Jeremias Gotthelf
Leiden und Freuden eines Schulmeisters
Jeremias Gotthelf

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Fünfundzwanzigstes Kapitel

Wie ein Pfarrer abputzen kann, und was es nützt

Ich durfte doch wieder ein Feuer anmachen und mir ein Kaffee kochen; das erste Warme, das ich seit dem verhängnisvollen Eiertätsch zu mir nahm. Er stärkte mich, brachte aber auch meine Einbildungskraft wieder in Bewegung, die mir in der düstern Einsamkeit die Zukunft gar schwarz, meine Lage in trostlosestem Lichte mir zeigte. Und zu den schwarzen Bildern sang draußen ein kalter Schneewind ein schaurig Lied. O, es ist etwas unentlich trauriges für ein in sich selbst nicht zum Bewußtsein gekommenes Gemüt, dem die Quelle des nie versiegenden Trostes nicht im eigenen Herzen aufgegangen, so einsam zu sein einzig mit seiner beschwerten niedergebeugten Seele, hinter sich eine Vergangenheit, vor der man mit Beben die Augen abwendet, vor sich eine Zukunft, die dem ängstlichen, Auge, das sie entwirren möchte, die gehegten Hoffnungen in grinsende Totenköpfe verwandelt zeigt, Gespenster über Gespenster, eins graulicher als das andere, auf den Spiegel der Seele fallen läßt. Man möchte das beschauende Auge schließen, möchte alles vergessen, an nichts gedenken; aber Vergangenheit und Zukunft dulden es nicht, sie drängen sich in die Seele hinein, wie der Stahl des Mörders in seines Opfers Herz. Ein einziger Mensch, der einen hört, der ein freundlich Wort zu einem spricht, der eine andere Saite in uns anschlägt, eine andere Gedankenreihe in uns heraufruft, oder nur andere Farben aufträgt, statt der schwarzen, welche wir allein noch in Besitz haben, so ein Mensch wird uns zum Engel in der Wüste. Und wenn kein Mensch zugegen ist, nur etwas Lebendiges, eine Katze, die um unsere Füße streicht, ein Hund, der seinen Kopf auf unsere Knie legt, ein Vogel, der uns in die Hand pickt, nur ein Wesen, das uns das Bewußtsein zurückruft, nicht ganz verlassen, verstoßen zu sein, doch noch einen kleinen Teil der unerschöpflichen Liebe, der eigentlichen Weltseele, zu besitzen, und sei es auch nur Katzen- oder Vogelliebe, auch nur ein solches Wesen vermag uns wieder aufzurichten. Ein tiefes Bedürfnis nach Liebe ist in jedes Herz gelegt; die Zeichen der Liebe, welche wir erhalten, sind die eigentliche Nahrung der Seele; die Zeichen der Liebe, welche uns von sterblichen werden, sind die Zeugen der göttlichen Liebe. Nur um des Guten willen wird ein Mensch geliebt; nur das Hervortreten des Göttlichen in ihm erweckt eigentliche Liebe; nur Milde und Kraft fesselt den Hund an ihn. Ein Mensch, der durchaus nur böse wäre, würde von allen Lebendigen geflohen, kein Hund leckte ihm die Hand, kein Vogel horchte auf sein Pfeifen, bei ihm hielte nichts aus als Flöhe und Läuse. Darum, wenn das Unglück über uns einbricht, wenn der Herr uns die Rute gibt, sehnt sich das Herz nach einem Zeichen der Liebe, der Teilnahme der Geschöpfe, als einem Zeugnis, daß es die ewige Liebe nicht verloren, kein vom Vater ausgestoßenes Kind sei, sondern nur ein zu seiner Heiligung gezüchtigtes. Sowie nun die Menschen selten wissen, warum sie eine Sache thun, so wissen sie auch nicht, warum Bekannte und Freunde zu traurenden Unglücklichen laufen; sie würden sonst nicht mühselig ganze Steinkrätten Trostes und Redensarten aus dem Grümpelgemache aufladen und dem klagenden Freunde zur beliebigen Verdauung vorwerfen. Bei wahrem Leid schlägt kein solcher Wort-Trost an; aber das Kommen, das Nicht-Verlassensein erhebt, und ein einziger Blick, aus dem Liebe spricht, gibt der Seele Kraft und die Gewißheit, daß man nicht aus den Grenzen der Liebe gestoßen worden. Mir ward kein solcher Trost. Ich blieb alleine. Trübe war es ringsum, doch konnte ich wieder etwas denken, nicht nur empfinden und phantasieren. So dachte ich mir: der Pfarrer werde mich am Ende so wenig fressen, als die Bauren vorhin es gethan hätten. Er werde mir sagen können, wie es mit Bäbi stehe, ob sie ihre Schwangerschaft angezeigt und mich als Vater angegeben hätte oder nicht. Und aus dem Gwunder kommen, heißt immer etwas gewonnen.

