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Sechsundzwanzigstes Kapitel.

»Der Herr Doktor ist schon fast eine Stund' lang da,« berichtete die Köchin, als Frau v. Lassot mit Lotti heimkehrte.

Leona hörte kaum, was sie sagte. In ihrem Schlafzimmer angelangt, setzte sie sich todmüde auf den nächsten Stuhl.

»Soll ich der gnädigen Frau nicht den Hut abnehmen?« fragte Lotti endlich, weil ihre Herrin gar keine Miene machte, sich wieder zu erheben.

Frau v. Lassot nickte zerstreut. Sie ließ sich auch den Schirm, den Beutel und die Handschuhe abnehmen.

»Den Mantel werden Gnädige wohl auch ablegen wollen,« mahnte Lotti. »Die Köchin hat ja ein bißchen geheizt. Da möchte es zu heiß werden.«

»Freilich – freilich!« antwortete Leona mechanisch und erhob sich, damit das Mädchen den Mantel nehmen konnte. Dann ging sie aber mit langsamen Schritten zu dem Ofen und drückte sich an ihn. »So kalt ist mir!« klagte sie.

Lotti hatte die Sachen in das Kabinett getragen und kam soeben wieder zurück. Sie warf einen Blick auf das Thermometer. Es wies auf sechzehn Grad.

»Sie hat sich aus den Briefen eine Krankheit geholt,« dachte sie bekümmert, holte schnell ein wollenes Tuch und legte es um die Schultern ihrer Herrin.

Diese nickte ihr zu. »Sie denken halt an alles!« sagte sie, freundlich zu dem blassen Mädchen aufschauend.

Das war noch nicht dagewesen. Lotti wurde von der Veränderung, die mit ihrer sonst so schroffen Gebieterin vor sich gegangen war, völlig erschüttert.

»Gnädige Frau werden doch jetzt, da Sie so unwohl sind, den Herrn Doktor nicht empfangen?« fragte sie.

»Richtig, der Schimmel ist da,« sagte Leona gleichgültig. »Schicken Sie ihn fort, Lotti! Ich mag ihn jetzt nicht sehen.«

Lotti ging hinaus, kan: aber gleich darauf wieder. »Er will absolut nicht geh'n,« berichtete sie.

Frau v. Lassot wickelte sich fester in das Tuch. »So mag er bleiben. Aber ich bin nicht für ihn zu sprechen.«

»Wirklich nicht?« tönte es rauh von der Tür her.

Leona wandte sich dieser langsam zu. »Nein!« anwortete sie trotzig. »Ich bin heute überhaupt für niemand zu sprechen, denn ich fühle mich unwohl. Ich meine, Sie können das sehen.«

»Das tut mir leid. Aber ich muß unbedingt mit Ihnen reden.«

Da stand Leona auf. »Was für einen Ton schlagen Sie da an?« fragte sie, die Stirn runzelnd und mit so viel Hochmut in Stimme und Haltung, als sie bei ihrer Müdigkeit aufbringen konnte.

»Sie werden auch auf diesen Ton hören lernen,« spöttelte er und lachte ihr ins Gesicht.

Der Zorn schnürte ihr fast die Kehle zu. Kaum fand sie noch so viele Worte, um Lotti fortzuschicken. Dann ging sie, Schimmel voran, in ihr Wohnzimmer.

»So, jetzt reden Sie!« herrschte sie Schimmel an. »Ich bin sehr begierig zu hören, was Ihnen den Mut zu solcher Frechheit gibt.«

Sie setzte sich, wie zu einem Verhör, breitspurig an ihren Schreibtisch.

Er zog sich einen anderen Stuhl heran, ließ sich sehr bequem darauf nieder und betrachtete sie dabei mit so unverschämten Blicken, daß ihr das Blut in die Wangen stieg.

»Reden Sie endlich!« schrie sie.

