Paul Grabein
Du mein Jena!
Paul Grabein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

V.

»'N' Morgen, Herr Doktor! Na hären Se, Ihnen kriegt man ja gar nich mehr zu Gesichte!«

So begrüsste Meister Sperling, in der Saalgasse, der wackere Drechslermeister, den Kandidaten Hellmrich, der gerade an seiner geöffneten Ladentür vorbeischritt, um in das schmale Gässchen zum Markt einzubiegen. Der Angeredete blieb stehen und erwiderte lächelnd Meister Sperlings Begrüssung.

»Ja, lieber Herr Sperling, die guten Zeiten sind vorbei, wo man noch alle Morgen zum Marktbummel gehen konnte. Jetzt wird stramm geschuftet, Meister Sperling – jetzt heisst's, Examen bauen.«

»Na nune aber! Da lassen sich der Herr Doktor aber nicht viel Zeit! Sie sind doch man erst Stücker sieben oder acht Semester in Jena. Da hat's doch noch gute Weile.«

»So, meinen Sie?« lachte Hellmrich. »Na, und wie soll's mit dem Bezahlen werden, Meister Sperling, wenn man nicht bald sein Examen macht und in Amt und Würden kommt?«

»Na da! Dem Herrn Doktor sei' Rechnung is ja so arg nich. Das lässt sich schon mal vom Wechselchen abknapsen.«

»Nein, mein gutster Herr Sperling! Vorm Examen gibt's nichts! Meine alte Dame ist jetzt etwas obstinat geworden und rückt keine Däuser mehr 'raus, ehe sie nicht Taten sieht. Sie sehen also – wir müssen Examen bauen! Na, 'n' Morgen, Meister Sperling!«

Langsam schlenderte Hellmrich das Mühl-Gässchen entlang, das auf den Markt mündete. Es war so eng, dass darin kaum zwei Leute aneinander vorüberkommen konnten.

Seltsam, jedesmal musste er doch hier beim Durchgehen an sein Abenteuer gleich in der ersten Nacht denken, als er damals vor acht Semestern nach Jena gekommen war, wie ihn nach dem Schilderulk vor der Heldei die verfolgenden Polypen arglistig in dieser Gasse gestellt hatten, in die er als ein unkundiger Neuling törichterweise gelaufen war.

Ein Lächeln flog beim Gedanken an diese seine erste Heldentat in dem lieben alten Nest noch heute über sein Gesicht, und liebkosend umfing nun beim Heraustreten auf den Marktplatz sein Blick das altvertraute Bild, das sich ihm darbot, heute genau so wie all die unzähligen Male, wo er in diesen vier schönen Jahren zum Marktbummel geschritten war – aber heute wieder einmal ganz besonders reizvoll unter dem sonnendurchleuchteten Blau des milden Februartages, der eine dichte, weiche Schneehülle über das holprige Pflaster des Marktes gebreitet hatte. Der grosse Platz, rings umrahmt von altertümlich dreinblickenden, grauen, aber gemütlich ausschauenden Häusern, von denen das hellgestrichene, modische Germanenhaus ordentlich beleidigend abstach. Als alles überragende Wahrzeichen gegenüber das Rathaus mit seinem zweispitzigem Dach und drunten der alten Ratszeise, in deren dämmrigkühlen Winkeln er schon so manch Gläslein Rheinwein geschlürft hatte. Und auf dem Marktplatz selbst der alte »bierehrliche Hannfried«, der Stifter der Jenenser Hochschule, Kurfürst Johann Friedrich, auf seinem hohen Piedestal, wie er das »Kommersbuch« (nämlich die Lutherbibel) in der Linken und den »Schläger« (das Kurschwert) in der Rechten, gutmütig und doch mannhaft auf das bunte Gewirr der Marktleute ihm zu Füssen herabschaute.

Zwischen den langen Reihen der Buden und Hökerstände ein gemütliches, sorgloses Treiben, das so ganz das geruhsame, behäbige Leben der Kleinstadt spiegelte, in das noch kein Hauch der aufgeregten Zeit bis dato gedrungen war. Mitten zwischen den Gemüsekörben und duftigen Auslagen der Käse- und Fischhändler wandelten stolz die Herren der Stadt in den bunten Mützen, deren unantastbarer Würde selbst dieses Milieu keinen Abbruch tat. Sie liessen sich herab, ihre Spässchen mit den Hökerweibern zu treiben, sofern sie nicht leutselig mit einem hier zu Markt gezogenen Dorfsassen sprachen, der ihnen von der Exkneipe und den Mensurtagen im Bierdorf her gut bekannt war.

