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Achtzehntes Kapitel.

Gustl, lassen jetzt die Automobilbild'ln! Die machen Sie nur noch närrischer, als Sie so schon sind. Sie sollen zum Herrn Direktor!«

Mit diesen Worten trat einer der Etagendiener des Warenhauses zu dem jungen Burschen, der, in das Studium eines Automobilkatalogs vertieft, ziemlich zerstreut ausschaute. Als er aber gehört, wohin er gerufen wurde, ward sein Gesicht um ein merkliches länger. Zu Herrn Hälby müssen, war für ihn gleichbedeutend mit einem Strafgericht. Irgend etwas hatte er ja immer auf dem Kerbholz.

Übermütig und phantasiereich, wie er war, führte er so manches aus, das auszuführen nicht absolut notwendig gewesen wäre. Auch gingen die Fensterscheiben seinen langen Armen leider nicht immer aus dem Weg, und die Treppengeländer dienten ihm ausschließlich als Rutschbahn. Am wenigsten aber konnte sich Herr Hälby dafür begeistern, daß Gustl Müller ein so vortrefflicher Imitator war, der jedermann in Stimme und Art zu reden und sich zu bewegen ganz wunderbar nachahmen konnte.

Diese Seite seiner Genialität war zwar mitunter recht ergötzlich, noch viel öfter aber ärgerlich, denn merkwürdigerweise gefällt sich selten jemand in solch einem ihm vorgehaltenen Spiegel.

»Was hab' ich denn nur g'macht?« fragte sich auf seinem Weg Gustl, dem heute keine nennenswerte Sünde einfiel. »Nix hab' ich g'macht!« Und in selbstbewußter, dienstlicher Haltung, die er gern zu militärischer Strammheit übertrieb, trat er in das Zimmer des Direktors.

Hälby war nicht allein. Gustls nächster Vorgesetzter, der Chef der Baumwollenabteilung, Herr Kern, saß ihm gegenüber.

Beide schauten den Burschen schmunzelnd an, und Gustl wurde darüber ganz verlegen. Was war denn nur so Erheiterndes an ihm? Er schaute unwillkürlich an sich nieder, aber er konnte nichts Absonderliches an seiner braunen Uniform gewahren. Plötzlich aber schoß ihm das Blut zu Kopfe. Er hatte das rosa Papier erblickt, welches auf Hälbys Schreibtisch lag.

Gleichzeitig sagte der Direktor: »Sie sind also auch ein Dichter! Das hab' ich ja noch gar nicht gewußt. Und Sie sind auch gar kein so übler Dichter, denn die Gedanken, die Sie in Ihrem Gedichte ausdrücken, machen Ihnen alle Ehre.«

»O – Herr Direktor!«

»Und die Dame, an welche Ihre Verse gerichtet sind, könnte ihre helle Freude daran haben, wenn –«

»Nein, bitte, nein!« stammelte der junge Mensch.

»So soll sie nichts davon wissen?« fragte Kern freundlich.

»Nein.«

»Warum denn nicht?«

»So was kann man ja denken, aber –«

Hälby nickte dem Jüngling zu. »Aber man hängt es nicht an die große Glocke, und man verliert es besser auch nicht, schon allein deshalb nicht, daß keiner darüber spotten kann, weder über den Dichter noch über die Angedichtete.«

Gustls Augen schauten jetzt offen in die seines Vorgesetzten und dann wanderte sein Blick auch zu Kern hinüber. »Aber Sie lachen mich doch aus!« stotterte er.

