Paul Grabein
Du mein Jena!
Paul Grabein

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

III.

Der stud. theol. Gottfried Pahlmann stand am Fenster seiner Bude in der Saalgasse, halb von der Gardine verborgen, und spähte mit gespanntem Interesse hinüber zu dem Schaufenster des Putzwarengeschäfts, ob sich nicht dort der lachende blonde Mädchenkopf wieder einmal zeigen würde, den er nun schon so manchmal im Laufe der vierzehn Tage, die er jetzt bereits in Jena weilte, hatte hinter den Hüten, Federn und Bändern in der Auslage auftauchen sehen. In Pahlmanns Herz, das bisher in seiner weltabgewandten Nüchternheit nie etwas von den geheimen Wonnen einer Tanzstundenliebe oder Primaner-»Poussade« kennen gelernt hatte, war mit all den in der Sonne der akademischen Freiheit üppig emporschiessenden Trieben auch das zärtliche Bedürfnis nach einem weiblichen Wesen aufgekeimt. Das Schicksal hatte ihn auch offenbar dazu ausersehen – wozu sonst hätte es ihn wohl gerade in diese Bude hier spediert, wo er schon am nächsten Vormittag das hübsche Mädel drüben entdeckte? Unwillkürlich kam ihm, dem noch der Schulstaub vielfach an der Seele haftete, die so oft in der lateinischen Stunde aufgesagte erste Strophe der horazischen Ode an den bandusinischen Quell in Erinnerung, und er musste sich selbst dem jungen Böcklein vergleichen, dem jetzt mit den ersten Kämpfen in der Bierschlacht und auf dem Mensurboden auch die ersten Freuden der Liebe zu kosten beschieden waren.

Seltsam, bisher hatte ihn jedes »Frauenzimmer« ganz kalt gelassen; aber diesmal hatte es ihn vom ersten Augenblick an gepackt. Wie er so am ersten Morgen nach seiner Ankunft in Jena die Fenster weit geöffnet hatte, dass die wonnige, frische Frühlingsluft und der lachende Sonnenschein ins Zimmer fluteten und ihm bald den etwas dumpfen Kopf wieder frei machten, ah – da war eine Lebenslust, ein Gefühl von aufschäumender froher Jugend, von überschüssiger Kraft und keckem Unternehmungsgeist über ihn gekommen, wie er es ja noch nie gekannt hatte. Er hatte sich da weit aus dem Fenster gelehnt und mit unendlichem Wohlbehagen diese köstliche Luft der Freiheit eingeatmet in tiefen, durstigen Zügen, während seine Augen hinausleuchteten in die ganz neue Welt, die sich draussen vor ihm auftat. Wie so ganz anders hier die winklige, trauliche Gasse mit den kleinen altersgrauen Häuschen, als daheim in Berlin die langweiligen schnurgeraden Strassen mit ihren vierstöckigen Zellengefängnissen für das Philistervolk. Da, ein paar Schritte weiter rechts, ein kleiner eingebauter Platz mit bemoostem Steinbrunnen, an dem gemütlich schwatzend zwei Mägde ihre Eimer füllten; zwischen dem holprigen Pflaster spross lustig das Gras hervor, ein Zeichen, das hier kein nervenzerrüttender Verkehr donnernd und brausend seine Fluten vorbeiwälzte.

Wie anheimelnd, wie köstlich war das alles! Und er konnte hier nach Gefallen faulenzen und zum Fenster hinausgaffen, während die anderen jetzt im Pennal in der dumpfen, kahlen Klasse schon lange büffelten. Herrgott in Frankreich – war das Leben schön! Herr Gottfried Pahlmann hätte am liebsten mal ordentlich einen Freudenschrei, nein, ein jauchzendes Gebrüll vor Lebenslust ausgestossen – aber, solches hätte einem jungen Theologen nicht wohl angestanden, er begnügte sich daher mit einem vergnügten, wenn auch weniger kunstvollen Pfeifen. Und da war's gewesen, dass er plötzlich zum erstenmal die Kleine von drüben bemerkt hatte.