Das Hauptgeschäft aber blieb natürlich für die flotten Burschen der Flirt mit dem schönen Geschlecht, denn noch galt ja hier vielfach der gute alte Brauch, dass das Haustöchterlein selbst aus den akademischen Kreisen unter Assistenz des »Besens«, des dienstbaren Hausgeistes, zu Markt ging, um die nötigen Einkäufe zu machen. Gar manche zarte Bande, die auf dem Klubball geknüpft worden, fanden so hier zwischen den Viktualien der nährenden Scholle ihre Stärkung, oft wohl gar zu dauerndem Bestande.

Mit stiller Freude nahm Hellmrich das vertraute Bild wieder einmal in sich auf, und doch stieg zugleich eine leise Wehmut in ihm hoch. Wie lange noch, und es hiess von dieser liebgewordenen Gewohnheit Abschied nehmen, Abschied überhaupt von dem ganzen alten, lieben Nest und damit von der Jugend und Sorglosigkeit – für immer! Denn unmittelbar stand das Staatsexamen vor ihm, und im Sommer, wenn auf den Bergwäldern und in der Saalaue gerade wieder alles so lustig und saftigfrisch grünte, dann geleitete man ihn still zum Bahnhof – dann ade, Du mein Jena!

Aber Hellmrich gab sich nicht gern lange sentimentalen Regungen hin. Solch Gedanke blitzte wohl einmal schnell auf, verschwand aber auch alsbald wieder, wie er gekommen. War doch zudem heute ein Freudentag für die Alemannen. Es sollte eine Couleurpartie mit Schlitten unternommen werden, zu der die Damen ihres Verkehrskreises eingeladen worden waren. Freilich, er selbst konnte nicht mit dabei sein; die Pflicht hielt ihn heute den ganzen Tag über im Physikalischen Institut fest, wo er eine grosse Untersuchung zu beenden hatte. Er hatte sogar jetzt am frühen Morgen – wenigstens früh nach akademischen Begriffen, denn es war erst zehn Uhr – schon zwei Stunden der Arbeit hinter sich, und wollte nur einmal ein Stündchen ausspannen, um einen kleinen Frühtrunk mit den Aktiven zu tun, die sich, nach gutem alten jen'schen Brauch, zu der um elf Uhr angesetzten Abfahrt mit einem Crêo oder Crollo in der Meyerschen Weinstube am Markt stärkten.

Es war überdies auch eine Art Pflicht, die Hellmrich hier zu erfüllen hatte; denn es galt, bei den jüngeren Leuten noch ein bisschen nach dem Rechten zu sehen, ob alle Anordnungen zu dem Ausflug auch mit Chik und Umsicht getroffen worden waren. Hellmrich war ja so recht eigentlich der gute Geist, die verkörperte Tradition der Alemannia, der er volle sieben Semester als Aktiver angehört hatte. Darunter die letzten vier stets als erster Chargierter der Landsmannschaft. Erst mit den letzten Herbstferien, mit denen er schon sein neuntes Studiensemester beendet hatte, und wo nun das Examen seine Schatten bereits stark vorauszuwerfen begann, hatte er mit schwerem Herzen sich als Inaktiver zur Ruhe gesetzt. Aber trotzdem ging er nach wie vor ganz im Leben, in den Freuden und Sorgen der Couleur auf, die ihn denn auch jetzt noch ohne Charge als ihren eigentlichen spiritus rector anerkannte.

»Ah, der alte Verstand! Also auch einmal wieder!« So begrüsste man freudig überrascht Hellmrich mit dem inzwischen für ihn aufgekommenen Scherznamen, als er in das schmale Hinterzimmer der Weinstube trat, wo unter den niedrigen Bogen des alten Kreuzgewölbes an langgestreckten Tafeln die Alemannen fröhlich ihren »Weinhock« abhielten. Mit freudigem Stolz überflog Hellmrichs Auge die stattliche Reihe der schwarzen Mützen und die frischen, ansehnlichen Leute, die sie trugen. Wahrhaftig, man konnte Staat machen mit den Alemannen: siebzehn Aktive und ein Dutzend Inaktive am Ort – und das rund so jedes Semester, schon seit Jahren! – Das sollten die andern, Korps und Burschenschaften, ihnen mal erst nachmachen! Und ein strammer Geist in all diesen forschen, hübschen Kerlen! Da war doch sein langes Wirken und Mühen nicht umsonst gewesen. Mit stiller Genugtuung sagte es sich Hellmrich, während er den dienstfertig aufgesprungenen Füchsen Hut und Mantel übergab und sich auf den schnell bei den älteren Semestern ihm leer gemachten Platz setzte.

