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Siebenundzwanzigstes Kapitel.

Zwei Wagen fuhren vor der Polizeistation vor, in welcher sich Ernst v. Teck seit gestern befand. In dem einen waren Frau Römer und Direktor Eichler gekommen, in dem anderen saßen Klementine, Eugen und dessen Oheim.

Der Polizeikommissär hatte sowohl der Schwester als auch der Braut des Verhafteten durch besondere Boten bekannt geben lassen, daß das Ehepaar Klein ein Geständnis abgelegt habe, und daß Teck dadurch vollständig entlastet sei. Er werde um fünf Uhr freigegeben.

Klementine war wie in einem Traum. Sie konnte es noch nicht klar fassen, daß ihr Geschick sich plötzlich so ganz zum Guten gewendet hatte, daß sie nun wieder zurücktreten durfte in das stille Familienleben, das ihr eigentlichster Lebensboden war, daß sie nimmer den Lärm und Trubel des Warenhauses um sich haben, daß sie all den kleinen und großen Gehässigkeiten, die sie da so gequält hatten, entrückt sein sollte. Geschützt und behütet würde sie fortan sein. Eugen, dieser gute, treue Mensch, würde ihr Gatte sein, und er brauchte deshalb die Liebe seines einzigen Verwandten nicht zu verlieren. Sie würden künftig bei Konrad Braun, oder nein: er würde bei ihnen wohnen, denn Eugen sollte die Leitung seiner Fabrik übernehmen.

Im Hausflur trafen die fünf Personen zusammen, und Klementine sagte tiefbewegt zu Anna Römer: »Sie sind also seine Braut?«

Die junge Frau blieb stehen. Einen Moment lang schaute sie verwundert auf die Fremde. Dann begriff sie. Stolz leuchteten ihre Augen auf. »Ja, ich bin seine Braut!« erwiderte sie, und dann fuhr sie fort: »Sie aber sind seine Schwester!«

Die beiden Damen küßten sich innig und gingen dann Hand in Hand weiter.

Lächelnd folgten ihnen die drei Herren.

Eine halbe Stunde später fuhren die zwei Wagen wieder fort. Ihre Insassen hatten sich um eine Person vermehrt.

Sie fuhren nach Frau Römers Wohnung, welche an diesem Abend sehr glückliche Menschen umschloß. Konrad Braun war nicht der wenigst Frohe unter ihnen.

Nachdem man gespeist hatte, bemächtigte er sich Ernsts und sagte gemütlich zu ihm: »Also, lieber Baron, überlegen Sie sich die Sache noch einmal recht gründlich, ehe Sie mein Anerbieten zurückweisen. Es paßt ja ganz zu Ihrem Charakter, daß Sie nicht nur der Mann Ihrer Frau sein wollen. Wenn Sie nun wieder auf Wellhof säßen, wäre dies nicht der Fall, und ich verschaffe Ihnen Wellhof. Ihre Tante hat keine Freude an dem Gute. Ich weiß, daß sie fast nie draußen war, und so werde ich es leicht kaufen können. Über alles andere werden wir schon einig werden. Also nicht zu stolz sein, lieber Baron. Es ist um jeden Tag schade, um den man sein Glück hinausschiebt.«

»Sehr richtig, verehrter Herr, aber –«

»Was gibt's denn da für ein Aber? Sie sind es der lieben Frau einfach schuldig, sie so bald als möglich glücklich zu machen!«

*

Frau v. Lassot und Doktor Schimmel saßen bei Tisch einander gegenüber.

Es war heute besonders hübsch gedeckt worden. Sogar Blumen standen auf dem Tisch. Sie waren recht geschmackvoll von Lotti in einer herrlichen Bronzeschale geordnet.

