Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

.

Vierzehntes Kapitel.

Das Warenhaus bot nach Neujahr einen ganz anderen Eindruck als in den Feiertagswochen, in denen neben mancherlei Überfluß doch zumeist Nützliches ausgestellt und gekauft worden war. Jetzt kam der Fasching und mit ihm die Lust an Glanz und Flitter.

Dieser Faschingslust war reichlich Sorge getragen. Die ganze weite Mittelhalle glich mit ihrem Glänzen und Flimmern einem Feenpalaste. Was die Mode nur ersonnen hatte, um schöne Frauen noch reizender zu machen, war hier und noch in vielen anderen Räumen des Hauses zur Schau ausgestellt.

Ganze Gruppen wie Balldamen gekleideter Puppen waren zu sehen. Die Stoffe auf ihnen, mit raffiniertem Geschmack drapiert, sahen aus, als seien sie aus Mondlicht, aus Sonnengold, aus Kraterflammen gewoben. Hier floß die breite, seerosengeschmückte Schleppe einer Toilette nieder, die aus schwerer, wassergrüner Seide bestand, dort schmiegten sich an lichtblauem Atlas Eisblumen imitierende Spitzen und Hermelin.

Wohin das Auge schaute, traf es auf die neuesten, reizenden Erzeugnisse der vielerlei Industrien, welche dem Luxus und der Mode dienen. Vom niedlichsten Ballschuh an bis zum mächtigsten Blumenarrangement, vom durchbrochenen Seidenstrumpf bis zu dem wallenden Federtuff der Coiffüre war all das zu sehen, was außer dem eigenen Reiz ein Weib zur Ballkönigin machen kann. Spinnwebfeine Stoffe in allen Farben, köstliche Stickereien, von Feenhänden aus dem mannigfaltigsten Material hergestellt, schillernde Gürtel und Besätze, Abendmäntel, die wahre Gedichte, Kapotten, die wie ein Hauch waren – all das war hier in augenblendender Pracht dem ewig verlangenden Sinn der Frauen dargeboten.

Nur eine war da, die nichts von dieser Farbenpracht, nichts von diesem Glänzen und Gleißen gewahrte, eine, die hier nichts wollte und nichts suchte als einen Mann, einen Mann, der ihr völlig fremd war, dessen Namen und Stellung sie nicht kannte, und von dem sie nur zweierlei wußte: daß ihm hier manches bekannt sei, und daß er niemandes Aufmerksamkeit auf sich ziehen wolle.

Allein sie fand ihn auch heute nicht, die alte, schwarzgekleidete Frau, die sich so willig umherstoßen ließ, und der man es ansah, daß sie zum Umsinken müde sei.

Aber plötzlich fuhr sie auf. Jetzt funkelten ihre Augen, und ihr Mund lächelte.

Ein Kind hatte geschrieen: »Mama! Wo ist meine Mama?«

Alles schaute nach der Richtung, aus welcher das geängstigte Weinen kam. Auch die Verkäuferin, vor deren Tisch Frau v. Lassot soeben stand, schaute nach dieser Richtung.

Leona aber konnte ihr Auge nicht losreißen von einem hübschen blonden Knaben, der dicht an dem Verkaufstisch in ihrer Nähe stand. Ganz entzückt war sie und auch wieder voll Wehmut. So, fast gerade so hat ihr Robert ausgesehen, als er im Alter dieses Kindes war. Weich war ihr Blick und auch ihr Herz geworden.

Aber nun veränderte sich der Ausdruck ihres Gesichtes plötzlich wieder. Ein ungeheures Staunen prägte sich dann aus. Der blonde Knabe hatte in dem Augenblick, als jener Schrei hörbar wurde, und alles nach dem Kinde schaute, das seine Mutter verlor, seine Hand ausgestreckt, eine Rolle Samtband ergriffen und es blitzschnell in die Tasche seiner Kniehose gleiten lassen. Der ganze Vorgang hatte nicht drei Sekunden in Anspruch genommen.

