Rider Haggard
Die heilige Blume
Rider Haggard

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11. Kapitel

Dogitahs Ankunft

Ein Gewitter zog herauf. Die Sonne ging gerade wie ein großes rotes Auge unter.

Es wurde dämmerig. Der König schaute umher, warf einen Blick nach dem Himmel, flüsterte Babemba etwas zu. Der nickte und kam auf unsere Pfosten zugeschlendert.

»Weißer Herr,« sagte er, »der Elefant wünscht zu wissen, ob du bereit bist, denn in Kürze wird das Licht sehr schlecht zum Schießen sein!«

»Nein,« antwortete ich entschieden, »nicht vor einer halben Stunde nach Sonnenuntergang, wie es abgemacht war.«

Babemba ging zum König hin und kam dann zu mir zurück.

»Weißer Herr, der König sagt, abgemacht ist abgemacht. Er will sein Wort halten. Nur sollst du ihn dann nicht tadeln, wenn die Schützen schlecht schießen, denn er konnte ja nicht wissen, daß die Nacht so plötzlich hereinbrechen würde.«

Es wurde dunkler und dunkler, zuletzt war es wie im Londoner Nebel. Ein- oder zweimal zuckten entfernte Blitze auf, denen nach einer Weile leises 163 Donnergrollen folgte. Die Luft wurde drückend. Tiefes Schweigen lag über allem.

Dann hörte ich, wie Pfeile aus den Köchern genommen wurden, und gleich darauf ließ sich die quietschige Stimme Imbozwis vernehmen:

»Wartet ein wenig, die Wolken werden gleich vorüberziehen. Hinter ihnen kommt noch Licht, und es ist schöner, wenn sie die Pfeile ankommen sehen.«

Die Wolke zog noch höher hinauf; das grüne Licht verwandelte sich in ein feuriges Rot, das von der Sonne auf die schwarzen Massen der Wolken und von diesen wieder auf die Erde zurückgeworfen wurde.

Es war, als ob die ganze Landschaft ringsum in Flammen stünde, während der größte Teil des Himmels schwarz blieb. Ein Blitz flammte auf und zeigte die Gesichter und die lauernden Augen Tausender von Zuschauern.

Imbozwi stieß ein Zischen aus wie eine Schlange. Ich hörte eine Bogensehne schwirren und fast im gleichen Moment den leisen Schlag eines Pfeiles, der meinen Pfahl dicht über meinem Kopfe getroffen hatte. Ich schloß die Augen und bekam allerlei merkwürdige Dinge zu sehen, die ich schon seit Jahren vergessen gehabt hatte. Mein Gehirn schien in absonderlicher Verwirrung zu zerschmelzen. Das letzte, was ich sah, war in diesem schrecklichen roten Licht ein geisterhafter, unheimlicher Anblick. Eine große Gestalt auf einem weißen Ochsen fegte mit erheblicher Geschwindigkeit vom Südtor her über die offene Straße auf den Marktplatz zu. 164

Jetzt war ich ganz sicher, daß ich träumte. Denn diese Gestalt ähnelte vollkommen derjenigen Bruder Johns. Da war sein langer, schneeweißer Bart, da war sein Schmetterlingsnetz, mit dessen Griff er unaufhörlich auf den Ochsen eindrosch. Nur daß er über und über mit Girlanden von Blumen umwunden war, er wie auch die großen Hörner des Ochsen. Und an jeder Seite und vor und hinter ihm rannten Mädchen, ebenfalls mit Blumen bekränzt. Es war eben eine Vision, nichts sonst, und ich schloß die Augen und wartete auf den Pfeil.

»Schießt!« kreischte Imbozwi.

»Nein, schießt nicht!« rief Babemba. »Dogitah kommt!«

Ein Augenblick Stille. Ich hörte die Pfeile auf den Boden niederfallen – – – dann aber brach aus all den tausenden Kehlen ein Schrei:

»Dogitah! Dogitah kommt, um seine weißen Brüder zu retten!«

Ich muß gestehen, daß jetzt meine Nerven, die sonst recht gut sind, nachgaben. Ich war wohl mehrere Minuten bewußtlos.

