Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Jeremias Gotthelf

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Zweites Kapitel

Von Mater und Mutter.

Mein Vater war ein magerer blasser Mann, von Profession ein Weber. Alle Winter hatte er den Husten; und wenn der Winter acht Monate dauerte, wie im Jahr 1836, in welchem es nur während vier Monaten nicht geschneit hat, so hustete er auch acht Monate lang. Meine Mutter war eine Frau, wie man sie auf dem Lande zu Tausenden sieht, nicht groß, nicht klein, ohne besondere Merkmale, aber mit von der Zeit verwitterten Zügen; am Sonntag, oder wenn sie das Haus verließ und gewaschen und gekleidet war, nicht eben häßlich, in der Woche aber und zu Hause oft einem Haaghuuri ähnlicher als einem Menschen. Sie besaßen ein kleines Heimwesen, auf welchem man in guten Jahren eine Kuh und einige Schafe mühselig durchbringen konnte, wenn man alle Äpfel- und Erdäpfel-Schindti sorgsam zu Rate zog. Korn konnte man wenig pflanzen; aber gar viel hielten sie auf Gspünst, weil der Vater ein Weber und die Mutter eine Frau war, d. h. weil sie sich gerne rühmte, so und so viel Flachs und Ryste gemacht zu haben. Das war dem Lande kein Nutzen; es blieb um so magerer. Und daß man um so mehr Brot kaufen mußte, rechnete man nicht, sparte es aber gar ängstlich. Es war zudem ein Gütchen, auf welchem die guten Jahre selten waren, besonders wenn man es nicht recht düngen konnte, sondern der natürlichen Fruchtbarkeit das Gedeihen überlassen mußte. Jener Länder meinte, auf die Frage, ob sie viel Heu gemacht: wo man brav gemistet, hätte es viel Heu gegeben; wo man es aber nur dem lieben Gott überlassen, wäre nichts gewesen. Diese Antwort scheint gottlos zu sein; sie enthält aber den tiefen Sinn, daß Gott nichts thut, wozu er dem Menschen Mittel und Kräfte gegeben, es selbst zu machen. Es lag an eines Waldes Saum, hatte steinichten Boden, viel Schatten, war uneben und wasserlos, bis an das Abwasser vom Hausbrünnchen, das aber in trocknen Jahren einen Wasserstrahl hatte, kaum wie eine Lismernadel. Es gingen einmal fremde Reisende, während man im Dorfe ihre Pferde fütterte, spazierend bei uns vorbei. Als sie in den Baumgarten kamen, wo die Bäume so schon grau und grün unter ihrem Moose und zwischen den Mistelen hindurch guggten, und zum Häuschen, das halb blind hinter seinen papierenen Fenstern sich schämte und sein strohloses Dach mit allerlei Pflanzen und Trümmern bedeckt hielt, halb versteckt in den Bäumen und im Schatten des Waldes – meinten sie: das sei hier doch gar zu romantisch. Ich verstund den Ausdruck nicht, hielt es aber für ein Spott- und Hohnwort, und hetzte hinter dem Tennsthor hervor unsern Spitzi auf sie. Daß es nicht besser aussah, hatte seine zwei guten Gründe. Mein Vater hatte das Gütlein nicht schuldenfrei, sondern er mußte alle Jahre 50 Kronen Zins haben auf demselben. Sein Vater war schon schuldig gewesen. Und er wurde noch mehr schuldig, weil er seinen Schwestern herausgeben mußte. So häufte sich von Geschlecht zu Geschlecht die Schuldenlast an. Gewiß ist aber auch niemand gedrückter, als der Besitzer eines kleinen, verschuldeten Heimwesens, er mag ein Handwerk haben oder keins; der hängt sein Lebenlang zwischen Tod und Leben, kann nicht leben, kann nicht sterben, wenn er auch noch so fleißig ist. Die gemeinen Lasten sind im Verhältnis größer als bei größern Gütern, Verbesserungen lassen sich weniger anbringen; auch hat man nicht die Mittel dazu; was gepflanzt wird, muß ins Haus gebraucht werden; man bleibt