Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Jeremias Gotthelf

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Sechsundzwanzigstes Kapitel

Wie mich die Mauren und Buben Kurieren

So hob ich meinen Kopf höher und immer höher, und als ich ihn endlich aufgerichtet hatte, trotz einem kleinen Herrn mit spitziger Nase, der eine 1/2 Fuß hohe Kravatte unters Kinn stellt, damit der Kopf hoch bleibe, erblickte ich die Garnlise zehn Schritte vor mir. Die kam ganz demütig und liebevoll auf mich zu, reichte mir die Hand und frug zärtlich : »Wie geht es, Schulmeister? Wir haben rechtes Erbarmen gehabt mit euch und die ganze Nacht pläret euretwegen.« Diese Zärtlichkeit und dieses sich Schmiegen hatte bei meiner Gemütsstimmung die gleiche Wirkung, wie bei noch manch anderem: je tiefer einer vor ihm kniet, desto hoher baumelet er. So polterte ich auch los und sagte: »Ja ich glaube es, ihr habt pläret, daß ihr mich nicht habt hineinsprengen können, einem anderen die Suppe auszufressen, ihr seid zwei schöne Luenzen se.« Da fingen aber der Garnlise Augen an zu funkeln, wie die einer Katze, wenn man sie beim Schwanz zerrt. Sie begann leise zu knurren und sagte mit noch manierlicher Stimme: das hätte sie nicht von mir erwartet; es sei nicht recht von mir, so zu reden, da ich sie jetzt ins Unglück bringe. Bäbi sei mir nicht nachgelaufen, sondern ich ihm; sei mir nicht auf den Schoß gesessen, sondern ich hatte es darauf gezogen, hätte da meine Manöver gemacht, gab wie es mir abgewehrt. Auf den Lärm hin, den man nun gemacht, weil man mich so angetroffen, wolle nun der Beklagte, der Bäbin gar grusam lieb gehabt, von allem nichts wissen, und sage immer: sie solle zu ihrem Fragenbuchhengst gehen; der werde am besten wissen, wer der Vater sei. So müsse Bäbi meinetwegen eine Hure geben, und wäre doch das bravst Meitli gewesen weit und breit, und ich mache es ihm jetzt auch noch so! Ich ward dadurch noch nicht zum Schweigen gebracht und gab ihr einige kleine Schüsse in die Flanke über löten und anläßig sein se. Da öffnete List ihre bisher maskierte schwere Batterie und gab mir volle Lagen, und nicht in die Flanken, sondern in die Fronte. Wenn man denn einen solchen Donnerslümmel hätte löten wollen, so wäre er langist am Ort; aber so ein verhudeltes Schulmeisterli solle sich nicht einbilden, daß ein Meitschi, wie Bäbi, ihn nur mit dem H...... ansehe, und wenn es sieben uneheliche Kinder haben müßte. Wenn es einen solchen Schullümmel haben wollte, so wollte es denn doch einen, der ein zahltes Bett hätte und einen ganzen Milchhafen. Ich vernahm noch, daß ich der Narr des ganzen Dorfes sei, das Gespött aller Kinder, verachtet von den Alten, und daß im ganzen Land kein schlechterer Schulmeister und kein ärgerer Hudelbub sei als ich.

Mein Geschütz war zum Schweigen gebracht, ich stund stumm und eingewurzelt, wie Loths Weib. Da machte sich List satt los, rückte, immer feuernd, mir vom Leibe weg, ging endlich fort aber alle drei Schritte noch mit verkehrtem Kopfe mir eine Ladung zusendend, so lange ich es hören konnte. Erst als List weit weg war, ermannte ich mich und konnte wieder ab Platz kommen, und zu rechtem Ärger über die Frechheit dieses Weibes, das so himmelschreiend mich nun hineinstoßen wollte, mich noch viel schlechter machend als der Pfarrer. Voll gewaltigen Zornes brach ich aus dem Walde heraus auf die Äcker, unter denen das Dörfchen lag.