Am meisten zuwider war es mir, am Morgen so cirka um die 8 durchs Dorf zu gehen, wo sicher die meisten bei den Brunnen oder im Tenn auf mich lauerten, um mich mit Worten und Blicken Spießruten zu jagen. Daher beschloß ich, vor Tag weg, und dann in dem Walde, der zwischen der Schnabelweide und dem Pfarrdorfe war, spazieren zu gehen bis zur bestimmten Stunde. Lockend war es freilich nicht draußen, die Gegend weder romantisch noch pittoresk und meine Stimmung eben nicht fürs Spazierengehen gemacht; allein ich dachte mir die Zeit zu vertreiben mit dem Denken an meine Bauren, wie die lange Hälse machen würden, um mich zu sehen, die Bäuerinnen den Schweinen eine halbe Stunde später das Fressen brächten, die Mädchen die Erdäpfel stunggen würden im Brunnentrog aus Leibeskräften, alle große Augen machend nach dem Schumeister. Und wie sie dann ungeduldig würden, einer hier sagte: »Dert chunt er!« alles z'weg schöße und dann ganz kaput einen anderen erkennten. Wie endlich die Frau Ammene dem Mann sagte: »Gang lue, wo blybt er? säg ihm: der Predikant verstang nit Gspaß.« Und wie der Ammann zotteln müßte, die Thüre verschlossen fände zu seiner großen Verwunderung, dopple und rufe aus Leibeskräften, und kein Schulmeister Bescheid gebe. Und wie die ganze Gemeinde auf die Gasse herausstünde, um zu sehen, wie mich der Ammann daher bringe und wie endlich, die ganze Gemeinde ratschlage: ob die Thüre einzuschlagen sei, oder ein Fenster, endlich den Entschluß fasse, wieder bis zum Abend zu warten und ganz kaput männiglich an die Arbeit gehe. An diesen Gedanken hoffte ich mich wohl 2 oder 3 Stunden erlaben und stärken zu können. So wecket Bosheit Bosheit auch in harmlosen Gemütern, erst eine unschuldige, dann eine bösartige. Hat einmal ein Mensch einen Entschluß gefaßt, so ist's ein Zeichen, daß die Wellen seines Gemütes nicht mehr so hoch gehen, daß er nicht mehr überflutet ist von Empfindungen, daß der Verstand des Sturmes beginnt Meister zu werden.