Frau v. Lassot lächelte. Dieser Bube interessierte sie außerordentlich, und sie ließ ihn nicht mehr aus den Augen.

Da sah sie ihn ganz gelassen zu der Frau treten, zu welcher auch das kleine Mädchen gehörte, das soeben so geschrieen, und das sich nun, weil die Mutter bei ihm war, schon wieder beruhigt hatte. Niemand als Leona durchschaute den Grund, den tatsächlichen Grund jenes bitterlichen Weinens. Während etliche Gutmütige das Kind trösteten und freundlich mit ihm sprachen, lächelte sie, und sie lächelte auch, als die junge, hübsche Mutter der Kleinen das zierliche Ding ans Herz drückte und zärtlich tadelnd sagte: »Aber wie kann man denn nur so einen Lärm machen? Das mußt du nimmer tun. Ich wär' dir schon nicht verloren gegangen, du kleines Dummerl du.«

Die Leute, welche der hübschen Szene zugeschaut, machten jetzt der jungen Mutter und den beiden reizenden Kindern Platz, da sie sich Zum Gehen wendeten.

Frau v. Lassot blieb dicht hinter ihnen, als sie dem Aufzug zuschritten.

»Weil du so erschrocken bist, Gretl, kriegst du jetzt ein Stückerl Torte,« sagte die Frau zu dem Mädchen, während sie den Fahrstuhl bestieg.

Auch Frau v. Lassot fuhr mit. Sie fing schon unterwegs mit der Frau zu sprechen an, lobte die Liebe, welche Gretl für ihre Mutter fühlte, erwähnte, daß der blonde Bube sie an ihren Sohn erinnere, und welch ein Glück es sei, solche Kinder zu haben, was tausendmal glücklicher mache als ihr Reichtum.

Die junge Frau hörte ihr artig zu, wurde sogar sehr aufmerksam, als die schlaue Leona absichtlich ihres Reichtums erwähnte. Nun, Leona wußte genau, was sie tat, war sie doch auf der Suche nach brauchbaren Helfern, also nach schlechten Menschen. Schlechter aber kann wohl nicht leicht ein Mensch sein als eine Mutter, die ihre Kinder zur Nichtsnutzigkeit erzieht und sie der Schande ausliefert.

Der Gedanke, sich dieses Weib für den Dienst ihrer Rache zu sichern, war urplötzlich in ihr entstanden. Die hatte man ja in der Hand, die konnte man, wenn sie nicht freiwillig sich anwerben ließ, dazu zwingen, zu tun, was man wollte. Zuerst war dieser Gedanke unklar in dem Hirn der rachsüchtigen Frau aufgetaucht, aber er war da, und deshalb nahm sie sich bestimmt vor, dieses Weib sich nicht ebenso entschlüpfen zu lassen, wie sie sich damals jenen anderen hatte entschlüpfen lassen.

In der Konditorei angekommen, blieb Frau v. Lassot, als sei dies ganz selbstverständlich, bei den dreien und bat es sich als besondere Freundlichkeit aus, daß sie die Kinder bewirten dürfe.

Die Mutter gewährte diese Bitte ohne Zögern, und unter dem Vorbringen, daß der Knabe – Felix hieß er – ihr ganz die Zeiten ihres jungen Mutterglückes in Erinnerung bringe und sie daher heute so etwas wie ein unverhofftes Fest feiere, ließ die schlaue Leona den Tisch, den sie gewählt, reichlich mit allerlei Gutem besetzen, was den sich recht bescheiden gebenden Kindern sowohl als deren vortrefflicher Mutter sichtlich behagte; wenigstens ließen alle drei an Eßlust und Eßfertigkeit nichts zu wünschen übrig.

Wohl eine Stunde saß das saubere Vierblatt beisammen. Zum Schlüsse schrieb Leona sich den Namen und die Adresse der jungen Frau auf, und diese dankte mit überschwenglichen Worten für die Güte, mit der die gnädige Frau ihre Kinder überhäufte.