Er verbeugte sich ironisch, dann begann er, affektiert lispelnd: »Gnädigste werden über das, was ich reden werde, einigermaßen verwundert sein.«

»Keine albernen Einleitungen! Ich glaube, Sie haben zu viel getrunken.«

»Wenn ich Lethe getrunken hätte, wäre das in der Tat für Sie sehr günstig.«

»Was soll das heißen?«

»Daß ich weder etwas anderes noch Lethe trank, und daß ich aus letzterem Grunde also nichts vergessen habe!«

Leona lächelte verächtlich. »Furcht wollen Sie mir machen!« höhnte sie. »Das wird Ihnen nicht gelingen. Sie haben gar keinen Grund, mir zu drohen. Sie wissen gut, daß wir aneinander gebunden sind. Wie wollen Sie auch beweisen, daß ich die Urheberin der Handlungen bin, die Sie mit Ihren Helfershelfern begangen haben?«

»Nun, Meißl war allein Ihr Werkzeug. Er hat das Band gestohlen und es auf dem Tisch der Baronesse versteckt, und er hat, auf Ihren albernen Einfall hin, die Abendblätter, in denen Sie meine Notiz so urdumm ergänzten, viel zu früh geholt und verteilt, was Ihnen vielleicht das Handwerk legen wird.«

»Dem Meißl stopfe ich mit ein paar tausend Kronen den Mund.«

»Bitte, gehen Sie mit unserem Gelde nicht so verschwenderisch um!«

»Mit ›unserem‹ Gelde?« Frau v. Lassot lachte laut auf. »Schimmel, Sie haben doch zu viel getrunken!«

»Ich bin nie nüchterner gewesen.«

»Wirklich?«

»Und halte in dieser feierlichen Stunde ergebenst um Ihre Hand an.«

Leona begann jetzt doch, sich zu fürchten. Es ging heute etwas Unheimliches von diesem Menschen aus, von seinem dunklen Gesicht, von seinen wulstigen Lippen, zwischen denen immer wieder die langen gelben Zähne sichtbar wurden, von seiner ganzen Persönlichkeit, in deren Kreis sich Leona heute wie eine Fliege im Spinnennetze fühlte.

Sie streckte die Hand nach dem Läutewerk aus, das sich auf dem Schreibtische befand. Aber Schimmel hinderte sie daran, es zu berühren.

»Nur Ruhe, Gnädigste!« sagte er. »Ich habe Ihnen noch mancherlei mitzuteilen. So zum Beispiel, daß von nun an ich selbst die Verwaltung unseres Vermögens übernehmen werde. Es wird ohnehin durch die Schweigegelder, die wir Ihrer Dummheit wegen werden auszahlen müssen, um ein beträchtliches verringert werden. – Schlafen Sie, teure Braut?«

Leona hatte den Kopf gesenkt und die Augen geschlossen, um den Mann wenigstens, nicht sehen zu müssen, der ihr heute zeigte, was die Hölle ist. Und während ihre Seele jedes seiner Worte grausam deutlich in sich aufnahm, fühlte sie nicht minder deutlich, daß sie jetzt noch tausendmal mehr litt, als sie jemals Ernst und Klementine hatte leiden lassen.

Endlich öffnete sie die Augen wieder. Ein Gedanke war ihr durch den Kopf geschossen. Schurken haben ihre Preise. Sie haben hohe Preise, immerhin aber kann man sich von ihnen loskaufen. »Was kostet Ihr Verschwinden aus meinem Leben?« fragte sie höhnisch.

»Ihr ganzes Hab und Gut!« war die prompte Antwort. »Sie sind vollständig in meiner Hand, und nur weil ich großmütig bin, will ich Ihr Vermögen nicht ganz allein für mich haben, sondern nehme Sie als meine Frau mit in den Kauf und werde Sie, falls Sie mich nicht belästigen, im Genießen Ihrer letzten Tage nicht stören. So – jetzt kennen Sie mein Programm!«

»Und belächle es. Schimmel, Sie sind noch nicht einmal so alt wie ich und sind doch schon kindisch geworden, während ich noch recht gut weiß, was ich will und rede und tue.«

»Meinen Sie?«

»Gewiß!« erklärte Leona mit wiedergewonnener Sicherheit. »Ein Beweis dafür ist, daß ich Ihnen nie etwas Schriftliches in die Hand gegeben habe, das mich verderben könnte.«

»Meinen Sie?« höhnte er noch einmal.

