Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Jeremias Gotthelf

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Einunddreißigstes Kapitel

Wie ich meinen Nachfolger bewillkomme und auf der Schnabelweid Abschied nehme

An einem der nächsten Tage wußte ich nicht, warum so viele Leute vor die Häuser stunden, nach etwas sahen und dann wieder hineingingen. Als ich genauer hinsah, bemerkte ich einen schlanken Mann in dunklem Kleide, der ein geputztes Weibsbild am Arm führte. Der stellte sich bei den Häuseren und die Leute nötigten ihn hinein, und nach langem kam er dann wieder heraus bis zu einem anderen Hause, wo der Auftritt sich wiederholte. Da fiel mir ein, wie es mir akurat so gegangen, als ich die Schule zu besichtigen gekommen; daß ich damals vor lauter essen und trinken fast zu Grunde gegangen, gerade umgekehrt wie zu Gytiwyl; daß das wahrscheinlich der neue Schulmeister sein werde, den man nun mit der gleichen Liebe und Ehre empfange, wie früher mich. Ich muß bekennen, es ging mir ein Stich durchs Herz. Es that mir weh, meinen Nachfolger sehen zu müssen, und doppelt weh, daß die Leute so närrisch mit ihm thaten, während ich noch da war. Ich dachte, was sie ihm alles über mich sagen, und wie sie ihn dagegen rühmen würden. Im ersten Augenblick wollte ich mich fortmachen, um ihn nicht sehen zu müssen; denn ich vermutete, er werde sicher auch das Schulhaus sehen wollen. Doch ermannte ich mich und blieb. Ich fühlte, die Leute würden das Gespött mit meinem Fortlaufen haben, und es regte sich eine Art Mitleiden in mir. Ich dachte: »Du guter Tropf, wenn bu wüßtest was ich!« Eine gewisse Ehrlichkeit rang mit der Schadenfreude. Die Ehrlichkeit wollte ihm Winke geben, die Schadenfreude ihn ungewarnt in den gleichen Fallen sich fangen lassen, die mir gelegt wurden. Dieser Streit währte noch, als sie kamen und ihn selbst entschieden. Ich wollte auch gastfreundlich sein, sie sitzen heißen und ihnen etwas aufstellen. Allein sie hatten nicht Zeit dazu, hatten schon mehr als genug gegessen und noch versprochen, bei der Rückkehr da und dort einzusprechen. Das seien gute Leute; bei denen sei es noch zu sein, meinte die Frau oder Braut, die mit schnippischen Blicken alles musterte und ein zimpferliches Wesen ins Feld führte. Er stimmte ein und meinte, solche Leute hätte er sich schon lange gewünscht, um etwas auszurichten. Ich wollte einige Winke fallen lassen; allein sie blickte mich so höhnisch an und er so übermütig, daß ich schwieg. Ihr und ihm war wenig, recht. Sie wollte das und jenes geändert haben und er konnte nicht begreifen, wie man in einer solchen Schulstube Schule halten könne; die müsse ihm auf der Stelle anders eingerichtet sein. Einige zurückgebliebene Schriften gaben ihm Anlaß zu erzählen, wie prächtig die Kinder in seiner Schule geschrieben. Er