Frau v. Lassot hatte dem Buben und auch dessen Schwester herrliches Spielzeug zu schicken versprochen. Auf diese Weise war sie zum Namen und zur Adresse der jungen Frau gekommen.

Auch hatte ihr diese erzählt, daß ihr Mann, der augenblicklich in Geschäften verreist sei, sehr schwer zu kämpfen habe, um sich und seine Familie zu erhalten.

»Aha,« dachte während dieses Vertrauensergusses Leona, »sie glaubt mir, daß ich reich bin, und daß ich mich wirklich in ihren Buben vergafft habe, daß sie also Nutzen aus mir schlagen kann!«

Was sie mit ihr vorhatte, darüber war sich Leona noch keineswegs klar, sie bemerkte nur, daß diese Frau Isabella Klein, die gleich ihren Kindern so nett und einfach gekleidet war, so gewandte Manieren besaß und dabei eine ganz raffinierte Ladendiebin war, zu irgend etwas Schlechtem gut zu gebrauchen sei.

Diesmal verließ sie das Warenhaus ziemlich befriedigt. Sie hatte zwar den gesuchten Mann wieder nicht entdeckt, aber sie hatte die Bekanntschaft dieser jungen Gaunerin gemacht, die sie gegen Klementine zu verwenden gedachte.

In der Nacht brauchte Lotti ihrer Gnädigen nicht vorzulesen, denn in dieser Nacht schlief Frau v. Lassot besser als seit langer Zeit.

Am anderen Morgen schrieb sie einen Brief an Schimmel.

Der Inhalt dieses Schreibens lautete: »Lieber Doktor! Da Sie keine Einfälle haben, muß ich selbst handeln. Ich habe gestern die Bekanntschaft der Frau gemacht, deren Namen und Adresse ich beilege. Ich nehme als bestimmt an, daß diese Person zu allem zu gebrauchen ist. Erkundigen Sie sich sofort nach ihr. Suchen Sie so viel als möglich über sie zu erfahren, und kommen Sie noch heute zu mir. Ich habe eine Idee.

L. L.«

»Wird eine saubere Idee sein,« dachte Schimmel, als er den Brief gelesen hatte. Und als er ihn zusammenfaltete und ihn in einer der Schubladen seines Schreibtisches verschloß, sagte er laut: »Dieses Weib ist der reine Teufel, von der kann man noch lernen.«

Er ging erst gegen Abend zu der vor Ungeduld fast Vergehenden.

»Aber so spät kommen Sie, Doktor!« empfing sie ihn.

Er zuckte die Achseln.

»Mir scheint, Sie schlafen ein!« fuhr sie ärgerlich fort.

Er zog gemächlich die Handschuhe aus, schob sich dabei höchst ungeniert mit dem Fuß einen Sessel zurecht und ließ sich, noch ehe die Frau ihn dazu eingeladen hatte, nieder.

»Daß ich durchaus nicht geschlafen habe, werden Sie sogleich merken,« fing er an, zog sein Taschentuch und schnaubte sich geräuschvoll.

Er hatte mit Beginn dieses Jahres ganz merkwürdige Manieren angenommen. Das hatte Frau v. Lasset schon am Neujahrsmorgen gefühlt, und das empfand sie in dieser Stunde noch deutlicher. Er hatte sich sonst immer bescheiden und unterwürfig, ja oft geradezu kriechend benommen, und nun war er so ganz anders geworden. Er behandelte sie nicht mehr wie eine Dame, er behandelte sie nicht einmal mehr so, wie man etwa ein achtbares Weib aus dem Volke behandelt, wenn man nämlich selbst ein anständiger Mann ist.

Allerdings, ein solcher war ja Schimmel nicht, das wußte sie ganz genau, und das fiel ihr soeben wieder ein, als sie ihn so respektlos vor sich sah. Dann fiel ihr aber auch zugleich ein, daß er eben angefangen hatte, sie als – seinesgleichen zu behandeln. Bei diesem Gedanken drückte sich Pein und Sorge in ihrem rotgewordenen Gesicht aus, und fast ächzend ließ nun auch sie sich in der Sofaecke nieder.