Von meinem Entschluß Errettung gewärtigend, schlief ich, freilich nach einem unendlich langen und bangen Abend, ordentlich ein und ungestört fort, bis um 5 Uhr. Da sprang ich mit beiden Beinen zugleich aus dem Bette und machte mich so schnell als möglich auf den Weg, damit nicht irgend ein Trappi, der nicht warten mag, bis er seine Kühe wieder steht, seinen Misthaufen wieder riecht, mich erblicken und dem Dorfe das Beiten und Warten durch die Nachricht ersparen werde: der Schumeifter sei schon am Morgen um feufi durch das Dorf gelaufen, wie wenn er gestohlen hätte. Glücklich entrann ich und erreichte ungesehen den Wald. Es war ein naßkalter Morgen. Der Nebel hing schwer und naß in die Bäume hinein, und die Buchen und die Tannen schüttelten zuweilen ihre tropfenden Häupter zur Erleichterung; langes nasses Gras streifte seine Bürde an Schuhen und Hosen des Wanderers ab auf dem Nebenwege, den er suchen mußte, um nicht etwa einem Kiltbuben zu begegnen, der auch in den ungeraden Nächten sich nicht stille halten konnte. Ich spazierte nun gravitätisch wie ein Herr von Bern den etwa 20 Minuten langen Wald auf und ergötzte mich an den langen Gesichtern und gwundrigen Augen, die meine lieben Bauren machen würden. Und, o liebe teure Zeit! als ich mein Nastuch suchte, fand ich meine liebe werte Tabakspfeife noch ganz geladen, fand ein klein Stück Schwamm in der Tasche, Kiesel am Boden, und konnte tubaken. O wie mir das gut schmeckte, denn die Tage über hatte ich nicht daran gedacht! O wie gut einem etwas schmeckt, wenn man es einige Zeit entbehrt! Düster graute der Morgen. Schnepfen schossen in schnellem Fluge am Waldessäume dahin und schwenkten rasch ins Dickicht. Zierlich galoppierten Hase und Häschen von der grünen Weide des Weges entlang dem moosigen Lager zu, zwischen den Tannenwurzeln oder dem laubigen Lager am Fuße der stattlichen Buche. Altklug krähte eine alte Krähe den Jungen ein Bonjour zu und unwillig gähnten diese eine schläfrige Antwort. Munter setzte sich das Eichhörnchen in Sprünge, nach Buchnüssen und Eicheln lüstern; es weckte die in Rudeln schlafenden wilden Tauben, die mit schwerem Flügelschlag von Ast zu Ast flatterten, schlafsturm und mühselig zur Besinnung kommend. Endlich rührte auch der Faulste von allen, der glarige Herrenvogel (Herrengägger) sich, krächzte unverschämt in alles hinein, er der letzte, als ob er der erste gewesen wäre. Das vertrieb mir die Zeit ein wenig. Aber immer kälter ward mir dabei und fröstelnd lief es mir über den Leib. Immer mehr blangete es diesen, an des Pfarrers Feuer zu sitzen oder doch wenigstens in der Nahe desselben zu stehen. Aber je mehr die Zeit verrann, desto mehr bangte es der Seele, zu erscheinen vor des Pfarres Majestät. Desto ängstlicher betrachtete sie das Eilen des Zeigers, welches der Leib ein Schleichen nannte. O es ist ein gar wunderlicher Zustand, dieses Blangen und Bangen, dieser Zwiespalt von Leib und Seele, dieses Eilen der einen und Zurückhalten des andern. Wären sie nicht so gut in einander verwachsen, sie rissen auseinander. Die Zeit half meinem Leibe und trieb die zögerende Seele aus dem Walde heraus und dem Dorfe zu. Dafür ließ, je näher wir kamen, diese Seele das Herz lauter klopfen; ja sie trieb die Bosheit so weit, in die Knie zu fahren und diese schlotterend an einander zu schlagen.

Diesmal brauchte ich nicht lange zu warten. Die Magd führte mich alsobald zum Pfarrer, der richtig an seinem Feuer saß, tubakete und ein Buch in der Hand hatte.

Sobald ich eintrat, legte er Buch und Pfeife weg, und sah mich so kannibalisch an, daß, wenn er einen Schnauz gehabt hätte, ich fortgelaufen wäre. Dann stund er lange auf, steckte die Hände in die Westentaschen und trat mit schweren Schritten auf mich zu. Es überlief mich ein Gefühl, als ob ein Mühlstein oder eine Schneelawine auf mich heranrolle, ohne daß ich ausweichen könne weder zur Rechten noch zur Linken. Und aus dem kochenden Gesichte fuhr endlich eine Stimme heraus, gewaltig wie Krieg und Kriegsgeschrei, und Worte regneten auf mich ein wie Hagelsteine und Donnerschläge. Ein sauberer Kamerad, ein lustig Bürschli, ein Schandfleck für die Gemeinde und alle andern Schulmeister – das waren die Begrüßungsformeln. Dann führte er jenen Text gründlich und umfassend aus, den ich eben angegeben. Er rief alles in Erinnerung, was er mir anfangs gesagt, wovor er mich gewarnet, wie er mir namentlich besonders eingeschärft, mich des Mitmachens mit der jungen Burscht zu enthalten und welches Luderleben ich nun geführt hätte. Ich sei nicht zufrieden gewesen, fast alle Nächte auf den Gassen umez'ghene und in den Gaden umez'trole, sondern sei noch Huren nachgestrichen und habe mit ihnen ein Schandleben geführt in Huren und Saufen, daß die ganze Gemeinde eine souveräne Verachtung gegen mich gefaßt. Einen bösen Kopf hätte ich dazu, der keinen Rat annehme weder für das gewöhnliche Leben, noch für die Schule, denn diese hätte ich auf eine himmelschreiende Weise vernachlässigt mit all meinem Hochmut. So gehe es aber immer, wo ein Schulmeister nur an die Meitscheni sinne und vom Herumschwärmen faul und träge in die Schule komme. Wenn einer ein rechter Schulmeister sein wolle, so müsse er das Umenanderfahre sein lassen, nicht der erste und letzte an Abendsitzen sein, und der Handlichist, wenn es au ein Jeuken der Mädchen gehe. Es geschehe einem jeden Schulmeister recht, der z'Kilt laufe, wenn es ihm so gehe wie mir, man sollte es ihnen scharf verbieten. Er hatte gute Lust, die ganze Sache dem Kirchenrat anzuzeigen, und mich ihm gehörig zu rekommandieren. Der würde mich dann schon in die Finger nehmen, wie ich es verdiene, und wahrscheinlich mir das Schulhalten abstellen ein für allemale. Und er würde es thun, wenn die Gemeinde nicht selbst es begehre, daß ich noch diesen Winter Schule halte, damit meine Gläubiger sich an meinem Lohn bezahlt machen könnten.

