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Siebentes Kapitel. Gott stellt eine Lebensfrage, da werden die Gelehrten sturm und die Unmündigen bange

Die Tage wurden kürzer; wer nicht mit den Hühnern zu Bette wollte, mußte die Lampe hervorsuchen. In andern Jahren hatte Käthi Öl gehabt von ihrem Flachssamen; ach, und wie brannte das eigene Öl so schön und hell, solches kriegte sie nie beim Krämer, wie teuer es auch war! Dieses Jahr hatte Käthi keinen Flachssamen, mußte zum Krämer gehen. Fleißige Weiber tun solche Gänge gegen Abend. Das Restchen Sonnenlicht reicht nicht zur Arbeit, ist aber vollkommen genügend zu einem kurzen Gange auf bekanntem Wege.

Als Käthi ins Dorf kam, sah sie viele Leute beisammenstehen, andere liefen fort, andere herbei; dabei war ein Reden und Händeverwerfen, daß es Käthi recht angst wurde. Feuer sah man keins, Krieg war nicht, vom Ausjagen der Obrigkeit war nicht die Rede gewesen, und doch mußte es was Wichtiges sein. Es werde ein Mann seine Frau halb totgeschlagen oder ein Pintenwirt sich gehängt haben; es werde für sie nichts Schlimmes sein, allweg werde es sie wenig angehen, dachte Käthi und wollte vorübergehen. Da riefen zehn Stimmen auf Käthi los: »Hast sie auch, hast sie auch?« Käthi erschrak; »Herr Jesus, was soll ich haben?« rief sie. »Die Erdäpfelkrankheit, den Erdäpfelbresten«, rief es von allen Seiten. Sie fühle nichts, sagte Käthi, sie sei eine alte Frau, aber arbeiten und essen möge sie gottlob. Keine Miene verzog sich ob dieser Antwort. »Nicht am Menschen ist die Krankheit, sondern an den Erdäpfeln. Sind deine Stauden nicht auch schwarz und stinken schrecklich?« riefs von allen Seiten. »Weiß nichts«, sagte Käthi, »habe sie seit einigen Tagen nicht gesehen. Aber es wird nicht sein, bin eine alte Frau und habe von solcher Krankheit nie gehört.« Da sagte ihr eine Bekannte, die Zeitungen hätten schon lange davon gestürmt; aber man habe sich dessen nicht viel geachtet und gedacht, das sei gerade so wie das andere Gestürm, wo das Halbe nicht wahr sei und das andere Halbe gelogen. Aber jetzt sei die Krankheit da, kein Mensch wisse woher. Schwarz wie ein Leichentuch seien alle Äcker, es sei eine grausame Pestilenz. »Die Erdäpfel haben Pestilenzflecken, und wer davon ißt, Mensch oder Vieh, muß sterben. Denk o, Käthi, was soll man essen bis das andere Jahr?«

Von allen Seiten her kamen mehr und mehr Menschen, brachten von allen Seiten her Bericht, daß die Pestilenz auch bei ihnen sei, alles schwarz. Niemand weinte, aber Ratlosigkeit, Trostlosigkeit lag auf allen Gesichtern. Es war ein Donnerschlag aus hellem Himmel, in Angst wie versteinert standen die Menschen, wie das Vögelein vor der Schlange versteinert, deren Beute es im nächsten Augenblicke werden wird.

Auch Käthi war wie vom Schlage gerührt, vermochte kaum die zitternden Glieder zum Krämer zu schleppen; die Krämerin konnte kaum das Öl ausmessen, so zitterten ihr die Hände. »Es wird nicht sein, es kann nicht sein, so wird unser Herrgott uns doch nicht heimsuchen«, seufzten beide. Aber wie in heißen Fiebern kein Trank den Durst löscht, so stillte kein Seufzen ihr Bangen. Die Angst zog Käthi heim, die zitternden Beine wollten nicht fort, der Atem stockte in der gepreßten Brust; stille stehen, absitzen mußte Käthi manchmal, ehe sie zu ihren Erdäpfeln kam. Es war Nacht geworden, mondlos der Himmel, an demselben glitzerten viele Sterne, und doch war es finster auf Erden, ungefähr wie es bei vielem Wissen doch dunkel bleibt in mancher Seele. An den Erdäpfeln war nichts zu sehen, wie Käthi auch die Augen anstrengen mochte. In der Ungewißheit bleiben eine liebe lange Nacht durch konnte Käthi nicht. Sie ging heim, zündete die Lampe an, stellte sie in ein Laternchen und eilte wieder den Erdäpfeln zu, hintendrein Johannesli, der wissen wollte, was das gebe, und immer lauter schrie, je weniger die Großmutter den Atem fand zu gehöriger Auskunft.