Von ungefähr flogen seine Blicke in das Schaufenster hinein und entdeckten dort zwei junge Mädchen, die kichernd und scherzend zu ihm hinaufblickten und sich nun lachend anstiessen, als sie merkten, dass er endlich ihrer ansichtig wurde. Sie hatten ihn nämlich schon lange insgeheim beobachtet, wie er, noch ohne Kragen und ungekämmt, weltvergessen mit vergnügten Mienen in die Saalgasse hineinstarrte und sich eins pfiff. Als sich Pahlmann so mit einemmal beobachtet sah, bekam er einen roten Kopf und entschwand schleunigst vom Fenster – ein Grund mehr für die Mädels, sich laut zu erlustigen. Ein possierlicher Kauz, dieser junge Student da drüben. Dieses Vis-à-vis versprach ihnen gewiss noch viel Vergnügen für die Zukunft.

Nachdem Pahlmann seine erste Überraschung und Verlegenheit überwunden, hatte er sich mächtig über seine Schüchternheit geärgert. Die beiden Mädels waren so nett, besonders die Blondine mit den lachenden braunen Augen hatte es ihm auf den ersten flüchtigen Blick angetan – er war doch eigentlich ein richtiges Hornvieh, dass er ausgerissen war. Na, er würde das aber schon wieder gut machen, und er gelobte sich in dieser Stunde, sich fortab äusserst forsch und schneidig den Damen gegenüber zu zeigen. In der Tat bewies Pahlmann von da an eine erstaunliche Keckheit. Er zeigte sich zu bestimmten Stunden mehrmals täglich am offenen Fenster und sah anscheinend interessiert nach rechts in die Strasse hinab, bis er mit unauffälligem Schielen bemerkte, dass es sich hinter den Hauben und Hüten im Laden regte. Dann blickte er wie zufällig hinüber und bemühte sich, obschon ihm das Herz mächtig klopfte, eine recht nonchalante Miene zu zeigen und mit vornehmer Grandezza seine Zigarre zu rauchen. Allmählich hatte er es, mit einer ihm selbst erstaunlichen feinen Diplomatie, dahin gebracht, der hübschen Blondine zu zeigen, dass allein ihr seine Aufmerksamkeit galt. Sowie nämlich alle beide oder nur die andere sich zeigte, war er jedesmal sofort vom Fenster zurückgetreten, bis man offenbar drüben seine Absicht verstanden hatte. Das blonde Fräulein erschien von da ab immer nur noch allein, um seine stummen Huldigungen entgegenzunehmen. Pahlmann war schliesslich sogar so kühn geworden, in allerlei symbolischen Andeutungen seine Gefühle kund zu geben. Er hatte in den letzten Tagen schon ein paarmal eine Blume, die er sich extra zu diesem Zweck hielt, zufällig beim Riechen an seine Lippen gedrückt und dabei bedeutsam zu ihr hinübergesehen – ein keckes Unterfangen, bei dem er das erste Mal so puterrot geworden war, dass er sich schleunigst vom Fenster zurückgezogen hatte, sodass ihm das ausgelassene Gelächter entgangen war, mit dem seine Angebetete dieses zarte Geständnis aufgenommen und ihrer, hinter der Auslage immer versteckt kauernden Freundin mitgeteilt hatte.

Heut nun hatte Pahlmann beschlossen, noch einen Schritt weiter zu gehen. Als er nämlich gestern der Blondine seinen verliebten Blumengruss hinübergeschickt hatte, da hatte sie eine bittende, verlangende Gebärde nach seinem Veilchenstrauss hin gemacht, die ohne Zweifel sagte: »O diese herrlichen Blumen! Schenken Sie sie mir doch bitte!« Darauf hatte er nun heute nachmittag einen Strauss dieser duftenden Blumen gekauft und gerade jetzt, um die sechste Nachmittagsstunde, wo die dicke Ladenbesitzerin stets auszugehen pflegte, hatte er durch einen kleinen Jungen aus dem Haus die Blumen hinuntergeschickt. Nun stand er, in höchster Erwartung, hinter der Gardine und spähte nach dem Schaufenster hin. Da – richtig, erschien Blondinchen hinter den Scheiben, mit lachendem Gesicht nickte sie ihm zu – sein laut pochendes Herz zitterte vor Wonne – und nun drückte sie, ihn schelmisch ansehend, ihre roten Lippen auf die Blüten. Ah, das war mehr, als er erhofft hatte! Ganz betäubt von seinem Glück starrte Pahlmann noch zu ihr hinüber, da tönten plötzlich draussen auf dem Flur laute schnelle Schritte, und eilig trat Simmert ins Zimmer.