Als ich aufwachte, stand in greifbarer Nähe von mir der alte Bruder John. Blumengirlanden hingen von ihm herab – ich bemerkte ärgerlich, daß es Orchideen waren –, eine von ihnen baumelte von seinem verblichenen Tropenhelm herunter und flatterte immerfort in sein linkes Auge. Er war wütend und kanzelte Bausi herunter, der buchstäblich vor ihm auf dem Bauche kroch, und ich war ebenso wütend und kanzelte Bausi ebenfalls herunter. Und 165 Bruder John schrie mit gesträubtem, weißem Bart und schlug dabei ohne Unterlaß mit dem Stock seines Schmetterlingsnetzes dem König Bausi über den fetten Rücken:

»Du Hund, du wildes Tier, das ich vom Tode gerettet und Bruder genannt habe! Was wolltest du mit diesen weißen Männern machen, die in Wahrheit meine Brüder sind, und mit ihren Leuten? Wolltest du sie töten? Oh! Wenn das so ist, will ich meinen Eid vergessen, will ich das Band vergessen, das uns verbindet und – –«

»Nicht, bitte, nicht,« winselte Bausi, »das Ganze ist ein schrecklicher Irrtum; aber ich habe nicht daran Schuld. Schuld hat mein Zauberdoktor Imbozwi, denn ihm muß ich nach den alten Gesetzen unseres Landes in solchen Dingen gehorchen. Er hat mit seinem Geist gesprochen und erklärt, du wärest tot; er hat auch gesagt, diese weißen Herren wären die bösesten aller Menschen, Sklavenhändler mit fleckigem Herzen, die nur dazu hierhergekommen seien, um die Mazitu auszukundschaften und sie mit ihrem Zauber und ihren Gewehren zu verderben.«

»Dann hat er gelogen,« schrie Bruder John mit Donnerstimme, »und er wußte, daß er log.«

»Ja, ja, es ist bewiesen, daß er gelogen hat«, antwortete Bausi. »Bringt ihn mir her, ihn und alle jene, die ihm dienen.«

Jetzt begann bei dem Lichte des Mondes, der vom klaren Himmel herabschien, denn die Gewitterwolken hatten sich verzogen, ein wildes Suchen nach Imbozwi. Die Soldaten erwischten zunächst acht oder 166 zehn seiner Genossen, alles bösartig aussehende Burschen, bemalt und aufgeputzt wie ihr Meister. Aber Imbozwi selbst konnten sie nicht finden.

Ich dachte schon, er wäre in der allgemeinen Verwirrung auf und davon gegangen, als er mit einemmal durch die starken Arme Babembas und seiner Soldaten aus einer Grube herausgefischt und vor das Angesicht Bausis geschleppt wurde.

»Bindet die weißen Herren und ihre Gefährten los, und laßt sie hierherkommen!« rief er.

Es geschah, und wir gingen zum König und zu Bruder John hin. Der elende Imbozwi und seine Helfershelfer hockten zusammengekrümmt auf dem Boden.

»Wer ist das?« sagte Bausi zu ihnen und zeigte auf Bruder John. »Ist es nicht der, den du für tot erklärt hast?« Imbozwi schien der Meinung zu sein, daß diese Frage keine Antwort benötigte.

»Du bist durch deinen eigenen Mund verdammt, Lügner, und das, was du selbst ausgesprochen hast, soll dir geschehen.« Und fast mit den Worten des Elias, der über die Priester des Baal gesiegt hatte, setzte er hinzu: »Führt diese falschen Propheten hinweg! Laßt keinen von ihnen entrinnen! Seid ihr damit einverstanden, Leute?«

»Ja,« stieg ein Schrei aus der Menge auf, »führt sie hinweg!«

»Schien keine volkstümliche Persönlichkeit zu sein, dieser Imbozwi«, sagte Stephan nachdenklich. »Nun, jetzt wird er auf seinem eigenen Rost gebraten, und das geschieht dem Vieh ganz recht.«

»Wer ist nun der falsche Doktor?« höhnte 167 Mavovo in die Stille, die jetzt folgte. »Wer wird jetzt ein Abendbrot von Pfeilspitzen halten, Maler weißer Flecken?« Und er zeigte auf den Kreidepunkt, den Imbozwi über sein Herz gemalt hatte.