Gebeugt leuchtete Käthi in den Erdäpfeln herum, hintendrein schrie immer lauter Johannesli. Wer aus einiger Ferne das wackelnde Licht gesehen, des Kindes Geschrei gehört hätte, würde wahrscheinlich geglaubt haben, da spuke es; entweder habe ein böser Geist ein Kind geraubt und fahre damit von dannen, oder einer wolle einen Schatz heben und suche die Stelle, wo er zur Hebung desselben das Bluteines Kindes vergießen müsse. Jetzt sah Käthi im Lampenscheine die grause, schwarze Pestilenz an allen ihren Erdäpfeln, und es war ihr, als werde, je mehr sie zünde, die Pestilenz immer schwärzer und grausiger. Da überwältigte der Jammer die alte Frau. Sie setzte sich an die Furche und weinte bitterlich, und Johannesli setzte sich neben sie und weinte noch weit bitterlicher, aber nicht wegen den Erdäpfeln, sondern weil die Großmutter so bitterlich weinte und ihm nicht sagen wollte, warum. Das war eine viel bitterere Nacht als die Gewitternacht. Damals war es früh im Sommer, Hoffnung zum Gedeihen einer neuen Pflanzung; jetzt war diese dahin, der Winter vor der Türe. Verkaufen zur Bezahlung der Miete konnte Käthi nicht nur nichts, sondern es stand schwarz und grausig die Frage vor ihr wie ein wildes Tier und wollte nicht weichen von ihrer Seele: Was sollen wir essen, und womit sollen wir uns kleiden? Käthi rang mit dieser Frage, fast wie wenn sie der Teufel selbst gewesen wäre; Käthi wußte, die Frage war Sünde, wußte, daß man nicht kummern solle um den folgenden Tag, aber sie konnte in Gottes Namen nicht anders, sie mußte fortweinen, und zwar bitterlich.

Das Auge, welches nie schläft, sah wohl diesen Kampf in Käthis bebender Seele; aber der, welchem das Auge gehört, zürnte wohl nicht, hielt wohl ein mild Gericht. Die arme alte Frau, welche bebend und zitternd am vergifteten Äckerlein sitzt, dessen Ertrag wenige Taler beträgt, ist vielleicht vor Gott doch viel stärker im Vertrauen als der Handelsmann, der kaltblütig zerfahrenen Millionen nachsieht, der König, der um einen umgestürzten Thron, der Schultheiß, der um einen eingebrochenen Sessel flennt.

Dieser Gott nun, der für solche Dinge allein die rechte Waage hat, wenn auch keine obrigkeitlich gestempelte, der sah die arme Käthi weinen und wußte, wie lange sie weinte; sie wußte es nicht. Neben ihr war Johannesli eingeschlafen, das Lämpchen erloschen, sie hatte es nicht bemerkt. Allgemach rieselte es ihr kalt durch die Glieder, ein kühler Wind weckte sie aus ihrem Weinen und Sinnen. Tiefe Nacht war ringsum, kein Licht flimmerte mehr im Dorfe, in tiefem Schlafe schien alles Lebendige begraben, aber klar glänzten am dunkeln Himmel die Sterne. Käthi kam sich vor wie eine der fünf törichten Jungfrauen, welche kein Öl in ihren Lampen hatten, als der Bräutigam kam. Sie weinte, daß die Ergebung nicht bei ihr einkehren wolle, welche mit Hiob sage: Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt, das Zagen nicht aufhören, das Beten nicht kommen wolle: Vater, nicht wie ich will, sondern wie du willst.

Als Käthi so weinte, ward es ihr nach und nach heller im Gemüte; es schien ihr, Gott vergebe ihr das Wanken, weil es doch kein Abfall sei und sie sich aufrichte und ihn zu ergreifen suche, und weil sie das könne, sei sie doch unendlich viel besser daran ohne Erdäpfel mit Gott im Herzen als andere Menschen mit viel Erdäpfeln, aber ohne Gott im Herzen. Nun wolle sie ihn aber auch behalten, dachte sie, damit, wenn die letzte Not komme, er drinnen sei, vielleicht daß dann keine Zeit wäre, ihn lange zu suchen. Da regte sich Johannesli im Schlafe, mahnte Käthi an sein Dasein. Da erschrak Käthi gar sehr, begann laut zu reden und sagte: »E aber nein, du arms Tröpfli, habe ich dich so ganz vergessen hier in Tau und Nachtluft. Wenn das arm Büebli nur keinen Schaden nimmt! Hab ich dich vergessen! Und wie würde es dir erst gehen, wenn du kein Großmüetti hättest, das noch an dich denkt; keinen Menschen hättest du, der deiner sich annehmen würde, ganz verlassen wärst du, du arms Tröpfli! Ja weiß Gott, wenn ich sterben sollte, es wüßte kein Mensch, wie es dir erginge.« So kümmernd trug Käthi ihren Johannesli heim und kümmerte noch daheim lange um ihn, daß sie fast nicht schlafen konnte. Die gute Käthi welche sich wegen der Erdäpfel Gott ergeben hatte, dachte nicht daran, das errungene Vertrauen auch auf Johannesli auszudehnen, und daß das wieder nicht recht sei, daran dachte sie wieder nicht.

