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Dreizehntes Kapitel.

Am nächsten Tage gab es in der Tat eine Probiermamsell weniger im Warenhause Groß & Komp.

Allein Klementine war nicht, wie es die Lassot zur Bedingung ihres Wiederkommens gemacht hatte, Knall und Fall entlassen worden. Man hatte sie nur versetzt, und zwar in eine Abteilung, in welcher sie in keine Berührung mit dem Publikum kam. Die Chefs hatten dies ohne weiteres auf Vorschlag Fräulein Vogels verfügt.

Als es die Neuber erfuhr, lächelte sie höhnisch. Und sie lächelte noch höhnischer, als sie merkte, daß der Direktor Hälby jetzt auffallend oft ihre Abteilung besuchte.

Besser ging es den Leuten ihrer Abteilung deswegen freilich nicht. Wenn jemand durchaus andere quälen will, findet er ja immer Mittel dazu. Jedenfalls hatte Klementine von jenem Abend an in Paula Neuber eine wütende Feindin.

Und sie hatte doch schon eine wütende, eine erbarmungslose Feindin!

Als Leona in gemachter Entrüstung das Warenhaus verließ, war sie innerlich voll teuflischer Freude. Es war ihr also richtig gelungen, die zwei in die tiefste Armut hinunterzustoßen!

»In die tiefste Armut! Wäre es nicht so, hätten die beiden irgend einen Ausweg gefunden, dann hätte sich Klementine heute nicht wie eine Puppe vor mir drehen müssen.«

Das dachte Frau v. Lassot noch, als sie nach jenem für sie so köstlichen Auftritt in ihrem Bette lag.

Wieder las Lotti ihr einen Roman vor, aber diesmal hörte ihre Herrin die müde Stimme des Mädchens kaum, so sehr war sie mit ihren eigenen Gedanken beschäftigt.

Natürlich erinnerte sie sich auch des Schimpfes, welchen Klementine ihr entgegengeschleudert. Aber gerade diese zornige Abweisung war für sie zur Handhabe geworden, die Gehaßte noch tiefer hinabzudrücken, denn es war ja gar nicht zu bezweifeln, daß eine Bedienstete, die sich so aufgeführt hatte, sofort entfernt werden mußte.

Leonas bemächtigte sich eine Art Lustigkeit, eine abscheuliche Lustigkeit, während sie sich vorstellte, wie leicht man eine Person von der Art Klementines aus jeder Stellung jagen konnte.

Und diese Heiterkeit kam jetzt der armen Lotti zu gut. Leona schickte sie zu Bett. »Stehen Sie aber nicht zu spät auf, und sputen Sie sich, damit ich den Schlafrock noch vor dem Frühstück probieren kann.« –

Als sie am nächsten Morgen zur Anprobe in des Mädchens Zimmer kam, war sie noch immer ungewöhnlich gnädig und gut aufgelegt.

Sie tadelte ausnahmsweise nichts an der Arbeit, und als sie zum Frühstück ging, gab sie Lotti ein Fünfkronenstück und sagte mit einer Miene, als ob sie ihr Tausende geschenkt hätte: »Da haben Sie Geld. Kaufen Sie sich bei Groß & Komp. etwas dafür. Natürlich in der Konfektionsabteilung. Schauen Sie sich gut danach um, ob die freche Person noch dort ist.« –

Nein, die freche Person war nicht mehr dort. Lotti sah sich sehr genau nach ihr um und gewahrte, daß man die junge Dame tatsächlich entfernt hatte.

Sie war also eine Baronesse und sagte »du« zu Frau v. Lassot! Sie waren also verwandt miteinander, die beiden, und Frau v. Lassot haßte sie. Ob Baronesse Teck es wirklich war, die schlecht an ihrer Herrin gehandelt hatte? Das fragte sich Lotti schon seit gestern.

Sogar in dem langsam arbeitenden Hirn der guten Lotti hatte sich dieser Zweifel festgesetzt.