So weit hatte der Herr gesprochen, ohne daß man mit einem Hämmerlein dazwischen hätte kommen können; auch versuchte ich es nicht. Als aber der Herr von dableiben redete, während ich fort wollte, und zufällig die Nase wischen mußte, stotterte ich verlegen mein Vorhaben hervor, wegzugehen. Da wolle ich nicht bleiben, sagte ich, die Leute hätten es mir gar schlecht gemacht; ich hätte keinen Mut mehr zu ihnen, sie hätten mich ins Unglück gebracht, und ich möge wohl gefehlt haben, aber Schlechtes hätte ich nichts gemacht. Potz Hagel und Kanonen, wie brannte da der Herr wieder auf! »Nichts Schlechtes gemacht, Schulmeister? das ist mir eine schöne Rede für einen Schulmeister! Wenn eine Dirne kommt mit großem Bauch und mir sagt: sie könne nichts dafür; wenn einem ein Dreck auf die Nase fallen solle, so falle er einem nicht auf die Füße, und sie habe nichts Schlechtes gemacht; sie sei keine Hure, sie wisse doch einen Vater zu ihrem Kinde: so ist das eine Dirne, die so spricht. Wenn aber ein Schulmeister, der mit einer Hure angetroffen worden ist, so spricht, so sollte man ihm die Hosen hinunterlassen wie einem Schulbuben. Meinet ihr dann, wenn ihr es mit dem Bäbi abgekartet habt, daß es einen andern angebe, der das Bad ausfressen müsse, so daß das unehliche Kind nicht auf euch komme, so hättet ihr deswegen nichts Schlechtes gemacht? Ihr müßt eine saubere Religion haben, wohl! Nichts Schlechtes gemacht! und wollt jetzt die Leute an eurem Unglück Schuld geben, sie sollen euch verächtlich gemacht und in Schulden gebracht haben? Das wäre mir eine komode Lehre! Aber so habt ihr es alle; nicht nur seht ihr den Splitter in des Nächsten Auge und den Balken im eigenen nicht, sondern wenn ihr den Balken am Ende nicht mehr ableugnen könnet, so soll ihn der Nächste hineingestoßen haben. Nichts Schlechtes gemacht! Und wollt nun mit dem Schelmen daraus, und alle eure Schulden mit dem nassen Finger, auswischen, wie der Kaiser von Österreich seine Wienerfonds? Schlecht von euch ist's, daß ihr nur an so etwas sinnet, und die Leute, welche euch so viel Gutes erwiesen, nun zum Dank noch betrügen wollt.« Nun wollte ich wieder Einwendungen machen, Erläuterungen geben; aber der Herr hatte nicht lange Geduld; er schloß seine Audienz mit folgendem bündigen Schluß: »Schulmeister! ich bin nicht da, um mit euch zu disputieren; aber das will ich euch sagen: entweder ihr haltet noch die Schule auf der Schnabelweid, oder ich schreibe noch heute dem Kirchenrat, und zweitens führet euch besser auf, und seid fleißiger diesen Winter, sonst schreibe ich im Frühjahr dem Kirchenrat; ich lasse euch aufpassen, und wenn ich das Geringste vernehme, dann gute Nacht Schulmeister sein! Habt ihr mich verstanden? Bhüetech Gott und lebet wohl!« Und er that die Thüre auf, und ich kam hinaus und vors Haus und auf die Straße, ich wußte nicht recht wie! Der Herr Pfarrer glaubte die Sache bündig abgemacht, mich in der Ordnung abgefertigt und den Kopf sauber gewaschen zu haben. Aber der Herr Pfarrer irrte sich gröblich. Mein Nichterscheinen bei ihm anfangs, mein holzböckisch Wesen hatte einen unangenehmen Eindruck auf ihn gemacht. Er dachte: ein junger Schulmeister, dem es ernst um seine Schule sei, sollte begierig sein, guten Rat zu schöpfen, und willig, ihm zu gehorchen, und sollte denken, der Pfarrer werde ihm dabei am besten helfen können. Der Pfarrer wußte, daß wenige oder keine Gemeindsbewohner mit dem Stand der Schule bekannt waren, wußte auch, daß sie, in Opposition mit ihm, das Fortschreiten der Schule auf alle Weise zu hindern suchten. Darum, als der junge Schnufer nicht zu ihm kam, hielt er mich für deren einen, die glaubten, alle Weisheit gefressen zu haben, die in ihrer Überschwänglichkeit dafür halten, es würde selbst dem lieben Gott nicht schaden, wenn er einen Winter durch in ihre Schule käme. Er glaubte, ich hätte mich den Bauren in die Arme geworfen und stünde nun in Opposition mit ihm; denn dieser Pfarrer wollte wirklich einen Fortschritt und die Bauren wollten keinen. Er legte also viel mehr Absicht und Willen meinem Thun und Lassen unter, als darin war; er wußte nicht, daß ich ein Laub war, das den Wind abwartete, um sich zu bewegen; merkte nicht, daß bei einigem Eingehen in mein Wesen er mich bestimmen könnte, wie es später die Bauren thaten, daß er mich viel besser leiten könnte als alle seine übrigen Schulmeister. Das waren schlaue Kauze und wußten zwischen dem Pfarrer und den Bauren durchzusegeln, und es mit niemand zu verderben, daß es eine Freude war. Dem Pfarrer machten sie die gehörige Aufwart, schimpften über Unfleiß, Hartnäckigkeit, Verfolgung, erwähnten aller ihrer Versuche, die gescheitert seien am bösen Willen, kurz sie wußten sich so zu stellen, daß der Pfarrer meinte, er hätte an ihnen seine besten Stützen in der Gemeinde. Die gleichen aber sagten bei den Bauren: der Pfarrer wolle nach der neuen Mode fahren, das komme nicht gut; allbets sei das weit besser gegangen, und es sei böse, daß so ein Herr alles verstehen und zwängen wolle; aber sie hätten ihm gar bös zu thun; höhn dürften sie ihn auch nicht machen, und daher müßten sie ihm allbeinisch etwas zu Gefallen thun, man sollte es aber doch recht nicht zürnen an ihnen. Wenn sie nicht immer hingere hätten, es ginge noch ganz anders. Er nahm mich also für viel böser, absichtlicher, vorsätzlicher, als ich war. Indem er meine Erscheinung betrachtete, die ihn ärgerte, dachte er sich das unsichtbare Innere viel verdorbener als es war; legte allenthalben Bewußtsein zu Grunde, wo doch eben gerade das größte Unbewußtsein, die größte Unbekanntschaft mit mir selbst und mit der Welt, die vorwaltende Ursache von allem war.