Als der kleine, bucklige Schurke jetzt einsah, daß alles verloren war, packte er meine Beine und begann um Gnade zu flehen. So mitleiderregend war sein Flehen, daß mein Herz, das schon durch das Ereignis unserer wunderbaren Rettung weich gestimmt war, zu schmelzen begann. Ich drehte mich um, um den König zu bitten, sein Leben zu schonen. Aber Imbozwi legte meine Bewegung falsch aus. Denn unter Wilden bedeutet das Zukehren des Rückens Verweigern einer Bitte. Da schäumte in seinem bösartigen Herzen der Haß auf, er sprang auf die Füße, riß ein großes, gebogenes Messer unter seinem Aufputz hervor und stürzte mit dem Schrei: »So sollst du wenigstens mitkommen, weißer Hund!« wie eine wilde Katze auf mich los.

Zum Glück war Mavovo auf der Hut. Das ist ein gutes Zulusprichwort, das da sagt: »Ein Zauberer ist des andern Verderben.« Mit einem Sprunge war er über ihm, gerade als das Messer mich berührte – es durchschnitt meine Kleider, ritzte aber nicht die Haut, ein glücklicher Umstand, denn es war wahrscheinlich vergiftet –, er packte Imbozwi mit eisernem Griff und schleuderte ihn auf den Boden, als ob er ein kleines Kind wäre. Damit war natürlich alles vorüber.

»Kommt mit,« sagte ich zu Stephan und Bruder John, »hier ist kein Platz für uns.« 168

Wir erreichten unsere Quartiere ohne jede weitere Belästigung. Vom Marktplatz drang jetzt ein so fürchterlicher Lärm herüber, daß wir in unsere Hütte schlüpften und die Tür hinter uns zuschlossen. Dann sagte Bruder John:

»Freund Allan Quatermain und Sie, junger Herr, dessen Namen ich nicht kenne, ich will Ihnen etwas sagen, was ich meines Wissens noch nicht erwähnt habe. Ich bin nämlich nicht nur Arzt, sondern auch Priester der Amerikanischen Kirche. Und als Geistlicher bitte ich Sie um die Erlaubnis, für Ihre wunderbare Rettung vor einem grausigen Tode ein Dankgebet sprechen zu dürfen.«

Bruder John mag damals im Kopfe vielleicht nicht ganz richtig gewesen sein, auf jeden Fall war er ein höchstbefähigter und guter Mensch und ein ausgezeichneter Prediger dazu.

Späterhin, als die gellenden Jammerschreie und das Geheul auf dem Marktplatz verstummt waren, gingen wir hinaus und setzten uns unter das überragende Dach der Hütte. Zunächst machte ich Bruder John mit Stephan Somers bekannt.

»Und nun«, fuhr ich fort, »sagen Sie mir um's Himmelswillen, wo kommen Sie denn her, mit Blumen bedeckt wie ein römischer Priester beim Opfermahl und auf einem Bullen reitend wie die Dame Europa? Und was soll das heißen, daß Sie uns drunten in Durban solch einen Streich spielten, indem Sie davonliefen, ohne uns ein Wort zu hinterlassen? Und dabei hatten Sie uns doch versprochen, uns in diese verdammte Gegend zu führen?« 169

Bruder John strich seinen langen Bart und sah mich vorwurfsvoll an.