»'n Tag! Nanu – sag' mal, was machst Du denn da eigentlich am Fenster? Ich hab' Dich ja schon von unten stehen sehen?« fragte der Eintretende und stand auch schon im nächsten Augenblick neben dem ganz verwirrten Mitfuchs. Mit schnellem Blick übersah Simmert die Situation und lachte laut los: »Pastor! Pastor! – Du toggenburgerst ja wahrhaftig! Nein, ich schrei' mich tot – Du Leuchte des Pennals, Du verkörperte Schulordnung wandelst hier auf solchen Pfaden. Na – da sieht man's wieder mal: Stille Wasser sind tief! – Aber weiss Gott, Mensch, Du hast Geschmack. Wirklich ein süsser Käfer, die Kleine!« Und übermütig warf er der Blonden ein Küsschen zu.

»Erlaube mal – das verbitte ich mir!« Ganz aufgebracht packte Pahlmann den Dreisten beim Arm und zog ihn vom Fenster weg, sehr zum Verdruss des lustigen Mädels drüben, das mit dem flotten, hübschen Alemannenfuchs, der da eben noch aufgetaucht war, gern noch ein Weilchen länger geliebäugelt hätte; denn über den andern machte sie sich doch natürlich bloss lustig. Pahlmann aber fuhr mit seinen Vorwürfen fort: »Wie kannst Du Dir solche Frechheiten gegen die junge Dame herausnehmen! Du hast es doch mit einem anständigen Mädchen zu tun!«

»Na sicher! – Anständige Bürgerstochter mit dem Hausschlüssel!« höhnte Simmert, indem er sich auf die hohe Sofalehne setzte und mit den Beinen baumelte. »Na, nimm's man nich' übel, Pastorchen! Ich will's ja auch nicht wieder tun.«

Bei Simmert hatten die kurze Muluszeit in Berlin und die zwei Wochen in Jena bereits genügt, um einen mehr als üppigen Fuchs aus ihm zu machen. Die so lang zurückgedämmte Jugendlust machte sich überschäumend Luft. Er stürmte förmlich in die Freiheit des akademischen Lebens hinein, und die ihm nun verliehene Selbstbestimmung, die Loslösung von jeder Vormundschaft, gab sich schon in seinem äusseren Gebahren, in seiner Art zu sprechen, kund. Er war keck und burschikos, sogar schon ein bisschen schnoddrig in seiner Ausdrucksweise geworden, sodass sein Leibbursch Hellmrich bereits ab und zu die Kandare anziehen musste, um den allzu feurig losgehenden Renner in ein angemessenes Tempo zu bringen.

Ohne dass Simmert eine Äusserung seines Confuchses auf seine verulkenden Worte abgewartet hätte, fuhr er nun übermütig weiter fort: »Du, Pastor – kuck' mich mal an! Merkst Du nichts an mir?«

Pahlmann, immer noch gekränkt über die Verletzung seiner zärtlichen Empfindungen, entgegnete mit flüchtigem Blick auf den Couleurbruder: »Ich sehe nichts. Was ist denn los?«

»Ein historischer Moment, Mensch! Ich habe eben zum ersten Mal gepumpt!«

»Was? – Wieso?« fragte Pahlmann einigermassen erstaunt zurück. Er konnte das nicht recht verstehen. Sie waren doch erst vierzehn Tage hier, und er hatte gesehen, dass Simmert noch heute morgen einen Hundertmarkschein im Portemonnaie gehabt hatte.