An der Spitze desselben stund das Haus eines bsunderbaren Freundes von mir, der mich viel einlud und mir viel Recht gab. Diesen hatte ich seit der Geschichte nicht gesehen. Er hatte mich weder ausnehmen helfen, noch war er dabei gewesen, als man mich für den Teufel oder einen seiner Geister angesehen. Im Tenne drosch man und hatte eben eine Tenneten fertig gedroschen und war am Strohaufschütteln, am Abrechen se. Vor dem Tenne wannete der Freund. Als man mich kommen sah, guckte eins ums andere hinter der Ecke hervor, ob ich noch ganz sei, welche Miene ich ziehe, und arbeitete schnell wieder fort, als ob man mich nicht bemerke. Ich grüßte und mahnte, sie sollten bald Mittag machen; man dankte mir trocken. Ich trat zu dem Wannenden und sagte ihm: »Du wirst wissen, von wem ich komme?« – Er hätte neuis davon gehört, war der kurze Bescheid.

Nun klagte ich, was mir der Pfarrer alles gesagt, und wie er gesagt habe, ein Schulmeister sollte nicht zu Kilt laufen und sich nicht so gemein machen u. s. w. – Der Pfarrer werde wohl wissen, was er sage, hieß es; so ein Herr wisse am besten, was recht sei und was ins Maß möge. – Aber das alles sei doch nichts Böses, sagte ich, und es habe niemand etwas dawider gehabt, als der Pfarrer, der nichts davon verstehe und nicht wisse, was auf dem Lande der Brauch sei. – Es habe mir aber auch niemand viel darauf gehalten; wenn ich gewollt hatte, ich hätte es können merken, war die Antwort. – Da ich so mit ihm nicht zurecht kam, fing ich von der Life an, und erzählte ihm, was sie mir alles gesagt und wie ich nun an allem Schuld sein solle. Da antwortete er mir, alles in gleichem Tone: sie werde wohl in etwas Recht haben; wenn es mir nicht um öppis angers zu thun gewesen, so würde ich mich mit so schlechten Leuten nicht angelassen haben. Da wurde ich endlich doch böse, und frug: wenn ich ein so schlechter sein solle und niemand etwas auf mir halte, warum man mich dann behalten wolle? – »Wenn du niemand schuldig wärest, so könntest du gehen wohin du wolltest, lieber heute als morgen; aber wir vermögen es nicht, dem Schulmeister den Lohn zwei- und dreimal zu geben.« Damit schüttete er seine Wanne auf den Kornwalm aus, ergriff seinen Flegel wieder und ließ mich stehen, wo und wie ich stund.

Und da stund ich richtig, wie vom Himmel herabgefallen; denn das waren die gleichen Leute, die vor einigen Jahren gegen den Pfarrer mich aufwiesen, ihn auszäpfelten, mich mitmachen hießen, und alles, was ich vornahm, lustig zu finden schienen. Jetzt als die Folgen dieses Thuns über mich hereinbrachen, ließ man mich stehen, gab dem Pfarrer Recht, mir Unrecht, und behandelte mich, als wenn ich all mein Thun und Lassen selbst ersinnet hätte, vergaß, daß man mich dazu gelockt, aufgemuntert hatte. Die, deren Rat ich befolgt, stießen mich von sich, thaten, als ob sie nicht die geringste Schuld hatten, sprachen laut die Mißbilligung dessen aus, was sie früher angepriesen. Jetzt war alles einig, der Pfarrer, die Garnlise, die Bauren; der Pfarrer, weil er recht hatte; die andern, weil es sie eben ankam, einen Sündenbock aus mir zu machen, und ich, armer Teufel, mußte sehen, wie männiglich mit dem Finger auf mich wies und sagte: Pfi Tüfel. Und von Tenn zu Tenn mußte ich die verblümten Worte hören: »Das isch es lustigs Bürschli, e sufere Schumeister; we's im dr Herr ume recht gseit het!« Wahrhaftig der Zorn verschwand mir und das Baumele; ein unendlicher Jammer übernahm mich. Also der Stab war über mich gebrochen, die Welt hatte ihr Urteil gefällt, alle es bestätigt, und keine einzige Seele war, die sich meiner annahm; keine, die an dieses Urteils Richtigkeit zweifelte; keine, die untersuchte, in welchem Zusammenhang mein Wesen mit meinem Thun stund, welche Schuld auf mich und welche auf meine Umgebung fiel. Alle, alle stunden zusammen an einen Haufen, stießen mich aus und schrien das Schuldig über den Bloßgestellten, und jeder schreiende reckte stolz den Kopf empor und meinte, wenn er einen andern verurteile, so sei er damit selbst ohne Schuld. Und ich, der Missethäter, konnte mich nicht verteidigen; niemand hörte mich, niemand glaubte mir, und jeder sprach: »Da siehe du zu! selber tha, selber ha! Wahrhaftig, da war mein Herz des Jammers voll, und ich hätte in den Boden kriechen mögen vor Elend. Jahrelang hatte ich gelebt in gräßlicher Verblendung. Ich wähnte, meine Umgebung finde alles schön, was ich mache, billige alles; und sie hatte es häßlich gefunden, mißbilligt! Also ein ganz anderer war ich immer in dieser Menschen Augen gewesen, als ich gewähnt hatte, und das jahrelang ohne es zu merken, ohne daß mir ein Laut vernehmbar ward!

