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Sechzehntes Kapitel. Wie es dem Grotzenbauer, dem neuen Helden, ergeht

Und als der Grotzenbauer das getan hatte, da ging er kühn von dannen; er hatte eine arme, demütige Frau niedergedonnert, er hatte einer armen Mutter die Schläge gegeben, welche er dem Sohne angeflucht, er hatte gezeigt, potz Himmelsakrament, daß er der Grotzenbauer sei und solche Lumpenleute nicht fürchte. Und dahin ging er, das Bewußtsein im Herzen, daß er eine Heldentat getan habe an einer ehrlichen alten Frau. Man hat heutzutage Helden von gar verschiedenen Sorten, darum muß man sich über den Grotzenbauer nicht wundern und sein eigentümlich heldentümlich Bewußtsein.

Niedergedonnert war Käthi wirklich auch und kam vor lauter Schreck lange nicht zum eigentlichen Jammer. An den verfallenen Zins hatte sie nicht gedacht, und jetzt, wo eine schwarze Wolke verschwunden war, sie lauteren, hellen Himmel gesehen hatte, auf einmal der Donnerschlag, fortzumüssen aus der alten Hütte mit dem gelähmten Sohne und dem unmündigen Kinde: war das nicht schrecklich? Und alles so Knall und Fall, nachdem bereits das Stückchen Land umgegraben, der Salat gesäet, die Bohnen gesteckt, der Flachsplätz gerüstet und die Kartoffeln zum Setzen erlesen waren! Jetzt fort, und wo sein, und wo pflanzen, und was essen, wo liegen, da der Bauer des Zinses wegen wahrscheinlich auf die Betten griff? Und warum kam der Bauer so in Zorn? War es wohl einzig wegen der siebeneinhalb Taler? Da kam es Käthi in den Sinn, was der Johannes gesagt, als sie ihn besucht hatten, über die Bauern und was mit ihnen geschehen solle, und ob er etwa hier auch so geredet und er wirklich so gesinnt sei, das fiel Käthi bei. Das machte Käthi noch mehr angst, denn wenn das auskomme, werde Johannes, wenn nicht gerädert, so doch geköpft, dachte sie.

Die gute Käthi war in Beziehung auf die Welthändel und den Zeitgeist auch nicht urteilsfähig, wie man sieht. Sie wußte, was recht und ehrlich war, sie wußte, was sie schuldig war, und daß was man schuldig sei, man zahlen müsse. Sie glaubte, daß Stehlen Stehlen sei, sei es nun viel oder wenig, und daß man halten müsse, was man versprochen, sei es nun Menschen oder Gott, sei man ein Obergerichtspräsident oder eine alte Käthi; das glaubte sie. Sie wußte nicht, daß der Grotzenbauer ihr Sachen angedroht, welche er nicht ausführen konnte, denn so geschwind geht Ausjagen und Ausplündern nicht, und wegen solchen Reden, wie Johannes führte, hängt man niemand mehr, ja man hat Obrigkeiten in der Welt, welche in großer Verlegenheit wären, wenn sie jemand strafen sollten, der so etwas wirklich auch täte. Käthi verlebte vielleicht den bittersten Tag in ihrem Leben und dachte öfters, so ergehe es einem, wenn man sein Herz an was Irdisches hängen, etwas erzwingen wolle in der Welt. Wären sie im letzten Herbst ausgezogen, so hätten sie doch vielleicht einen barmherzigeren Hausherrn erhalten und könnten jetzt ungesorgt pflanzen und sein und fänden Geduld mit dem Zins, bis der Flachs verkauft sei oder sonst ein paar Batzen zusammengebracht. Jetzt sei der Kelch, welchem sie damals entronnen, wieder da, werde getrunken werden müssen und sei viel, viel bitterer, als er im Herbste gewesen, jetzt, wo es so schön werde im kleinen Grunde, so schön die Vögelein sängen, so fruchtbar alles sich anlasse.

Mit ihrem Schmerz war sie allein, ihr Sohn war nicht daheim, er war nach Bern gewandert, um sich im Spital vorzustellen und Heilung zu erhalten, und jemand anders die Sache klagen durfte sie nicht, sie schämte sich; sie schämte sich wegen Johannes, sie schämte sich wegen der Sache selbst. Sie durfte nicht einmal dem Johannesli klagen, sie durfte ihm nicht sagen, was sie denke vom Vater und was er gesagt haben konnte. Selben Tag, die ganze Nacht und den folgenden Tag würgte Käthi an ihrer Angst, ihrem Leid und konnte sie nicht verwürgen; da dachte sie, was ihre Hausbäurin ihr gesagt hatte: »Wenn es was gibt, so komm abends, wenn er im Wirtshaus ist.«