»Ich habe jedes Wort, das ich Ihnen schrieb, wohl überlegt.«

»Diese Überzeugung hatte ich schon längst,« gab er zu.

»Nun also? – Und den Meißl kaufe ich mir einfach.«

»Um ihn stumm zu machen?«

»Ja.«

»Nun, selbst wenn er tot und im Grabe wäre, blieben Sie doch in meiner Gewalt. Also überlegen Sie nicht lange meine Werbung und geben Sie mir Ihr Jawort. Meinem Scharfsinn wird es schon gelingen, die etwaigen Folgen Ihrer Eigenmächtigkeiten von uns abzuwehren.«

»Bauschen Sie nichts auf, Schimmel. Ach, wenn mich nichts anderes bedrückte, als diese Folgen! – Doch kommen wir zu Ende. Ich werde natürlich nicht Frau Doktor Schimmel, werde Ihnen aber selbstverständlich gern eine vernünftige Summe dafür zahlen, daß Sie sich von dieser Stunde an von mir trennen.«

Schimmel lächelte nur. »Haben Sie denn wirklich ganz und gar den dreißigsten September vergessen?« fragte er.

Einen Augenblick lang dachte sie nach, dann zuckte sie zusammen und senkte die Augen.

»Nun?« drängte er.

Da war sie schon wieder gefaßt. Trotzig ihn anblickend sagte sie leise, aber fest: »Nein, ich habe nicht vergessen, daß ich damals einen falschen Schwur leistete. Ich habe Ihnen das in meiner Aufregung dummerweise zugestanden, aber nur mündlich, nicht schriftlich. Sie können mich also auch damit zu nichts zwingen.«

»Nun, meine Gnädige, diesen falschen Schwur kann ich Ihnen beweisen.«

»Sie lügen!«

»Diesmal nicht.«

»Niemals habe ich Ihnen darüber ein Wort geschrieben.«

»Mir allerdings nicht, aber Ihrem edlen Söhnchen, diesem Erzlumpen.«

Schimmel ärgerte sich sogleich über sich selbst. Ihrem geliebten Toten den Heiligenschein, den sie um ihn gewoben, herabzureißen – das hätte er sich für später aufheben sollen. Dann wunderte er sich, daß Leona diese Schmähungen so ohne jeden Widerspruch hinnahm.

Wohl war sie bleich geworden, aber über ihre bebenden Lippen kam kein Widerspruch.

Erst nach einer langen Pause fing sie wieder zu reden an und fragte heiser: »Wo haben Sie Ihren Beweis?«

Schimmel zog seine Brieftasche hervor und entnahm ihr ein Schreiben. »Ist das Ihre Schrift?« fragte er, ihr den Brief dicht vor die Augen haltend.

Sie nickte nur.

»Der Brief wurde Mitte Juni, genau eine Woche vor Roberts Tod, geschrieben,« fuhr Schimmel fort. »Sie können also die Tatsache, die Sie darin breit und ausführlich erwähnen, am letzten September noch nicht so ganz vergessen haben, daß Sie ihr Gegenteil beschwören konnten. Soll ich Ihnen den Brief vorlesen?«

»Nein.«

»Sie erinnern sich also an seinen Inhalt?«

»Ja.«

»Daran, daß Sie schrieben –« Schimmel entfaltete nun doch den Brief und las die wichtige Stelle laut. »Die fünftausend Kronen, welche Du Ernst schuldest, wirst Du halt nach Deiner Hochzeit zahlen. Freilich brauchte Teck sie schon jetzt sehr notwendig, denn er hat Verluste gehabt; aber was kümmert schließlich das Dich! Mache Dir also darüber keine Gedanken. Diese fünftausend Kronen sollen keinen Schatten auf Dein Glück werfen.«

Das las Schimmel laut vor.

»Das ist doch so deutlich als möglich?« sagte er dann lächelnd.

»So deutlich als möglich!« wiederholte Leona mechanisch.

»Soll ich Ihnen jetzt auch noch sagen, daß auf Meineid Zuchthaus steht?«

»Das hat mir schon damals Klemi gesagt,« entgegnete Leona merkwürdig gefaßt.

