehmen.

Ich fühle mich verpflichtet, zu bemerken, daß er dieses Amt würdig ausfüllte, um so mehr, als er schon rein äußerlich ein imposanter alter Herr war. Er schüttete also eiligst seinen Kaffee hinunter und stellte sich aufrecht und unbeweglich wie eine Statue hin. Auf Händen und Knien kriechend, näherten sich jetzt Babemba und mit ihm noch einige andere schwarze Herren, selbst die beladenen Soldaten kuschelten sich so tief zusammen, als es ihre Lasten nur erlaubten.

»O König Dogitah,« sagte Babemba, »dein Bruderkönig Bausi gibt hiermit den weißen Männern, deinen Kindern, die Gewehre zurück und sendet dir dazu einige Geschenke.«

»Es freut mich, das zu hören, General Babemba,« sagte Bruder John, »obgleich es besser gewesen wäre, ihr hättet sie ihnen niemals weggenommen. Legt sie hierher und stellt euch auf die Füße. Ich liebe es nicht, Menschen auf dem Bauche kriechen zu sehen wie Schlangen.« 180

Der Befehl wurde befolgt, und wir überzählten Gewehre, Munitionskisten, Revolver und unsere anderen Habseligkeiten. Nichts fehlte, und nichts war beschädigt. Als Zugabe aber, als Geschenk für Stephan und mich selbst, waren vier schöne Elefantenzähne mitgekommen, die ich als Geschäftsmann prompt akzeptierte; einige Mäntel und Mazituwaffen galten als Geschenke für Mavovo und die Jäger; eine schöne, geschnitzte Eingeborenenbettstelle mit Elfenbeinfüßen und Matten von sauber gewobenem Gras war die sinnreiche Gabe für Hans, zur Erinnerung an die Tiefe des Schlafes, den er unter sehr bedenklichen Umständen gefunden hatte (die Zulus brachen bei der Übergabe dieses Geschenkes in ein schallendes Gelächter aus, und Hans verschwand mit wilden Flüchen hinter den Hütten).

»O Dogitah und ihr, weiße Herren,« sagte hernach Babemba, »der König lädt euch zu einem Besuch ein, um euch für das, was geschehen ist, um Vergebung zu bitten.«

So brachen wir auf, und wir nahmen die Geschenke mit, die der König seinerzeit zurückgewiesen hatte. Unser Marsch nach dem königlichen Quartier glich einem Triumphzuge. Die Bevölkerung stand dichtgedrängt auf den Straßen und klatschte in die Hände, als wir vorübergingen, während Mädchen und Kinder uns mit Blumen überschütteten, als wären wir Bräute, die zur Trauung gingen.

Bei unserem Eintritt erhoben sich Bausi und seine Ratgeber und verbeugten sich vor uns. Der König tat noch mehr. Er stand auf, ergriff Bruder John bei 181 der Hand und bestand darauf, seine häßliche schwarze Nase gegen die seines verehrten Gastes zu reiben.

Bruder John nahm an unserer Stelle die Entschuldigungen entgegen und hielt dann einen Vortrag oder, besser gesagt, eine Predigt, die genau fünfundzwanzig Minuten dauerte (er hat einen ziemlich langen Atem). Er führte den Zuhörern die Verderblichkeit des Aberglaubens vor Augen und wies auf einen höheren und besseren Weg hin. Bausi erklärte, daß er ein andermal gern noch mehr von diesem Wege hören würde.

Hierauf übergaben wir unsere Geschenke, die jetzt mit Dank entgegengenommen wurden.

Dann ergriff ich das Wort. Ich setzte Bausi auseinander, daß wir beabsichtigten, mit möglichster Beschleunigung nach Pongoland weiterzuziehen. Die Gesichter des Königs und seiner Ratgeber wurden bei dieser Eröffnung merklich länger.