Schimmel hatte die Blumen spöttisch lächelnd einen Moment lang angesehen, dann waren seine Augen auf der kostbaren Schale haftengeblieben, und jetzt verrieten sie Befriedigung. »Sie ist wenigstens ihre zweihundert Kronen wert,« dachte er, der in solchen Schätzungen gut beschlagen war. Er hatte sich dann sehr angeregt niedergelassen, denn er dachte daran, daß er von nun an immer nur aus auserlesenem Geschirr speisen werde, und er hatte eine große Schwäche für schönes Geschirr und wußte, daß Frau v. Lauren viel davon ihrer Nichte hinterlassen hatte.

Heute speiste man aus Altwiener Porzellan, das mit dem goldenen Bienenkorb gezeichnet und mit einem ganz köstlichen Tulpenmuster geschmückt war. Und was in den feingeformten Schüsseln aufgetragen wurde, war ebenfalls erster Güte. Desgleichen die Weine, welche aus den Flaschen wie flüssiges Gold in die feinwandigen Gläser floßen.

»An diesen Gumpoldskirchner, lieber Doktor, sollten Sie sich halten!« riet ihm Frau v. Lassot. »Er ist bereits zwölf Jahre alt. Onkel Lauren wußte, was gut ist.«

»Stimmt! Das ist ein famoser Tropfen. Ist noch viel davon da?«

»Mehr, als wir heute brauchen, und somit genug,« wurde ihm mit einem eigentümlichen Lächeln, das er sich nicht zu deuten wußte, entgegnet.

Er zuckte die Achseln und schenkte sich wieder ein. Rosi trug jetzt Stangenspargel auf. Schimmels Gesicht wurde immer heiterer.

Das nächste Gericht war ein Kapaun. Die mit Mayonnaise bedeckten Bratenstücke ruhten auf einer Unterlage von grünem Aspik. Der Rand der Schüssel war mit verschieden gefärbten Aspikwürfeln belegt, zwischen welchen sich zarte Salatblätter kräuselten.

Diese Schüssel war einfach ausstellungswürdig, und Schimmel begann die Künste seiner alten Heister mit denen der Rosi zu vergleichen. So etwas hatte die Heister ihm doch noch nicht hergestellt, und er bedauerte schon den Kontrakt, den er mit ihr geschlossen hatte.

Er bedachte das aber angesichts all der Genüsse, welche ihm heute geboten wurden, nicht weiter. Die brave Heister würde er schon los werden, wenn er sie nicht mehr brauchte.

Er langte wieder nach der Flasche. Es war jetzt fast wasserheller Rüdesheimer, mit dem er die Backwerkschnitten, welche als Nachtisch aufgetragen worden war, hinunterspülen wollte.

Leona aber schob seine Hand zurück. »Trinken Sie nicht so viel! Ich habe Ihnen noch manches zu sagen, und ich will, daß Sie mich noch klar verstehen.«

Sie trat zur Kredenz und schenkte dort vor seinen Augen tiefroten Wein in die Gläser, die sie dann auf den Tisch stellte.

»So, den dürfen Sie noch trinken, das ist etwas ganz Besonderes. So etwas haben Sie noch nicht über Ihre Lippen gebracht, Sie alter Feinschmecker!« scherzte sie dabei.

»Was ist's denn?« forschte Schimmel, nachdem er mit Behagen den Duft des Weines eingeatmet hatte. »Das riecht ja köstlich.«

»Ja, so etwas trinkt man nicht oft,« entgegnete Leona. »Trinken Sie nur. Dann sage ich es Ihnen, was es ist.«

Lotti brachte jetzt Käse und Früchte.

Als sie beides niedergestellt hatte, sagte Frau v. Lassot: »So, Lotti, nun wollen wir ungestört bleiben. Sie kommen erst wieder, wenn ich läute.«

Lotti verbeugte sich und verschwand.

Leona folgte ihr, sperrte leise das Vorzimmer ab und steckte den Schlüssel zu sich.

Dann trat sie wieder ins Speisezimmer.

