Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Neunzehntes Kapitel.

Doktor Eduard Schimmel war, entgegen der Anschauung, daß böse Menschen die Musik nicht lieben, ein großer Freund derselben. Sie tat vielleicht nicht so sehr seiner Seele wohl, aber sie kitzelte seine Nerven, und einem Nervenkitzel war der alte Sünder niemals abgeneigt. Allein geizig, wie er war, ließ er sich seine Genüsse immer so wenig als möglich kosten, und pfiffig, wie er war, wußte er sich manche derselben auch ganz umsonst zu verschaffen.

Einer seiner Klienten aus jener Zeit, in welcher er noch dem Advokatenstande angehörte, war der »Musikdirektor« Leopold Schultz. Vor etwa zehn Jahren war dieser in einer angesehenen Musikschule Wiens Klavierlehrer gewesen, hatte sich aber durch verschiedene Schwindeleien unmöglich gemacht und war, trotzdem er in dem arglistigen Schimmel einen ausgezeichneten Verteidiger gefunden, zu einer mehrmonatlichen Gefängnisstrafe verurteilt worden.

Seit jenen Tagen waren Schultz und Schimmel gute Bekannte. Der Doktor kam von Zeit zu Zeit immer wieder in die Lage, Schultz aus irgend einer Patsche zu ziehen, wofür dieser natürlich gehörig bezahlen mußte, sich aber auch noch außerdem aufmerksam gegen Schimmel zeigte. Mit vielen Leuten vom Theater bekannt, hatte Schultz sehr oft Karten zur Verfügung, welche er selber nur selten benützen konnte, und die er meist Schimmel brachte. Auch lud er diesen gern zu besonderen Festlichkeiten ein, bei denen er selbst konzertierte.

Solch eine Einladung ließ er am 16. Januar an Schimmel ergehen. »Kommen Sie nur,« schrieb er ihm. »Ich habe einen ausgezeichneten Primgeiger engagiert. Solch einen Bogenstrich haben Sie noch nicht oft gehört. Außerdem wird bei diesem mit ausgezeichnetem Essen verknüpften Vereinsfest eine neue Sopranistin singen. Also versäumen Sie meinen Teck und die schöne Ida nicht. Ich werde um acht Uhr an der Tür sein. Eine andere Einführung brauchen Sie nicht.«

Dieser Brief gelangte am 16. Januar um die Mittagszeit in Schimmels Hände. Er regte ihn sichtlich auf. Nicht der schönen Ida wegen – nein, der Name »Teck« ließ sein Blut schneller kreisen.

Es war wie immer: der Teufel arbeitete ihm förmlich in die Hände.

»Jedenfalls gehe ich hin,« murmelte er. »Und die Lassot muß mit. Falls dieser Teck wirklich ihr so innig geliebter Neffe ist, wird es ihr einen Hauptspaß machen, ihn auf dem Brettl zu sehen. Schade, daß er nicht absammeln gehen wird, denn ich hätte ihm gern was auf den Teller geworfen.«

Schimmel aß an diesem Tage mit noch größerem Appetit als sonst. Die Freude, welche er heute noch zu erleben hoffte, würzte ihm die Speisen.

Erst ganz zu Ende der Mahlzeit wurde er verstimmt. »Was für ein Gesicht Sie heute wieder schneiden!« sagte er, als die Heister ihm den Käse brachte.

Sie antwortete nicht darauf.

Es beschlich ihn ein unangenehmes Gefühl. Wenn die sonst so schüchterne Frau sich verstimmt zeigte, beschlich ihn immer ein unangenehmes Gefühl. Er fürchtete dann, daß sie ihn verlassen könne, und das war ihm ein sehr unangenehmer Gedanke. Wo wurde er wieder eine solche Perle finden? Seit sechs Jahren diente sie ihm, hatte er sie erprobt und vollwertig befunden. Ihre absolute Verschwiegenheit und Verläßlichkeit war ihm, der so viel Verschwiegenheit brauchte, ungeheuer viel wert. Aber auch ihre ebenso absolute Ehrlichkeit schätzte er hoch. Sein Hab und Gut war in ihren Händen so sicher, daß er alles offen vor ihr hätte liegen lassen können. Allem aber setzte ihre Kochkunst die Krone auf. In den vornehmsten Hotels, ja an der Hoftafel hätte er es nicht besser haben können. Sie war als Köchin einfach eine Künstlerin. Nein – die Heister hätte ihm niemand ersetzen können. Das stand bei ihm fest.