»Höre auf meine Worte, o Häuptling Macumazana, und ihr anderen alle«, erwiderte Bausi. »Diese Pongo sind furchtbare Zauberer, sie sind ein großes und machtvolles Volk, das inmitten von Sümpfen allein für sich lebt und sich niemals mit einem anderen Volk vermischt. Wenn die Pongo Mazitu oder Leute anderer Stämme erwischen, töten sie sie, oder sie schleppen sie als Gefangene in ihr Land, wo sie Sklavenarbeit verrichten müssen. Oder manchmal opfern sie sie auch den Teufeln, die sie anbeten.«

»Das ist wahr,« unterbrach ihn Babemba, »denn als ich noch ein Junge war, wurde ich Sklave der Pongo, und ich war schon verurteilt, dem weißen 182 Teufel geopfert zu werden. Als ich dann von dort flüchtete, verlor ich mein Auge.«

Ich merkte mir diese Worte. Wenn Babemba wirklich schon einmal in Pongoland gewesen war, überlegte ich mir, so konnte er auch noch einmal hingehen oder uns den Weg dahin zeigen.

»Und wenn wir Pongoleute fangen,« fuhr Bausi fort, »was uns manchmal glückt, wenn sie kommen, um Sklaven zu jagen, so töten wir sie unerbittlich. Immerfort, seit die Mazitu hier wohnen, ist Haß und Krieg zwischen ihnen und den Pongo, und wenn ich diese bösen Menschen alle miteinander vertilgen könnte, würde ich glücklich sterben.«

»Das wird dir niemals gelingen, König, solange der weiße Teufel lebt«, sagte Babemba. »Kennst du nicht die Prophezeiung der Pongo, daß ihr Volk blühen wird, solange der weiße Teufel lebt und die Heilige Blume blüht? Aber wenn einmal der weiße Teufel stirbt und wenn die weiße Blume aufhört zu blühen, dann werden ihre Weiber zu Witwen werden, und das Ende der Pongo wird gekommen sein.«

»Nun, ich nehme doch an, daß dieser weiße Teufel eines Tages stirbt«, sagte ich.

»Nicht so, Macumazana, von selbst wird er niemals sterben. Gerade wie sein böser Priester ist er von allem Anfang an dagewesen, und er wird immer da sein, es sei denn, daß er einmal getötet wird. Aber wer sollte den weißen Teufel töten?«

Wir antworteten nochmals, wir wären von unserem Wohnort absichtlich nach hier gekommen, um 183 Pongoland zu durchstreifen, und diese Absicht gedächten wir auch auszuführen.

Damit hatte die Audienz ein Ende, und wir kehrten in unsere Hütten zurück. Dogitah blieb bei seinem »Bruder Bausi«, der ihn über seinen Gesundheitszustand zu konsultieren wünschte.

Als ich an Babemba vorüberging, sagte ich ihm, ich würde ihn gern einmal allein sprechen. Er versprach, heute abend nach der Mahlzeit zu kommen.

Wir fanden Hans, der nicht mitgekommen war, beim Gewehrputzen. Ich erinnerte mich an etwas. Ich nahm die doppelläufige Flinte, rief Mavovo, übergab sie ihm und sagte:

»Sie soll dir gehören, Prophet.«

»Ja, mein Vater,« antwortete er, »für eine kurze Zeit, dann wirst du sie zurückerhalten.«

Die Worte waren seltsam, aber ich mochte nicht nach ihrem Sinn fragen, denn irgend etwas in mir sträubte sich, noch mehr von Mavovos Prophezeiungen zu hören.

Am Abend kam Babemba. Wir drei Weißen setzten uns mit ihm nieder.

»Erzähle uns alles über die Pongo und jenen weißen Teufel, den sie anbeten«, sagte ich.

»Macumazana,« antwortete er, »fünfzig Jahre sind vergangen, seitdem ich in jenem Lande gewesen bin, und ich sehe das, was mir damals geschehen ist, nun nur noch wie durch einen Nebel. Ich war ausgegangen, um in den Binsen zu fischen. Ich war damals zwölf Jahre alt. Da kamen plötzlich große Männer in weißen Gewändern in einem Kanu 184 angefahren und packten mich. Sie brachten mich in eine Stadt, wo noch viele solche Leute waren, und behandelten mich sehr gut, gaben mir süße Sachen zu essen, und ich wurde fett, und meine Haut wurde glänzend. Dann, eines Abends, wurde ich fortgeführt, und wir marschierten die ganze Nacht hindurch, bis wir zum Eingang einer großen Höhle kamen. In dieser Höhle saß ein schrecklicher alter Mann, und um ihn herum tanzten andere Männer in weißen Gewändern.