Sobald Johannesli zu Bette war, machte sie sich auf, aber mit klopfendem Herzen. Es machte ihr Angst, das Kind alleine und schlafend im Häuschen zu lassen, sie hatte Angst, so spät abends noch fortzugehen, und Angst, sie könnte doch unversehens dem Grotzenbauer vor die Augen laufen. Glücklich kam sie zum Hause, schlich um dasselbe wie die Katze ums Mäuseloch, guckte zu diesem, zu jenem Fenster ein, konnte nichts ergucken, mußte endlich klopfen an die Küchentüre, und glücklicherweise gab ihr die Bäurin selbst Bescheid. Dieser klagte sie ihr Leid. »Sieh«, sagte die Frau, »daran ist dein Bub schuld. Warum geht er in die Wirtshäuser, säuft sich voll, räsoniert über die Bauern und wie man ihnen es machen werde! Dies, begreifst, macht nicht gutes Blut.« Käthi wollte erklären, wie das sicher nicht so bös gemeint sei. »Sei jetzt das, wie es wolle«, sagte die Frau, »so habe nicht Angst. Pflanze wie sonst, so geschwind geht das Ding nicht, und ich glaube nicht, daß es ihm ernst ist, er will oft nur zu fürchten machen. Ich wäre längst gefressen, wenn er alles ausübte, was er droht, und kein Mensch weiß, wie alles schon gegangen wäre. Er wollte an dir seinen Zorn auslassen und dir eintreiben mit Angst, was dein Bub sich an ihm verfehlt; so gehts ja, daß man den Unschuldigen plagt statt den Schuldigen. Aber das muß ich dir sagen: deinem Bub sage, daß er künftig sein Maul halte! Es wäre mir leid, wenn du seinethalb noch mehr zu leiden hättest, denn du mußt es entgelten, über dich gehts aus, die Welt ist halt nicht gescheuter. Oh, ich bin schon manchmal so zornig geworden, daß wenn die Welt gläsern gewesen wäre, ich sie mit dem Besenstiel zerschlagen hätte. Doch gut Nacht, und schlaf ohne Kummer, aber jetzt geh; es ist mir lieber, er treffe dich nicht an einstweilen.«

Käthi blieb wirklich auch unangefochten und sagte oft bei sich, eigentlich sei es doch nichts gemacht, eine arme, alte Frau so zu erschrecken für nichts und wieder nichts; daneben sei es ihr doch lieber so, als wenn er Ernst gemacht hätte. Ein Ereignis trug auch bei, den Grotzenbauer die alte Käthi vergessen zu lassen.

In einer schwarzen, sternlosen Nacht – es war die erste Mainacht, wo die Hexen auf den Blocksberg reiten – erwachte der Grotzenbauer von einem dumpfen, seltsamen Geräusche. Er saß auf, er begriff nicht, was es war; es waren nicht die Rosse im Stalle, es war weder der Brunnen noch der Wind; er weckte seine Frau, sie begriff auch nichts an der Sache. Er ging ans Fenster, stieß ein klein Schiebfensterchen auf; die Fenster konnte man nicht aufmachen, sie waren nach der alten Mode in die Wand genagelt; er horchte hinaus. Es war schwarz draußen, kein Blatt regte sich an den Bäumen, aber bung, bung, bung machte es ums Haus herum in abgemessenem Fortschritt, akkurat wie eine abgespannte Trommel schlägt an militärischen Leichenbegängnissen. »Wer ist da, was soll das?« rief der Grotzenbauer hinaus, aber nicht mit fester Stimme, es rieselte ihm gar kühl von den Fußsohlen her den Rücken hinauf. Aber bung, bung gings ums Haus herum und nahm von Hans keine Notiz. Als es Hans fast gegenüber war, schlugs wie ein Wirbel, und plötzlich wards stille. Da kam eine Stimme von oben, gerade über ihm in der Luft, wie es dem Bauer schien, und die Stimme rief: »Nachbarn und Freunde, es ist euch bekannt, daß der Grotzenbauer gestorben ist und wie und daß er hinterlassen hat nebst den Schulden seinen großen Hof, die Freisinnigkeit genannt. Die natürlichen Erben haben einstweilen nicht Lust dazu und wollen ihn nicht, ihm fehlt die nötige Ordnung, ihm fehlen gute Dienstboten und brav Vieh; aber wer ihn recht weiß zu nutzen, der wird ein reicher Mann, es ist alles da dafür, und er liegt darnach. Bietet brav, ihr Nachbarn und Freunde, tuts eurem seligen Freunde zu Lieb und zu Ehr; es wäre doch schlimm, wenn seine Freisinnigkeit an eine öffentliche Versteigerung müßte. Schreiber, leset die Voröffnung und die Steigerungsgedinge ab!« Eben wollte der Grotzenbauer dreinreden, da kam eine andere Stimme aus der Luft, fast wie aus dem Gipfel eines mächtigen Birnbaumes: »Mit gebührender Bewilligung läßt der Massaverwalter der Hinterlassenschaft des seligen Hans Begehrauf, genannt der Grotzenbauer, Sameli Stybitz, an eine öffentliche Steigerung bringen und wird auf genügsames Bieten kaufsweise hingeben lassen: den großen Hof, Freisinnigkeit genannt, so noch nicht ausgemessen, aber unschätzbar und alles in einer Einhäge, Mattland, Ackerland, Waldung und Weidgang für Vieh, so viel man will. Schließlich wünschen die Erben, daß der Ersteigerer die Freisinnigkeit, welche in den letzten Tagen des Erblassers etwas in Verfall geraten, neu decken und frisch anstreichen lasse zu Ehren der Familie. Schließlich wird bekannt gemacht, daß jedem Bietenden Bons ausgestellt werden, gut für sieben Maß Wein und sieben Bratwürste, zahlbar in einem Jahr, wer noch lebt nämlich. Also gegeben auf der Freisinnigkeit den 1. Mai 1846. Der Massaverwalter Sameli Stybitz, dato obrigkeitlicher Krüschler und freisinniger Honigtopfverwalter.«