hungrig dabei, und muß noch dazu kaufen. Hat man kein Handwerk, so gibt es keinen Nebenverdienst und der Zins kann nicht aufgebracht werden; hat man ein Handwerk und ist nicht sehr gescheut, so pfuschet man auf dem Gut und im Handwerk, treibt keines recht und kommt auch nirgends hin. So mußte auch bei uns allem aufgeboten werden, um den jährlichen Zins aufzubringen; auf Verbesserungen oder gar Verschönerungen hatte man nichts zu verwenden, nicht einmal auf die nötigen Reparaturen. Und weil man kleinen Schaden nicht ausbesserte zur rechten Zeit, so wurde er groß; und um ihn zu heilen, mußte man neue Schulden machen. Wer für sein Dach z. B. zur rechten Zeit 10 Xr. scheut, der kann später 10 L. rüsten. Aber das bedenken wenige; sie fühlen nur den Geldklamm, in dem sie sind. Mein Vater hielt sein Handwerk für die Hauptsache und es war ihm in der Seele zuwider, wenn er außer seinem Webekeller etwas thun sollte; dann konnte ihm niemand etwas recht machen. Die Frau und später die Kinder sollten alles besorgen; und das ist der zweite Grund, warum es nicht besser aussah. Man kann sich denken, wie es zugeht, wenn eine Frau, die entweder Kindbetterin, oder schwanger ist, alles in allem thun muß: Kinder säugen und hüten, Schweine mästen, Kühe füttern, für Menschen kochen, pflanzen, begießen, jäten, mähen, dreschen, spinnen soll; und wie es ihr sein muß, wenn sie nirgends kommen mag, weder mit der Arbeit noch mit dem Gelde; wenn sie manchmal in die Erde sinken möchte vor Mattigkeit und Müdigkeit mit ihren geschwollenen Beinen, und dazu ein Kind hier schreit, das andere dort, und der Mann mit sauren Augen sie fragt, warum das noch nicht gemacht sei und jenes nicht, und wann man doch einmal essen könne und warum sie die Kinder so brüllen lasse. Und wenn sie zu diesem allem nichts brauchen soll, nichts anschaffen darf, und über jeden Kreuzer ein endloses Gefrägel ist und der Mann keinen Verstand hat über einen Hausbedarf, sondern nur den jährlichen Zins von 59 Kr. im Sinn und Kopfe hat, so kann man denken, wie bös eine solche Frau hat. Das ist wahr, er selbst arbeitete auch brav. Allein entweder war er nicht besonders geschickt oder unglücklicher Art – er kam nicht weit. Früher hatte er Garn gekauft und auf eigene Rechnung gewoben für die Händler; allein das wollte nicht gehen. Und wenn er auf dieses Kapitel kam, so konnte er nicht aufhören zu schimpfen über die Ungerechtigkeit in der Welt. Je ärmer man sei, meinte er, desto mehr hätte man nötig zu lösen. Aber das sei gerade umgekehrt, die Reichsten lösten aus ihren Sachen am meisten. So ein Händler oder Handelsherr sehe es einem auf hundert Schritte an, ob man Geld nötig hätte, und am schlimmsten darin sei ein gewisser Christen (den Geschlechtsnamen nannte er nicht) und gebe einem sicher einen halben oder einen ganzen Vierer weniger für die Elle, als wenn man kein Geld nötig hätte. Da werde man gedreht, daß einem die Augen übergehen und man nur noch sehen könne, wie sie einem, der es nicht so nötig hätte, mehr geben für sein Tuch, das doch nicht so gut sei. Doch das sei noch nicht alles. Wenn man glaube, fertig zu sein und sein geringes Profitchen am Schermen zu haben, so müßte es gar nicht zu machen sein, wenn sie einem nicht noch einen Abzug zu machen wüßten, entweder für Fehler im Weben oder für Bleifäden oder für irgend etwas, an das das arme Weberchen nicht gedacht, das er sich aber mit blutendem Herzen müsse gefallen lassen, weil er halt nichts anders zu machen wüßte und mit solchen Großgrinde nicht prozedieren.