Schimmel ahnte vermutlich, was in ihr vorging. Das spöttische Lächeln, mit dem er sie ansah, sprach für diese Annahme.

»Also, ich war sehr munter, meine Gnädige,« sagte er, griff in seine Rocktasche und brachte eine umfangreiche Brieftasche zum Vorschein, öffnete sie bedächtig und entnahm ihr ein Papier.

Nachdem er seinen Zwicker aufgesetzt hatte, las er laut: »Isabella Klein, oder Streit-Kathi, oder Isabella Estalba, wohnt seit 18. September vergangenen Jahres in dem Quartier, welches sie jetzt innehat, steht, als schon zweimal ertappte Ladendiebin und nachdem sie zwei Freiheitsstrafen in Neudorf abgesessen hat, unter Polizeiaufsicht und ist seit Mai 1897 mit Gustav Klein, einem professionellen Taschendieb, verheiratet. Isabella Estalba hat vordem in einem Zirkus gearbeitet. Ihr Mann sitzt derzeit in Stein und wird zu Ende Februar frei. Da er nach Wien zuständig ist, kann man ihn und die Seinigen nicht abschieben, aber die Polizei behält diesem Ehepaare gegenüber die Augen offen.«

Schimmel steckte das Blatt wieder in seine Brieftasche. Dann blickte er auf, meinend, Frau v. Lassot werde ihn loben.

Allein die lächelte nur ironisch und sagte: »Also nur das Ehepaar wird beaufsichtigt?«

»Wem soll man denn noch auf die Finger schauen?«

»Den beiden Kindern.«

»Richtig – Kinder sind auch da. Das Mädel hat derzeit ein gastrisches Fieber. Sie und ihr Bruder sind ziemlich beliebt im Hause – das hat man so nebenbei auch erhoben.«

»Und gehören, wie ihre Frau Mama, auch schon zur Zunft der Ladendiebe,« ergänzte die Lassot.

»Woher wissen Sie das?«

Daraufhin erzählte Leona, was sie gestern im Warenhause beobachtet, und wie sie sich danach den dreien angeschlossen. Und dann sagte sie: »Ich will diese Bekanntschaft nicht umsonst gemacht haben.«

Schimmel blieb sehr ruhig. Gleichmütig fragte er: »Wie wollen Sie sie denn benutzen?«

»Noch weiß ich es nicht. Aber das eine weiß ich: die Klein wird ausführen, was ich selbst nicht tun könnte.«

»Meinen Sie?«

»Natürlich. Wir werden sie einfach dazu zwingen.«

»Wozu?«

»Zu irgend einer mir wünschenswert erscheinenden Tat.«

»Sie denken offenbar an Mord und Totschlag,« sagte Schimmel ironisch.

»Nein, so weit denke ich nicht,« erwiderte Leona, »aber –«

»Aber vielleicht an ein Vitriolattentat oder an –«

»Nein, auch an das denke ich nicht. Es muß irgend etwas geschehen, wofür die Schuld allein Klementine trifft, wofür sie ihre Ehre verliert, und wofür sie im Zuchthaus büßen muß.«

»Ihr Haß ist groß.«

»Er wird nur mit meinem Leben enden.«

»Warum wagen Sie sich nur an die Baronesse heran?«

»Mit Hilfe dieser Kleins werden wir wohl auch mit ihrem Bruder fertig werden.«

»Wir? Gnädige sprechen schon zum zweiten Male in der Mehrzahl.«

»Wollen Sie sich etwa jetzt zurückziehen?« Frau v. Lassot wurde plötzlich ängstlich, und an dieser Ängstlichkeit ermaß sie die Wichtigkeit, welche Schimmels Rat und Hilfe schon für sie erlangt hatten. »Nein, lieber Doktor,« bat sie, »Sie müssen bis zuletzt bei mir aushalten. Bedenken Sie doch: ich stehe allein, ganz allein und – und zahle ich denn so kärglich? Wenn Sie dies finden, so bestimmen Sie selber den Wert Ihrer Bemühungen. Ich werde nicht knickern, aber Sie begreifen es doch – Sie, der mein hingemordetes Kind gekannt hat, daß ich meine Rache, meine volle Rache haben muß!«

