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Sechstes Kapitel.

Gegen halb acht Uhr kam Frau v. Lassot vor der Korridortür ihrer Tante nach der auf dem Hietzinger Friedhof verbrachten Nacht an. Es kam soeben ein ihr unbekannter Herr heraus. Tini hatte ihm die Tür geöffnet.

Das Mädchen sah recht übernächtig und ganz verweint aus. Und jetzt schrie sie plötzlich auf: »Da ist sie ja!« Doch rasch faßte sie sich wieder und sagte ruhiger: »Aber, gnädige Frau, warum sind Sie denn über Nacht ausgeblieben?«

»Was unterstehen Sie sich!« entgegnete Frau v. Lassot hochmütig.

»Meine Gnädige,« fiel da der Herr ein und sah der zornigen Frau streng in die Augen, »kommen Sie herein, denn ich habe mit Ihnen zu reden.« Dabei faßte er sie am Arme und führte sie in das Vorzimmer. Da pflanzte er sich dicht vor ihr auf und sagte leise, aber sehr deutlich: »Sie und Ihr merkwürdiges Verhalten sind an allem schuld, was heute nacht hier vorgegangen ist. Das mußte ich Ihnen sagen. Die Frau Oberst hat sich mit Ihnen das Unglück ins Haus genommen. Aus Angst, Sie hätten sich etwas angetan, hat die alte Dame zum zweiten Male einen Schlaganfall gehabt, dem sie erlegen ist. Sie werden es wohl jetzt begreifen, daß das Mädchen Sie so empfangen hat. Adieu, meine Gnädige!«

Draußen war er, der heftige kleine Herr Doktor Martz.

Frau v. Lassot starrte ihm nach. Sie war ungeheuer erschrocken. Nach und nach erst wurde es wieder licht um sie.

»Tot!« sagte sie leise vor sich hin. »Auch hier war der Tod!«

Da fiel ein Schatten auf den lichten Läufer, auf welchem sie stand. Ein hochgewachsener Mann von mittleren Jahren und vornehmer Erscheinung stand vor ihr.

»Wer sind Sie?« fragte sie.

»Notar Fester, der Vermögensverwalter und Testamentsvollstrecker Ihrer nun entschlafenen Frau Tante.«

Er sah dabei aufmerksam in das Gesicht der vor ihm Stehenden.

Es ging darin blitzschnell ein auffallender Wandel vor. Noch soeben welk und fahl, sah es jetzt um Jahre jünger aus, so gespannt war jeder Muskel, so rot waren die Wangen, so blitzten die Augen. Doktor Fester war innerlich angewidert von der gierigen Erwartung, welche dieses Gesicht ausdrückte.

Aber rasch verwandelte sich dessen Ausdruck wieder, und wohl unbewußt schlüpften ein paar Worte über Frau v. Lassots Lippen.

»Zu spät!« sagte sie leise.

Fester war gar nicht überrascht davon, daß sie so dachte, aber daß sie diesem Denken so klaren Ausdruck gab, darüber war er verwundert. Sein Blick sagte ihr dies unumwunden, und sie besann sich, verstand ihn und wurde bis in die Haare hinein rot.

Sie tat ihm jetzt leid. Er wies nach der offenen Tür, durch welche man in den Salon kam. Sie ging langsam hinein und sank auf den nächsten Sessel.

»Sie fragten wohl schon,« begann sie verwirrt, »warum ich heute nacht nicht daheim war. Ich las Roberts Brief, seine letzten Worte an mich. Tante gab ihn mir gestern erst. Da ging ich zu meinem Sohn. Im Friedhofe wurde ich eingeschlossen – ich wollte übrigens gar nicht fortgehen.«

Sie schwieg erschöpft.

Er fragte: »Und an Frau v. Laurens Angst dachten Sie nicht, auch nicht daran, daß sie schon sehr alt und sehr schonungsbedürftig war?«

Da lachte die Frau hart auf. »Ich dachte die ganze Zeit her überhaupt nur an mein Kind und an mein Unglück und an meine –«

Sie vollendete den Satz nicht.