Bei ihr jedoch – und das wußte er – stand es fest, daß sie, sobald ihre Pflicht ihm gegenüber erloschen war, diesen ihr in der Seele zuwideren Dienst aufgeben werde. Und diese Zeit war nicht mehr fern. Im Sommer dieses Jahres noch konnte sie sein Haus verlassen. Auf sechs Jahre hatte sie sich ihm damals verpflichten müssen – damals, als er ihr aus großer Not half. Ihr Liebling, ihre einzige Tochter, an der sie mit jeder Faser ihres Herzens hing, war damals noch die Braut eines tüchtigen, aber auch sehr armen Arbeiters gewesen. Schimmel hatte die Heirat möglich gemacht. Das hatte ihm nur vierhundert Gulden gekostet und ihm dafür die heiße Dankbarkeit der Heister eingetragen. Damals machte er den Kontrakt mit ihr, der sie auf sechs Jahre an ihn band.

Für einen wahren Hungerlohn hatte sie ihm zuerst sehr gern und eifrig gedient, bis sie ihn besser kennen lernte, bis ihre einfache, saubere Seele seine raffinierte, schmutzige begriff. Von da an diente sie ihm zwar noch immer musterhaft, aber sie zeigte ihm dabei offen ihre Verachtung.

Nun, das genierte ihn im Grunde wenig, fatal war ihm nur, daß er merkte, er würde sie nach Ablauf ihrer Zeit verlieren.

Und heute war sie entschieden schlechter Stimmung. Das verdarb auch die seinige.

»Was ist Ihnen denn, Frau Heister?« erkundigte er sich, das Käsemesser ungebraucht von sich schiebend. »Mein Gott! Sie werden mir doch nicht krank werden!«

Frau Heister wendete sich langsam ihrem Herrn zu und schaute ihn voll an. »Sie hab'n also auch einen Gott?« höhnte sie. »Möcht' ihn einmal seh'n, diesen Gott.«

»Sie sind ja, wie es scheint, recht gut aufgelegt!« gab er gereizt zurück.

Sie lachte bitter. »Hab' auch alle Ursach' dazu!«

»So? Was fehlt Ihnen denn bei mir?«

»Manchmal die reine Luft, an die ich früher gewöhnt war.«

»O je! Kommen Sie schon wieder damit.«

»Ich kann's halt net verstehen, wie's unser Herrgott zulass'n kann, daß brave Menschen es zu nichts bringen, während –«

»Während die Nichtbraven, zu denen ich gehöre, wie Sie meinen, reich werden. Liebe Heister, das Lied haben Sie schon oft gekrächzt und weil Sie es heute wieder krächzen, denke ich, daß bei Ihrer Betti wieder einmal etwas nicht in Ordnung ist. Hab' ich recht?«

»Natürlich hab'n Sie recht.«

»Also, was ist denn los?«

»Ah – davon red' ich lieber nicht.«

»Und zeigen mir weiter solche Gesichter!«

»Na, der gnädige Herr wird meine Gesichter ja nimmer lange seh'n.«

Schimmel gab es einen Riß. So dachte die Frau also richtig daran, von ihm zu gehen, wenn ihre Zeit um war!

»Ich denke doch, daß wir von Ihrer Betti weiter reden sollten,« sagte er sanft, und damit die Sache sich zu seinen Gunsten wende, fuhr er rasch fort: »Ist vielleicht Krankheit die Ursache? Ihre lieben Enkelkinder sind ja so zart.«

Frau Heisters Züge waren jetzt nicht mehr so hart. »Ja, gnädiger Herr, freilich. Zart sind s' schon,« bestätigte sie, »aber derzeit sind s' gottlob gesund.«

»Also, was ist denn sonst Schlimmes passiert?«

»Vor einem Glück steht mein Schwiegersohn und kann's nicht fassen. Das ist halt auch was Schlimmes.«

»Was heißt das? Sie müssen schon deutlicher sein.«

»Wozu?«

»Damit ich Ihnen beistehen kann.«

Die Frau lächelte. »Das werden S' wohl bleiben lassen. Es handelt sich um dreitausend Gulden.«

Daraufhin herrschte eine Weile Schweigen zwischen den beiden. Schimmel strich umständlich Strachino auf eine halbe Semmel, und die Heister stellte verschiedenes überflüssiggewordenes in die Kredenz.

