Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Fünfzehntes Kapitel.

Ernst hatte ausnahmsweise heute abend einmal nichts zu tun, und diese seltenen freien Abende brachte er immer bei seiner Schwester zu. Er sah sie sonst ja nur an Sonn- und Feiertagen, denn an den Wochentagen war immer das eine gerade dann beschäftigt, wenn das andere frei hatte.

Er war sichtlich froh gestimmt, als er Klemi mit ausgestreckten Armen entgegenkam und sie küßte. Dann aber schob er sie von sich und schaute sie forschend an. »Ist das von der Winterluft, oder hast du geweint?« fragte er besorgt.

»Ach, geärgert habe ich mich ein bißchen über einen frechen Menschen!« gab sie zu, indem sie zugleich die Sache als kaum erwähnenswert darstellte, denn sie kannte ihres Bruders Auffassung bezüglich seines Schützeramtes.

»Ein bißchen nur ärgert man sich über derlei nicht!« fuhr er auf. »Klemi? Sag die Wahrheit. Ist's einer aus dem Geschäft, vor welchem ich dich schützen muß?«

»Nein – nein. Ein ganz Fremder war's, und er ist ja schnell davongelaufen. Und jetzt reden wir nicht mehr über Unangenehmes. Ich bin ja so froh, daß ich dich wieder einmal habe.«

»Wenn ich dich doch vor allen Widerwärtigkeiten schützen könnte?« hörte sie seine liebe, weiche Stimme sagen.

Dann gingen sie Arm in Arm durch das Zimmer, und er erzählte ihr von dem Neuen, das seit ein paar Tagen in sein Leben gekommen war. Bei einem Feste, während dessen sein Spiel viel Beifall gefunden, hatte sich ihm einer der Gäste vorgestellt und ihn in ein Gespräch verwickelt. Direktor Eichler leitete ein großes kunstgewerbliches Unternehmen. Er hatte sich sofort für Ernsts künstlerisches Zeichnen, auf das die Rede kam, interessiert und ihn eingeladen, ihn mit Proben seines Könnens zu besuchen. Dies war schon geschehen, und Direktor Eichler hatte Ernst, der ihm vertrauensvoll gesagt, wie außerordentlich peinlich ihm seine derzeitige Stellung sei, ermuntert, in seinen freien Stunden für ihn Entwürfe für dekorative Gegenstände zu machen.

»Du kannst dir denken, daß ich mich sofort hingesetzt habe, um etwas zuwege zu bringen,« schloß Ernst seinen Bericht. »Ein Spiegelrahmen ist es, und ich hoffe, er wird mir gelingen und mir Geld einbringen. – Ja, das liebe Geld!« fuhr er fort. »Du glaubst gar nicht, wie ich jetzt hinter dem Gelde her bin!«

»Und ich erst!« entgegnete Klementine wehmütig. Dann sah sie ihn zärtlich an und sagte: »Hör, Ernst, ich kann dir aushelfen, denn ich habe mächtig gespart.«

Sie wollte zu ihrer Kommode gehen, aber Ernst hielt sie fest und überreichte ihr dann feierlich zwei blinkende Zwanzigkronenstücke.

Sie nahm sie zögernd. »So gut geht's dir?« fragte sie verwundert. »Ich habe nur zwölf Kronen.«

»Und keinen neuen Hut.«

»Als ob ich daran dächte!«

»Hoffentlich wirst du dir doch darüber Gedanken und solche mittels dieses Geldes zur Wirklichkeit machen.«

»Du bist so gut, Ernst!«

»In noch weit höherem Grade hungrig.«

»Und ich im höchsten Grade unaufmerksam,« vollendete Klementine errötend. »Sei nicht böse, weil ich so ganz vergessen habe, daß Essenszeit ist. Ich –«

»Was denn? So bleib doch! Diesmal bewirte ich dich. Mein ›Tischlein deck dich‹ wird sofort in Erscheinung treten.«

Er drückte auf die elektrische Klingel, und gleich danach kam Frau Hartwig mit einem großen Servierbrett herein.

Die wackere Feldwebelswitwe hielt sich nämlich keine Magd, sondern besorgte die Wirtschaft mit Hilfe einer Frau, welche nur Vormittags für mehrere Stunden aushalf.

»Großartig! – Und sogar Blumen!« rief Klementine, die guten Sachen überblickend, welche Frau Hartwig hereingebracht hatte, und in deren Mitte eine Flasche Klosterneuburger Strohweines prangte, an welcher mit Goldfaden ein Veilchenbukett befestigt war.