»Na, Leibfuchs, wie steht's? Ist alles in Ordnung? Wo fahren die Schlitten vor?« wandte er sich an Simmert, der neben ihm sass und jetzt die Würde des ersten Chargierten bekleidete. Der »Graf« strich seinen inzwischen prächtig herangewachsenen kecken blonden Schnurrbart und erwiderte mit etwas schnarrendem Offizierston leichthin:

»Alles tadellos im Trimm! Abfahrt vom unteren Graben hinterm Weimarschen Hof. Die Damen holen wir einzeln im Schlitten ab und sammeln uns nachher wieder draussen an der Hospitalkirche.«

Hellmrich nickte beistimmend und fragte dann weiter: »Die alten Herrschaften fahren per Bahn direkt nach Dorndorf?«

Simmert bejahte kurz.

»Werden auch die Schlitten für sie nachher alle da sein?« Die Weiterfahrt durch das schöne Waldrevier nach Tautenburg wollte nämlich auch die »alte Garde« mitmachen.

Der »Erste« zeigte eine ungeduldige Miene. »Du brauchst Dich absolut nicht zu ängstigen. Ich habe ausführlich an Geipel-Karl ins blaue Schild geschrieben, wie viel Schlitten wir haben müssen.«

»Wie? Bist Du nicht selbst nach Dorndorf 'rausgefahren?« fragte Hellmrich erstaunt. »Na, pass auf, das wird sicher nicht klappen! Wenn Ihr nicht persönlich an Ort und Stelle alles fest vorbereitet habt, ist da kein Verlass drauf – das kann aber sehr blamabel werden – vor den alten Herrschaften!«

»Mein Gott! Warum denn nur immer gleich das Schlimmste annehmen?« warf Simmert kurz hin und trommelte ärgerlich mit seinem Weinglas auf den Tisch. »Überdies hatten wir in den letzten zwei Tagen alle gerade genug zu tun mit den persönlichen Einladungen der Damen.« –

»Ah, der Herr Postrat!« – »Was bringen Sie Gutes, alter Schwede?« schallte es in diesem Augenblick vom unteren Ende der Tafel hinten im Zimmer, wo eben ein Postbote eingetreten war. Und »Geradezu ekelhaft, diese ewige Bevormundung!« murmelte wütend mit dem Lackstiefel auftrampsend im gleichen Augenblick Simmert zu seinem Nachbar, gleichfalls einem älteren Aktiven, während Hellmrich gerade den Kopf nach dem Briefträger hinwandte.

»'ne dringliche Depesche an die Landsmannschaft Alemannia!« Der Postbote übergab das Telegramm einem der zunächstsitzenden Herrn in der schwarzen Mütze, deren Rendezvous um diese Stunde bei Meyer ihm, wie jedem Bürger Jenas selbstverständlich bekannt war.

»Nanu? Was kann denn sein?« wunderte sich die Corona, während die Depesche zum »Ersten« hinaufgegeben wurde. Simmert erbrach das Papier und las sogleich dessen Inhalt laut vor: »Von unserm Alten Herrn Assessor Grosskurth in Weimar: Kommen leider unmöglich. Von heutiger Sitzung keinen Dispens erhalten.«

»Ah, schade!« tönte es vereinzelt, denn der Alte Herr hatte seine Teilnahme an der Schlittenpartie in feste Aussicht gestellt.

»Donnerwetter, das ist ja fatal,« meinte Simmert. »Wer soll denn nun mit Fräulein Gundberg fahren? Die wird so wie so schon ganz tränenklütrig sein, dass Grosskurth nicht kommt.«

Die Genannte war die schon etwas angejahrte Braut des Alten Herrn Grosskurth und zählte quasi zu dem eisernen Bestande der Alemannen-Damen. Es riss sich also durchaus niemand nach ihr.

Da alles still blieb, und nur ein paar nicht gerade sehr zartfühlende Bemerkungen halblaut gemacht wurden, sah sich Hellmrich veranlasst, einzugreifen.

»Aber hört mal, das geht auf keinen Fall, dass Fräulein Gundberg keinen Herrn bekommt. Wir sind ihr doch als Braut unseres Alten Herrn gerade ganz besondere Rücksicht schuldig. Lieber kann eine der jüngeren Damen ohne Herrn bleiben. Da musst Du irgend ein anderes Arrangement treffen,« wandte sich Hellmrich an seinen Leibfuchs.