So las der Schreiber, und dem Grotzenbauer war die Furcht vergangen, der Zorn gekommen. Er dachte an die alten Bubenwitze, welche in unserm, man kann nicht sagen nüchternen, auch nicht trockenen, aber materiellen, berechnenden Zeitalter selten geworden sind, und gedachte an Hans und die Dornhalde. Schon wollte er hinausstürzen, da tönte neu die Stimme von oben: »Nun, ihr Nachbarn und Freunde, bietet brav, zeigt jetzt eure Freundschaft, jetzt kann der Gestorbene und, so Gott will, selig Gestorbene sehen, wer sein wahrer Freund war, seine Freisinnigkeit im wahren Werte schätzte. Und jetzt geht es an, Weibel, ruf aus!« Da fesselte ihn die Neugierde wieder ans Fenster; es nahm ihn doch wunder, wie das ablaufen sollte, und je mehr er höre, desto eher gedachte er die Täter zu erkennen. Auf den Ruf des Weibels begann es lebendig zu werden rundum von allen Bäumen, aus allen Ecken; das bot, das trieb Witz! Da wurde eine schauerliche Kritik geübt, die den Grotzenbauer nicht zur Haut aus trieb, sondern zum Fenster hinaus. Er sprengte eins auseinander. Da ward es plötzlich stille draußen, jede Stimme verstummte, kein Blatt rauschte an den Bäumen, stockfinster wars rundum, verschwunden war die ganze Steigerung wie ein Gespensterspuk. Diese Stille fuhr dem Grotzenbauer wieder in die Glieder, denn es gibt wohl nichts Schauerlicheres, als wenn ein reges Leben um uns plötzlich versinkt.

Sich als tot ausrufen, seine Freisinnigkeit versteigern hören hat schon an sich was Unheimliches, etwas, das böse Ahnungen wecket; denn man sage mir nichts, aber die Freisinnigen sind in casu immer so abergläubisch als die Konservativen, man hat Beispiele von Exempeln. Endlich aber niemand finden, nichts als schwarze Nacht, nicht wissen, wer gerufen, und die Stimmen kamen doch von oben, das alles hatte etwas, welches durchaus nicht freisinnig im Grotzenbauer herumkrabbelte und -wurmte. Es ging ihm gleich wie dem Johannes, er stand auch zwischen zwei Gespenstern. Bald glaubte er, das habe ihm der Hans angetan mit den andern Nachtbuben; dann ward er schrecklich zornig über solche Frechheit und traurig über das Vaterland, daß man seinen Liebhabern ihre Liebe also lohne.

Dann aber kam es ihm doch wieder vor, das Ding sei was andres. Die Knechte wollten nichts gehört haben. Die Stimmen kamen von oben, man hatte von seinem Tode geredet, allerlei sonst, das ihn tief in die Seele brannte, das er Geheimnis glaubte. Wars doch vielleicht eine nächtliche Erscheinung in der Mainacht, eine grause Vorbedeutung seines baldigen Endes? Das bloß mit Wasserfarbe übertünchte Alte trat hervor, und der Grotzenbauer fing an, ernst zu bedenken, was er eigentlich sei, was er werden und wohin er fahren könnte. Es wurde nun viel über ihn geklagt, seine Freisinnigkeit nehme stark ab, seine persönlichen Leistungen bei den sieben Wirten erfülle er nicht; dagegen ward er manierlicher gegen die andern Leute, machte niemand mehr Stierenaugen, und die alte Käthi ließ er ganz in Ruhe.


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