Auf die Nachricht hin, daß Klementine nicht mehr da sei, begab sich Leona noch am selben Nachmittag in das Warenhaus, um nun den gestern nicht zu stande gekommenen Einkauf durchzuführen.

Kaum hatte die Neuber sie erblickt, schoß sie schon auf sie los, lag es doch in ihrem Interesse, der Kundin mitzuteilen, daß ihre widerspenstige Untergebene tatsächlich entlassen worden sei.

Als Frau v. Lassot diesmal die Konfektionsabteilung verließ, war sie sehr wohlgelaunt. Sie hatte einen sie befriedigenden Kauf gemacht, und die sie unter Komplimenten bis zum Aufzug geleitende Neuber hatte ihr versichert, daß die unverschämte Teck sofort entlassen worden sei, und daß es dieser hochmütigen Person nicht leicht gelingen dürfte, anderswo einen Posten zu finden.

*

Unbeschäftigte oder doch wenig beschäftigte Frauen gehören erfahrungsgemäß zu den häufigsten Besucherinnen der großen Warenhäuser. Zuweilen gehören sie auch zu deren besten Kunden, denn selbstverständlich wird bei der Wanderung durch die glänzend beleuchteten, behaglich durchwärmten Räume, in denen so vielerlei Artikel aufgestapelt und zierlich ausgelegt sind, die Kauflust mächtig angeregt.

Sehr oft aber betrachten jene wenig beschäftigten Frauen diese großen Warenhäuser als die günstigsten Örtlichkeiten für erlaubte oder auch nicht erlaubte Zusammenkünfte und als die günstigsten Örtlichkeiten zu kostenloser Zerstreuung.

Auch zu Groß & Komp. kamen sie scharenweise, die Frauen und Mädchen, welche mit ihrer Zeit nicht hauszuhalten brauchten und nichts Besseres damit anzufangen wußten, als zu flanieren, zu schauen, zu bewundern, zu bekritteln und sich hunderterlei Dinge vorlegen zu lassen, die sie nicht brauchten, nicht wollten und nicht kauften. Die Fahrstühle waren von ihnen gefüllt, die Verkaufstische von ihnen belagert. Durch tausend sinnlose Fragen belästigten sie das Personal, hielten die Verkäufer auf und nahmen den ernsten Käufern den Platz weg.

Ganz besonders deutlich zeigte sich dieses Unwesen jetzt in der Weihnachtszeit, in der natürlich noch viel mehr Waren aufgelegt wurden als sonst und in welcher die Schaulust also noch weit reichlicher als sonst befriedigt wurde.

Da gab es ganze Gruppen von Damen, die ihre Nachmittage bei Groß & Komp. verbrachten, und die schließlich, ermüdet von ihren Streifereien durch das ganze weitläufige Haus, im Erfrischungsraum, dem Palmengarten oder der Lesehalle landeten, um daselbst weitere Stunden zu verplaudern.

Auch Frau v. Lassot war eine fleißige Besucherin des Warenhauses geworden. Nicht daß sie so schau- oder kauflustig gewesen wäre, aber dieses Geschäft war ihr ganz plötzlich ungemein sympathisch geworden, weil sie hier zum ersten Male persönlich und – wie sie meinte – siegreich gegen die von ihr so bitter Gehaßte hatte auftreten können.

Ein Spaziergang von weniger als einer Viertelstunde brachte sie von ihrer Stadtwohnung mitten in dieses fieberhaft pulsierende Leben hinein, von dessen Brandung sie sich, sobald sie wollte, zurückziehen konnte.

So saß sie denn oft, allein oder von Lotti begleitet, in einem der vielen lauschigen Winkel des Palmengartens, der zwischen dem Lesezimmer und dem Kaffeesalon in dem obersten Stockwerke des Warenhauses lag. Da konnte sie, ihrer natürlichen Trägheit folgend, regungslos in einem der behaglichen Rohrstühle etliche Stunden hinbringen.