Wenn diese wüßten, wie manchmal das arme Weberlein in seinem feuchten Keller bei feiner mühseligen Arbeit bei Kreuzer und Pfennig ausrechnet, was er lösen sollte, und wie er eben so oft seinen Gewinn gegen seine Schulden hält oder seine Bedürfnisse, und das Schifflein emsiger fliegt, weil ihm angst wird, es möge es nicht geben; und wie das ein wichtiger Tag. ist, wenn der Vater ein Wubb abmacht und damit auf Burgdorf oder Langenthal zu wandert, und wie auf einen halben Vierer unendlich viel ankommt und wie Weib und Kind bang auf die Heimkunft harren, und was der lange Christen gesagt und gegeben, und wie die ganze Haushaltung entweder seufzt, wohl oder übel schläft, je nachdem der Christen bei guter oder böser Laune gewesen – wenn sie das alles wüßten, sie würden sicher zuweilen einen Schoppen weniger zum Überfluß trinken und einen Vierer mehr zur Notdurft geben, oder sie müßten dann steinern sein durch und durch und um und um. So mußte endlich mein Vater seine Selbständigkeit auf- und sich einem der Herren als Weber zu eigen geben. Nur was man selbsten pflanzte, verwob er auf seine Rechnung und wenn er einmal ein eigenes Wubb wegtragen konnte, so hatte er einen ganz andern Schritt und trug auch den Kopf ganz anders; und wenn er dann dieses Wubb keinem Händler zu geben brauchte, sondern irgend einer Frau in der Stadt anhängen konnte, dann kam er wohl auch mit dem Hütchen auf der Seite und einem kleinen Stecher heim. Einmal hatte er einen großen; da hatten wir Kinder Spaß und Freude. Er hatte einer Frau Tuch verkauft und die hatte ihm, weil eben ihr alter Weber gestorben, zu weben gegeben. Der Vater hatte sich anfangs geweigert, es zu nehmen, weil sein Herr verdammt puckt war und keinen Tag auf die Arbeit warten wollte, und seine Arbeiter beim geringsten Verzug auspudelte, ärger als ein Pascha mit drei Roßschweifen. Endlich nahm er doch eine Partie Garn, weil er mehr Verdienst dabei sah und durch früheres und späteres Arbeiten den andern nicht aufzuhalten hoffte. Als er der Stadtfrau das Tuch brachte und vormessen wollte nach Webersitte, machte die ein gar schlaues Gesicht und sagte: »Ja, Weber, ich bin auch nicht dumm. Wenn dWeber schon schlimme Vögel sind, so können sie mich doch nicht mehr überlüpfe. Ich will darum absolut nicht, daß du mir den Daumen missest zu der Elle und mich so an Ellen verkürzest.« »Ja, Frau, das mache ich Euch, wie Ihr befehlet«, hatte mein Vater gesagt, ohne zu lachen. Beide schieden zufrieden miteinander; die Batzen aber, die der ausgelassene Daumen an vermehrtem Weberlohn ihm eingetragen, hatte mein Vater vertrunken und darum den tüchtigen Säbel heimgebracht.

Mein Vater bildete sich ein, sein Verdienst solle den Zins machen und der Rest verwandt werden zu Abbezahlung der Schulden; der ganze Hausbrauch und alle Ausgaben sollten vom Ertrag des Gütchens bestritten werden. Er behauptete, andere seien keine Weber, hätten überhaupt keinen Nebenverdienst, aber Schulden wie er und nicht mehr oder besseres Land; – die müßten also auch gelebt und Zins haben. Und woher müßten diese beides nehmen als aus dem Lande? Er rechnete daher alle Jahre mit der Kreide und im Kopf, wie es nun anders gehen müsse, welches Pöstchen er ablösen wolle und wie er dann das andere Jahr ein noch größeres abzahlen werde. Aber er rechnete alle Jahre falsch und mußte froh sein, wenn er schlüpfen konnte ohne neue Schulden. Der gute Weber hatte nur das Einnehmen im Kopf, aber nicht die Ausgaben; – die schneite es ihm unerwartet zu zu unbeliebigem Nachtrag. Es mußte z.B. der Zimmermann ein neues Bschütti-Loch machen, weil das alte einfiel. Das kostete Geld und deswegen gab er der Frau manchen Tag kein gutes Wort. Die Kuh wollte nicht mehr trächtig werden; sie mußte vertauscht, Geld zugeschossen werden. Er sagte: »Frau, jetzt kannst sehen, daß es mit dieser nicht eben so geht, wie mit der alten – sonst geht es dir nicht gut.