»Jetzt habe ich Sodbrennen bekommen,« rief ihr Schimmel entgegen, schluckte ein paarmal und räusperte sich.

In den Augen Leonas blitzte es auf. »Sie haben halt zu viel gegessen,« sagte sie gleichgültig.

»Geben Sie mir etwas doppelkohlensaures Natron. Sie werden hoffentlich etwas im Hause haben.«

»Nein, ich habe keines. Aber wenn ich Ihnen auch keines geben kann, ausgezeichnete Zigarren sind jedenfalls da. Kommen Sie. In des Onkels Arbeitszimmer sind sie, und sie werden Ihnen wohl auch helfen.«

Verdrossen stand er auf und folgte ihr bis in das letzte Zimmer. Daselbst befand sich neben dem Arbeitstisch des verstorbenen Obersten ein schmaler, hoher Schrank mit vielen Fächern.

Auf diesen zeigte Leona und sagte: »Bedienen Sie sich!«

Er nahm sich eine Zigarre und wollte wieder nach dem Speisezimmer gehen.

Sie aber hielt ihn zurück. »Wollen Sie denn gar nicht allein sein mit Ihrer Braut?« fragte sie leise.

»Brrr!« machte er ungeniert. Dann griff er sich an den Hals. »Wie das Zeug kratzt!«

Er legte die Zigarre beiseite und setzte sich. Er war plötzlich ganz grau im Gesichte geworden. Und immer wieder schluckte und schluckte er.

»Mir ist schlecht geworden,« würgt er endlich hervor, zieht mühsam sein Taschentuch und wischt sich den Schweiß vom Gesichte.

Es muß eine große Unruhe in ihm sein, denn er will sich erheben, aber es gelingt ihm nicht. Wie mit Blei gefüllt sind seine Füße, auch seine Arme kann er kaum erheben, und in seinem Leibe wütet ein grimmiger Schmerz.

»So helfen Sie mir doch!« stöhnt er.

Leona lehnt noch immer an der Tür. Sie sieht scheußlich und lächerlich zugleich aus. Scheußlich, denn eine teuflische Befriedigung läßt sie den Mund zu einem gemeinen Grinsen verzerren – und lächerlich, denn die Pose eines Siegers, die sie mit gekreuzten Armen annimmt, steht ihr recht wenig.

»Ich kann's ja kaum mehr aushalten vor – vor Schmerz!« stößt er heiser heraus.

Da erst antwortet sie ihm. Kurz und so deutlich, daß selbst er, der so völlig von seinem Zustand in Anspruch genommen ist, sie nicht mißverstehen kann. »Sie werden Ihre Schmerzen nicht mehr lange auszuhalten haben, Herr Doktor Schimmel,« sagt sie hart, »denn ich habe die Dosis sehr groß genommen.«

Er starrt sie an, dann schnellt er, seine ganze Willenskraft aufbietend, empor. »Vergiftet?« schreit er und will sich auf Leona stürzen.

Diese weicht unwillkürlich zurück. Aber das wäre nicht notwendig gewesen, denn nach zwei Schritten stürzt Schimmel zusammen und windet sich wimmernd auf dem Boden. Brennender Haß und wildeste Verzweiflung schauen sie aus seinen Augen an, und einen widerwärtigen Gegensatz dazu bilden die gerungenen Hände, die sich hilfeflehend ihr entgegenstrecken.

Diesem Anblick ist selbst Leonas Schlechtigkeit nicht gewachsen. »Du bringst niemanden mehr ins Zuchthaus!« will sie ihm in die Ohren schreien, sie stammelt es aber nur, und in der nächsten Sekunde schon eilt sie, von Entsetzen gejagt, in das Speisezimmer zurück.

Sie sinkt auf einen Sessel. Voll fiebernder Angst starrt sie zur Tür. Wenn diese Tür sich öffnete! Wenn Schimmel herauskam – herauskroch!