Der gute Pfarrer ist aber nicht der einzige, der aus sichtbaren Vordersätzen falsche Schlüsse zieht zur Bildung des unsichtbaren Hintergrundes, der von Irrtum und Thorheit im Wandel auf innwohnende Bosheit und Verdorbenheit schließt, eine hervortretende Unbeholfenheit einer verkehrten Seele zuschreibt. Das ist eben die große Nächstensünde, daß fast alle Menschen lieb Gottlis spielen und nicht nur das sichtbare beurteilen, sondern die Seele richten wollen, und, o Herrgott! kennen doch die eigene Seele nicht, wissen nie recht, ob sie eigentlich vier Beine oder zwei Fekken hat. Sie machen aus einer Laus einen Elefanten, aus einem kleinen Irrtum, einer Unachtsamkeit ein Majestätsvergehen, aus einer Charakterschwäche einen im Bösen verhärteten Sinn, aus einem einfältigen Menschenkinde einen eingefleischten Teufel. O Himmel! wer will die Sünden zählen, welche auf diese Weise namentlich von Pfarreren und Lehreren, von Meisterleuten und Eltern, von Ehemännern und Eheweibern begangen werden? Und wenn einer das auch könnte, so könnte er doch ein anderes nicht: er könnte die übeln Folgen dieser Sünde nicht verfolgen in den verdeckten Gängen der Herzen, könnte nicht zählen, wie manches Herz verhärtete, weil man es für verhärtet hielt, wie manches boshaft wurde, weil man ihm tagtäglich Bosheit vorhielt, wie manches an böse Gesellschaft sich anschloß, weil man ihm immer Neigung dazu zuschrieb, ränkesüchtig, weil man beständig Ränke bei ihm suchte; könnte aber auch die Herzen nicht zählen, welche über diesen Mißkennungen verbluteten, welche, je mehr man sie verkannte, um so weniger im Stande waren, den Irrtum zu lösen und auf Erden die Verdammung trugen: verwechselt und für ganz andere angesehen zu werden, als ihr Herz sie wertete, bis Gott sie erlöste.

