Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Jeremias Gotthelf

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Viertes Kapitel.

Wie ich um mein Kronprinzentum komme.

Nach mir hatte die Mutter noch zwei Mädchen geboren, die ganz munter aufwuchsen. Wenn andern Leuten Kinder starben, so jammerten die Eltern oft, sie seien die ugfälligste Hüng, ihnen sterbe nie kees. Meine Mutter gebar zum sechtenmale, und das Kind war ein Sohn, und es starb wieder nicht. Eine Kindbetti im Hause war eine so gewöhnliche Sache, daß man sich derselben wenig achtete; nur die Schwestern fingen an zu muckeln: Die Mutter könnte das afe bleiben lassen, das trag nüt ab; so kleine Kröten seien einem nur zur Plag und zu erben werde es am Ende wenig geben. Zwei Tage blieb die Mutter im Bette; dann fing der Vater zu fragen an, wo es ihr fehle, daß sie noch nicht auf möge. Dann zwängte sie sich auf und fing wieder an, die Haushaltung zu machen. Sie mußte zwar alle Augenblicke absitzen, und klagte sich bald hie bald da. Dann meinte der Vater, es werd schon bessern, und gab 6 Fr. um ein weißes Brötlein zu holen; das solle sie einstweilen brauchen und etwa auch ein Süppli kochen. So bald möglich ging daher die Mutter in die Kirche, weil sie dabei einen Schoppen warmen Wein trinken durfte im Wirtshause, ohne daß der Vater balgete. Auch mit der Kindstaufe pressierte sie gar sehr und das aus folgenden Gründen. Das weiße Brötchen hielt natürlich nicht lange an; die Mutter blangete auf die Gaben guter Leute, die man nach Landessitte einer Kindbetterin bringt, aber erst nach der Taufe. Es heißt, wenn man sie vorher bringe, so sei das ein Zeichen, daß man zu Gevatter wünsche gebeten zu werden. So aufdringlich will man also nicht sein. Es ist aber im Grunde mehr die Angst, zu Gevatter gebeten zu werden, welche abhält, sich zu zeigen; denn eine solche Gevatterschaft zieht gar bedeutende Kosten nach sich. Einbund, Kinderkleidchen, Geschenke an die Wöchnerin, dann an manchen Orten das sogenannte große Gutjahr, die ersten Hosen oder der erste Kittel und alle Jahre etwas, an manchen Orten bis man verheiratet ist; dann die Ansprüche armer Eltern, das ganze Jahr durch, die das Recht zu haben glauben, bei den Gevatterleuten zuerst anzuklopfen in jeder Bedrängnis; und manchmal, wenn die Eltern sterben, die ganze Erziehung eines Kindes, das man zu den Seinigen ins Haus nimmt, das sind die Folgen einer Gevatterschaft auf dem Lande. Das ist schon bedeutend, aber die Menge bringt erst die Strenge. Man macht sich in der Stadt gar keine Vorstellung davon, wie oft die sogenannten guten Häuser von den wildfremdesten Leuten in Anspruch genommen werden. Es gibt Häuser, und nicht wenige, wo ordentlich über die Gevatterkinder Buch geführt werden muß und wo ihre Zahl über 100 ansteigt. Ja, ich kannte eine Person, welcher diese einzige Ausgabe jährlich den ganzen Zins einer verpachteten Schmiede wegnahm, (und) der, wenn ich nicht irre, 240 Kronen betrug. Das ist eine indirekte Steuer, die auf den Reichen des Landes lastet, die man nicht beachtet. Zuweilen geschieht es allerdings, daß irgend ein heiratssüchtiges Töchterlein an dunklem Abend mit einer Züpfe unter der Scheuben vor der Taufe anrückt und zu verstehen gibt, sie wäre gern Gatte, aber mit dem und dem; oder daß eine kupplerische Mutter eine Maß Wein bringt und dabei verdeutet, ihr Sohn wolle Götti sein, aber jenes reiche Mädchen müßten sie zur Gotte nehmen; oder daß man eine Mittelsperson dazu braucht, um armen Leuten den Verstand zu machen, wen sie zusammen bitten sollten. Zuweilen kömmt dieses armen Leuten selbst in Sinn, und sie benutzen die Taufe, um junge Leute zusammen zu bringen, in der Hoffnung, man schlage ihr Gesuch um so weniger ab, wenn man höre, wer auch noch da sein werde. Das hat mich als Schulmeister tausendmal geärgert, wenn ich die heilige Taufe zu solchen Kupplereien mißbraucht sah; wenn ich sah, wie die jungen Leute gar nicht daran dachten, wo sie stunden, und wie wichtig das sei, welches sie hier vor dem Herrn versprechen müßten, sondern wie sie nur dachten, daß sie des Nachts bei einander liegen könnten, oder wie ein schnippisches Mädchen Pläne machte, wie es den gegenüberstehenden Götti am besten zum Narren halten könnte.