»Ich rate,« sagte er in seiner amerikanischen Ausdrucksweise, »daß da irgendwo ein Irrtum stecken muß. Vorerst möchte ich bemerken, daß ich Sie nicht ohne ein Wort verlassen habe. Ich habe ihrem alten Gärtner, dem lahmen Griqua, einen Brief gegeben, den er Ihnen bei Ihrer Ankunft wohl ausgehändigt hat.«

»Dann hat der Idiot ihn entweder verloren oder mich angelogen, wie es die Art der Griqua ist, oder er hat die ganze Geschichte vergessen.«

»Es scheint so. Ich hätte daran denken sollen, Allan. In jenem Briefe teilte ich Ihnen mit, daß ich Sie hier erwarten wollte, und daß ich wahrscheinlich schon sechs Wochen früher als Sie hier ankommen würde. Ich habe auch an Bausi Botschaft gesandt, daß Sie kämen. Aber die Nachricht scheint ihn nicht erreicht zu haben.«

»Aber warum haben Sie denn nicht einfach auf uns gewartet?«

»Allan, da Sie mich so geradeheraus fragen, will ich es Ihnen sagen. Ich wußte, daß Sie Ihren Weg über Kilwa nehmen wollten, und ich gerade wünschte Kilwa nicht wiederzusehen.« Er schwieg eine Weile, dann fuhr er fort: »Vor langer Zeit, vor genau dreiundzwanzig Jahren, bin ich mit meiner jungen Frau als Missionar nach Kilwa gegangen. Ich habe dort eine Missionsstation und eine Kirche gebaut, und wir haben uns glücklich gefühlt und mit unserer Arbeit 170 schöne Erfolge erzielt. Eines bösen Tages aber kam eine Bande Suaheli und Araber in Dhaus die Küste heruntergefahren, um eine Sklavenstation zu errichten. Ich setzte mich zur Wehr, und das Ende war, daß sie die meisten meiner Leute töteten und die andern in Sklaverei verschleppten. Bei jenem Angriff erhielt ich einen Schwerthieb auf den Kopf – sehen Sie, hier ist noch die Narbe«, dabei schob er sein weißes Haar auf die Seite und zeigte uns einen langen roten Strich, der im Mondschein deutlich zu sehen war.

»Ich brach unter dem Schlage bewußtlos zusammen. Es war gerade Sonnenuntergang. Als ich wieder zu mir kam, war es heller Tag. Alle waren fort, außer einer alten Negerin, die mich pflegte. Sie war halb irrsinnig vor Schmerz, denn ihr Mann und zwei Söhne waren erschlagen und ein anderer Sohn und ihre Tochter weggeschleppt worden. Ich fragte sie, wo meine junge Frau wäre. Auch sie sei fortgebracht worden, antwortete sie. Vor etwa acht bis zehn Stunden. Die Araber hätten drüben auf der See die Lichter eines Schiffes gesehen, das sie für ein englisches Kriegsschiff hielten, das an der Küste kreuzte. Daraufhin waren sie in größter Eile landeinwärts geflohen; mich hatten sie für tot gehalten, und alle Verwundeten hatten sie umgebracht. Die alte Frau hatte sich zwischen den Korallen des Strandes versteckt. Als die Araber weg waren, war sie zurückgeschlichen und hatte mich gefunden.

Ich fragte sie, wohin mein Weib gebracht worden war. Sie sagte, sie hätte von andern gehört, daß die 171 Araber sie nach einem Orte bringen wollten, der ungefähr hundert Meilen landeinwärts lag. Dort hatten sie sich mit ihrem Anführer, einem Schuft von Halbaraber namens Hassan-Ben-Mohamed, verabredet. Dem wollten sie meine Frau zum Geschenk machen. Diesen elenden Burschen kannte ich schon. Er war früher einmal an den Blattern erkrankt, und meine Frau hatte ihn gepflegt. Diesmal war er bei dem Angriff nicht beteiligt gewesen, sondern er hatte sich, wahrscheinlich in Sklavenhändlergeschäften, im Innern aufgehalten.

Als ich diese schrecklichen Nachrichten erfuhr, fiel ich, vielleicht auch infolge des Blutverlustes, von neuem in Bewußtlosigkeit, aus der ich erst zwei Tage später an Bord eines holländischen Handelsschiffes erwachte, das nach Sansibar segelte. Fast sterbend wurde ich in Sansibar einem Geistlichen unserer Mission übergeben, in dessen Haus ich dann lange schwerkrank darniederlag.