Er mußte einen häßlichen, einen schrecklichen Schluß haben, wenn dieser Schluß dem Aussehen Frau v. Lassots entsprach. Ihr Gesicht war verzerrt, ihre Augen drängten sich fast aus den Höhlen, und ihre Hände ballten sich krampfhaft.

Fester war unwillkürlich einen Schritt zurückgewichen. »Gnädige Frau –«

Sie unterbrach ihn. »Niemand ahnt ja, wie sehr ich meinen Sohn geliebt habe und wie ich um ihn traure.«

Dann mochte es ihr einfallen, daß sie jedenfalls Teilnahme zeigen müsse, und sie erkundigte sich eifrig nach den Vorgängen der vergangenen Nacht.

Fester erstattete ihr kurzen Bericht.

Dann begehrte sie die Tote zu sehen.

Fester klingelte Tini herbei. »Führen Sie Frau v. Lassot zu ihrer Tante!« sagte er.

Die beiden verließen den Salon.

Er sah ihnen eigentümlich lächelnd nach. »Ja, lauf nur,« murmelte er, »überzeuge dich nur, daß sie wirklich tot ist! Kannst ruhig sein. Die gute alte Frau steht nimmer auf, um ein klügeres Testament zu machen, um Würdigeren ihr Vermögen zu hinterlassen. Es bleibt alles, alles dein. Auch dein Geheimnis bleibt dein. Rechtzeitig ist es dir diesmal eingefallen, daß man vor Fremden nicht alles ausplaudern darf. Was sie wohl noch hat sagen wollen?«

Er ging ins Nebenzimmer. Da stand ein zierliches Nähtischchen, dessen Schlüssel sich stets in Frau v. Laurens Schlafrocktasche befand.

Wenn der Notar Fester, statt sich nur für den Schreibtisch und den Geldschrank der Verstorbenen zu interessieren, in jenem Tischchen Nachschau gehalten hätte, so wäre ihm eine deutliche Antwort auf seine letzte Frage geworden.

Aber Juristen interessieren sich wohl für Nähtische nur selten, und nur selten bergen solche den letzten Haß- und Racheschrei eines moralisch Verkommenen.

Das Tischchen blieb also ununtersucht. Der Notar suchte einzig und allein, einem schriftlich festgestellten Wunsch der Verstorbenen gewissenhaft nachkommend, in deren Schreibtisch alle ihre Korrespondenzen zusammen, bezüglich derer sie ihn verpflichtet hatte, sie noch am Tage ihres Ablebens zu verbrennen, und notierte alle Wertpapiere, welche sich in dem eisernen Kassenschranke befanden.

Nachdem er diese Pflicht gewissenhaft erfüllt hatte, verließ er die Wohnung.

Frau v. Lassot hatte er nicht mehr zu Gesicht bekommen.

Diese befand sich allein bei der Toten.

Noch lag die so rasch Abgerufene, mit einem leichten Zug des Schreckens im guten Gesichte, auf ihrem Lager. Hätte der Tod nicht vergessen, jenen Ausdruck des Schreckens aus ihren Zügen zu tilgen, man hätte gewähnt, daß die alte Dame nur schlafe, eine so natürliche Lage hatte ihr Doktor Martz gegeben, der seine liebe Freundin so sanft zu ihrem letzten Schlaf gebettet hatte.

Jetzt schauten freilich Augen auf die Tote, in denen nicht eine Spur von Teilnahme lag. Ein einziger Gedanke, ein immer wieder und immer störriger auftauchender Gedanke verscheucht alles Gute in der Erbin der Toten.

Das Vermögen, das ihr nun zufallen wird, wie hätte Robert darin geschwelgt!

»Zu spät!« sagt das schreckliche Weib wieder. Grimmig neigt sie sich zu dem Ohr der Toten und flüstert ihr heiser zu: »Warum bist du nicht früher gestorben?«

»Warum bist du nicht früher gestorben?« schreit sie plötzlich auf und rüttelt den starren Arm der Leiche.

Dann taumelt sie empor. Ein gräßliches Lächeln umspielt ihren Mund und glimmt in ihren Augen.

»Nun,« murmelt sie, »Glück kann ich ihm und mir mit deinem Gelde nicht mehr kaufen – Glück nicht, aber – Rache!«


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