»Na, furchtbar einfach!« lachte der andere und schlang seine Hände um die hochgezogenen Kniee. »Ich bin zu Gottwerth gegangen und habe mir eine neue Mütze auf Pump geben lassen. Der Alte ist nämlich famos. Schon neulich, als ich die erste kaufte, machte er ein ganz verwundertes Gesicht, und eben, als ich wieder blechen wollte, fragte er mich: Warum ich denn immer bezahlte? Das wäre doch bei ihm gar nicht Mode. Die Herren Studenten liessen doch alle bei ihm anschreiben. Ob ich etwa kein Vertrauen zu ihm hätte? Kurzum, der alte Herr war ordentlich beleidigt, dass man ihn berappte – na, da hab' ich ihm denn schliesslich den Gefallen getan und ooch gepumpt! – Dieses Jena ist doch ein zu famoses Nest, was?« Und, ganz glücklich über diesen seinen ersten Pump, der ihn gewissermassen hier erst zum akademischen Vollbürger stempelte, lachte Simmert herzhaft vor sich hin.

»Hattest Du denn schon wieder eine neue Mütze nötig?« fragte Pahlmann nach diesen Mitteilungen nur zurück, denn er war ein Freund peinlicher Ordnung, und Schuldenmachen erschien ihm als etwas Unmoralisches.

»Aber sehr!« erwiderte Simmert. »Die Perkussion war schon ganz dreckig. Das Weisse ist ja mächtig empfindlich. Ist denn Deine noch anständig?«

Pahlmann holte von dem Türhaken seine Mütze herzu und betrachtete sie prüfend: »Na ich denke doch! Die sieht doch noch ganz fein aus.«

»Was, mit der Nummer willst Du heute abend auf den Antrittskommers gehen? Aber Mensch! Sieh doch bloss die mächtigen Flecken hier auf dem weissen Randstreifen.«

»Ach Gott, das kleine Tippchen! Das bring' ich schon weg,« beschwichtigte Pahlmann. Er holte seine Benzinflasche aus dem wurmstichigen Stehpult von Fichtenholz ans Fenster und begann eifrig an der Mütze zu reiben.

»Mein Gott, Pastor; machst Du Dir Umstände!« staunte Simmert. »Und rein wird sie darum doch nicht!«

»O, lass man! Ich habe ein ganz probates Mittel. Wenn das Benzin wirklich nichts hilft, dann trag' ich ein bisschen Kreide auf. Siehst Du, so! – Na, merkst Du nun noch was?« Sehr stolz auf seine Sparsamkeit und Erfindungsgabe hielt er Simmert die also präparierte Mütze hin; aber der lachte nur: »Na, das sollte mir beifallen! Das ist ja die reine chemische Waschanstalt hier bei Dir. Pfui Deibel! Stopf bloss die Benzinpulle wieder zu. Ich kann das Zeugs nicht riechen. Aber horch mal – da kommt jemand!«

Man hörte draussen ein Klirren und Rasseln, und nun klopfte es kräftig gegen die Tür.

»Herein!« rief Pahlmann, und es zeigte sich im nächsten Augenblick Hellmrich im Chargiertenwichs auf der Schwelle.

»Donnerwetter, Leibbursch, siehst Du schneidig aus,« rief Simmert in aufrichtiger Bewunderung. In der Tat machte sich Hellmrich in der enganliegenden Pekesche mit den grün-weiss-schwarzen Husarenschnüren, in den prall sitzenden weissen Lederhosen und hohen Lackstiefeln, auf dem frischen, schnurrbartgeschmückten Gesicht keck das Cerevis, sehr forsch, und namentlich wenn er – so wie jetzt – den farbengeschmückten, blinkenden Paradeschläger martialisch hinter sich her rasseln liess. Auch Pahlmann sah mit Bewunderung auf den Eingetretenen, der sich lachend an die beiden wandte. »Na, Füchse, was gafft Ihr denn so? Habt Ihr denn noch nie einen Mann in Wichs gesehen?«

Dann an das offene Fenster tretend, bemerkte Hellmrich sogleich den Laden drüben, vor dessen Tür inzwischen die Blonde mit ihrer Kameradin einen Augenblick getreten war. »Alle Wetter, Pahlmann! Gratuliere! Du hast ja ein famoses Vis-à-vis. Die Bahnhofs-Lene – sieh da! Diener – Diener!« Und er nickte lachend zu der Blonden hinüber, die seinen Gruss fidel erwiderte. Pahlmann war ganz betroffen:

»Was – Du kennst sie?«

»Na, die kennt doch jegliches Gebein hier in Jena! Die ist doch bis vor ein paar Monaten Buffetmamsell auf dem Saal-Bahnhof gewesen.«

»Also doch ein anständiges Mädchen!« erleichtert brachte es Pahlmann vor, dem schon ganz Angst geworden war. Hellmrich klopfte ihm lachend auf die Schulter: »Du bist wohl verknallt in sie was, Füchsel?«

Pahlmann wurde ganz verlegen und drehte sich ab.