Der alte Mann sagte mir, daß ich am nächsten Morgen gekocht und gegessen werden würde. Für diesen Zweck hätten sie mich so schön fettgefüttert. Nun lag am Eingange der Höhle ein Kanu, denn hinter ihr war Wasser. Während alle schliefen, kroch ich in das Kanu und paddelte davon.

In jener Nacht wehte ein starker Wind. Er riß Äste von den Bäumen, die am anderen Ufer des Wassers wuchsen. Er drehte das Kanu um und um, und einer der Äste schlug mir ins Auge. Zuerst spürte ich kaum einen Schmerz, aber nachher verdorrte das Auge.

Ich paddelte, bis mich die Besinnung verließ, und immer noch blies der Wind. Als ich wieder erwachte, fand ich mich nahe an einem Ufer, und trotzdem große Krokodile zu sehen waren, watete ich durch den Schlamm. Ich fiel am Ufer nieder, und dort fanden mich Männer unseres Volkes; diese pflegten mich, bis ich wieder gesund geworden war. Das ist alles.«

»Und auch gerade genug«, sagte ich. »Nun 185 antworte mir. Wie weit war die Stadt von dem Orte in Mazituland entfernt, an dem du aufgegriffen wurdest?«

»Eine ganze Tagereise im Kanu, Macumazana. Ich wurde am frühen Morgen gefangen, und wir erreichten den Hafen erst am Abend. Es war ein Ort, wo viele Kanus angebunden waren, vielleicht fünfzig.«

»Und wie weit war die Stadt von diesem Hafen entfernt?«

»Ganz nahe, Macumazana.«

Jetzt warf Bruder John eine Frage dazwischen.

»Hast du etwas über das Land jenseits des Wassers der Höhle gehört?«

»Ja, Dogitah, ich hörte damals oder auch später – denn von Zeit zu Zeit erreichen uns Gerüchte über diese Pongo –, daß es eine Insel ist. Die Heilige Blume wächst dort, die du ja kennst, denn als du das letztemal hier warst, besaßest du eine ihrer Blüten. Ich habe auch gehört, daß diese Heilige Blume von einer Priesterin gepflegt wird, der ›Mutter der Blume‹, und daß diese Priesterin Dienerinnen hat, die alle Jungfrauen sind.«

»Wer war diese Priesterin?«

»Ich weiß es nicht. Aber ich habe gehört, daß sie eine von jenen Menschen war, deren Eltern schwarz sind, die aber als Weiße geboren werden. Und wenn Mädchen unter den Pongo weiß oder rotäugig oder taub und stumm sind, werden sie zu Dienerinnen der Priesterin gemacht. Aber diese Priesterin muß nun tot sein. Denn als ich sie als Junge sah, war sie schon alt, sehr, sehr alt, und die Pongo waren sehr 186 besorgt, denn es war keine Frau mit weißer Haut da, die zur Priesterin hätte ernannt werden können.

Sie ist auch tot, wie ich mich jetzt erinnere, denn vor vielen Jahren war einmal ein großes Fest in Pongoland, und sehr viele Sklaven wurden aufgegessen, weil die Priester eine schöne neue Priesterin gefunden hatten, die weiß war und gelbe Haare hatte und Fingernägel von der richtigen Form.«

Plötzlich fragte Bruder John mit scharfer Betonung:

»Und ist diese Priesterin auch tot?«

»Ich weiß es nicht, Dogitah. Aber ich glaube nicht. Wäre sie tot, würden wir sicherlich etwas über das Fest der ›Verspeisung der toten Mutter‹ gehört haben.«

»Verspeisung der toten Mutter!« rief ich aus.

»Ja, Macumazana, es besteht ein Gesetz unter den Pongo, daß aus einem geheimen Grunde der Körper der toten Mutter der Blume von denen, die zu dem heiligen Mahle berechtigt sind, aufgegessen wird.«

»Aber der weiße Teufel, stirbt der nicht, und wird der auch gegessen?« fragte ich.

»Nein, wie ich dir gesagt habe, der stirbt nie. Im Gegenteil, er ist es, der andere sterben läßt, wie du, wenn du nach Pongoland gehst, sicherlich herausfinden wirst«, setzte Babemba mit grimmigem Humor hinzu.