Meine Mutter pressierte also mit der Taufe, um die Geschenke der guten Leute und die der Gevatterschaft, so wie die Maß Wein und das Stücklein Fleisch, welches der Vater vom Kindstaufschmaus heimbrachte, bald zu erhalten und sie zu ihrer Stärkung zu benutzen. Das wirkte aber wenig, weil ihr die gehörige Ruhe fehlte und sie zu früh wieder alles machen mußte. Ich bin überzeugt, eine Menge Weiber verwittern und verfallen vor der Zeit an diesem Mangel an Schonung und Ruhe in den Kindbetten.

Mein Vater hielt den Kindstaufschmaus im Wirtshause; er sagte, man sei zu Hause nicht dafür eingerichtet; der eigentliche Grund war aber, daß er glaubte wohlfeiler davon zu kommen. Zu Hause hätten die Frau und die Kinder auch mitessen müssen; im Wirtshause waren die nicht, und manchmal zahlten die Gevattersleute noch die Üerti ganz oder zum Teil. Der Frau schickte er das Kind aus der Kirche alsobald heim, so daß nicht begegnen konnte, was zu R. einmal sich zutrug. Dort saßen Mann und Weib mit den Gästen lustig am Tisch; auf dem Ofen eingepackt lag das Kind und war endlich nach langem Schreien eingeschlafen. Als es bald Mitternacht schlug, die Flaschen leer, die Köpfe schwer waren, brach man auf und das Ehepaar wanderte wohlgemut und singend von dannen und vergaß sein Kind. Als die Wirtin abräumte, fing es an zu wimmern auf dem Ofen in dunkler Ecke. Sie erschrak und glaubte es sei unghürig. Sie lief aus der Stube und schrie das ganze Haus zusammen, und vor der Thüre hörten alle das Wimmern, aber keines durfte hinein. Endlich kam der Wirt aus dem Keller und wagte von ferne zu zünden. Da entdeckte er auf dem Ofen den zurückgelassenen Kram, das weebernde Kind. Sie wollten ihn aber nicht behalten. Der dem saubern Elternpaar mit dem Kinde nachgesandte Knecht hatte die größte Mühe es ihm aufzudringen. Sie behaupteten, es sei nicht das ihre, das hätten sie längstens heimgeschickt.

Bei der Taufe meiner beiden jüngern Schwestern war ich mit dabei gewesen; der Vater hatte mich das erstemal sogar hin und heim getragen; diesmal mußte ich trotz meines Anhaltens und Weinens zu Hause bleiben; ich konnte nicht begreifen warum? Als der Vater fort war, lösten mir die ältern Schwestern das Rätsel. »Gell, Peterli! jetzt chasch's o ha wie mir; gell, mit em Heimet isch es us, jetz prediget e-n-angere!« Den ganzen Tag sangen sie mir:

Peterli git e große Herr,
Dr Vatter wott ne thue i dLehr;
Aber jetz isch eine nache cho,
Da het ds Peterli dür tho.

Ich merkte nun wohl, daß ich nicht mehr der Jüngste sei, daß ich das Heimet nicht mehr erhalten werde; aber das plagte mich doch nicht besonders. Ich hatte die Mutter zu oft sagen hören: wenn sie nur den verfluchten Bettel nicht hätte, sie könnte es viel besser haben. Und vom Vater hatte ich wieder gehört: ich müßte recht e Gschickte werde, dann bekomme ich Geld wie Heu und könnte Häuser bauen und Land kaufen, so viel ich wollte. Das Heimet dachte ich dem Brüederli gerne zu lassen, lieber wollte ich mich unten im Dorfe setzen; da sei es viel lüstiger; schöne Matten seien da und schöne Krämerläden, und alle Augenblicke führen Kutschen durch mit schönen Herren und Frauen; und wenn ich dann einen Schärbank hätte, so wäre da ein viel komöder Fahren als bei uns, wo Steine, wie Kindsköpfe die kleinsten, im Wege seien. So machte ich meine Rechnung, aber ohne Wirt.