Es zerstreute sie wirklich, dieses Hin- und Herwogen der Menge, diese hunderterlei Gesichter und Toiletten, diese tausenderlei Laute, die zu ihrem Ohre gelangten.–

Wieder einmal – es war am Silvestertage – hatte sie ein paar Stunden unter den Palmenwedeln da oben zugebracht. Es war schon finster geworden. Schon durchflutete das elektrische Licht alle Räume des Hauses, und auch auf der Straße glühten schon Lichter auf, da endlich bestieg Leona den Auszug, uni sich in das Erdgeschoß hinabbefördern zu lassen.

Als sie unten dem Ausgange zustrebte, geschah es, daß im Gedränge der Leute, welche sich da hin und her schoben, zwei Bedienstete des Hauses für ein paar Sekunden neben ihr blieben.

»Hast du's ihm schon gesagt?« fragte der eine, der einen Pack Stoff trug.

Der andere verneinte. »Warum soll denn gerade ich mir die Finger verbrennen? Ich muß ohnehin vorsichtig sein. Soll die Teck es doch selber sagen. Ich werde mich hüten, die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.«

Frau v. Lassot hatte dem Gespräch und den beiden, die es führten, erst Aufmerksamkeit geschenkt, seit der Name Teck gefallen war. Da aber faßte sie die Leute schärfer ins Auge. Der eine sah so gewöhnlich als möglich aus. Der andere war ein alter Geck – mehr konnte Leona nicht feststellen, denn schon hatten sich andere zwischen sie und die beiden geschoben.

In einer großen Aufregung kam sie auf die Straße. Erst da fiel es ihr ein, daß sie die Leute hätte anhalten und nach dieser Teck hätte befragen müssen. Sie ärgerte sich jetzt wegen dieses Versäumnisses. Aber freilich, wenn die Neuber sie getäuscht hatte, wenn Klementine noch im Warenhause angestellt war, konnte man dies leicht erfahren. Wenn auch nicht sie selbst, so würde sich doch Schimmel bald Gewißheit darüber verschaffen können.

Schon gegen neun Uhr am Neujahrstage schellte sie an seiner Tür. Frau Heister führte sie sofort in das Arbeitszimmer des Doktors. Sie hatte ja die Weisung, Frau v. Lassot stets unangemeldet vorzulassen.

Diesmal verweilte Leona übrigens nicht gar lang bei Schimmel; er versprach ihr, sofort ihren Wunsch zu erfüllen und Erkundigungen darüber einzuziehen, ob die Baronesse wirklich noch Angestellte des Warenhauses sei. Er hatte sie auch versichert, daß er gewiß schon am nächsten Tage ihr sichere Nachricht werde überbringen können.

Vergnügt verließ sie den Mann, der so willfährig war. Wie rasch, wenn auch freilich mit welch großen Geldopfern, die sie bringen mußte, hatte er ihr sämtliche Schuldforderungen von Ernst verschafft; wie bereitwillig war er auch jetzt, gegen Klementine sie zu unterstützen!

Auch Schimmel war vergnügt. Er hatte nämlich gestern erst in einer Schublade seines Schreibtisches nach einem Schriftstücke gesucht, und bei dieser Gelegenheit war ihm etwas anderes, völlig Vergessenes in die Hände gekommen: die Briefe, welche er sich angeeignet, als er, nach einem verfänglichen Brief von sich selbst suchend, Robert v. Lassots Schreibtisch durchschnüffelt hatte.

Und nun erst hatte er sich mit dem Inhalt dieser Briefe vertraut gemacht. Der seinige war nicht darunter. Es waren meist Mahnbriefe und etliche Briefe von Frau v. Lassot.

Die letzteren waren Ergüsse einer bis zur Verrücktheit gesteigerten Mutterliebe und einer bis zur Lächerlichkeit gediehenen Blindheit gegenüber den Tatsachen.

Isidor Schimmel, der den Oberleutnant besser als irgend jemand anderer gekannt hatte, unterhielt sich köstlich bei der Lektüre dieser närrischen Briefe.

Als er aber den letzten gelesen hatte, lachte er laut auf. Sein feistes, bronzefarbenes Gesicht ebenso wie seine Augen fingen an zu glänzen. Sein Atem ging schneller. So tief mußte er atmen, daß er die wulstigen Lippen dabei weit auftat.