»Meine liebe Frau Heister,« begann Schimmel plötzlich, »es läßt sich immerhin über diese Sache reden. Setzen Sie sich einmal zu mir her.«

Aber sie setzte sich nicht. Nur an den Tisch war sie herangetreten und stützte sich mit beiden Händen darauf.

»Also, um was handelt es sich?«

»Der Joseph könnt' das Geschäft übernehmen, in dem er bis jetzt gearbeitet hat. Das wär' ein sicheres Brot, denn sein Meister is ja schon seit drei Jahren tot, und so hab'n sich die Kundschaften alle schon an ihn gewöhnt.«

»Richtig! Und Stiefel brauchen die Leute immer. Die Meisterin aber will jetzt das Geschäft verkaufen?«

»Sie is ja schon alt. Zu ihrer Tochter will s' zieh'n.«

»Und dreitausend Gulden kostet's?«

»Mit dem Warenlager und mit dem ganzen Material, das da is, und dem vielen Werkzeug und der ganzen Einrichtung vom Lad'n und der Wohnung.«

»Ist das nicht doch zu viel?«

»Der Joseph sagt, daß 's billig is, wenn man bedenkt, daß so eine große Kundschaft dranhängt.«

»Und Ihre Betti mochte gern Frau Meisterin werden?« fuhr Schimmel mit einem Lächeln, das fast gütig aussah, fort.

Der Heister traten Tränen in die Augen. Sonst hatte sie keine Antwort.

»Sie soll es werden!« sagte Schimmel sehr laut.

Da setzte sich die Frau. Ihr hagerer Körper zitterte.

Schimmel lächelte.

Gnädiger Herr!« stammelte die erschütterte Frau.

»Natürlich aber muß ich auch was davon haben, wenn ich so viel Geld herschenk'. Ich schenk's nämlich, achten Sie wohl auf dieses Wort, Heister!«

Wie verzückt starrte sie ihn an. Sie wischte sich über die Augen, um sich zu überzeugen, ob sie wach sei oder ob sie träume.

Schimmel nickte ihr zu. »Sie sind schon munter. Glauben Sie ja nicht, daß ich übergeschnappt bin. Ich weiß sehr gut, was ich tue. Sie kriegen die dreitausend Gulden heute noch bar auf die Hand. Es ist geschenktes und doch auch wieder nicht geschenktes Geld. Umsonst ist ja nicht einmal der Tod. Also – liebe Heister, Sie müssen mir in derselben Stunde, in der ich Ihnen das Geld gebe, eine Schrift ausstellen, mit der Sie sich verpflichten, bis zu meinem Tod bei mir zu bleiben. Ich hab' mich nun schon so an Sie gewöhnt, daß ich – na also, ich will halt, daß Sie bleiben.« Er stand auf, legte die Serviette hin und sagte, unsicher auf die sehr Bleichgewordene schauend: »Überlegen Sie sich also die Sache. Bis vier Uhr bin ich wieder hier.«

Gleich darauf verließ er seine Wohnung, um Frau v. Lassot durch seine Mitteilung über Ernst v. Teck eine große Freude zu bereiten. Sie bebte förmlich vor teuflischer Befriedigung und konnte kaum die Stunde erwarten, in welcher Schimmel sie zum Genusse ihres Triumphes abholen wollte.

Dieser aber empfahl sich eilig, mit einer gewissen Hast ließ er sich bei einem Wechsler auf der Mariahilferstraße Geld für Obligationen geben und eilte dann nach Hause.

So rasch war er noch niemals zu einem zärtlichen Stelldichein geeilt, wie er heute zu seiner alten Wirtschafterin hastete.

Als sie ihm öffnete, sah er sogleich, daß sie geweint hatte. Das ließ ihn vor Schreck zusammenfahren. Eilig ging er an ihr vorbei und in sein Arbeitszimmer.

»Kommen Sie nachher zu mir!« befahl er ihr.

Sie schaute ihm erschrocken nach. Er hatte es so böse gesagt. Ein paar Augenblicke lang blieb sie, die Hände ineinanderpressend, im Vorzimmer stehen.

