Paul Grabein
Du mein Jena!
Paul Grabein

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XVIII.

Hellmrich war aufgestanden. Der Anblick Simmerts, der da eben an ihm vorbeigeritten war, hatte ihm die Stimmung zerstört, in der er hier noch einmal einsam Zwiesprache halten wollte mit seinem lieben, alten Jena drunten, das er morgen in aller Frühe verlassen musste. Nun trübte ihm eine hässliche Bitterkeit das schöne Bild, das er sich zum Abschied so fest einprägen wollte.

Langsam schritt er daher den Berg höher hinauf; doch vermied er es, der breiten, in weitem Bogen sich hinaufziehenden Chaussee zu folgen, sondern er schlug einen steilen, schmalen Fussweg ein, der ihn schnell und ungestört von Passanten auf den Rücken des Bergzuges brachte. So – nun war er oben und wanderte, den Weg verlassend, mitten durch den Fichtenwald hindurch, mit tiefen Zügen den warmen, würzigen Waldodem eintrinkend. Ah! Wie das wohl tat! War es ihm doch wieder einmal – wie so oft schon, wenn er missgestimmt in das grüne Revier getreten war – als ob der Wald mit seinem heiligen Schweigen alles irdische Ungemach hinwegscheuchte und leise, lindernd seinen Freundesarm um ihn schlang, bis die Seele wieder frisch, gesund und kraftvoll war, wie er selbst in seiner herrlichen Gottespracht. So auch heute, und nun gab er auch das planlose Hinlaufen auf. Er richtete jetzt seinen Weg nach einem Aussichtspunkt, wo man einen ähnlichen, ja wohl noch schöneren Blick ins Tal hatte, als vorher; nur dass ihn hier oben sicher niemand stören würde.

Nun stand er auf dem Platze und schaute hinaus in die Weite, lange, lange – ganz in inbrünstiges Schauen versunken. O diese schöne, herrliche Natur, wie oft hatte sie sein Herz erquickt, seine Augen hell gemacht! Und nun hiess es Abschied nehmen.

Abschied – was das bedeutete! War er doch so innerlich verwachsen mit dem allem, was er hier vor sich sah: Der klare Strom, wie oft hatte er ihn erfrischt in heissen Sommertagen, wie oft war er auf seiner Eisdecke mit stahlbeschuhtem Fuss dahingeglitten in froher Jugendlust! Die grüne, weite Saalaue, die dunkelbewaldeten Berghöhen – wie hundertfältig war er da gewandert, weit, weithin, bis hinten, wo jetzt die Burgzinnen im letzten Abendrot glühten, immer mit guten Gesellen, das Herz so leicht, so sorglos, auf den Lippen ein schmetterndes Lied. Das alles war ja sein grosses, schönes, stolzes Reich gewesen, in dem er wie ein Herr geschaltet und gehaust hatte, so lange, ohne zu denken, dass diese Herrlichkeit jemals ein Ende nehmen könnte.

Und nun, Du mein Jena, da unten im Tal, mitten drin in diesem grünen Paradiese, Du Perle dieses Reiches der Burschenfreiheit! Was hast Du dem Gast geboten und gespendet, der so lange in Deinen Mauern weilen durfte! Wie hast Du vom ersten Tage an bis zum letzten dem Fremdling – der Dir doch nie einer war – Dein Herz geöffnet, wie hast Du ihn geschirmt und gehegt, ihn all die Wonne sel'ger Jugendlust auskosten lassen! Wie hast Du mit stets gütiger Nachsicht, mit mildem, verständnisvollem Lächeln seinen brausenden, überschäumenden Freiheitsdrang gewähren lassen! Wie hast Du, Dir selbst seit Jahrhunderten getreu, in Deinen Mauern einen Hort alter, sinniger deutscher Art gewahrt und gehütet, an dem nun jedes junge Herz sich bereichern darf, das sich Dir vertrauensvoll zugewandt hat. Sei bedankt, gesegnet dafür – für all das Gute, das Du geschenkt – in alle Ewigkeit!

Und nun, Du mein Jena, heisst es Abschied nehmen! Für immer, für immer! So wie heute sehen wir uns niemals mehr wieder! Denn wenn auch einmal einer Deiner Söhne wiederkehrt in späteren Jahren – gewiss, er findet Dich wieder in alter Schöne und Treue – aber er selbst ist dann ein anderer. Die Jugend, die sorglose, lachende Jugend, die himmelanstürmende Freiheit – sie sind vorbei! Sie lässt der Bursch zurück, wenn er von Dir scheidet, er gibt das stolze Lehn Dir zurück in den grossen Hort des Burschentums, den Du hütest und bewahrst durch die Zeiten hin. – So leb' denn wohl, Du mein Jena! Ewig unvergessen, ewig mit Liebe und Dank genannt – leb' wohl, leb' wohl! – – –

Mit feuchtem Auge wandte sich Hellmrich von dem unvergesslichen Bilde ab, das er heute zum letzten Male sah, und gesenkten Hauptes schritt er still hinweg. Langsam wanderte er zur Stadt hinab.



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