Leona streicht sich über die feuchte, eiskalte Stirne und erhebt sich mühsam. Anfangs steif und langsam, dann immer schneller geht sie zur Kredenz.

Dort steht noch ihr Glas. Es ist von dem siebenarmigen Kronleuchter, der über dem Tische strahlt, hell beleuchtet. In seinem kristallenen Glase blitzen sieben klare Lichter.

Wie ihre Hand zittert, als sie nach dem Glase greift! Wie die sieben Lichtpunkte tanzen!

Plötzlich aber tanzen sie nicht mehr, plötzlich ist die Hand ganz ruhig. »Es muß ja sein!« sagt sie laut. »Jetzt könnte ich nicht einmal mehr zurück, wenn ich auch wollte.«

Sie setzt das Glas an die Lippen. »Nicht mehr leben – das ist das einzige, was ich noch will,« denkt sie, während sie trinkt.

Als sie es getan, schüttelt es sie. Sie streckt die Hand nach dem Klingelwerk aus. Dann setzt sie sich in einen niedrigen Sessel.

So wartet sie auf Lottis Kommen.

Aber das Mädchen kam nicht. Leona hatte vergessen, daß sie den Zugang zu dem Speisezimmer abgesperrt hatte.

*

»Sie werden sich geirrt haben. Es hat nicht geläutet,« sagte draußen die Köchin zu Lotti, welche bei ihr in der Küche gesessen und sich erhoben hatte, um ins Speisezinnner zu gehen.

»Sehr leise hat es geläutet,« beharrte Lotti auf ihrer Meinung und ging.

Sie wollte das Vorzimmer betreten, doch es war versperrt.

Sie pochte an die Tür.

Keine Antwort.

Lotti lief in die Küche zurück.

»Na, na, was gibt's denn?« fragte die Köchin, welche sich gerade über die Kapaunenreste hergemacht hatte.

»Ich kann nicht hinein!« berichtete Lotti atemlos.

»Was heißt das?«

»Die Tür ist verschlossen!«

»Das ist freilich merkwürdig!« Die Köchin legte nun doch die Gabel aus der Hand.

»Kommen Sie!« bat Lotti.

»Na ja, ich komme schon!« Sie steckte noch schnell einen Aspikwürfel in den Mund und folgte Lotti.

Auch sie rüttelte vergeblich an der Tür. Dann sagte sie: »Ich will den Peter rufen,« und machte sich sofort selber auf den Weg zum Kutscher.

Nach ein paar Minuten schon hatte der die Tür aufgesprengt.

Die beiden Mädchen folgten ihm furchtsam ins Vorzimmer.

Im Speisezimmer drinnen stöhnte jemand.

»Jesus – Maria!« schrie Lotti auf und stürzte zu ihrer Herrin hin, die auf dem Teppich lag.

Leonas Augen waren schon verglast, aber noch immer warf ein wilder Krampf ihren Körper hin und her.

Die Köchin rannte aufkreischend hinaus.

Lotti aber beugte sich über die Sterbende und schluchzte: »Arme, arme gnädige Frau!«

Da irrte ein Lächeln über das verzerrte Gesicht, und kaum verständlich kam es über die blutleeren Lippen: »Arm, ja, arm –«

Dann ward es plötzlich still. Der Tod hatte sie erlöst.

Der Kutscher sah sich um. Dann sagte er: »Ist der Herr Doktor denn schon weggegangen?«

Lotti schaute auf. Sie war ganz verwirrt. »Der Doktor, ja richtig – der Doktor! Wo kann denn der nur sein? Nein er ist nicht weggegangen!«

Da biß Peter die Zähne zusammen und ging, den Doktor Schimmel zu suchen.

In seines verstorbenen Herrn Arbeitszimmer fand er ihn. Dicht an der Tür lag der Mann, in der einen geballten Hand ein Büschel Haare von seinem eigenen Bart haltend. Die andere Hand war in den Teppich gekrallt.


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