Hälby hatte sich erhoben. Er trat auf Gustl zu und legte ihm die Hände auf die Schultern. »Mein Lieber,« sagte er freundlich, »ich und, wenn ich nicht irre, auch der Herr Abteilungschef gäben etwas dafür, wenn wir noch so jung empfinden könnten. Nein – nein, wir lachen nicht. Ganz im Gegenteil, wir nehmen Ihr Gedicht, mit welchem Sie sich zum Ritter Fräulein Tecks bekennen, sehr ernst. Ein günstiger Zufall hat es gefügt, daß Herr Kern Ihren poetischen Erguß fand, ein günstiger Zufall für Sie und für Fräulein Teck, zu deren Ritter nun auch wir beide, denen Ihre Gesinnung jetzt bekannt ist, Sie feierlich ernennen.«

Gustls Augen blitzten auf. »Was soll ich denn tun?« erkundigte er sich lebhaft.

»Augen und Ohren offen halten,« antwortete ihm Kern ernst. »Ein bißchen herumhorchen sollen Sie, wer etwa hier über Fräulein Teck schlecht spricht. Sie kommen ja im ganzen Hause herum, und Sie sind nicht auf den Kopf gefallen. Ich rechne also auf Sie. Das Fräulein habe ich hierher empfohlen, das wissen Sie, es liegt mir also viel daran, daß man gut von ihr denkt. Sie verdient nämlich alle Achtung; ich weiß, daß jeder einfach ein Verleumder ist, der Schlechtes über sie berichtet.«

»Tut denn das einer?« fuhr Gustl zornig auf.

Hälby hielt ihm einen Brief hin. »Lesen Sie,« sagte er. »Jetzt müssen Sie unterrichtet sein.«

Gustl las: »An die Direktion des Warenhauses Groß & Komp. Sie beschäftigen eine heruntergekommene Aristokratin, eine Baronesse Teck. Seien Sie gewarnt. Die junge Dame war vielleicht bis jetzt vorsichtig, aber ihr eigentliches Wesen wird früher oder später zum Vorschein kommen. Sie wird den anderen Bediensteten weder in Ehrlichkeit noch in guten Sitten ein Beispiel sein. Jemand, der die Teck von der Kehrseite aus kennt.«

»Zu dumm ist das!« sagte Gustl, als er das Schreiben wieder zurückgab.

Die Herren nickten zustimmend zu diesem Urteil.

Gustl, sich durch das Vertrauen, das man ihm bewies, sehr geehrt fühlend, fuhr geradezu leidenschaftlich fort: »Ich möcht' nur wissen, wer der Baroneß was Schlechtes nachsag'n kann!«

»Wir haben Ursache anzunehmen, daß nun noch mehr solche Schreiben einlaufen werden,« sagte Kern, »und sie werden wahrscheinlich nicht nur an die Direktion gerichtet sein. Man will Fräulein Teck eben hier unmöglich machen.«

»Ich kenn' schon zwei, die sie nicht leid'n können,« berichtete Gustl eifrig, »Fräul'n Neuber und der Treumann.«

»Fräulein Neuber ist seit der Szene mit der alten Dame gegen Fräulein Teck verstimmt,« bemerkte Hälby, dem damals von dem Vorgekommenen Meldung gemacht worden war.

Kern nickte, erkundigte sich aber, weshalb denn der Laufbursche Fritz Treumann Klementine nicht gut gesinnt sei. Da berichtete Gustl, daß Treumann unlängst in Gegenwart des Fräuleins Teck über eine ihrer Kolleginnen geschimpft, und daß das Fräulein ihn deshalb scharf gerügt hätte. »Sie is gleich weg, und da hat der Treumann sie eine ›fade Soß‹ geheißen,« berichtete Gustl weiter. »Ich hab' ihm natürlich dafür eine Ohrfeig'n geb'n, und seit dieser Zeit is er bös auf mich.«

»Das glaub' ich,« sagte Hälby lachend. »Sie haben für Ihr Ideal also richtig schon, eine Lanze gebrochen! Na, das ist ja schön, aber lieber wäre es mir doch, wenn Sie nicht gar so flink mit den Ohrfeigen bei der Hand wären. Dem Treumann werde ich übrigens noch den Text lesen. Sie wissen also, was Sie zu tun haben. Meldungen werden an Ihren Chef oder an mich gemacht.«

Damit war Gustl entlassen.