Schimmel fing an, sich zu wundern. Sie sah jetzt ganz ruhig aus.

»Wie sind Sie eigentlich zu dem Briefe gekommen?« fragte sie.

»Ich habe ihn, als ich Ihren Sohn als Leiche fand, aus seinem Schreibtisch genommen.«

»Also gestohlen!«

»Aber, meine Gnädige, was bedeuten für uns Worte?«

»Und ich kann den Brief nicht kaufen?«

»Den Preis kennen Sie ja schon.«

»Mein ganzes Vermögen?«

»Mit oder ohne Sie.«

»Also – mit mir!«

»Schön!«

Schimmels dunkles Gesicht glühte. Er war ja jetzt am Ziel seiner Wünsche angelangt. Endlich war er reich, sehr reich?

Über Leonas Züge zuckte es wie ein verhaltenes Lächeln.

Schimmel, der das wohl bemerkte, wurde zornig. »Wahrscheinlich sind Sie so heiter, weil Sie noch einen Mann kriegen!« sagte er bissig.

Ihr Gesicht war jetzt ganz ruhig. »Nun, freiwillig heirate ich Sie ja nicht, aber wenn es nun schon sein muß, so müssen wir halt bis zu unserem Sterben vereint bleiben.«

»Jetzt werden Sie sentimental!« spöttelte er, nach seinem Hute langend. »Da gehe ich lieber. Aber Abends bin ich wieder da. Wir wollen dann alles in Ordnung bringen, und ich hoffe, daß Sie mir auch ein feines Verlobungsmahl vorsetzen. Ihre Rosi kocht ja nicht schlecht, und Tante Lauren hat uns ja manchen guten Tropfen übrig gelassen.«

Leona nickte. »Wann darf ich Sie erwarten?« fragte sie.

»Um sieben Uhr.«

»Gut. Wir werden also um sieben Uhr zusammen speisen.«

»Und dann das Geschäftliche besorgen.«

»Gewiß. Dann werden wir das Geschäft zum Abschluß bringen.«

Er ging. Sie hatten einander nicht die Hände gereicht, Leona hatte sich auch nicht erhoben; sie schaute ihm nicht einmal nach.

Eine gute Weile war ihr Blick ins Leere gerichtet, dann blieb er auf einem Photographieständer haften, der etwa ein Dutzend Bilder verschiedenen Formates und verschiedener Größe enthielt. Nur die Person, welche auf diesen Bildern dargestellt war, blieb immer dieselbe: ein schöner junger Offizier in allerlei Stellungen.

Langsam schob Frau v. Lassot den Bilderständer zu sich heran. »Also meiner Figur und meiner Manieren hast du dich geschämt!« sagte sie leise. »Mein einsames Leben da draußen war dein Werk, und nie, nie hätte ich bei dir leben dürfen! Verunziert hätte ich dein Heim!«

Ihre Stimme brach. Wie in einem Wahnsinnsanfall sprang sie auf, riß die Bilder aus dem Halter, lief damit zu dem Ofen und warf sie gellend auflachend eines nach dem anderen in das Feuer.

Und als das letzte zu Asche geworden war, sagte sie laut und hart: »Jetzt liegt alles hinter mir. Jetzt besitze ich gar nichts mehr!«

Mühsam richtete sie sich auf, aber dann ging sie festen Schrittes zur Klingel und drückte auf den Taster.

Lotti war sofort da.

»Schicken Sie mir die Rosi herein!« befahl Leona.

Als die Köchin kam, saß Frau v. Lassot an ihrem Schreibtisch. Vor ihr lag ein Notizblatt, in der Hand hielt sie einen Bleistift.

»Ich habe Doktor Schimmel für heute abend zu Tisch gebeten,« sagte sie, »und ich will mit dem Essen Ehre einlegen. Um sieben Uhr wollen wir speisen.«

»Was befehlen gnädige Frau?« fragte Rosi.

»Diesmal sollen Sie das Menü selbst machen und alles allein besorgen. Zu sparen brauchen Sie nicht. Aber alles muß tadellos sein. Ich weiß, ich kann mich auf Sie verlassen.«


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