»Na, warum nicht? – Auch von Lieb' umgeben, ist's Studentenleben, das uns Bacchus und Gambrinus schuf!« sang Hellmrich fidel vor sich hin. Doch dann ernster werdend: »Aber Kinder, es wird Zeit, dass Ihr auf die Kneipe kommt. Der Fuchsmajor will vorher nochmal Generalprobe für den Landesvater mit Euch abhalten, damit Ihr Euch nicht vor den Gästen blamiert. Na, und im Comment seid Ihr doch taktfest, Ihr beiden Berliner – dass Ihr mir Ehre macht! Was?«

Die Füchse beeilten sich gewichtig, diese Versicherung abzugeben, und Pahlmann machte sich schnell zum Ausgehen fertig.

»Na, denn los! Sempre avanti!« kommandierte Hellmrich, und elastisch sprang er, schlägerklirrend, vor ihnen mit grossen Sätzen die Treppe hinab. Er freute sich selber heute auf diesen Kommers, bei dem er zum ersten Male chargieren sollte. War ihm doch bei der Chargenwahl im Semesterantritts-Konvent vor acht Tagen die Würde des Zweiten, des Fechtchargierten, verliehen worden. –

Der Kommers war im besten Gange, und die beiden Füchslein schwammen in eitel Seligkeit. Fühlten sie sich doch heute unter den Augen eines gesamten wohllöblichen Jenenser L. C. – die beiden Landsmannschaften Alemannia und Cimbria zählten mit all ihren herbeigeeilten alten Herren, Inaktiven und auswärtigen Vertretern wohl an siebzig Mann – zum erstenmal so recht im vollen Glanz ihrer neuen studentischen Würde. Die Befangenheit der ersten Viertelstunde, wo sie sich von so vielen kritisch musternden Blicken der fremden Mützenträger etwas bekniffen fühlten, hatte dem erhebenden Gefühl freudigen Stolzes Platz gemacht: Ja, sie gehörten nun von Rechtswegen hier mit dazu! Und namentlich Simmert sandte bald manchen kecken, forschenden Blick zu der Galerie empor, wo, unter dem Schutz der Mamas, eine grössere Zahl hübscher, jugendlicher Damen in festlich-hellen Gewändern thronten, die auch ihrerseits auf den flotten Alemannenfuchs gar wohlwollend hinabschauten. Ja, so unter den Augen der holden Weiblichkeit zu kommersieren, das verlieh der Sache erst die rechte Weihe. Dies gestand auch Pahlmann heimlich seinem Nachbar ein, und er malte sich, in süsse Träume versinkend, aus, wie heldenhaft er sich hier erst benehmen würde, wenn da droben unter dem »Flor« sein blondes, holdseliges Vis-à-vis sässe und ihn mit ihren Schelmenaugen verstohlen anlachen würde. –

Die feierliche, gehobene Stimmung, die die beiden Krassfüchse mit ihren Genossen umfing, steigerte sich von Lied zu Lied, von Ansprache zu Ansprache, und sie erhielt einen besonderen Aufschwung, als einer der geladenen Professoren eine schwungvolle Rede hielt.

»Meine Herren Kommilitonen!« Wahrhaftig, diese ehrenvolle, kollegiale Ansprache galt auch ihnen, den frisch gebackenen Studenten, und mit hohem Stolz empfanden sie ihre Zugehörigkeit zur »Gelehrten-Republik«, die sie himmelhoch über alles andere irdische Volk emporhob.