Damit war für diesmal die Unterredung zu Ende.

Aber gleich am nächsten Morgen, ganz früh schon, kam Babemba angehastet. »Weiße Herren,« sagte er, »eine wunderbare Sache hat sich zugetragen! 187 Gestern abend haben wir von den Pongo gesprochen, und jetzt – was glaubt ihr! – ist eine Gesandtschaft von Pongoland angekommen; gerade jetzt bei Sonnenaufgang!«

»Was wollen sie?« fragte ich.

»Sie schlagen einen Frieden zwischen ihrem Volke und den Mazitu vor, ja, sie bitten Bausi, Gesandte in ihre Stadt zu schicken, um einen ewigen Frieden zu schließen. Als ob einer so dumm wäre und hingehen würde!«

»Vielleicht sind einige so dumm«, antwortete ich, denn mir kam eine Idee. »Aber wir wollen einmal gehen und Bausi aufsuchen.«

Eine halbe Stunde später saßen wir im Hofe des Königs, das heißt, Stephan und ich saßen da, während Bruder John sich drinnen mit Bausi unterhielt. Bevor wir den König aufgesucht hatten, waren einige Pläne zwischen uns besprochen worden.

»Haben Sie schon daran gedacht, Bruder John, daß sich jetzt, wie von der Vorsehung geschickt, eine Gelegenheit bietet, nach Pongoland zu kommen? Von diesen Mazitu wird sicherlich keiner gehen. Denn sie fürchten, daß sie einen ewigen Frieden – in den Mägen der Pongo finden. Nun sind Sie aber der Blutsbruder von Bausi und können sich als außerordentlichen Gesandten und uns als Ihren Stab in Vorschlag bringen.«

»Ich habe schon daran gedacht, Allan«, antwortete er und strich seinen langen Bart.

Wir nahmen zwischen den Ministern Bausis Platz. Gleich darauf kam er selbst in Begleitung Bruder 188 Johns, begrüßte uns und befahl, die Pongogesandten hereinzuführen. Sie kamen an, große, breitschulterige Männer, mit regelmäßigen, ein wenig semitischen Gesichtern, in weißes Leinen gekleidet wie Araber und mit schweren Ketten aus Gold oder Kupfer um Arme und Nacken.

Sie waren imposante Gestalten und traten ganz anders auf als gewöhnliche zentralafrikanische Neger. Aber irgend etwas war an ihnen, was mich erregte und abstieß. Ihre Speere hatten sie draußen gelassen. Sie begrüßten den König, indem sie sich mit über der Brust gekreuzten Armen würdevoll vor ihm verneigten.

»Wer seid ihr,« fragte Bausi, »und was wollt ihr?«

»Ich bin Komba«, antwortete ihr Sprecher, ein noch ganz junger Mann mit blitzenden Augen. »Ich bin Komba, der von den Göttern Angenommene, der eines Tages, der vielleicht nicht fern ist, der Kalubi des Pongovolkes werden wird, und diese hier sind meine Diener. Ich bin mit Geschenken der Freundschaft hierhergekommen – sie liegen draußen –, und auf Wunsch des heiligen Motombo, des Hohepriesters der Götter –«

»Ich dachte, der Kalubi wäre der Priester der Götter«, unterbrach Bausi.

»Nicht so, der Kalubi ist der König der Pongo, wie du der König der Mazitu bist. Der Motombo, der selten Sichtbare, ist der König der Geister und der Mund der Götter.«

Bausi nickte in afrikanischer Weise, indem er das Kinn erhob, und Komba fuhr fort: 189

»Ich habe mich in deine Gewalt gegeben und vertraue auf deine Ehrenhaftigkeit. Du kannst mich töten, wenn du willst. Das würde natürlich nichts ändern, denn an meiner Stelle würde dann eben ein anderer Kalubi.«

»Bin ich ein Pongo, daß ich Botschaftern das Leben nehme und sie aufesse?« fragte Bausi mit einem Hohn, der den Pongogesandten ein bißchen an die Nieren zu gehen schien.