hätte es dort noch nicht sagen dürfen, daß er fortgehe; er wisse nicht, wie es gehe, wenn sie es vernehmen; das werde ein Wesen geben! Er dürfe gar nicht daran denken. Über den Stand der Schule u. fragte er nichts. So einer hat gar nichts nötig zu fragen; er weiß alles zum voraus und auf einmal, und auf das allerdeutlichste. Aus seinem ganzen Wesen sprach er zu mir: »Ja gschau mi nume, ich bi n-e-n-andere Kerli als du, und aus der Schnabelweid will ich ein Schnaraffenland machen.« Und als sie fortgingen, hatte er kaum, Zeit, mir Adie zu sagen, und sie sagte gar nichts. Beim nächsten Hause stellte man sich wieder und da sah ich ein Lächeln und Zäpfeln, daß ich wohl wußte, man hudle mich durch. Nun siegte die Schadenfreude und ich mochte die Zeit nicht erwarten, bis Erfahrungen diesen Übermut gebrochen, bis er mich gut gemacht und die Leute sagen würden: »Da Hoffertsnarr wette mr wieder a Käfer tusche u no schön nah gä.« Und diefe Gefühle wurden noch verstärkt, als ich sticheln hörte: der habe gesagt, wie es gehen müsse; das müsse jetzt ganz anders gehen, und sie seien doch glücklich gewesen, daß sie einen solchen bekommen hätten. Wartet nur, dachte ich, ihr werdet es schon erfahren. So stunden der Vorfahr und der Nachfahr zu einander. Der Nachfahr verkleinerte den Leuten mich und meine Arbeit, stellte sich recht hoch, erzeugte große Erwartungen, und sein Dichten und Trachten ging dahin, zu zeigen, daß er ein ganz anderer sei als ich, und daß ich alles verkehrt und unrecht vorgenommen. Er wollte der Liebe werden. Und der Vorfahr sah mit Neid auf den nachkommenden, der so wert aufgenommen wurde, fühlte tief die darin liegende Demütigung, hoffte aber mit Schadenfreude, die Herrlichkeit werde von kurzer Dauer, des Nachfahrs Mühen eitel sein; er werde die Schule nicht besser, die Kinder nicht geschickter machen, den Leuten nicht größere Liebe, größere Achtung einflößen, sondern von allem eher das Gegenteil. So gingen christliche Schulmeister an christlichen Schulen auseinander; so gehen noch viele Vorfahrer und Nachfahrer auseinander; so stehen aber auch viele Arbeiter nebeneinander. Ich frage aber: Kann es gut kommen, so lange es so in den Herzen der Menschen steht, so lange es so steht in den Herzen derer, die Unkraut aus den Herzen rotten und guten Samen hineinsäen sollen? Wenn die Arbeiter in einem Weinberge in sich zerrissen sind, einer die Arbeit des andern verachtet, zertrittet oder wenigstens, unbekümmert um sie, wieder jätet und säet, wie es ihm einfallt, wie muß es da mit dem Weinberg aussehen? Wenn jeder nur sich im Auge hat und das Seine, seine Ehre, seinen Gewinn, und nicht die Ehre dessen, von dem er sich gesandt glaubt, wie muß es da um die Arbeit aussehen, um das Näherschreiten dem Ziele von Gott gesetzt, das doch aller Arbeit Zweck ist?