Liebe Gekreuzigte, ihr leidet große Pein; aber leidet nur geduldig, ihr habt euern Lohn nicht auf Erden empfangen; wer weiß, welchen ihr droben empfangen werdet! Auf alle Fälle danket Gott inbrünstig, daß es euch nicht umgekehrt gegangen. Es gibt viele, sie sind kaum einen faulen Rappen oder einen Neuenburger Kreuzer wert (beide stehen al pari) und gelten viel auf der Welt, wegen ihrer guten Gesinnung oder ihrem frommen Herzen oder Gott weiß wegen was; und deswegen werden sie hochgepriesen, hochgestellt, hochbelohnt und tragen sich hoch durch die Welt und gebärden sich üppiglich in Thaten und Worten, und wenn sie bä rufen, so ruft ihnen manchmal ein ganzer Ratssaal, manchmal eine Kneipe und manchmal eine geistliche Versammlung in steigendem Erstaunen – bä nach. Wahrhaftig, den langen Lohn, den sie für ihr kurzes Dickthun empfangen werden, möchte ich nicht mit ihnen teilen, und wenn er auch nur darin bestehen sollte, daß sie als Wölfe in Bocksfellen oder als Schafe in Wolfshäuten (dem Wert nach kömmt es auf eins heraus) in Ewigkeit bä bä schreien müßten. Nach appliziertem Putzer hat sicher sich der Pfarrer an seinem Feuer behaglich ausgestreckt, die Beine weit vom Leibe weg, und hat bei sich selbsten selbstgefällig gedacht: dem hab' ich es schön gesagt, dem habe ich abgeputzt, daß er sich gewaschen hat. Nun gibt es nicht viele Leute, die nicht auf einen tüchtig applizierten Putzer sich etwas zu gute thäten, und gar viele gibt es, die nicht für viel Geld sich eine Gelegenheit zu einem solchen Putzer entwischen ließen; ja sie machen sich welche expreß, wenn sie nicht von selbst kommen. Sie sind ihnen eine Art geistigen Stuhlganges, der sie ordentlich erleichtert und ihnen wieder Appetit macht nach etwas von Mehl oder etwas von Fleisch. Freilich kostet es ihnen allemal etwas Mühe, bis sie die gefaltete Stirne wieder glatt gezogen und die Wellen des mühsam erregten Zörnleins im Gehirn beschwichtigt; aber der Unterleib fühlt sich sogleich erleichtert, und um den Mund legt sich bald das Lächeln, das einem die Freude verkündet: heute habe ich aber einen Putzer geboren, und zwar einen der sich gewaschen hat.

