Paul Grabein
Du mein Jena!
Paul Grabein

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XVII.

Der goldige, warme Abendschein eines köstlichen Vorfrühlingstages lag über der Stadt drunten im Tal ausgegossen. Hier oben auf dem Forst, wo der Harz-Duft der ausgebreiteten Fichtenwälder sich mit dem wunderbaren, frischen Lenz-Geruch der Halden auf den Berghängen mischte, wehte leise ein linder Hauch. Es war eine so selige, ahnungsvolle Stimmung, die von kommender Sommerwonne träumen liess, über der Natur ausgebreitet, dass selbst der junge Reiter auf dem schweissglänzenden Rappen, der eben, begleitet von einer grossen Dogge, die breite und bequeme neue Strasse vom Forst herabkam, das weit ausschreitende Tier schärfer an den Zügel holte, offenbar, um in gemütlichem Tempo den selten schönen Ausblick ins Tal geniessen zu können.

Es war Rolf Simmert, der hier auf seinem Schamyl von einem grösseren Spazierritt oben durch das Waldrevier zurückkehrte. Da er den letzten Teil des Weges bei dem starken Gefälle der Strasse doch im Schritt reiten musste, so holte er sich jetzt, wo der Rappe ruhiger ging, eine Zigarette aus dem Silberetui, warf die Zügel über den linken Arm und gab sich Feuer. Eben, wie er, immer langsam weiterreitend, nach Beendigung dieses Geschäfts wieder aufsah, bemerkte er plötzlich, wenige Schritte vor sich, auf der Aussichtsbank dicht neben der Strasse, einen Mann, der ihm den Rücken zukehrte. Den Kopf in die Hand gestützt, sass der Spaziergänger da und starrte, gedankenverloren, ins Tal hinunter, auf die flimmernden Spitzen der alten Kirchtürme Jenas und darüber hinweg zu den Zacken des Jenzigs hinüber, die der leise, rosige Hauch des beginnenden Abends gerade überzog.

Lord war mit einem dumpfen Knurren gleichfalls des Fremdlings ansichtig geworden und ging mit steifen Schritten, die Rute lang weggestreckt, in beobachtender Haltung auf die Bank zu. Schon wollte Simmert das Tier zurückrufen, da sah er plötzlich zu seiner Überraschung, wie der Hund einen Augenblick stutzte und dann plötzlich mit lebhaftem Schweifwedeln schnell zu dem Manne hintrabte. Er kannte ihn also. Im selben Augenblick, wo die Nase des Hundes das Knie des Rastenden mit vertraulichem Gruss berührte, fuhr dieser herum und wandte nun dem Reiter das Gesicht zu: Hellmrich!

Simmert war aufs unangenehmste überrascht von diesem unerwarteten Zusammentreffen hier in der Einsamkeit. Er hatte Hellmrich, seitdem sie sich auf der Mensur gegenübergestanden hatten, nicht wieder gesehen.

»Lord!!« Mit scharfem, herrischem Laut rief er den ganz verdutzten, nur zaudernd folgenden Hund zurück und zugleich stiess er dem Rappen die Sporen heftig in die Weichen. Erschreckt und unwillig, setzte sich Schamyl schnaubend in einen stürmischen Galopp, sodass der Reiter alsbald genug mit dem aufgeregten Tier zu tun hatte, dem der Hund in weiten Sprüngen, laut bellend, folgte. Erst nachdem Simmert ein paar hundert Meter von der Stelle weit weg war, und den Rappen wieder in Schritt gebracht hatte, kam er dazu, über diese Begegnung weiter nachzudenken.

Nur einen Blick hatte er vorhin auf den ehemaligen Leibburschen geworfen, aber er hatte genügt, ihm zu zeigen, dass dieser noch immer einen leichten Verband um den Arm trug. Und was ihm dann noch aufgefallen war, das war der ernste, tieftraurige Ausdruck in Hellmrichs Zügen gewesen, der selbst bei seinem Anblick nicht gewichen war. Kein Zweifel, Hellmrich litt seelisch, und es konnte natürlich nur wegen seiner Verlobung mit Lotte sein. Diese Wahrnehmung blieb nicht ohne Eindruck auf Simmert. Eigentlich hatte er sich riesig auf den Augenblick gefreut, wo er Hellmrich wieder begegnen, wo er ihm zum erstenmal mit stolz triumphierendem Lächeln Lotte an seinem Arm als seine Braut zeigen würde. Nun aber blieb diese grausame Freude des Siegers, zu seiner eigenen Überraschung, aus. Ja, es beschlich ihn vielmehr ein leises Gefühl des Mitleids, fast der Beschämung.

Hm, der arme Teufel, der Hellmrich hatte faktisch Pech – nicht zu leugnen! Aber schliesslich, er würde schon drüber hinwegkommen mit seinem klaren Verstand, und Lotti – wahrhaftig, sie wäre doch zu schade für ihn gewesen, das süsse, reizende Mädel! Er war wirklich wahnsinnig in sie verliebt. Seine Korpsbrüder neckten ihn schon damit, dass er mindestens ein paar Stunden an jedem Tage »zum Minnedienst« ging. Aber mochten sie necken! Er lachte sie doch alle aus, wenn er im verschwiegenen Winkel das schlanke, wonnige Geschöpfchen umschlungen hielt und berauschende Küsse mit ihr tauschte.