Und wie einmal darüber mir die Augen aufgingen, daß nicht nur jener Abend, über den ich mich enschuldigen zu können glaubte, sondern mein ganzes übriges Betragen anstößig gewesen, wer beschreibt mir da die Wolken von Gedanken, die aus dieser einen Erkenntnis emporstiegen, an einander sich reihten, über mir sich wölbten und eine Zerknirschung über mich ergossen, gegen welche die Sündflut nur eine Süderete war? Vor den Menschen hatte ich groß sein wollen, das war mein Zweck; nun hatten sie mich recht klein gemacht, das war mein Lohn.

Mitten in dieser Zerknirschung kam der erste Schultag heran. Ich dachte nicht, welche neue Pein er mir bringen werde, obgleich ich mich nicht auf ihn freute. Am Morgen vor der Schulstunde zog mich ein bedeutender Lärm ans Fenster. Ich sah die liebe Schuljugend in größerer Zahl als sonst am ersten Schultage brauchlich war, an welchem gewöhnlich auf sieben Bänke nur ein Kind kömmt, herbeilaufen unter ungewöhnlichem Lärm und Gelächter. Mehrere größere Buben kamen voran und hielten einen andern, der sich gar ungestüm gebürdete, an Boden sich warf, in die Haare griff und um sich schlug. Je ärger er es trieb, desto lauter lachte der nachfolgende Schweif, unter den sich auch einige ältere Leute gemischt hatten, und vor den Häusern stunden riegeldick sich halbtotlachende Zuschauer. Ich begriff an der ganzen Sache nichts, bis der Zug zum Hause gekommen, der schreiende nicht hinein wollte, von Ertränken sprach, dann: »Babi, o mys Bäbi!« rief, und man ihn frug: ob er noch mehr Giertätsch wolle? Da merkte ich, daß die gottlose Jugend mich aufführe, aus jenem unglückseligen Abend ein ordentliches Spektakelstück mache, dasselbe als passenden Eingang der Schule darstelle, belacht und vielleicht angespornt von den Alten, Und dieses Stück wurde nicht nur einmal aufgeführt, sondern anfangs regelmäßig vor jeder Schule. Um die Rolle des Schreienden schlug man sich; jeder wollte es besser machen als der andere, so daß oft ihrer zwei sie übernahmen oder das Stück zweimal hinter einander gegeben wurde. Die Mädchen waren nie ärgerlicher darüber, daß sie nur Mädchen und nicht Buben waren, als jetzt, da sie diese Rolle nicht übernehmen konnten; und mich nimmt nur Wunder, daß keinem in den Sinn kam, das Bäbi auch einzuführen, damit die Mädchen doch auch auftreten könnten.