Ich rede damit nicht gegen alle Putzer, meine nicht, man solle sie verbieten, wie ein Mitglied des Großen Rates im Kanton Bern meinte, man solle verbieten, daß man Mitglieder des Großen Rates um Verbrechen willen gerichtlich verfolge. Bewahre mich der Himmel, ein solcher Lümmel bin ich nicht (wohlverstanden, der Lümmel geht auf mich und nicht auf das s. v. Mitglied; ich möchte nicht in die Krot kommen, die Herren verstehen keinen Spaß. Und auch wegen dem s. v. belangt mich nicht etwa. So wird nämlich in mancher Amtschreiberei salva venia verkürzt, und diese Buchstaben übersetzte in neuerer Zeit ein gelehrter Verleser in der Kirche in einem Steigerungszettel, wo es sich um Lebware handelte und also stund: »2 s. v. Kühe« in: »zwei souveraine Kühe.« Und an diese Übersetzung halte ich mich, denn der Uebersetzer gibt sich für eine große Autorität aus). Also die Putzer möchte ich nicht verbieten; sie machen, selten gebraucht und am rechten Orte, bedeutenden Eindruck, besonders bei Menschen, die in dem Wahn erzogen sind, es sei dem lieben Gott nie recht Ernst, als wenn er blitze und donnere und gar noch hagle. Aber in den meisten Fällen thut ein freundlich zutraulich Wort mehr Wirkung und dringt tiefer ein als ein strenges, hartes. So geht der Regen tiefer in den Boden hinein als der Hagel; darum läßt der liebe Gott auch mehr regnen als hageln. Doch ist es serios (so sagt ebenfalls ein Gelehrter, statt kurios), daß die Weiber, bei welchen ein vertraulich Wort so wohl anschlägt, während sich gegen ein hartes alle ihre Haare bolzgrad aufstellen, so viel auf dem Abputzen haben. Nicht daß sie es immer selbst thun, aber die Männer thun es ihnen (gegen andere, versteht sich) selten recht zum Dank. Dem wollte ich es sagen, wenn ich dich wäre; ich sollte die Hosen an haben, der müßte etwas vernehmen; mit dir ist aber doch gar nichts, du bist der leydisch, wo es geben kann.« So lauten ihre Sprüchlein, welche den Männern so oft in den Ohren surren, welche bewirken, daß mancher Mann ans Abputzen glauben muß, wie ein Kind ans Laxieren, d. h. um nicht die Rute zu bekommen. Ich will damit erstlich nicht behaupten, daß ich anders mich aufgeführt, dem Pfarrer schon anfangs geglaubt, wenn er mich freundlich empfangen hätte; will auch nicht sagen, daß ich ganz zur Einsicht der begangenen Fehler wäre gebracht worden; denn Eitelkeit und Selbstgefälligkeit sperren die Thüre den besten und freundlichsten Räten nur zu oft; aber ganz sicher wäre es doch weit eher möglich gewesen, als auf diese Weise. Nun aber, weil der Pfarrer in seinem Putzer mich schlechter gemacht hatte, als ich wirklich war, so empörte sich in mir das jedem Menschen angeborne Gerechtigkeitsgefühl. Ich fühlte, daß mir Unrecht gethan worden, hatte aber nicht Verstand genug einzusehen, wie eigentlich die Sache stehe, und meinte, mein Thun und Lassen hätte der Pfarrer viel zu strenge gerichtet, während er hierin ganz recht hatte, dagegen nur meinen innern sittlichen Unwert viel zu hoch anschlug.

Daß ich mit dem Kilt- und an Abendsitzegehen gefehlt, das wollte mir nicht in Kopf; daß man mich mit Bäbin auf dem Schoße angetroffen, war freilich schlimm, aber konnte ich etwas dafür? Hatte man mich nicht dazu verführt? Und dann, was hatte ich eigentlich schlechtes gemacht? So ein Pfarrer habe gut balgen, dachte ich; aber was ein Schulmeister neben der Schule mache, gehe ihn nichts an; und wenn ein Schulmeister nicht zu Kilt gehen sollte, was sollte er dann machen? Er sei doch ein Mensch wie ein anderer, und wenn einer jung sei, so habe er das Recht, sich lustig zu machen. Ein Schulmeister sei kein Herr, und kein Mensch nehme ein Ärgernis, wenn er thue, was die andern, als so ein Herr, der niemand eine Freude gönne. Im Gegenteil, man würde es einem Schulmeister übel nehmen, wenn er es nicht thüte. Man würde sagen: dä well doch afe herrschelig oder fromm thue. Und wenn nur die verdammte dammte Geschichte mit Bäbin nicht gewesen wäre, so wollte ich es darauf ankommen lassen, daß der Pfarrer auf Bern schreibe. Dort, glaubte ich, seien die Herren witziger, als fo einer auf dem Lande; wollte es darauf ankommen lassen und nach einer andern Schule mich umsehen; denn daß ich da bleiben sollte, das war mir ganz besonders ärgerlich, obgleich ich mir auch halb und halb wieder dachte, man brauche die Schulden nur zum Vormund und lasse mich überhaupt nicht gerne fort.