»Wenn es ihn gereut hätte!« dachte sie, und ihr Blick wurde heller, aber sie gönnte sich die Hoffnung, frei zu werden von ihm, selber nicht.

Die Hände faltend, betete sie: »Lieber Gott, mach, daß er es noch will. An mir liegt ja nichts, und ich bring' ja das Opfer gern. Ja, gern bleib' ich da, für meine Betti und ihre Kinder!«

Als sie in Schimmels Arbeitszimmer trat, saß dieser an seinem Schreibtisch. Er wendete sich gar nicht um und sagte fast rauh: »Nun?«

»Herr Doktor, ich bin mit Ihrem Vorschlag einverstanden,« würgte sie heraus.

»Na also!« platzte es ihm ganz gegen seinen Willen heraus, und ganz gegen seinen Willen verzog sich sein Gesicht zu einem breiten Lächeln. Doch er ärgerte sich gleich danach, daß er seine Befriedigung gar so deutlich gezeigt hatte, und wurde wieder ganz geschäftsmäßig. »Setzen Sie sich,« lud er sie ganz in derselben kühlen Weise ein, die er gegenüber den meisten seiner Klienten einzuhalten pflegte.

Diesmal setzte sich die Heister sogleich, denn wieder zitterten ihre Knie.

Er aber schrieb schnell ein paar Zeilen nieder. »So, lesen Sie,« sagte er, die Feder weglegend und ihr das Papier hinschiebend.

Sie nahm es mit zitternden Händen und las.

»Na, wollen Sie es vielleicht auswendig lernen,« spöttelte er, »oder suchen Sie vielleicht nach Spitzfindigkeiten?«

»Aber, gnädiger Herr!«

»Es sieht fast so aus. Aber Ihnen gegenüber bin ich noch immer ehrlich gewesen – das wissen Sie doch.«

»Gewiß.«

»Lesen Sie also noch einmal und laut.«

»Dafür, daß ich heute sechstausend Kronen von meinem Dienstherrn, Doktor Eduard Schimmel, geschenkweise erhalten habe, verpflichte ich mich, ihm bis zu seinem Tode treu zu dienen.«

»Na, kann darin eine Spitzfindigkeit, eine Falle enthalten sein?«

»Nein, Herr Doktor.«

Sie griff nach der Feder.

Er aber schob ihre Hand weg. »Zuerst müssen Sie doch das Geld zählen und haben,« sagte er ruhig und legte ein Päckchen Banknoten vor sie hin.

Sie zählte, laut, unbeholfen. Ja – es waren sechzig Hundertkronenscheine. Ganz blaß war sie, als sie die Scheine in den Umschlag tat, den Schimmel ihr hinhielt.

»So – jetzt unterschreiben Sie.«

Sie unterschrieb und setzte das Datum dazu. Vor Zittern war ihr Name kaum leserlich.

Er lachte. »Wenn nur Sie selber es wissen, daß Sie es geschrieben haben,« sagte er und fuhr fort: »Krieg' ich noch meinen Kaffee, oder wollen Sie Ihrer Betti sofort das Glück ins Haus bringen?«

Sie erhob sich, steckte das Geld in ihre Tasche und sagte: »Gleich wird der Kaffee da sein.«

Er spürte einen Kuß und eine Träne auf seiner behaarten Hand, dann sah er sich allein.

Eine Weile saß er ganz still.

»Dreitausend Gulden – sechstausend Kronen ist eigentlich ein bißchen viel für eine Wirtschafterin,« brummte er dann, »aber für die Heister ist es nicht zu viel. Lebenslang gehört sie jetzt mir, le–bens–lang!« Er streckte sich behaglich und sagte dann laut und schmunzelnd: »Und überdies zahlt ja auch das die Lassot.«

Als er dann den duftenden Kaffee vor sich hatte, sagte er huldvoll zu der noch immer zitternden Heister: »So, jetzt gehen Sie zu Ihrer Betti. Und bis zehn Uhr haben Sie Urlaub.«

Um sieben Uhr verließ auch Schimmel seine Wohnung. Er war sehr guter Laune und voll Erwartung, was der Abend ihm noch bringen werde.