»Ja, der Herr Bruder versteht's,« lobte die Tante Doras. »Da sieht man halt gleich, was ein Baron ist.«

Rasch war der Tisch gedeckt, und mit Behagen setzte sich das Geschwisterpaar. Die Veilchen aber dufteten in einer von Klementine herbeigeholten Vase auf dem Ehrenplatz, der Mitte des Tisches, über den sich zwei so frohe Gesichter neigten.

Ach, wie froh waren sie, diese so arm gewordenen Geschwister, froh, weil ein kleiner Lichtstrahl sich zeigte, weil Ernst jetzt vielleicht doch einen Schritt nach aufwärts getan hatte!

Klementine schwankte, ob sie dem Bruder jene häßliche Szene mit Tante Leona erzählen sollte, aber sie entschloß sich zu schweigen. Es wäre sonst wohl wieder zwischen ihm und Frau v. Lassot zu einem Zusammenstoß gekommen. Und Ernst hätte ihr ja doch nicht helfen können. Soweit dies möglich war, taten dies übrigens schon Freund Kern und Fräulein Vogel, Dora Hartwig und – Klementine mußte bei diesem Gedanken lächeln – Gustl, der Laufbursche. Es war also, bis bessere Zeiten kamen, schon auszuhalten, dieses fremde, geräuschvolle, ermüdende Leben im Warenhause, das sie einstweilen führen mußte.

Als man beim Nachtisch und dem tiefgelben, duftenden Süßwein angelangt war, holte Klementine Dora herüber.

Aber auch diese hatte Besuch. Ein hübscher, ernster Mann, ihr Bräutigam Erich Link, Prokurist der Firma Gebrüder Bauer, war bei ihr. Klementine kannte ihn schon, und weil er ihr sehr sympathisch war, wollte sie, daß auch Ernst ihn kennen lerne.

Es gab also eine feierliche Vorstellung, und sie fiel zu aller Zufriedenheit aus. Die beiden Herren fanden Gefallen aneinander, und als sie spät Abends miteinander fortgegangen waren, sagte Klementine, Dora zärtlich umarmend: »Ich bin jetzt wieder ganz froh. Ernsts Kommen hat mich jene häßliche Szene leichter überwinden lassen, und nun habe ich auch noch das angenehme Gefühl, daß Herr Link und mein Bruder einen freundschaftlichen Verkehr eingeleitet haben, der Ernst sehr wohl tun wird.«

»Und Erich nicht minder,« bemerkte Dora liebenswürdig. »Jetzt aber, Baronesse – pst! nicht abwinken, hier zwischen unseren vier Wänden sind Sie meine liebe, tapfere Baronesse – also jetzt. Euer Hochgeboren, ist es halb elf Uhr, und genau zwölf Stunden später wollen wir doch mit den Herren schon in Payerbach Gebirgsluft atmen. Ich denke also, wir sollten zu Bette gehen.«

»Also gehen wir schlafen. Ich trage nur noch das Geschirr in die Küche.«

Sonst pflegte ihr Dora derlei kleine Hausarbeiten abzunehmen, heute tat sie nichts dergleichen, schaute der Hinausgehenden schmunzelnd nach und steckte dann rasch den Brief, den Ernst ihr vorhin heimlich übergeben hatte, ans Kopfkissen von Klementines Bett.

Eine Viertelstunde später entdeckte diese ihn. Glücklich lächelnd drückte sie den Umschlag an die Lippen. Das waren so Ernsts liebe Einfälle. Sie ließ sich nämlich noch immer von Eugen in ihre alte Wohnung schreiben. Dort übernahm Ernst oder Frau Till die Briefe und überbrachte oder schickte sie ihr – diese lieben, lieben Briefe, von denen ihr Herz lebte.

Auch dieses Schreiben machte sie glücklich, so warm, so voll Güte war es.

Der Schluß des Briefes aber entlockte Klementine heiße Tränen, so weh tat es ihr, daß sie ihrem Bräutigam nicht ihre ganze gegenwärtige Lage mitteilen durfte.

»Ich danke Gott,« hieß es da, »daß unser lieber Ernst so schnell eine gute Anstellung gefunden hat. So brauche ich mir euch nicht in Armut, in wirklicher Not zu denken. Und was mich am meisten froh macht, ist der Gedanke, daß Du, mein Liebling, nicht in das rauhe Leben hinaus mußtest, denn, Herz, Du ahnst ja gar nicht, wie häßlich es da draußen ist. Immer habe ich tiefes Mitleid mit jenen Frauen empfunden, die ein trauriges Geschick zwingt, noch etwas anderes als Töchter, Schwestern, Gattinnen und Mütter zu sein. Dich im Kampf mit dem Leben zu wissen, das hätte ich auch nur unter bitteren Qualen ertragen, hätte es freilich noch eine Weile ertragen müssen, denn noch bin ich gebunden. Aber nur ein paar Monate noch – und ich bin ein freier Mann.