Es vergingen sechs Monate, bis ich wieder meinen klaren Verstand erlangte. Endlich, nachdem ein geschickter englischer Marinearzt einen Knochensplitter herausgeholt hatte, heilte die Wunde in meinem Schädel, und ich gewann meine körperliche Rüstigkeit zurück. Ich war und bin amerikanischer Bürger, und in jenen Tagen hatten wir keinen Konsul in Sansibar und natürlich auch kein Kriegsschiff. Aber die Engländer stellten für mich Nachforschungen an. Sie konnten jedoch nur wenig oder nichts herausbekommen, denn das ganze Land um Kilwa herum war im Besitze der arabischen Sklavenhändler.« 172

Er machte wieder eine Pause, wie überwältigt von der Bitterkeit dieser Erinnerung.

»Haben Sie von Ihrer Frau niemals wieder etwas gehört?« fragte Stephan.

»Doch, Herr Somers; in Sansibar hörte ich von einem Sklaven, den unsere Mission gekauft und freigelassen hatte, daß er eine weiße Frau, auf die meine Beschreibung paßte, lebendig und augenscheinlich gesund gesehen hatte, und zwar an einem Orte, den ich bis heute nicht ausfindig machen konnte. Das einzige, was er mir zu sagen vermochte, war, daß er fünfzehn Tagemärsche weit von der Küste entfernt lag. Er sah sie in der Obhut einiger Schwarzen – zu welchem Stamme sie gehörten, wußte er nicht –, die sie mit der größten Ehrerbietung behandelten, obgleich sie nicht verstanden, was sie sagte.

Wenige Tage nachdem der Mann mir das alles erzählt hatte, wurde er von einer Lungenentzündung gepackt, die ihn, da er von der Sklavenarbeit arg mitgenommen war, schon nach einigen Tagen dahinraffte. Sie werden nun verstehen, warum ich nicht gerade erpicht darauf war, Kilwa wiederzusehen.«

»Ja,« sagte ich, »wir verstehen Sie, und wir verstehen jetzt auch noch manches andere, von dem wir späterhin sprechen wollen. Aber, um von etwas Neuem zu reden, woher kommen Sie jetzt, und wie kamen Sie gerade bis auf die Minute zurecht?«

»Ich befand mich gerade auf dem Wege hierher,« antwortete er, »als ich eine Verwundung am rechten Bein erhielt (hier sahen Stephan und ich einander 173 bedeutungsvoll an), die mich zwang, sechs Wochen in einer Kaffernhütte stillzuliegen. Als es besser war, ritt ich dann auf Ochsen, die ich dazu dressiert hatte, weiter. Eine unbestimmte, unerklärliche Furcht veranlaßte mich, vorwärts zu eilen, so schnell ich nur konnte. Innerhalb der letzten vierundzwanzig Stunden habe ich nicht ein einziges Mal Rast gemacht um zu essen oder zu schlafen. Als ich heute früh Mazituland erreichte, fand ich die Krale bis auf einige wenige Frauen und Mädchen leer. Sie erzählten mir, daß alle Männer zu einem großen Fest nach Bezarstadt gegangen wären, aber welcher Art dieses Fest war, wußten sie nicht, oder sie wollten es mir nicht sagen. So trabte ich denn weiter und kam noch gerade zur rechten Zeit. Es ist eine lange Geschichte, deren Einzelheiten ich Ihnen später einmal erzählen werde. Jetzt sind wir wohl alle zu müde. Was ist denn das für ein Lärm?«

Ich erkannte den Siegesgesang der Zulujäger. Im nächsten Augenblick waren sie da.

Die Jäger trugen etwas zwischen sich, was ich als Hansens Körper erkannte. Ich erschrak. Ich hielt ihn zuerst für tot, aber eine Untersuchung ergab, daß er sich nur in einem Zustande der Betäubung befand, wie sie etwa eine Laudanumvergiftung hervorruft. Bruder John ließ ihn in eine Decke hüllen und in die Nähe des Feuers legen.

Gleich darauf erschien Mavovo und setzte sich vor uns hin.