Wie ernst er seinen Auftrag auffaßte, bewies er schon am nächsten Tage, denn da kam er gleich nach der Mittagspause zornrot zu Kern und meldete, daß schon das ganze Haus voll Getuschel über Fräulein Teck sei. Sein Oheim, der Garderobier, habe gehört, wie Fräulein Neuber und eine Verkäuferin, Fräulein Welm, Morgens in der Garderobe Briefe über sie vorgelesen hätten. Ebenso hätten zwei Herren aus der Konfektionsabteilung anonyme Schreiben bekommen, die sich mit der Teck beschäftigten, und deren Inhalt ebenfalls schon in ganzen Hause bekannt sei.

»Fräul'n Vogel und Fräul'n Hartwig wissen noch nix,« beendete er seinen Bericht. »Aber die werd'n schon auch noch was kriegen.«

»Also eine richtige, planmäßige Hetze, die gegen die arme Baronesse veranstaltet wird!« sagte Kern ergrimmt.

Gustl nahm eine geheimnisvolle Miene an. »Ich mein', ich kenn die, die hinter der ganzen G'schicht' steckt,« sagte er.

»Die Kundin mit dem Pelzkragen meinen Sie?«

»Ganz sicher! Kann man denn da nix mach'n?«

»Mein lieber Gustl, da muß man es ihr Zunächst beweisen können, daß sie die Verleumderin ist. Die Nürnberger hängen keinen, den sie nicht haben.«

»Na, wir werden sie schon kriegen – das schlechte Frauenzimmer!«

*

Am Abend dieses Tages fand in Hälbys Zimmer eine Konferenz statt. Teilnehmer daran waren die vier Angestellten, welche am Morgen dieses Tages die anonymen Briefe erhalten hatten, außerdem Fräulein Hartwig und Fräulein Vogel.

Hälby hatte sich die Schreiben einhändigen lassen. Sie waren alle, wie das seine, mit der Maschine geschrieben und im ersten Bezirk aufgegeben worden. Die vier Angestellten sagten aus, daß sie keine Ahnung hätten, wer all das Häßliche, das da über Fräulein Teck angedeutet worden war, geschrieben haben könne.

Die Neuber lächelte flüchtig, als sie diese Versicherung abgab, und auch die anderen verbargen nicht, daß sie den niederträchtigen Briefen einigen Glauben schenkten.

Es bleibt bei einer Verleumdung, und wäre sie auch gänzlich aus der Luft gegriffen, eben immer etwas hängen.

»Was soll Ihr Lächeln, Fräulein Neuber, und Ihr Nicken, Herr Schill?« fragte Hälby streng.

Die Neuber leugnete keck das Lächeln ab, und Schill versicherte, daß er sich bei seiner Bewegung gar nichts Besonderes gedacht habe.

»Ich bedarf Ihrer Gegenwart nicht mehr,« bedeutete der Direktor den Briefempfängern kurz, »nur rate ich Ihnen noch, ebenso eifrig im Dienste der Arbeit zu sein, wie Sie eifrig waren im Dienste der Verleumdung. Verbreiten Sie nun im Hause auch, daß ich in diesem Falle genau so wie in allen anderen ähnlichen Fällen, die vorangegangen sind, Ordnung schaffen werde. Sie wissen, ich habe eine kleine Vorliebe für Sauberkeit und reine Luft und Frieden, ohne welche ein gedeihliches Zusammenwirken in einem so großen Geschäft nicht möglich ist. Ich bitte Sie also, daran zu denken und auch daran, daß hier niemand unersetzlich ist. Guten Abend!«

Die vier gingen, und die Neuber erhielt den Auftrag, Fräulein Teck zum Direktor zu bitten.