Er blieb sehr kühl. Er haßte ja nicht, und wie groß auch sein Behagen am Schlechten war, wie groß seine Freude, wenn er Bessere zu sich herunterzwingen konnte, war doch seine Vorsicht noch größer. In erster Linie war er ja ein Schuft, aber in zweiter war er auch ein Genußmensch. Er wollte sich sein Leben nicht verderben und erst recht nicht von anderen verderben lassen. Von diesem erhabenen Gesichtspunkte aus regelte Schimmel schon seit langem sein Tun und Lassen. Wenn ihn eine Niederträchtigkeit in keinerlei Gefahr bringen konnte, vollführte er sie mit Vergnügen, tat aber nicht das geringste, wenn die Wahrscheinlichkeit damit verbunden war, daß er dadurch die Aufmerksamkeit der Behörden auf seine leider schon gezeichnete Person ziehen könne.

Darum ärgerte er sich einigermaßen über den Plural, den Leona bei Entwicklung ihres Planes als so ganz selbstverständlich gebraucht hatte. Allein er wurde sehr bald wieder ruhig. Mußte er sie doch einstweilen noch bei guter Laune erhalten. Bis Ende März etwa konnte das sichere Geschäft, das er ihr heute vorschlagen wollte, und bei welchem sehr viel zu gewinnen war, abgewickelt sein, und zu diesem Geschäfte brauchte er ihr Geld. Deswegen mußte er jetzt noch den Gefälligen gegen sie spielen, nebenbei konnte er sich immerhin auch ein wenig kostbar machen.

Sich steif aufrichtend und sein dunkles Gesicht voll Ernstes erhebend, sagte er ganz unnötig leise: »Gnädige Frau vergessen, daß ich mich Ihnen bis jetzt nur betreffs vollkommen gesetzlicher Handlungen zur Verfügung stellte.«

Er sah sie mit gutgespielter Strenge an, und sie schlug wirklich die Augen nieder und war für einen Moment bestürzt.

Aber das dauerte nicht lange. Sie erinnerte sich an seine ihr ja teilweise bekannte Vergangenheit. »Sie wurden, wenn ich nicht irre, aus der Advokatenliste gestrichen?« fragte sie hämisch.

Unwillkürlich biß er sich auf die Lippen. Allein auch seine Verlegenheit war nur von kurzer Dauer. »Kann nicht jeder einmal fehlen?« fragte er salbungsvoll. Sie sah ihn fest an. »Oder auch mehrmals!« bemerkte sie.

Schimmel nickte. »Ganz richtig. Oder mehrmals. Aber der Boden jenseits des Gesetzes ist wankend –«

»Deshalb muß man ihn pflastern!« lächelte sie.

Auch er lächelte, als er hinzusetzte: »Aber kräftig, dann wage ich mich allenfalls auch auf schlüpfriges Gebiet.«

»Wir verstehen uns schon, lieber Doktor,« sagte Leona scharf, »und ich weiß, daß ich das, was ich von Ihnen will, teuer bezahlen muß. Aber Sie werden zufrieden mit mir sein, sobald ich es mit Ihnen sein kann. – Sie werden sich also zunächst der Klein versichern. und Sie werden irgend etwas ausfindig machen, was Klementine verdirbt, ohne daß man mich damit in Verbindung bringen kann. Und es wird Ihnen auch ein letzter Schlag gegen Ernst einfallen und gelingen. Ich will es. Und wenn dieses Vermögen, das Robert nicht mehr genießen kann, darüber bis auf den letzten Heller aufginge – meine Rache will ich haben, sie würde selbst damit nicht zu teuer bezahlt sein!«

Schimmel antwortete nicht, aber er verbeugte sich tief.