An der Tafel sah man nicht gerade sehr vergnügte Gesichter; denn jeder fürchtete, dass die Reihe ihn treffen und von der auserkorenen Schlittendame unbarmherzig losreissen würde. Als Ersatz dafür die »alte Schachtel« – wahrhaftig, eine Gemeinheit! Aber der »Erste« sprang, Gott sei Dank, schneidig für sie ein und erntete damit aller heimlichen Dank.

»Geht beim besten Willen nicht, lieber Hellmrich,« wandte Simmert sich mit dem Ausdruck des Bedauerns, doch ziemlich bestimmt an diesen. »Die Damen sind von jedem Einzelnen von uns persönlich engagiert, da kann unmöglich einer jetzt zurücktreten, um eine andere Dame zu nehmen!«

»Ja, was soll dann aber werden?« fragte Hellmrich, der gegen diesen Einwand nichts sagen konnte. »Kann denn nicht noch irgend einer von unseren älteren Leuten einspringen?«

»Die machen ja alle schon mit, bis auf Bem, der heute gerade in eine neue Station vom Examen gegangen ist, und Korff – na, und der kommt doch einfach nicht in Betracht mit seiner Nietzscheschen und Schopenhauerschen Weiberverachtung. Also der einzige, der überhaupt noch übrig bleibt, bist Du!«

»Ja, fahr' Du doch mit, alter Verstand!« – »Na – eo piso!« – »Famos, Hellmrich muss mit!« schallte es laut durcheinander; jeder war froh, dass man auf diesen Ausweg gekommen war, der die fatale Eventualität von den andern abwandte.

»Geht ja beim besten Willen nicht, Kinder!« wandte aber der Angerufene ein. »Ich muss heute noch meine Untersuchung im Laboratorium fertig machen.«

»Ach, die läuft Dir doch nicht weg.« – »Dazu ist doch morgen auch noch Zeit.« – »Es wäre Dir überhaupt höchst notwendig, dass Du mal wieder aus dem Bau 'rauskommst,« meinte Bertram, jetzt selber gleich Hellmrich Examenskandidat. »Du siehst ja schon förmlich eingesäuert aus von dem ewigen Stubenhocken. Also, sei kein Frosch, alter Verstand, und tu mit. Wenn ich's kann, wird's Dir wohl auch nichts schaden!«

Dieser letzte Einwand weckte allerdings ein Echo in Hellmrichs Brust, die ein leiser Seufzer der Sehnsucht nach frischer Luft und Bewegung hob, während sein Auge zum Fenster hinausschweifte auf den Markt, wo der goldene Sonnenschein die Schneekristalle auf der weissen Erddecke lustig glitzern liess. Wahrhaftig, nur zu gern wäre er ja mitgefahren, hinaus mit fröhlichem Schellengeläute in den herrlichen Wintertag. Aber die Arbeit, die Pflicht! Und mit einem zweiten Seufzer fasste er das Glas, führte es zum Mund, um das unzeitgemässe Verlangen, das sich ihm im Inneren regte, mit einem herzhaften Schluck zu ersticken.

Schon sahen die andern mit Enttäuschung, dass er ihnen wieder durch die Lappen zu gehen drohte; doch da spielte Bertram noch seinen letzten Trumpf aus: »Fahr' mit, fahr' mit, alter Verstand,« mahnte er, »sonst weint sich Fräulein Lotti die Äuglein aus.«

Helles Gelächter ringsum, während Hellmrich einen roten Kopf bekam. Nur Simmert schien nicht gerade entzückt von diesem Witz. Es war bei den Alemannen allgemein bekannt, dass Hellmrich sich etwas für Fräulein Charlotte Gerting interessierte – von den Alemannen unter sich, wie von ihren Freundinnen kurzweg »Lotti« genannt – das liebreizende, jugendliche Töchterchen der verwitweten Hofrätin, das seit der vorigen Ballsaison in die Jenenser Gesellschaft eingetreten war. Hellmrich stand dem Gertingschen Hause schon durch alte Familienbeziehungen nahe. Der verstorbene Hofrat war ein Freund seines toten Vaters gewesen, und so hatte er denn von vornherein bei der Hofrätin verkehrt. Dem Töchterlein, das er noch in halblangen Kleidchen kennen gelernt hatte, war er aber namentlich näher getreten, nachdem nun auch sie zu den Erwachsenen gezählt wurde. So hatte er denn auch im vorigen Winter – wo er noch erster Chargierter war – auf den Klubbällen und ganz besonders im letzten Sommer während des grossen dreissigjährigen Stiftungsfestes der Alemannen, sich ihrer lebhaft angenommen. Er kam auch jetzt noch von Zeit zu Zeit ins Haus der Hofrätin, wenn freilich auch seine Examensarbeiten ihm nicht allzuviel Zeit hierzu übrig liessen.