*

Pünktlich um acht Uhr erschienen die beiden edlen Seelen an dem Eingange des Konzertlokals und wurden daselbst von Schultz empfangen, der sich weiter nicht darüber wunderte, daß Schimmel eine Dame mitgebracht hatte; nur darüber wunderte er sich sehr, daß es eine so alte Dame war.

Schimmel raunte ihm zu: »Setzen Sie uns so, daß man uns nicht viel sieht.«

Da schmunzelte der Musikdirektor. Mit dieser dicken Matrone konnte der alte Schwerenöter freilich keinen Staat machen. Er begriff das, und so führte er Schimmel und seine Begleiterin zu einem Tisch, welcher, dicht neben einer Tür und dem Klavierpodium stehend, durch eine spanische Wand vor dem Zuge geschützt, fast ganz versteckt lag.

Ein eigentümliches Lächeln tauschend, ließen sich die zwei nieder, und dann sagte Schimmel zu Schultz, daß er ihn am nächsten Tage besuchen solle, ihn aber heute nicht mehr kennen dürfe.

Schultz zog sich, nun noch mehr verwundert, zurück. Eine halbe Stunde später war der mäßig große, elegante Saal bis aus den letzten Platz von einem gutbürgerlichen Publikum gefüllt, und die Vorträge begannen.

Es war ein Touristenverein, welcher heute seinen zehnjährigen Stiftungstag feierte. Als erste Nummer kam das in recht hübsche Musik gesetzte Motto, dessen Text sich natürlich mit den Zielen des Vereins beschäftigte und von dessen Mitgliedern begeistert gesungen wurde. Die Begleitung am Klavier besorgte Schultz allein.

Nach einer längeren Pause kam die schöne Ida daran, ein in der Tat ganz hübsches Mädchen mit einer jedoch recht mittelmäßigen Stimme.

Zu jeder anderen Zeit hätte Schimmels Interesse ihr gehört, aber heute hatte es die schöne Ida nicht günstig getroffen. Schimmels Interesse gehörte heute ausschließlich dem Geiger, der nun bald erscheinen mußte.

Idas Stimme war verklungen, und das hübsche Mädel von der Bühne verschwunden, da kündigte der Cellist, der magere, bescheidene Herr Haunold, an, daß nun ein Violinsolo folgen werde. Auch den Namen des Spielers nannte er. Er erweckte nirgends besonderes Interesse, dieser Name, auf welchen die meisten der Anwesenden gar nicht geachtet hatten, nur in den zweien, die hinter der spanischen Wand saßen.

Die Hand der Lassot lag jetzt mit hartem Druck auf Schimmels Arm, und ein böses Lächeln vervollständigte die stumme Zwiesprache, welche die beiden hielten.

Wieder hatte sich die Tür im Hintergründe der Bühne geöffnet. Ein schlanker junger Mann trat vor, verneigte sich leicht vor dem Publikum und erhob Geige und Bogen.

Es war schon bei seinem Eintreten recht still geworden. Offenbar hatte man solch eine elegante Erscheinung nicht erwartet. Jedenfalls paßte sie weder zu derjenigen des dicken Direktors der kleinen Kapelle noch zu der Haunolds, welcher eine lebendige Illustration des echten Künstlerelends darstellte.

»Der schaut ja aus wie ein Graf,« flüsterte eine niedliche Bäckerstochter, deren Ruhm es war, daß sie schon siebenmal die Rax erstiegen hatte, ihrer Freundin zu, und ein junger Lehrer, der den Predigtstuhl im Kaisergebirge schon mehrmals ohne Führer genommen hatte, äußerte: »Wenn dieser Herr hält, was sein Äußeres verspricht, werden wir einen Künstler hören.«

Es wurde denn auch ein Kunstgenuß. Aller Augen hafteten auf dem hübschen Gesicht des jungen Künstlers, der Ohren und Herzen mit seinem Spiel so gewaltig zu fesseln wußte.

Auch Frau v. Lassots Blicke waren wie gebannt. Nicht losreißen konnten sie sich von diesem jungen Gesicht, das so ernst und edel, so ruhig und stolz sich leicht über das Instrument beugte, das von eines Künstlers Seele und von eines Künstlers Händen so wunderbar belebt wurde.

So hatte sie sich ihn nicht gedacht, als sie sich ihn auf dem Brettl vorstellte, wie er den Leuten für eine jedenfalls elende Bezahlung vorspielte.