Die Neuber lächelte spöttisch, als sie Klementine ihren Auftrag ausrichtete, und Schill warf ihr einen frechen Blick zu.

Klementine zuckte zusammen und preßte die Lippen fest aufeinander. Sie hatte heute schon so viele solche Blicke ertragen müssen.

Kaum hatte sie die Tür hinter sich geschlossen, als sie bleich, aber entschlossen zu Hälby sagte: »Herr Direktor, ich bitte um meine Entlassung. Am liebsten käme ich schon morgen nicht mehr.«

»Woran Sie sehr unrecht täten, Baronesse,« fiel Fräulein Vogel ruhig ein. »Schuldlos, wie Sie sind, dürfen Sie Ihren Feinden oder Ihrer Feindin, denn vermutlich haben Sie es da ja doch nur mit Ihrer Tante zu tun, nicht das Feld räumen.«

»Dieser Ansicht bin ich auch,« bestätigte Hälby. »Nur nicht den Kopf verloren, mein Fräulein! Sie sind es jetzt einfach Ihrer Ehre schuldig, auszuharren. Und Sie sind ja auch nicht verlassen. Sie haben hier Freunde gewonnen, die Ihnen beistehen werden. Was gewännen Sie denn, wenn Sie gingen? Wer immer es ist, von dem diese Angriffe ausgehen, er wird Sie auch anderswo finden, wo Sie vielleicht nicht so viel Schutz haben werden wie hier. Bedenken Sie das, ehe Sie ernstlich Ihre Entlassung fordern, die Ihrer Feindin ja nur ein Triumph wäre.«

»Sie haben recht, meine Ehre fordert es, daß ich bleibe, zumal da Sie mich unbegreiflicherweise nicht fortjagen!« murmelte Klemi mit einem bitteren Lächeln.

Er ergriff ihre Hand und drückte sie, während er lächelnd sagte: »Da sieht man, daß Sie immer noch die große Dame sind, die weitab vom gemeinen Leben sich ihre Begriffe gebildet hat. Warum soll ich Sie denn fortjagen? Weil da ein paar anonyme Briefe gekommen sind, denen vermutlich noch verschiedene andere Gemeinheiten folgen werden? – Aber jetzt ist genug über das Unangenehme geredet. Jetzt wünsche ich Ihnen trotz allem noch viele gute Tage bei der Firma Groß & Komp. – Und Sie, Fräulein Vogel, Sie guter Geist unseres Hauses, Sie breiten nun wohl noch mehr als sonst Ihre schützenden Fittiche aus!«

»Soll geschehen!« erwiderte das kleine Fräulein lächelnd.

Wie im Traume ging Klementine auf ihren Posten zurück. Als sie die Treppe zum dritten Stockwerk emporstieg, begegnete ihr Gustl.

Sie nickte ihm zu. »Man sieht Sie heute ja merkwürdig oft, Gustl.«

»Baroneß werden mich jetzt noch öfter merkwürdig oft seh'n.«

»Warum denn?«

»Weil ich zu den Musterbüchern versetzt word'n bin.«

»Also zu mir?«

»Ja, zur Baroneß.«

»Nennen Sie mich nicht so! Ich bin das hier nicht mehr.«

»Für mich bleib'n Sie immer, wer Sie sind, und keiner soll Ihnen was tun!«

In Klementines Wangen stieg eine feine Röte, denn was seine Worte noch nicht ganz deutlich gesagt hatten, das verriet sein schwärmerischer Blick ganz klar. Sie reichte ihm die Hand. »Gustl,« sagte sie bewegt, »ich danke Ihnen für dieses Wort. Es hat mir, unruhig und traurig, wie ich jetzt bin, sehr wohl getan, und ich weiß nun, daß auch Sie mein Freund sind.«

»Ich – der arme Laufbursch?«

Sie lächelte herzlich. »Ja, lieber Gustl!« konnte sie nur noch sagen, dann ging sie rasch weiter.


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