Wie doch so ein junger Mensch und noch dazu ein junger Schulmeister nie gefehlt haben will; wie er so verblendet sein kann, sein ganzes Thun und Lassen, seine ganze Lage zu mißkennen! Ja freilich ist es allen ältern Leuten auf dem Lande ein Ärgernis, wenn der Schulmeister sich mit der jungen Burscht abgibt. Ja freilich halten sie ihm gar nichts darauf, wenn er thut, wie ein anderer, wenn er Meitscheni jeuken hilft. Ja freilich ärgern sich die Leute, wenn man vernimmt, daß er zu Kilt geht; und wenn man ihm Streiche spielen kann, so thut man es. So war es schon zu meinen Zeiten, aber ich merkte es nicht, die rechte Meinung der Leute vernahm ich nicht, ja man lockte mich zu dem, was man verdammte. Die gleichen Leute rühmten mich wegen meiner Lustigkeit, die hinterwärts darüber schimpften. Noch viel strenger ist man gegenwärtig und ganz mit Recht. Denn je mehr Ansprüche der Stand macht, desto mehr Ansprüche hat man an ihn zu machen, und wenn man sagt, daß in seiner Hand das ganze Glück des Volkes ruhe, so kann man wohl von ihm fordern, daß er vom Volke entfernen helfe, was dessen sittlich und ökonomisch Wohl untergräbt, und ein solches Übel ist eben der Kiltgang. Eine Sitte, die sich überlebt hat und unendlich viel Unheil stiftet, die sich nicht durch Gesetze abschaffen läßt, sondern bloß durch Erweckung des sittlichen Gefühls, durch Erheben des Menschen vom Tiere zum vernünftigen Wesen.

Und wer dieses thun will, muß denn doch wohl nicht selbst in gleichem Kote sich wälzen, oder wenigstens nicht den Schein sich geben, daß er es thue. Aber traurig ist's, wenn Leute, auf deren Bildung viel verwendet wird, von denen man eine bessere Zeit erwartet, die Sache gar nicht so auffassen, sondern nach erlangter Freiheit thun, als wenn sie zu allem losgelassen, frei in allem möglichen wären, und auf gemachte freundschaftliche Warnungen ganz puckt und trotzig antworten: Es werde doch wohl erlaubt sein, ein Meitschi anzusehen? kurz sich ganz gleich gebärden, wie ich vor bald 20 Jahren, wie ich, der ich eben nicht zum bessern erzogen war, und noch nichts davon gehört hatte, daß unser Stand der Angel sei, um den die ganze Welt sich drehe. Traurig ist's, wenn sie ihre erlangten Kenntnisse nicht zu benutzen wissen, um in der Gesellschaft eine nützliche Stellung einzunehmen, andere zu sich heraufzuziehen und mit vernünftiger Rede die Zeit zu verkürzen, mit heiterm aber reinem Scherz zu zeigen, daß man auch ohne Zoten scherzen könne, sondern sich entweder hineinziehen lassen in das wüste Treiben, wo sie dann sicher sein können, daß von allen Seiten her auf den besudelten Schulmeister mit Fingern gewiesen wird, oder daß sie sich zurückziehen müssen von den Menschen, um die Duckenmäuser zu spielen. Es ist nicht gut, wenn der Schulmeister nicht mit den Leuten lebt, aber er soll eben Meister dieses Lebens sein, er soll dieses Leben zu bilden suchen, so gut als seine Kinder; denn dieses Leben ist eben das Element, in welchem seine gebildeten Kinder sich bewegen sollen, und was hilft alle Schulbildung, wenn das Leben unrein, wüst bleibt? Aber das sah ich damals nicht ein, so wenig als es Heute eingesehen wird von ganz andern Bürschchen. – So wirbelte mir Unwillen im Kopf herum, und ich war lange nicht mehr der betäubte erschrockene Sünder, hatte doch auch Bäbi mich nicht angeklagt, sondern einen andern, und schienen die Bauren doch noch viel auf mir zu halten, daß sie mich nicht wollten fahren lassen. Ich marschierte trotziger drein, stellte mit den Absätzen nicht für Spaß zu Boden und schlug manchen Distelkopf mit meinem Stecken ab. Ich scheute mich nicht vor dem hellen Tag und vor dem durchs Dorf gehen, konnte ich doch sagen, daß ich nicht angeklagt sei, und was der Pfarrer mir dummes verboten und vom Kiltgang und vom Abendsitzen gesprochen, wie wenn das eine schlechte verbotene Sache wäre, konnte auf Bäbi schimpfen, wie man mich da habe hineinsprengen wollen u. s. w.


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