»Ich nehme an, daß ich in nächster Zeit viel Geld brauchen werde,« begann sie plötzlich ganz geschäftsmäßig. »Da müssen Sie mir helfen, auf praktische Weise Papiere zu verkaufen.«

Nun befand sich Schimmel auf dem Gebiete, auf welchem er sie haben wollte. Eifrig verhandelten sie über eine Stunde miteinander.

Als er sie verließ, war er recht wohlgelaunt. Sie hatte eingewilligt, Geld herzugeben für die Spekulation, die er vorgeschlagen. Es war ein durchaus sicheres Geschäft. Schimmel wußte schon jetzt, daß sich das Vermögen seiner Klientin um etliche tausend Kronen dabei vermehren werde, dieses Vermögen, an welchem ihm so viel lag, weil er es schon jetzt als das seinige ansah.

*

Als Schimmel, in angenehme Gedanken versunken, der inneren Stadt zuging, begegnete er an der Ecke der Babenbergerstraße zwei jungen Damen.

»Sie sollten nicht so mutlos sein!« sagte die Ältere und Größere der beiden zu der neben ihr Hergehenden.

Es war ein schlankes junges Mädchen.

Der brave Doktor, der für Frauenreiz noch sehr empfänglich war, blieb stehen. Dann kehrte er wieder um, blieb den beiden Mädchen dicht auf den Fersen und lauschte auf ihr Gespräch, davon er indessen nur Bruchstücke erhaschen konnte.

Von der Not des Lebens redeten sie und von irgend einer besonderen Not, in welcher sich die Jüngere von ihnen befand.

Das konnte er aus einzelnen lauter gesprochenen Worten entnehmen.

Gern hätte er sich bemerkbar gemacht, aber merkwürdigerweise fand er den Mut dazu nicht. Ein gewisses Etwas, das von der jungen Dame ausging, lähmte seine Frechheit.

Schon wollte er sich zurückziehen, als die Größere sagte: »Wollen Sie unten bleiben? Ich komme in wenigen Minuten wieder.«

Die andere antwortete: »Ich warte lieber hier.«

Die Größere ging in das Haus, vor welchem diese Wechselrede stattgefunden hatte.

Klementine, welche Dora Hartwig auf dem Heimwege begleitete, ging langsam weiter. An der hellerleuchteten Auslage eines Konditors blieb sie stehen und ließ ihre Augen über die appetitlichen Dinge gleiten, welche sich hinter dem Spiegelglase befanden.

»Da gibt's ja hübsche Sachen,« sagte da eine Männerstimme. »Ich kaufe Ihnen gerne noch hübschere.«

Sie wich zur Seite und schaute suchend umher. Dabei glitt ihr Blick sehr hochmütig über das dunkle Gesicht Schimmels. Dann ging sie, ihre Kleider zusammennehmend, an ihm vorbei.

Diese stumme, verächtliche Abwehr reizte ihn noch mehr. Dieses sehr bescheiden gekleidete Mädchen gebärdete sich ja wie eine Königin, deren Majestät beleidigt worden ist.

»Nur nicht gar so stolz tun, kleiner Schatz!« sagte er, wieder dicht an ihrer Seite.

Klementine war sehr blaß geworden. So nahe war die Gemeinheit noch nie an sie herangekommen. Es fehlte ihr fast der Atem vor Bestürzung und vor Zorn, aber zu ein paar Worten brachte sie es doch.

Ihn von oben bis unten messend, sagte sie: »Ich finde allerdings, daß man mit solchen Narren nicht stolz, sondern mit der Peitsche reden sollte. Und nun gehen Sie! Dort drüben steht ein Wachmann – er wird mich, wenn Sie nicht flink sind, schnell von Ihnen befreien.«

»Fräulein Teck – was ist's? Sie sind belästigt worden?« sagte in diesem Augenblick Dora Hartwig, und dann setzte sie spottend hinzu: »Sehen Sie nur, wie der alte Sünder läuft!«


 << zurück weiter >>