Leona preßte die Lippen zornig aufeinander. Daß sie zugleich auch Schimmels Arm schmerzhaft preßte, das wußte sie gar nicht.

Der Doktor streifte ihre Finger vorsichtig ab, denn er wollte sich in dem seltenen Genuß, der sich ihm da bot, nicht stören lassen. Daß Klementines Bruder ihm diesen Genuß verschaffte, war dem alten Lebekünstler noch ein Reiz mehr. Denn daß dieser Teck da oben wirklich Klementines Bruder war, wußte er schon; die grimmige Freude, die bei seinem Erscheinen aus Leonas Augen sprühte, hatte ihm diese Gewißheit gegeben.

Nicht ahnend, wen er unter seinen Zuhörern hatte, spielte Ernst weiter. Er phantasierte gerade über Schubertsche Lieder und hatte soeben von dem herrlichen »Am Meere« zu dem munteren Liede »Die Forelle« hinübergeleitet, als sein Blick, der bis jetzt in eine unbestimmte Ferne gerichtet war, auf Frau v. Lassot fiel.

Sie hatte, um dies zu erreichen, um ihn zu verwirren und dadurch in Verlegenheit zu bringen, eine auffallende Bewegung gemacht.

Aber dieser löblichen Absicht blühte keine Erfüllung. Wohl entfärbte sich Ernsts Gesicht, und Wohl wurden für einen Augenblick seine blitzenden Zähne sichtbar, die sich in seine Unterlippe gruben, aber sein Spiel ging ruhig weiter, kaum die Spur einer Unsicherheit war zu bemerken.

Er fand sogar ein kühles, verächtliches Lächeln, während er, seinen Blick scharf auf Frau v. Lassot ruhen lassend, weiterspielte.

Leona war wütend. Der bezahlte Bettelmusikant da oben stand auch jetzt noch in jeder Beziehung über ihr. Und wie sein Wille sie bannte! Nicht wegschauen konnte sie, mußte die Verachtung, die seine Augen und sein ausdrucksvoller Mund ihr so deutlich zu verstehen gaben, über sich ergehen lassen, und jetzt – jetzt krampfte sich ihr Herz zusammen, denn jetzt war Ernst grausam gegen sie.

Er hatte das Thema »Die Forelle« verlassen und das vom »Lindenbaum« aufgenommen. Ganz programmgemäß war er bei Schubert geblieben, aber für seine Feindin spielte er nicht Schubert, sondern das Lied, das Robert v. Lassot mit seiner einschmeichelnden Baritonstimme am liebsten gesungen hatte.

Wie oft hatte er selber in früheren friedlicheren Zeiten zu Wellhof seinen Vetter zu diesem Liede begleitet, und Tante Leona hatte verzückt der Stimme ihres Lieblings gelauscht.

Sie verlor die Selbstbeherrschung. Totenbleich geworden, starrte sie ihn an. Dann erhob sie sich wankend, streckte die geballte Hand nach ihm aus und ging.

Nur wenige beachteten es, daß zwei Leute den Saal verließen. Ernst spielte ja immer noch und hielt aller Aufmerksamkeit auf sich gerichtet.

Draußen angelangt, ließ Schimmel den Direktor Schultz zu sich rufen, legte es ihm noch einmal ans Herz, Herrn Teck von ihrer Bekanntschaft nichts ahnen zu lassen, bezahlte das wenige, das er und seine Begleiterin genossen hatten, und verließ dann mit ihr das Lokal.

Jenseits der Straße wartete Peter mit dem Wagen auf seine Gebieterin. Schimmel winkte ihm, herüberzukommen.

Im Wagen stellte Schimmel eine Frage an Leona. »Lieben sich diese Geschwister wirklich so sehr, wie Sie mir einmal erzählten?«

»Das hängt aneinander wie die Kletten.«

»Nun, ich habe dann schon einen Gedanken,« bemerkte Schimmel leichthin.

»So schnell?«

»Er liegt sozusagen auf der Hand, und Schultz wird mir helfen, ihn auszuführen.«

»Warum sind denn auch Sie eigentlich seit einiger Zeit der Klemi und ihrem Bruder so spinnefeind?«

»Mein Geheimnis, Gnädigste! Sie kann es nur interessieren, daß Sie einen energischen Bundesgenossen in mir haben!«


 << zurück weiter >>