»König, du irrst, die Pongo essen nur jene, die der weiße Gott als Opfer bestimmt. Er ist ein religiöser Brauch. Warum sollten sie, die massenhaft Vieh haben, gierig darauf sein, Menschen zu verzehren?«

»Ich weiß es nicht,« grunzte Bausi, »aber hier ist einer, der dir eine Geschichte davon erzählen könnte«, sagte er mit einem Blick auf Babemba, der sich sehr unbehaglich zu fühlen schien.

Komba sah ihn mit seinen feurigen Augen aufmerksam an.

»Es ist nicht glaubhaft,« sagte er, »daß irgend jemand den Wunsch haben könnte, einen Menschen aufzuessen, der so alt und knochig ist. Aber lassen wir das. Ich danke dir, König, für das Versprechen der Sicherheit. Ich bin hierhergekommen, um dich zu bitten, du mögest Gesandte schicken, die mit dem Kalubi und dem Motombo reden, auf daß ein dauernder Friede zwischen unseren Völkern geschlossen wird.«

Bausi sah sich in der Runde um.

»Wenn unter unseren Ratgebern einige willens sind, euren Motombo und euren Kalubi aufzusuchen 190 und anzuhören, was sie zu sagen haben, und wenn sie die Gefahr, die ihnen in eurem Lande droht, auf die eigene Kappe nehmen, so will ich es ihnen nicht verbieten. Nun, meine Räte, sprecht, aber nicht alle zusammen, sondern einer nach dem anderen! Aber entschließt euch schnell, denn demjenigen, der zuerst spricht, soll die Ehre der Reise überlassen sein.«

Ich glaube, es hat noch niemals ein tieferes Schweigen gegeben als dieses, das dieser Einladung folgte. Jeder der Minister sah den anderen an, aber keiner öffnete den Mund auch nur zu einer einzigen Silbe.

»Was!« rief Bausi mit geheucheltem Erstaunen aus. »Keiner will sprechen? Nun, ihr seid Rechtskundige und Männer des Friedens. Aber was sagt der große General Babemba?«

»Ich sage, König, daß ich schon einmal in Pongoland war. Damals war ich jung, und damals wurde ich bei den Haaren meines Kopfes dahin gezogen, und ich habe ein Auge dort gelassen und ich wünsche nicht, dieses Land wiederzusehen und zu diesem Zwecke noch auf den Sohlen meiner Füße hinzugehen.«

»Es scheint, Komba, daß der Motombo und der Kalubi – unter sicherer Bedeckung – dennoch hierherkommen müssen, denn keiner meiner Leute hat Lust, in euer Land zu gehen.«

»Ich habe gesagt, daß das nicht sein kann, König.«

»Dann ist also alles erledigt, Komba. Ruht euch aus, eßt von unseren Speisen und kehrt dann in euer Land zurück.«

Da stand Bruder John auf und sagte: 191

»Wir sind Blutsbrüder, Bausi, und deshalb kann ich für dich sprechen. Wenn du und deine Räte einverstanden sind, und wenn diese Pongo einwilligen, wollen ich und meine Freunde hingehen und den Motombo und den Kalubi besuchen und mit ihnen über den Frieden sprechen: denn wir fürchten uns nicht und lieben es, neue Länder und neue Stämme der Menschheit zu sehen. Sage, Komba, wenn es der König erlaubt, wollt ihr uns als Gesandte anerkennen?«

»Es ist Sache des Königs, seine Gesandten zu ernennen,« antwortete Komba, »aber der Kalubi hat von eurer Anwesenheit, weiße Herren, im Mazituland gehört, und er hat mir geboten, euch zu sagen, daß ihr ihm willkommen seid, wenn ihr mit den Gesandten kommt. Nur hat das Orakel, als die Sache vor den Motombo gebracht wurde, durch seinen Mund folgendes gesagt:

›Laß die weißen Männer kommen, wenn sie kommen wollen, oder laß sie wegbleiben. Aber wenn sie kommen, sollen sie keine jener eisernen Röhren mitbringen, große oder kleine, die Rauch ausspucken und einen Knall machen und den Tod aus der Ferne senden. Sie werden sie nicht brauchen, um Fleisch zu jagen, denn Fleisch soll ihnen genügend gegeben werden; außerdem werden sie unter den Pongo sicher sein, es sei denn, sie beleidigen die Götter.‹«

Diese Worte sprach Komba sehr langsam und mit besonderer Betonung; dabei hatte er seine funkelnden Augen auf mein Gesicht gerichtet, als wollte er meine Gedanken lesen. Als ich seine Worte hörte, 192 sank mir der Mut in die Stiefeln. Ich nahm an, daß der Kalubi uns nach Pongoland einlud, um diesen großen weißen Teufel zu töten, der ihm nach dem Leben trachtete und den ich für einen ungeheuren Affen hielt. Aber wie konnten wir diesem oder einem anderen wilden Tiere ohne Feuerwaffen gegenübertreten? In einer Minute war mein Entschluß gefaßt.