Aber der Vater wurde nun auch ein anderer und betrachtete mich mit andern Augen. Wie gesagt, sein Heimet war sein größter Stolz, und von jedem, der keines hatte, sagte er mitleidig und verächtlich: »Er isch ume e Ghusme, er isch ume z'Hus«. In mir hatte er den künftigen Besitzer desselben gesehen; als solcher war ich sein Stolz und ihm besonders wert. Nun war mein Brüderlein künftiger Besitzer geworden. Der Vater trug daher alles, was er für mich gefühlt hatte, auf jenes über. Es nahm meinen Platz ein nicht nur im Erbrecht, sondern auch in des Vaters Herzen. Das ging freilich nicht auf einmal zu, und der Vater selbst war sich seiner Umänderung vielleicht kaum bewußt; aber ich fühlte sie immer schmerzlicher. Allgemach erhielt ich keinen Kram mehr; Lebkuchen und Weggen wanderten zum Erbprinzen. Der Vater rühmte mich nach und nach seltener, und daß ich ein großer Herr werden sollte, sagte er gar nicht mehr. Was ich früher gerne und spielend that, um bei ihm sein zu können, das Spulen, das wurde mir zur strengen Pflicht gemacht, und wenn ich nicht die gehörige Portion machte, so erhielt ich erst Vorwürfe, dann Schläge. Zum Lernen hielt man mich auch nicht mehr, im Gegenteil, wenn ich nach dem Buche griff, so hieß es: »Spul du, du bist lang geschickt genug, du kannst noch viele Jahre lernen, und für einen armen Weber kannst du bald genug«. Dann erzählte wohl der Vater, wie er auch nicht habe viel lernen können; er wüßte nicht, warum ich mehr lernen sollte als er, er sei doch auch durch die Welt gekommen. Und wenn das alles nicht fruchtete, so erhielt ich das Buch um den Kopf. So redete der Vater kalt und warm aus einem Munde, bei dem einen Kind so, bei dem andern anders. Die Mutter hatte gar große Freude daran, daß noch ein zweites Söhnchen nach kam, um mich aus dem Sattel zu lüpfen, was sie mir von ganzem Herzen gönnte. Sie liebte daher den Nestbutzen auch so gut wie der Vater; er ward so doppelt verzogen und meisterlos. Wie ich aber nun im Hause z'weg war, kann man sich denken. Der Vater, der die Schuld trug, daß die andern mich beneidet hatten und haßten, ließ mich im Stich, wandte sich von mir. Die Gesinnungen der andern gegen mich blieben. Sogar unser Spitz, dem ich öfters von meinen Weggen gegeben halte und der besonders an mir zu hangen schien, ließ von mir und hielt sich nun zu dem Bruder, der jetzt die Weggen hatte: allen war ich preisgegeben und niemand war zu meinem Schutze da. Die Schwestern vergalten mir nun doppelt ihre frühere Zurücksetzung und was ich ihnen beim Vater angerichtet hatte. Es war mir auf diese Weise recht weh ums Herz; Hund und Vater hatten mich verlassen, und es gibt für das menschliche Herz sicher keinen größern Schmerz, als niemand zu haben, den man lieben kann, oder niemand, der uns unsere Liebe abnehmen will. Im mittlern Alter, wenn die Lebenssonne hoch am Himmel steht und unser Dichten und Trachten auf Gewinn und Gewerb gerichtet ist, mag der Mensch dieses weniger fühlen, als in der Jugend und im Alter, denn in der Jugend ist man liebevoll, im Alter liebedurstig. Darum bewerben Großeltern sich so ängstlich um die Liebe der Großkinder, und thun das Thorrechteste, um sie zu gewinnen. Darum schließen die Kinder so gerne an die Alten sich an, die ihnen ihre Liebe so gierig und dankbar abnehmen. Wie manches Herz wohl, das seiner inwohnenden Liebe kein ander Herz fand, in das es sie ergießen konnte, ist allmählich versteinert und hart geworden, wie Geißbergerstein. Und wie manches andere wohl ist zum Verbrecher geworden an den Menschen aus Rache; weil sie die Liebe nicht wollten, hat es sie mit Haß bezahlt in That und Wort.

Glücklich war's für mich, daß es mir nicht so ging, und daß die gütige Vorsehung mir einen Retter vor diesem Zustande in den Weg führte, für mich ein Engel, d.h. ein Bote Gottes. Und was für einen – sollt ihr im folgenden Kapitel hören.


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