So hatten also die Couleurbrüder nicht Unrecht; nur ahnten sie freilich nicht mit ihrer jugendlich leichteren Auffassung vom Verkehr mit jungen Damen, dass das, was sie für einen ihnen geläufigen, harmlosen Flirt hielten, bei dem tief angelegten und über seine Jahre hinausgereiften Hellmrich auf einer ernsten Herzensneigung beruhte.

Nachdem man sich über das kleine Intermezzo bereits wieder beruhigt hatte, fragte in stillem Verfolg dieses Gedankens Hellmrich den Leibfuchs, mit wem Fräulein Gerting fahren sollte. Als er nun von Simmert hörte, dass dieser selbst sie zu der Partie engagiert hatte und dass mit ihnen Grosskurth und Fräulein Gundberg zusammen im Schlitten hätten sitzen sollen, da schlug sein Herz trotz aller äusseren Ruhe doch etwas schneller. Unwillkürlich zog es seinen Blick hinaus in den lockenden Sonnenschein da draussen – wahrhaftig, er konnte sich nach all der Büffelei doch auch einmal wieder einen Festtag gönnen – und plötzlich tauchte vor seinen Augen ein blondhaariges, liebes Mädchengesicht auf mit dunklen, frohstrahlenden Augensternen, die ihm so warm ins Herz hineinlachten. Herrgott! er war doch schliesslich auch noch jung, noch immer ein flotter Studio! Also!! Und mit einem Mal schlug der »alte Verstand« mit der Hand auf den Tisch, dass die Weingläser klirrten und alles aufsah.

»In Kuckucks Namen! Ich fahr' auch mit. Was soll das schlechte Leben helfen? Hoch der Leichtsinn!« Rasch leerte er sein Glas. »Herr Meyer, noch 'nen Crollo – nein, mal 'ne Mischung, heut' zur Feier des Tages!«

»Bravo, bravo, alter Verstand!« – »'nen Ganzen aufs Spezielle!« – »Prost, sollst leben, altes Haus!« so schallte es jubelnd ringsum. Nie war je in diesem Reich des Frohsinns aufrichtigere Freude, als wenn einer in holdem Leichtsinn seinen guten Vorsätzen untreu wurde – namentlich einer, der schon so unheimlich solide, fast philiströs geworden war, wie der »alte Verstand«.

Vergnügt schob dieser jetzt sein frisch gefülltes Glas mit der Linken an das Simmerts und klopfte ihm vertraulich auf die Schulter:

»Na, Leibfuchs, prost! Was sagst Du dazu, dass ich als altes Laster mich habe breitschlagen lassen?«

Simmerts Miene verbarg nur schlecht ein starkes Missbehagen. Ihm war diese ganze altfränkische, väterliche Art Hellmrichs durchaus zuwider, und dazu kam noch, dass ihn die Aussicht keineswegs entzückte, den mentorhaften Leibburschen mit im Schlitten zu haben, der ihn wahrhaftig noch wie einen ganz krassen Fuchs behandelte und gängeln wollte. Nur gezwungen stiess er daher mit Hellmrich an und sagte flüchtig: »Warum solltest Du auch nicht mitfahren? Es liegt ja doch gar kein Hinderungsgrund für Dich vor. Aber weisst Du –« sein Blick streifte Hellmrichs Kleidung, »Du hast keinen Augenblick mehr zu verlieren, wenn Du noch ein bisschen Toilette machen willst.«

Hellmrich lachte gutmütig auf: »Wahrhaftig, daran hab' ich ja noch gar nicht gedacht! Ich hab' ja meine zweite Garnitur an – Laboratoriumskostüm. Da will ich mich mal schleunigst in meine neue »Wolfshaut« werfen.«

Lächelnd nahmen die Couleurbrüder die scherzhafte Anspielung auf ihren Generalpumpier auf. Hellmrich aber stürzte schnell seinen Trank hinab und eilte fort, sich schleunigst noch etwas salonfähig zu machen.



 << zurück weiter >>