« Es kamen Krankheiten über die Kinder, die machten Auslagen; Krankheiten in den Flachs, die verminderten die Einnahmen; und die Frau mußte alle Tage ihre Brummelsuppe schlucken. Und wenn dann noch eine Kindbetti dazu kam, dann mußte sie alle Tage hören: sie könne nichts anders als jung ha! und wenn sie, wie es auf dem Lande der Brauch ist, zu Ader lassen wollte, so mußte sie alle ihre Schliche anwenden, um zu den vier oder fünf Batzen zu kommen, welche zu der üblichen Kur nötig sind. Die Weiber bilden sich nämlich ein, wenn man Blut auslasse, so sei oben darauf wenigstens ein Schoppen roter Wein nötig und ein Bitzli Fleisch; und der Doktor, welcher diese Kur am besten zu verordnen weiß, bei dem lassen die Weiber am liebsten zu Ader. So sah man vor einiger Zeit an bestimmten Tagen eine Menge stattlicher Weiber an einem gewissen Orte stattlich einherschreiten, und keine ging ohne ein gefülltes Säcklein heim; und eine Menge minder stattliche Weiber trank wenigstens den genannten Schoppen Roten. Es war nicht Sonntag, nicht Märit; aber es war Aderlaßtag, und der Doktor an selbem Orte verstund das Aderlassen besser als alle. Er verordnete nämlich den Vermöglicheren nicht bloß einen Schoppen, sondern eine förmliche Kur, die mehrere Tage dauern sollte und darin bestand, daß die Weiber während dieser Zeit grünes Fleisch und ein Glas guten Wein brauchen sollten. Das war den Weibern das Rechte, und sogar die Kinder, denen ein gutes Müetti immer einen Teil von dem, was es ißt und trinkt, zukommen läßt, freuten sich auf diese Tage und fragten oft: »Müetti, wotsch nit bald ga Bluet use lah?« Der Doktor, der Schalk, vergaß sich aber auch nicht; zum Aderlaß gab er mit bedeutsamer Miene ein klein Tränklein, welches notwendig mit den andern Sachen zu gebrauchen sei, und so zog er über den gewohnten Aderlaßbatzen noch drei Batzen für unschuldige Kräuter, und verschaffte sich so nicht nur stattliche Weiber zum Aderlassen, sondern auch eine stattliche Einnahme, daß er auch für sich die Kur brauchen und grünes Fleisch essen und guten Wein trinken konnte, so viel er wollte.

Die Behandlung des Vaters nahm die Mutter so hin, ohne daß es oft Streit gegeben hätte. Sie stichelte zuweilen auch wieder, sagte z. B., es sei komod, am Schatten zu sitzen und zu befehlen, klagte bei einer Nachbarin etwa, ihr Mann sei der unerchantisch wüestisch Hung, den es geben könne, und nie wüster, als wenn sie mit em Ching gehe. Später mußten dann die Kinder hören, was sie gegen den Vater auf dem Herzen halte.

So war unsere Haushaltung nicht bekannt als eine störrige, zweispaltige, sie war nur was tausend andere auch waren. Diese täglichen Reibungen, dieses freudlose Ringen mit des Lebens Mühen und Nöten hatte die Gemüter versäuret durch und durch, so daß alles im schlimmsten Lichte angesehen, bitter aufgenommen wurde, am bittersten das Glück des Nächsten. Wenn einer ein Erbe gemacht oder einen guten Schick, so ergoß sich die Galle der Eltern auf alle erdenkliche Weise, und der Vater hustete noch einmal so viel als sonst. Unglück mochten sie aber jedem gönnen, und es nahm sie immer Wunder, daß es nicht schon früher eingetroffen oder nicht ärger gekommen sei. Die größte Freude hatte meine Mutter, wenn irgend ein Mädchen schwanger wurde, und Keiner es wollte; dann wußte sie über Mädchen, Eltern und über die jetzige Welt zu schimpfen wie ein Buch. Aus diesem allem kann man schließen, daß Beide nicht besonders viel eigentliche Religion hatten. Sie schimpften zwar oft über die Welt, und wenn sie jemand recht herunter machen wollten, so sagten sie: Er glaube an keinen Gott und an keinen Teufel. Sie ließen uns Kinder beten, und mitten drin sagte die Mutter: dort geht der D... Schelm, der uns unsere Äpfel gestohlen hat! Der Vater ging öfters in die Kirche, weil