Die Sehnsucht nach baldiger Erneuerung dieser süssen Freuden trieb Simmert schneller vorwärts, sodass er nun in scharfem Trabe durch die inzwischen erreichte Stadt ritt, den unteren Graben entlang. Der elegante junge Reiter, im modernen, englischen Sportanzug, dazu die Mütze und Korpsband und mit seinem stattlichen Begleithund, erregte natürlich bei allen Passanten Aufsehen, und namentlich die jungen Mädchen, die ihm mehrfach Arm in Arm auf dem Heimwege von ihrer Nachmittagspromenade begegneten, drehten sich unfehlbar nach ihm um: »Ah, der schneidige Simmert von den Vandalen!« Es kannte ihn jetzt wohl jeder Mensch in Jena, und diese Anzeichen einer geheimen Bewunderung schmeichelten ihm ausserordentlich.

Simmert näherte sich jetzt dem gleichfalls am Graben gelegenen Hause der Hofrätin. Richtig, da sah ja Lotti mit der Mama schon ungeduldig aus dem Fenster. Er hatte ihr nämlich versprochen, ihr heute eine Fensterpromenade zu Pferde zu machen. Seine kleine Braut freute sich »so rasend« darauf, dass er ihr hier vor allen Leuten mal seinen stolzen Schamyl in Parade vorführte. So hatte er sich denn den Stallknecht aus dem Pöneckeschen Pensionsstall herbestellt und tat, als ob er vor der Ablieferung des Pferdes noch einmal irgend eine Beobachtung an dem neuen Zaumzeug machte. Im Schritt, dann im kurzen Galopp liess er Schamyl ein paar Mal am Hause vorbeigehen, und Lottis freudestrahlendes Gesichtchen verhiess ihm heimlichen, süssen Lohn für die Huldigung, die er ihr darbrachte. Denn natürlich guckten bereits alle Leute aus den Nachbarhäusern, und manch' neidisch-bewundernder Blick traf die Glückliche, die sich solchen Goldprinzen eingefangen hatte.

Gerade als Simmert das Pferd wieder mit kurzer Parade auf der Hinterhand herumgeworfen hatte und es nun mit stolz gekrümmtem Hals an den Zügel trieb, um es bis vor Lottes Haus zu reiten und dann abzusitzen, bog ein älterer Student in Couleur um die Ecke der Saalgasse und kam den Graben heraufgegangen. Fast unmittelbar vor dem Hause der Hofrätin begegnete er dem Reiter, und beide sahen sich einen Augenblick voll ins Gesicht. Der Student war Heinz Rittner. Ein ungewöhnlicher Anblick – der, um diese Zeit, schon auf der Strasse, und dazu in voller Couleur!

Simmert sah nach flüchtigem Blick mit einem hochmütig-gleichgültigem Ausdruck von seinem Pferde herab über den Fussgänger hinweg. Aber trotzdem entging ihm das spöttische Lächeln nicht, mit dem Rittner schon im Herankommen seine Fensterparade kritisiert hatte. Eine heisse Wut kochte daher in Simmert auf, und er wurde plötzlich ganz rot. Verdammt, wenn er doch auch dem noch an den Kragen könnte, so wie Buttmann und Hellmrich! Aber ein eigentümliches Gefühl bannte ihn im gleichen Augenblick und hielt ihn davon ab, dem andern seinen Ingrimm zu zeigen. Er schämte sich fast vor sich selber: Aber dieser Rittner war ihm bisweilen unheimlich! Und auch jetzt, wie ihn plötzlich die kalten, grauen Augen durch die scharfen Klemmergläser mit einem durchbohrenden, unbarmherzigen Blick ansahen – das durchrieselte ihn im Moment mit einem fröstelnden Schauer. Er fühlte deutlich: Der da führte etwas gegen ihn im Schilde und er war der Mann, sein Vorhaben erfolgreich durchzuführen. Seine gefährliche Klinge hatte er ja neulich erst wieder einmal bewiesen; aber noch mehr – er war ein ungemein kaltblütiger und treffsicherer Pistolenschütze!

Rittner wandte dann aber seinen Blick von Simmert ab und ostentativ zu dem Fenster empor. Mit ernstem Gesicht, aber vollendet höflich, zog er die Mütze vor der Hofrätin; die Tochter würdigte er keines Blicks. Langsam ging er darauf seines Weges weiter. –

Als Simmert zwei Minuten später oben im Entree der Gertingschen Wohnung stand, da flog ihm sein Bräutchen wohl leichtfüssig wie immer entgegen und warf die Arme stürmisch um seinen Hals. Aber es war heute mehr Angst als Liebe, die das Mädchen den Geliebten umschlingen liess: »Du, dieser Rittner hasst Dich – und mich auch! Ich weiss es! Wie fürchterlich hat er Dich nur angestarrt. Ich hab' es ganz genau gesehen. Rolf, schwöre mir, dass Du ihm immer aus dem Wege gehen wirst, wo Du ihn auch siehst!«

Simmert gab sich, unter lautem Lachen, alle Mühe, seiner Lotte diese törichte Angst auszutreiben; aber schliesslich versprach er ihr doch, sich nicht ohne Not einem Rencontre mit Rittner auszusetzen.



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