Käthi hatte am folgenden Morgen Mühe, den vergangenen Tag sich zu vergegenwärtigen, sich zu erinnern, wann und wie sie zu Bette gekommen. Als es endlich geschah, wollte neue Angst sie erfassen, besonders als die Erdäpfel ihr am Tage noch viel schwärzer vorkamen als des Nachts, so recht grausig, daß sie nicht einmal wagte, den Fuß hineinzusetzen, aus Furcht, derselbe könnte angesteckt werden von der Pestilenz. Es duldete Käthi nicht daheim, sie mußte ins Dorf, mußte zu vernehmen suchen, was da zu machen, was Menschen vorzukehren hätten. Denn die Frage: Was soll ich tun? stellt dem Menschen sich um so dringlicher, je fester sein Vertrauen auf Gott ist, dieweil er weiß, daß Gott dem Menschen das überläßt, welches im Bereiche von dessen Kräften liegt. Innerhalb dieses Bereiches erwartet der Christ nie göttliche Hülfe. Käthi fand nun des Geredes viel im Dorfe, aber guter Rat war nicht nur teuer, sondern gar nicht zu haben. Man hatte seit einiger Zeit so viel von Lebensfragen geschwatzt, jede Lumperei zu einer solchen erhoben, mit Gewäsch und Geschrei sich darum gerauft, verlogen und verlästert; man hatte an solchen Lumpereien, welche man Lebensfragen nannte, so gewaltig sich versündigt, daß Gott es für gut fand, den Völkern einmal selbst eine Lebensfrage zu stellen, und zwar die Kartoffelfrage.

Es war in der Tat eine Lebensfrage, wie nur Gott sie schaffen konnte, welche dem Menschen vom Scheitel bis zur Fußsohle durchs Mark und alle Glieder fuhr, an welcher die Masse menschlichen Wissens am besten sich erproben konnte, so an einer scheinbar einfältigen und geringen Sache, wie die Kartoffeln sind. Und sie begriff ihren Beruf und die Gelegenheit, die menschliche Weisheit und Wissenschaft, sie stürzte sich auf diese Frage wie auf ein fettes Lamm der hungrige Wolf. Von Ratschlägen und sichern Hülfsmitteln wimmelten die Zeitungen, fuderweise flogen die guten Räte unter dem Volke herum, und zwar unentgeltlich, und doch kamen sie manchen teuer genug zu stehen.

Gründlich und zwar wissenschaftlich gab man die Gründe an, warum diese Krankheit entstanden sei, habe entstehen müssen, wie nun ihr Fortgang zu hemmen, der Krankheit künftig gründlich vorzubeugen sei; dann kamen die Räte und Mittel, wie man mit den Kartoffeln zu verfahren hätte, sie zum Teil ganz zu retten, die angesteckten so gut als möglich zu benutzen.

Die Trompeter der Wissenschaft, die Hausierer der Kultur, welche dieselbe en detail vertragen und verschachern bis in die unterste Klasse der Kulturmenschen, die Zeitungsschreiber ermangelten nicht, was die Gelehrten entdeckten, so kräftig auszuposaunen, daß Jerichos Mauern eingefallen wären, wenn sie nicht glücklicherweise schon eingefallen gewesen wären.

Je merkwürdiger und interessanter so einge gelehrte Entdeckung war, desto lauter wurde sie ausposaunt, desto nötlicher angepriesen; die Regierungen gebärdeten sich wirklich sehr landesväterlich, es fehlte nicht viel, sie wären ausgezogen, die Räte, die Schreiber allzumal hätten den Bauern gezeigt, wie man die Erdäpfel behandeln müsse. Ach Gott, wie schön wäre das gewesen! Wie hätte dies das Vertrauen zwischen Regenten und Volk festigen müssen, ganz anders als so ein lumpichtes Vertrauensvotum oder eine noch lumpichtere Adresse!

Wir sind weit davon entfernt, den Wert des Wissens nicht zu schätzen, aber sein Überschätzen mögen wir nicht leiden. Das Wissen allein hat noch keine Nation groß gemacht, wohl aber dessen Überschätzen sie verdorben und in Knechtschaft gebracht.

Nun stand Käthi, wir wollen es offen bekennen, nicht einmal auf der Kulturhöhe, daß die Wellen des Wissen ihre Schwelle bespült hätten; ihr Lebtag hatte sie kein Zeitung gelesen, höchstens eine gesehen, jedoch immer nur von weitem. Was andere gelesen, gehört hatten, das vernahm allerdings auch Käthi, aber so kraus und kunterbunt durcheinander, daß sie recht traurig ward und dachte, wenn es doch Gottes Wille wäre, daß er jemand schicke, der einem sage, welcher unter den Räten der beste sei; so aber habe man vor lauter Räten gar keinen Rat.


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