Lange saß er so. Dann tat er den letztgelesenen Brief und auch alle anderen Briefe, welche die Lassot an ihren Sohn geschrieben hatte, in einen starken Umschlag und ging damit zu seinem Kassenschrank. Er öffnete diesen und schloß dann ein Fach darin auf, in welchem sich sein Privatvermögen befand. Es bestand in einem ziemlich stattlichen Paket sicherer Papiere.

Als Schimmel die Briefe dazulegte, sagte er laut: »Du bist Tausende wert, genau so viel, als diese Närrin besitzt.«

Gleich danach rief die Heister ihn zum Nachtessen. Aber Schimmel tat den Speisen wenig Ehre an. Er war zu nachdenklich dazu.

Als die Heister den Tisch abdeckte, trug sie fast alles, was sie hereingebracht hatte, wieder hinaus. Das war, solange sie ihm diente, noch nicht vorgekommen.

Sie war deshalb sehr verwundert.

Jetzt ging er, die Hände auf dem Rücken, eilig im Zimmer umher und murmelte zuweilen etwas vor sich hin.

»Das hat sie ganz vergessen,« hörte sie ihn sagen, und dann: »Da gibt's kein Leugnen. Der Brief ist ein Vermögen wert. Ein einziger Satz – ein Vermögen!«

Als Schimmel das sagte, war er soeben auf seiner Wanderung dicht bei seiner Haushälterin angelangt. Er sah sie an und war sichtlich erstaunt darüber, daß sie noch da sei.

Aber er wurde nicht etwa zornig – nein, ganz gemütlich packte er sie an ihren Armen, schüttelte sie und wiederholte noch einmal mit einer merkwürdigen Lustigkeit: »Ein Vermögen! Hören Sie, Heister, ein Vermögen! Haben Sie schon einmal von einem Vermögen gehört, das man sich nur zu nehmen braucht? Ganz einfach zu nehmen?«

Dann ließ er ab von ihr und setzte seine Wanderung fort.

Den Kopf schüttelnd ging die Heister hinaus in ihre Küche.

*

Um die Mittagszeit des 2. Januar erhielt Frau v. Lassot einen Rohrpostbrief, in welchem Schimmel ihr meldete, daß Baronesse Klementine immer noch im Bureau des Warenhauses verwendet werde, und daß sie gelegentlich irgend einer passenden Abteilung des Geschäftes zugeteilt werden solle.

Noch am selben Tage begab sich Leona wieder zu Groß & Komp. Es ließ ihr daheim einfach keine Ruhe. Mit der Inbrunst des wildesten Hasses hoffte sie irgend jemand zu finden, der sich mit ihr gegen Klementine verbinden werde.

Daß die Vorstandsdame der Konfektionsabteilung Klementine nicht gut gesinnt und somit vielleicht gegen diese zu gebrauchen sei, nahm sie ohne weiteres an, ihr Instinkt sagte ihr jedoch, daß es vielleicht noch besser wäre, sich in dieser Sache an jenen ältlichen Gecken zu wenden, der am Silvestertage eine Minute lang neben ihr gestanden und die charakteristische Bemerkung gemacht hatte: »Ich werde mich hüten, die Aufmerksamkeit auf mich zu lenken.«

In diesem Ausspruche lag so sehr viel. Sie hatte ja kein besonders gutes Gedächtnis, allein diesen Ausspruch und auch den Menschen, der ihn getan, hatte sie sich wohl gemerkt, und sie war entschlossen, so oft zu Groß & Komp. zu gehen, bis sie jenen Menschen entdeckt haben würde.

Ihrer zunehmenden Müdigkeit nicht achtend, wanderte sie bis zum Abend durch das Riesenhaus, und fort und fort suchten ihre Augen den großen, mageren Mann, der schon so alt und abgelebt aussah und der doch so geckenhaft gekleidet war und sich so jugendlich gab.

Aber sie fand den so sehnlich Gesuchten nicht und kam spät Abends verdrossen und todmüde zu Hause an.


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