»Oh, Komba,« sagte ich, »mein Gewehr ist mein Vater, meine Mutter, mein Weib und alle meine anderen Verwandten. Ich rühre mich ohne mein Gewehr nicht vom Fleck.«

»Dann, weißer Herr,« antwortete Komba, »wirst du gut tun, hier an diesem Orte inmitten deiner Familie zu bleiben. Denn wenn du versuchen würdest, sie mit nach Pongoland zu bringen, würdest du getötet werden, sobald du den Fuß auf das Ufer setzt.«

Ehe ich eine Antwort finden konnte, fiel Bruder John ein:

»Es ist natürlich, daß der große Jäger Macumazana sich nicht von dem trennen will, was ihm so viel wert ist wie dem Lahmen der Stock. Aber mit mir ist das anders. Ich habe jahrelang kein Gewehr benutzt, da ich nichts töte, was Gott erschaffen hat, ein paar Insekten mit glänzenden Flügeln ausgenommen. Ich bin bereit, euer Land zu besuchen mit nichts in meiner Hand außer diesem«, und er zeigte auf das Schmetterlingsnetz, das hinter ihm am Zaune lehnte.

»Gut, du bist willkommen«, sagte Komba, und mir kam es vor, als ob seine Augen in unheimlicher Freude aufglühten. In der darauffolgenden Pause 193 setzte ich Stephan alles auseinander. Und zu meinem Schrecken kam wieder die maultierhafte Querköpfigkeit des jungen Mannes zum Vorschein.

»Hören Sie mal, Quatermain,« sagte er, »wir können den alten Jungen doch nicht allein gehen lassen. Oder wenigstens, ich kann es nicht. Mit Ihnen ist das etwas anderes. Sie haben ja einen Sohn, der von Ihnen abhängt. Aber selbst die Tatsache beiseite gesetzt, daß ich die –«, er wollte offenbar fortfahren: ›die Orchidee‹, als ich ihm zuwinkte. Es war natürlich lächerlich. Aber eine seltsame Furcht packte mich plötzlich, daß dieser Komba auf irgendeine geheimnisvolle Weise den Sinn seiner Worte verstehen könnte.

»Was ist los? Ach so! Aber der Kerl versteht doch kein Englisch! Nun gut. Von allem weiteren abgesehen, war das Pongoland nicht unser Ziel? Wenn Herr Bruder John geht, gehe ich auch, und wenn er nicht geht, gehe ich allein. Darauf können Sie sich verlassen.«

»Du unaussprechliches Nilpferd«, brummte ich vor mich hin.

»Was, sagt der junge weiße Herr, will er in unserem Lande suchen?« fragte Komba ruhig, aber mit teuflischer Promptheit, als habe er Stephans Gedanken in seinem Gesicht gelesen.

»Er sagt, daß er ein harmloser Reisender ist, der euer Land besuchen und nachschauen will, ob es bei euch Gold gibt«, antwortete ich.

»Wirklich? Nun, er soll das Land besuchen. Und wir haben Gold«, dabei berührte er die Armbänder 194 an seinem Handgelenk. »Und er soll soviel davon bekommen, als er nur forttragen kann. Aber, weiße Herren, vielleicht wünscht ihr diese Angelegenheit allein zu besprechen. Haben wir deine Erlaubnis, uns für eine Weile zurückzuziehen, König?«

Fünf Minuten später gab es in Bausis Königssaal eine heftige Debatte. Bausi beschwor Bruder John, nicht zu gehen, und dasselbe tat ich. Babemba sagte, es sei Wahnsinn, da er Zauberei und Mord in der Luft röche, er, der die Pongo kenne.