So rückte allmählich immer näher und näher die grosse Stunde heran, wo der Glanzpunkt des ganzen Abends kommen, wo der Landesvater steigen sollte. Mit geheimem Herzklopfen blickte Pahlmann nach der Uhr. »Du – bloss noch eine halbe Stunde!« flüsterte er bedeutungsvoll Simmert zu, und auch der nickte ihm in hoher Erregung und Spannung zu. Schnell war die kurze Spanne Zeit vorüber, und dann verkündete der Präside, schlägerrasselnd: »Silentium, in zehn Minuten steigt der feierliche Landesvater!« –

Nun standen die Teilnehmer an dem festlichen Akt an den beiden langen Seitentafeln, paarweis geordnet, sich ernst gegenüber. Das Kommando erscholl, die Musik intonierte die machtvolle Melodie, die dem jungen, wie dem alten Burschen das Herz jedesmal wieder höher schlagen macht, und nun fiel der Chorus brausend ein:

»Alles schweige! Jeder neige
Ernsten Tönen nun sein Ohr!
Hört! Ich sing' das Lied der Lieder!
Hört es, meine deutschen Brüder!
    Hall' es wieder, froher Chor!«

Voll innerster Begeisterung, mit blitzenden Augen und hochgeröteten Wangen stand Simmert da und blickte nach dem oberen Ende der Tafel hinauf, wo jetzt nach dem gemeinschaftlichen Absingen der ersten fünf Verse der Hauptteil des festlichen Aktes, die symbolische Bekräftigung von Vaterlandsliebe und Burschentreue, vor sich ging. Immer näher rückte an ihn und Pahlmann, der in gleicher Erwartung der eigenen Aktion entgegen harrte, der Augenblick heran, wo die beiden Chargierten der Alemannen, auf der Stuhlreihe fortschreitend, bei ihnen selbst angelangt sein würden. Und nun war es so weit. Wie dann alles weiter sich mit ihnen entwickelte, sie merkten es gar nicht, vor innerster Erregung. Sie wussten nur, sie hatten sich beide, rotglühend vor Begeisterung, Auge in Auge gestanden und mit lauter, mannhafter Stimme gewaltig ihren Solovers hinausgeschmettert, den Schläger gar trutzig mit der Linken umklammert:

»Seht ihn blinken in der Linken,
Alemannia's Schläger nie entweiht!
Ich durchbohr' den Hut und schwöre,
Halten will ich stets auf Ehre,
Stets ein braver Bursche sein!«

»Nimm den Becher, wackrer Zecher,
Vaterländschen Trankes voll!
Nimm den Schläger in die Linke,
Bohr' ihn durch den Hut und trinke:
Auf des Vaterlandes Wohl!«

Mit kräftigem Ruck hatte Simmert seine Mütze über die Spitze des Schlägers gestreift, dessen blanke Klinge schon ganz verdeckt war von der vielfarbigen Last, während sich Pahlmann erst längere Zeit vergeblich bemüht hatte, dies Kunststück fertig zu bringen. Endlich aber war es auch ihm geglückt – das Glas, das ihnen inzwischen der Chargierte zugereicht, hatten beide gleich behende hinuntergetrunken – und nun schlugen sie die gekreuzten Speere grimmig gegeneinander. Simmert schickte einen schnellen Blick zu den Damen auf der Galerie, als er so forsch drauf loshieb, als wollte er seinen Freund Pahlmann abwechselnd auf Hochquart oder Terz fürchterlich abstechen – er machte in der Tat mit seiner hochaufgereckten und schneidigen Gestalt da oben einen vorzüglichen Eindruck. Und mit begeistertem Herzen gelobten sich dann beide, indem sie einen langen Blick miteinander austauschten, dass sie allzeit auf Ehre halten und stets rechte Burschen sein wollten.

Es war ihnen hoher Ernst mit ihrem Schwur; schien ihnen dies doch der feierlichste Augenblick ihres Lebens – unvergleichlich gewaltiger und hehrer als alles, was sie je bisher bei einem festlichen Akt kennen gelernt hatten. Ja, bei Gott – sie fühlten, wie sie in diesem Augenblick der alte, hohe Burschengeist entflammte! Und nie wollten sie an ihm zu Verrätern werden, nie ihre akademischen Ideale verleugnen, sondern allezeit treu für ihre Überzeugung, für Alemannias unentweihte Farben mit Gut und Blut einstehen!



 << zurück weiter >>