Wenn ich Dir dann auch nicht sehr viel werde bieten können, so viel wird es doch sein daß wir eine trauliche Existenz haben werden. Und das Wenigste mit Dir vereint wird mir viel mehr sein als der Überfluß allein. Die Sehnsucht nach Dir macht mich zuweilen ganz krank. Ich weiß nicht, wie ich die Zeit, die mich noch von Dir trennt, überstehen werde.

Schreibe mir nur recht oft. Deine Ruhe – ihr Frauen seid in trüben Zeiten immer ruhiger als wir – macht ja auch mich immer für eine Weile wieder ruhig.

Und nun, Du mein Liebstes, lebe wohl und sei tausendmal innig geküßt von Deinem Eugen.«

Klementine drückte den Brief wieder an ihre Lippen.

»Wenn du wüßtest!« murmelte sie wehmütig lächelnd. »Ja – im Leben draußen ist es häßlich, recht häßlich! – Das weiß deine Klemi schon.«

*

Eduard Schimmel war in übelster Stimmung heimgekommen. Also ein Fräulein Teck hatte ihm solch eine Niederlage bereitet! Er hatte den Namen ganz deutlich gehört. Nun, mit der würde er schon noch ein Wörtlein sprechen.

Der Montagabend traf ihn denn auch schon wieder in der Lindengasse. Vor dem Hause Nummer 15 wartete er schon seit halb acht Uhr. Dieses Haus stand mit den sieben anderen Gebäuden in der Mariahilferstraße und der Kirchengasse in Verbindung, in welcher die Firma Groß & Komp. ihre Geschäftsräume hatte. Ihre Angestellten durften, der notwendigen Kontrolle halber, das Warenhaus nur von der Lindengasse aus betreten und es auch nur in dieser Richtung wieder verlassen. Schimmel hatte sich darüber genau informiert.

Und nun stand er, den Hut tief in das Gesicht gedrückt, den Kragen seines Winterüberziehers hochgestellt und mit dem Taschentuch vor Mund und Nase, in dem zugigen Flur, durch welchen dieses Fräulein Teck kommen mußte.

Es galt festzustellen, ob das junge Mädchen, das ihm gestern eine solch scharfe Lehre gegeben hatte, zu den Angestellten des Geschäftes gehörte. Wenn dies der Fall war, dann hatte Klementine, Baronesse v. Teck, einen erbitterten Feind mehr.

Und es war der Fall.

Zwischen drei Viertel auf acht und den folgenden fünf Minuten verlassen die in dem obersten Stockwerk arbeitenden Angestellten des Warenhauses ihre Arbeitsstätten. Es sind unter diesen sehr viele Mädchen: Maschinenschreiberinnen, Putzmacherinnen und Schneiderinnen und so manche andere Fräulein. Aber auch vielen Herren ist in dieser obersten Region ihre Tätigkeit zugeteilt. So kam es, daß Schimmels Gestalt den an ihm vorbeikommenden Mädchen nicht weiter auffiel.

Jetzt drückte er sich enger in seinen Winkel, preßte die Zähne aufeinander, und ein böser Blick fiel aus seinen Augen auf Klementine, welche mit Dora daherkam.

An ihrer anderen Seite ging ein junger Mensch. Der hübsche Bursche sah gerade jetzt mit schwärmerischem Ausdruck in Klementines Gesicht.

Dora Hartwig sagte eben lachend zu ihm: »Nun, Gustl, Sie Ritter ohne Furcht und Tadel! Fräulein Teck ist sicherlich sehr stolz, weil Sie in ihrem Dienst dem Fritz so übel mitspielten!«

»Na, der soll sich noch einmal rühren –«

Mehr hörte Schimmel nicht.

Die drei waren schon vorüber, und es gelang ihm nicht sogleich, ihnen wieder ganz nahe zu kommen. Auffallen wollte er jedenfalls nicht, und so mußte er sich also gedulden, bis er mit dem Strome der ins Freie Hastenden auf die Straße kam. Dort konnte er jedoch Klementine nirgends mehr entdecken.

»Tut nichts!« brummte er grimmig. »Du entgehst mir nicht!«

Er rief einen Fiaker an und ließ sich zu Frau v. Lassot fahren.


 << zurück weiter >>