Hätte ich die nötige Energie besessen, so wäre das Spektakel wohl abzustellen gewesen, allein die besaß ich eben nicht. Den Eltern klagen? gerade die hatten ihre Freude daran und an ihren säubern Früchtlein, die das Ding so natürlich darzustellen wußten. Dem Pfarrer hätte ich wohl klagen können, und der hätte sicher Holla gemacht; aber mir graute vor der Nutzanwendung, die er mir gratis mitzugeben nicht ermangelt hätte. Hatte ich nun meine Verhöhnung mit angesehen, so konnte ich in die Schulstube gehen und den Kindern in eigener Person mich darstellen. Das war nun wenig anders, als wenn ich mich an den Pranger stellen und ein Halseisen hätte müssen umthun lassen. Man kann sich denken, wie das junge Volk mir Augen machte, spitzbübische und trotzige, und welch Schafsgesicht ich dagegen auftischen mußte. Mau kann sich denken, welch Elend in der Schule entstund, in welcher die Kinder den Lehrer ungestraft verhöhnten, und der Lehrer das gar wohl fühlte, aber, von einem unglücklichen Bewußtsein niedergedrückt, von einer grenzenlosen Mutlosigkeit umfangen, nichts dagegen anzukehren wußte, nicht scharf und entscheidend durchgreifen durfte. Man kann sich denken, wie viel die Kinder lernten. Aber was schor das meine Bauren, daß ihren Kindern ein Winter verloren ging, wenn sie nur ihre Batzen nicht verloren! Von dem nachteiligen moralischen Einfluß auf die Kinder, den ein solches Verhältnis haben mußte, will ich gar nicht reden, denn was wußte man auf der Schnabelweid, was moralisch sei? Cha nit welsch, hatten sie gesagt, wenn man ihnen mit moralisch gekommen wäre. Den Zustand aber, in dem ich gewöhnlich an einem Abend war, kann man sich kaum denken. Es war eine tägliche Kreuzigung, zu der ich alle Morgen erwachte. Und wenn der Tag vorbei war, kam der Abend finster und lang und einsam; denn kein Mensch besuchte mich und zu niemanden mochte ich; mochte die Gesichter nicht sehen, ehedem so freundlich und lächend, jetzt hämisch und finster; mochte Anzüglichkeiten und Sticheleien von denen nicht hören, die früher ganz anders geredet, die auch ganz andre Dinge getrieben hatten, nur mit dem Unterschiede, daß es dann bei gelöschtem Lichte geschah, während es an jenem unglücklichen Abend noch gebrannt hatte. Ja einen gar großen Unterschied machen die Menschen zwischen Licht und Finsternis, erlauben sich und andern in der letztern wüste, böse Dinge ohne Scheu; geschehen sie aber bei Licht (oder Tag), so heißen sie dieselbe Sünde und verdammen sie heftiglich.

Ich saß also daheim am Webstuhle, um mein Leben zu fristen und mein Leid zu vertreiben. Das erstere konnte ich. Ich konnte noch einige ungestüme Mahner, die mir alle Augenblicke vor der Thüre waren, befriedigen. Das letztere aber konnte ich nicht. Wob ich, so hatte ich Zeit zu denken: was ich alles gehofft, in welchen süßen Träumen ich gelebt, wie wohl es mir gewesen und wie nun alles so ganz anders geworden, in welch Elend ich geraten. Eigen ist, daß der Glückliche sich meist mit der Zukunft beschäftigt, froher Erwartungen voll, der Unglückliche mit der Vergangenheit, dem Grabe seines Glücks, doppelt leidend in der Rückerinnerung, so daß beide die Gegenwart vernachlässigen. Wäre es vielleicht nicht besser, wenn alles umgekehrt wäre?

Wenn ich dann so recht ins Elend hineinkam und dachte an die vergnügte Zeit und an meine jetzige Traurigkeit, dann wollte das Weberschifflein nicht mehr fliegen durch die aufgespannten Faden; dann konnte ich nichts mehr als die Tage zählen, welche ich noch in diesem Fegfeuer auszuhalten hatte; konnte nichts mehr als verzagen an mir und an der Welt. Und wenn ich endlich müde von dem nie endenden Gebären und Verschlingen der Bitterkeit gegen mich und die Welt das Lämplein löschte, konnte ich nichts anders wünschen, als: daß in der Nacht auch das Lämplein meines Lebens verglimme. Es ward mir ein Trost zu denken, es würde vielleicht der eine oder der andere an meiner Leiche erkennen, daß er mir zu viel gethan.


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