»Macumazana, mein Vater,« sagte er ruhig, »welche Worte hast du für mich?« 174

»Worte des Dankes, Mavovo. Wenn du nicht so schnell gewesen wärest, hätte mich dieser Imbozwi getötet.«

Mavovo bewegte die Hand, als ob diese kleine Angelegenheit nicht der Rede wert sei, dann sah er mir fest in die Augen und fragte weiter:

»Und welche anderen Worte, Macumazana? Über meine Schlange, meine ich.«

»Nur, daß du recht hattest und ich unrecht«, antwortete ich, und ich errötete vor Scham. »Alles ist geschehen, wie du es vorausgesagt hast, aber wodurch und warum, verstehe ich nicht.«

»Nein, mein Vater, weil ihr weißen Leute so eitel seid (»aufgeblasen« war sein Wort) und denkt, daß ihr allein alle Weisheit besitzt. Nun hast du etwas zugelernt, und ich bin zufrieden. Die falschen Doktoren sind alle tot, mein Vater, und ich glaube, daß Imbozwi –«

Ich winkte mit der Hand ab, da ich nicht wünschte, Einzelheiten zu hören. Mavovo erhob sich und ging mit zufriedenem Lächeln seinen Geschäften nach.

»Was meint er mit der Schlange?« fragte Bruder John neugierig. Ich erzählte ihm in Kürze, was vorgegangen war und fragte ihn, ob er eine Erklärung für diese Vorgänge hätte. Er schüttelte den Kopf.

»Das merkwürdigste Beispiel visionären Schauens bei Eingeborenen, das ich jemals erlebt habe«, antwortete er. »Erklärung! Es gibt da keine Erklärung außer der alten Weisheit, daß es mehr Dinge zwischen Himmel und Erde gibt, und so weiter – und 175 daß Gott den einzelnen Menschen verschiedene Gaben verleiht.«

Dann aßen wir unser Abendbrot; ich glaube, es war dies das herrlichste Mahl, an dem ich jemals teilnahm. Wundervoll, wie gut es schmeckt, wenn man nicht mehr erwartet hat, noch einmal etwas zwischen die Zähne zu bekommen. Dann gingen die andern zu Bett. Ich aber leistete dem noch immer bewußtlosen Hans Gesellschaft; ich setzte mich eine Weile ans Feuer und rauchte eine Pfeife. Ich fühlte, daß ich jetzt doch nicht schlafen konnte. Auf einmal wachte Hans auf. Er richtete sich auf, starrte mich über das hell lodernde Feuer hinweg eine Zeitlang stumm an, dann sagte er mit hohler Stimme:

»Baas, dort bist du, hier bin ich, und da ist das Feuer, das niemals ausgeht, ein sehr gutes Feuer, das ist alles richtig. Aber sage, Baas, warum sind wir nicht mitten drin, wie dein Vater, der Prediger, gesagt hat? Warum sitzen wir hier draußen in der Kälte?«

»Weil wir noch immer in der Welt sind, du alter Narr, und noch nicht dort, wo du zu sein verdientest«, antwortete ich.

»Oh, Baas!« rief Hans aus, »sage nicht, daß die Dinge so stehen, sage nicht, daß wir wirklich noch in dem sind, was dein ehrwürdiger Vater ›den Becher der Tränen‹ zu nennen pflegte. Sage nicht, daß Dogitah kam, während meine Augen geschlossen waren, um ihn zu empfangen, und das Schlimmste, daß Imbozwi und seine Helfer an jene Pfähle gebunden wurden, während ich nicht imstande war, ihnen aus 176 diesem Becher der Tränen hinüberzuhelfen in das Feuer, das ewig brennt. Oh, es ist zuviel, und ich schwöre dir, Baas, wievielmal ich auch noch zu sterben haben werde, von nun an soll es immer mit offenen Augen geschehen«, und seinen schmerzenden Kopf mit beiden Händen festhaltend, pendelte er in bitterem Grame mit dem Oberkörper hin und her.

Hans hatte auch Ursache, traurig zu sein. Denn die Jäger gaben ihm einen neuen meterlangen Namen, der bedeutete »die kleine gelbe Maus, die im Schlafe liegt, während die schwarzen Ratten ihre Feinde auffressen«. 177

 


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