Liebe Brüder! So lange nicht der Vorfahr im Nachfahr den Bruder sieht und mit aufrichtigem Herzen seine Arbeit in dessen Hände niederlegt und froh hoffet, daß derselbe es noch besser machen, die Arbeit noch weiter fördern werde; so lange der Nachfahr nicht mit demütigem Sinn die Arbeit übernimmt und zur Ehre des scheidenden Bruders fortarbeiten, sein Andenken in Ehren erhalten will: so lange alle Brüder nicht Hand in Hand schlagen und am gleichen Werk mit gleichem Sinn, keiner zu eigener Ehre, sondern alle zur Ehre des Herren des Weinberges arbeiten wollen: so lange kömmt es nicht gut, und wenn wir auch weise würden wie Salomo und reich wie er, und wenn wir auch alle Stiefelchen hätten, schön glänzend schwarz, und Anglaisen dazu von allen Farben, knapp und fein, und wenn man uns auch Herr Schullehrer sagen und den Hut abziehen würde hinten und vornen. Wahrlich das alles hilft nichts, und haben wir die Liebe nicht, so sind wir eitel tönend Erz und klingende Schellen.

O! ich kann nichts tiefer hassen als den Neid, mag er nun aus Eigennutz oder Einbildung entspringen. Wüst ist er schon zwischen Schneider und Schneider, zwischen Schuhmacher und Schuhmacher; aber unendlich wüster ist er noch an denen, die nicht bloß an Schuhen und Hosen arbeiten, sondern an Menschen, an Menschenglück und Wohlfahrt. Wohlverstanden, ich meine hier aber nicht nur Schulmeister und Pfarrer, sondern ich meine auch Regenten. Aus dem tiefsten Grund meines Herzens verachte ich alle Regenten alter und neuer Zeit, deren gehässigem und erbärmlichem Treiben Neid zum Grunde liegt, die von ihm getrieben verleumden, verdächtigen, unterdrücken. Sie spielen mit der Wohlfahrt eines ganzen Landes, um Gewinn für sich zu ziehen, für sich, die verachtungswürdigsten aller Kreaturen. Wahrlich solchen Kreaturen, die mit ihren breiten Buckeln ganze Länder in Schatten bringen, sollte man allen mit dem gleichen Stecken messen und zwar auf ihre H.., bis sie lernen zu Gott schreien, den sie, ehe ihr Fleisch mürbe war, nur verschrieen hatten in ihrem teils bestialischen, teils afterweisen Übermute.

Eine andere erwartete Prüfung war folgende. Ich fürchtete nämlich, wenn die Gytiwyler mit den Schnabelweideren zusammen kämen, so möchten die letzteren die ersteren einweihen in meine Vergangenheit, oder die Kinder möchten gar während dem Aufpacken ihr so oft eingeübtes Schauspiel wieder aufführen. Ich hatte daher alle mögliche Sorgfalt getroffen, ihr Zusammenkommen zu verhindern; hatte Futter zusammengebracht für Mann und Roß, und alles bestmöglichst vorbereitet, damit ich mit meinen Fuhrleuten wegkäme, so schnell als möglich. Das gelang mir auch. Um 7 Uhr waren sie schon da; denn zu Gytiwul stand man frühe auf, und wenn die Bauren schon nicht in einem Bienenkorb schliefen, um zu erwachen, sobald er gnepfe, wie man es den N. nachredet, so verschliefen sie doch nie die Stunde, in welcher Pferde gefüttert werden sollten. Ich hatte früher einmal von einem Schulmeister gehört, der beim Zügeln gar unbärdig sich eingestellt und auf alle Weise seinen Zorn gegen die zu verlassende Gemeinde an den Tag gelegt, so weit, daß er die Fuder mitten am Regen packen ließ, und ein Tenn, das man ihm dazu anbot, nicht annehmen wollte, zu eigenem Schaden. Dadurch gewann er nichts, als daß die ihn Abholenden allerlei Schlüsse zogen über sein Naturell und sein altes Verhältnis, und üble Mutmaßungen in ihre Gemeinde brachten. Ich gedachte dieser Warnung. Als meine Schnabelweider mich ruhig ließen, that ich zu guter Letzt noch so freundlich als möglich mit ihnen, rief die aus dem nächsten Hause herbei, um den Rest meiner Flasche mit ihnen zu teilen, ging durch das Dorf zu Fuß, und nahm noch hie und da mit aller Manierlichkeit Abschied und wünschte ihnen viel Gutes. Und meine Schnabelweider, das muß ich ihnen nachreden, zeigten sich in diesem Augenblick recht brav, besser als ich sie mir gedacht hatte. Sie stichelten nicht nur nicht, sondern gaben mir noch manches gute Wort auf den Weg. Wenn Einer diese Leute zu nehmen und nicht durch sie sich verleiten zu lassen gewußt hätte! Als ich dem alten Mann, der mich zuerst gewarnt, noch die Hand gab, sagte er mir: »Peter, hättest du Glauben gehabt an die, welche es gut mit dir meinten, so hättest du dir viel Leid erspart; es ist mir leid für dich und uns; denn in der letzten Zeit hast du gezeigt, daß du ein braver Kerli sein könntest. Fahr so fort, so kömmt noch alles gut.«

So geht es manchem mit dem Glauben; er kömmt ihm erst nach der Erfahrung, und viele machen gar keine Erfahrung, d. h. aus dem Erlebten lernen sie nie etwas, und darum kömmt ihnen auch der Glaube nie.


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