er im Dorfe etwas zu verrichten hatte und gerne etwas Neues vernahm, besonders im Winter, wenn man Schweine zu verkaufen hatte, zu hören was sie gelten. Die Mutter hingegen ging höchstens alle zwei Jahre einmal zum Nachtmahl. Wir fürchteten es allemal; denn am Morgen ehe sie ging, war sie von einer Hässigi ohne Gleichen; sie turnierte in der Küche herum wie wild, und das Kind, das ihr vor die Füße lief, erhielt Schläge. Wenn sie heim kam, hatte sie gewöhnlich auf den Pfarrer zu schimpfen: der sei auch einer auf die neue Mode, man verstehe sich gar nicht auf ihn. Ehemals hätte man das Abendmahl ausgelegt, wie es einem so wohl mache, und wie man selig werden könne, wenn man es genieße, wie ja darum Christus für alle gestorben sei, wo das glaubten, und wie die Seligkeit so schön sei und im Himmel alles glitzert und es lustig sei dort. Der wisse von dem Allem nichts zu sagen, sondern sage nur immer, man solle das thun, und jenes nicht thun, und eine Frau hatte ihr heute gesagt: der Pfarrer habe letzthin gesagt, er wisse nicht, wie es im Himmel sei. Ob man denn einen solchen Lappi zum Pfarrer machen solle, sie frage! Ehedem wäre er nicht gut gewesen für einen Schulmeister; jetzt mache man selligi Pfarrer. Da wundere es einem nicht, wenn der Unglauben so überhand nehme, wenn der Pfarrer nicht mehr wisse, wie es im Himmel sei. Das werde doch wohl in der Gschrift stehen. Die Mutter und der Vater hatten keinen Begriff davon, daß die Religion etwas sei für alle Tage und für das Haus, daß sie im Grunde nichts anders sein solle, als der Urquell all unseres Denkens, Redens, Handelns, der Urquell unseres ganzen Seins; sie hielten sie für ein Fürwahrhalten, daß Gott alle Worte in der Gschrift gesprochen, und daß man durch Christus selig werden könne, verbunden mit einem Dienst, den man durch Hersagen von Gebetsformeln und in der Kirche zu verrichten habe. Darum gedachten sie auch nicht von ferne daran, daß die Religion ihr Benehmen gegen die Nächsten und besonders ihr gegenseitiges zu bestimmen habe; gedachten gar nicht daran, daß durch die Religion jedes menschliche Wesen veredelt werden solle, und daß diese Veredlung gerade die Bestimmung des Menschen sei. Das Nichtgedenken an diese Wahrheit hat die traurigsten Folgen allenthalben und vorzüglich in der Erziehung. So dachte keines, daß es sich zu bessern, Fehler zu überwinden, die Kinder vor bösen Neigungen zu bewahren halte. Dabei waren meine Leute aber doch nicht schlechte Leute, was man so nennt; sie galten für brave, von denen man nichts appartiges wisse, als daß sie kum thun müßten. Sie hatten so die allgemeine Rechtlichkeit, die vor Allem sich wahret, was auskommen könnte. Wenn wir etwas fanden, das Nachbarsleuten gehörte, so mußten wir es alsobald zurückgeben. »Was däychst o? we si's chennti, was siege sie o?« Gehörte das Gefundene aber einem Unbekannten, so gab man sich keine Mühe, ihn aufzufinden, ja er müßte guten Beweistum gehabt haben, wenn man es ihm zurückgegeben hätte. Sie betrogen auch keinen Nachbar und überhaupt niemand ihresgleichen; aber wenn meine Mutter des Pfarrers oder Doktors Weibern einige schlechte Eier unter den guten anhängen konnte, so lachte ihr das Herz im Leibe; und wenn sie ihnen Gspünst verkaufte, so tat sie kurze Ryste unter die lange, Kuder in den Flachs. Dann lachten beide, die Mutter und der Vater und meinten: »Das macht sellige Lüte nüt, si merke's nit u si hei Geld gnue u mir hey's nötig, u was nützte dBörtel, we me se nit bruchti?« Wenn dann einmal eine der Frauen Unrat merkte, sich beklagte und drohte, nichts mehr von uns nehmen zu wollen, so begehrte meine Mutter nicht übel auf und räsonnierte über die geizige Herrehüng, die einem nichts gönneten, die einem nichts für eine Sache geben und doch von allem das Beste haben wollten.


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