Bruder John antwortete mild, daß er sicherlich und unbedingt von dieser ihm vom Himmel gesandten Gelegenheit Gebrauch machen würde, eins der wenigen Länder dieses Teiles von Afrika, durch das er noch nicht gekommen wäre, zu besuchen. Stephan gähnte und wedelte sich mit dem Taschentuch Luft zu, denn es war sehr heiß in der Hütte. Er war faul, und er sagte nur, daß er, nachdem er einer seltsamen Blume nun schon so weit nachgerannt wäre, nicht mit leeren Händen zurückkehren wolle.

»Ich vermute, Dogitah,« sagte Bausi zuletzt, »daß du zu dieser Reise einen Grund hast, den du vor mir verbirgst. Und ich habe gute Lust, dich mit Gewalt hier zurückzuhalten.«

»Wenn du das tust würde es unsere Brüderschaft zerbrechen«, antwortete Bruder John. »Versuche nicht zu erfahren, was ich verbergen will, Bausi, aber warte, bis die Zukunft alles aufklären wird.«

Bausi stöhnte, aber er gab nach. Babemba sagte nur noch, daß Dogitah und Wazela behext wären, 195 ich, Macumazana, allein hätte meine fünf gesunden Sinne behalten.

»Also ist es abgemacht,« rief Stephan aus, »John und ich gehen als Gesandte zu den Pongo, und Sie, Quatermain, bleiben hier und sehen nach den Jägern und den Vorräten.«

»Junger Mann,« entgegnete ich, »wollen Sie mich beleidigen? Noch dazu, nachdem Ihr Vater Sie in meine Obhut gegeben hat! Wenn Sie beide gehen, komme ich selbstverständlich mit, nackend, wenn es sein muß. Aber lassen Sie mich Ihnen bitte ein für allemal und mit den nachdrücklichsten Worten, die ich finden kann, sagen, daß ich Sie beide für ein Gespann von hoffnungslos blödsinnigen Narren halte, und daß, wenn die Pongo Sie nicht auffressen, es wahrlich mehr ist, als Sie verdienen. Sich vorzustellen, daß ich in meinem Alter unter eine Horde von Menschenfressern geschleppt werde, ohne auch nur einen Revolver in den Händen zu haben, und daß ich eine unbekannte Bestie mit den bloßen Händen umbringen soll! Nun, wir können schließlich nur einmal sterben – das heißt, soviel wir gegenwärtig davon wissen.«

»Welche Wahrheiten sprechen Sie da aus!« bemerkte Stephan; »welche einzigartigen und tiefgründigen Wahrheiten!«

Ich hätte ihn am liebsten eine halbe Stunde lang geohrfeigt.

Aber zunächst gingen wir auf den Hof hinaus, wo Komba und seine Gefährten uns erwarteten. Bausi teilte ihnen mit, daß wir drei Weißen, ohne 196 Feuerwaffen mitzunehmen, aber jeder mit einem Diener (darauf hatte ich bestanden), als seine Gesandten nach Pongoland gehen wollten, um dort die Bedingungen eines Friedens zwischen den zwei Völkern und besonders die Fragen von Handel und Heiraten zwischen Angehörigen der beiden Stämme zu besprechen. Auf dem letzten Punkte bestand Komba besonders. Er garantierte uns im Namen des Motombo und des Kalubi, also der geistigen und zeitlichen Herrscher seines Landes, sicheres Geleit unter der Bedingung, daß wir uns keine Beleidigung und keine Gewalttat gegen die Götter zuschulden kommen ließen, ein Punkt, von dem er nicht abging, trotzdem er mir wenig gefiel. Er schwur außerdem, daß wir heil und gesund binnen sechs Tagen wieder ins Mazituland zurückgebracht werden sollten.

Bausi sagte, er wolle uns fünfhundert bewaffnete Leute mitgeben, die uns bis zu der Stelle zu geleiten hätten, an der wir in die Boote gingen. Sie sollten dann dort auf unsere Rückkehr warten; und er fügte hinzu, er würde Mittel und Wege finden, ganz Pongoland in einen Friedhof und in eine rauchende Wüste zu verwandeln, wenn uns drüben irgendein Leid geschähe.

Nachdem noch unser Abmarsch für den Morgen des nächsten Tages festgesetzt worden war, gingen wir auseinander. 197

 


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