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Viertes Kapitel. Des Sohnes Besuch und der Mutter Glück

Als am folgenden Sonntag Käthi aus der Kirche kam, fand sie ihren Johannes auf dem Bänklein. Er hatte es eingerichtet, daß er nicht in die Kirchenleute laufen mußte. Es war ein stattlicher Bursche, schade, daß auf seinem Gesichte nicht die herzliche Freude lag, welche Käthi und 's Bubi an den Tag legten. Es war etwas in seiner Miene, es wäre schwer gewesen, zu entscheiden, war es etwas Verlegenes oder etwas Mißvergnügtes. Er übergab der Mutter ein großes Säcklein; das sei was für sie, sagte er. Käthi sagte: »Du bist doch immer der Beste, das wäre doch nicht nötig gewesen, sorge du für dich. Zu essen haben wir einstweilen.« »Ihr habt mir nichts zu danken«, sagte Johannes, »die Meisterfrau hat es mir gegeben für Euch.« »Aber nein«, sagte Käthi, »daran hätte ich doch gar nicht gedacht, und so viel! E aber nein, gebackene Birnen, so schöne, und noch was in einem Papier, Speck, ein großes Stück, und so schönen und fetten, wie ich lange nicht gesehen! Wohl, die muß das Mästen verstehen! Eine besonders gute Frau muß das sein, mir so viel zu schicken und kennt mich doch nicht, und du mußt ihr auch grausam anständig sein, daß sie dir das gegeben. Aber komm hinein und nimm ein bißchen Brot, bis ich Warms gemacht, anders habe ich weiß Gott nichts.« »Eine wunderliche Frau ists«, sagte Johannes im Hineingehen, »von der Güte ist nicht viel zu rühmen. Das ist eine, es dürfte kein Metzgerhund hinter sie; abputzen und einen heruntermachen wie sie kann kein Landvogt, und wenn es sie ankömmt, so nimmt die noch den Stock und jagt die Leute vom Hause weg.« »He, sie wird recht haben und wird ihre Leute kennen; es gibt jetzt gar viele schlechte Leute in der Welt; wenn man sich ihrer nicht erwehren könnte, würde man ja von ihnen gefressen wie ein Hund von den Flöhen«, entgegnete Käthi. »So spitz nimmt sie das nicht«, sagte Johannes, »sie macht dies, wie es sie ankömmt, treffe es dann, wen es wolle. Sie hat mir auch schon manchmal wüst gesagt, gerade heute auch; aber zähle darauf, die macht mir das nicht mehr oft so.« »Es wird nicht sein«, sagte Käthi, »du wirst dich mit etwas vergangen haben.« »Wegen Euch hat sie mir wüst gesagt, als sie mir das Säcklein gab; ich hätte es ihr bald um den Kopf geschlagen: erst, daß ich nicht letzten Sonntag gekommen, und wußte sie doch, daß ich nach Gräulige mußte, wohin mir einer Geld für eine Sackuhr bringen sollte, und dann, daß ich immer Lohn einziehe durchs Jahr durch und dann nichts hätte, wenn es plötzlich etwas gäbe.« »Du mußt das nicht so übel aufnehmen, sie wird es nicht so bös gemeint haben«, meinte Käthi. »Wohl, freilich meint die es bös, und dann, was geht es sie an, ziehe ich Lohn ein oder nicht!« begehrte Johannes auf. »Aber die meint, unserein sei ein Hund, der sich gar nichts gönnen solle, sondern das ganze Jahr vorlieb nehmen mit halbguter Milch, halblauterm Kaffee, ganzer Erdäpfelsuppe und ungeschundenen Erdäpfeln.« »He, wenn man gesund sein kann«, sagte Käthi, »und brav arbeiten mag, so dünkt einem alles gleich gut, und das ist die Hauptsache.« »Mutter«, sagte Johannes, »eine Zeit ist nicht alle Zeit, und was einem Menschen zu gönnen, das ist dem andern auch zu gönnen, und geschrieben ists nirgend, daß die Einen wie das Vieh leben sollen und die Andern wie die Herren, und wenn ich zuweilen einen Schoppen trinke, so habe ich das Recht dazu und es geht die Meisterfrau nichts an.« »Es wird sein«, sagte Käthi, »aber wenn sie es daneben gut meint, so muß man ihr die Worte nicht abwiegen.« »Ich pfeife auf solch Gutmeinen; aber zähl darauf, es kommt anders«, sagte Johannes. »Willst etwa gehen und sehen, wie es mir gegangen ist? Grausam übel, der Johannesli zeigt es dir. Unterdessen koche ich, aber da mußt du wahrhaftig vorlieb nehmen; ich gebe es, wie ich es habe«, sagte Käthi. Das eben mache den Unterschied, sagte Johannes, sie gäben es nicht, wie sie es hätten.

Nun wendete Käthi alle Kochkunst auf, den Kaffee sparte sie für den Nachmittag. Da sie Speck hatte, so sprang sie ins nächste Häuschen, suchte, ob da ein halb Glas voll Essig zu leihen sei, was glücklicherweise der Fall war. Salat hatte sie im Garten, Eier und Mehl waren vorrätig; so war das Mittagmahl bald fertig, ein wahres Herrenessen: Suppe, geröstete Kartoffeln, Eierkuchen und Specksalat. Ehe noch Johannesli dem Vater alles erzählt und gezeigt hatte, konnte Käthi sie zum Essen rufen und die Freude erleben, dem Sohn aufstellen zu können, was sie in Haus und Heim vermochte, und das Lob zu vernehmen, es hätte das alles nicht gebraucht, Geringeres hätte es auch getan.

Nachdem wie üblich zuerst die Vergangenheit durchgemustert war und Käthi erzählt hatte, was sie jenen Abend erlebt und gedacht und wie es ihr am Morgen gewesen sei, glitt man allmählig auf die Zukunft, verhandelte diese, und zwar ohne alles Hehl vor dem Kinde, das wohl aufpaßte und nicht selten ein Wort dareinredete.

Käthi kümmerte hauptsächlich um die Miete. Nicht daß man sie drücke, sagte sie, auch habe der Bauer nicht aufgeschlagen damit; er werde es angesehen haben, daß sie seit vierzig Jahren da seien, schon unter seinem Vater selig, und ihm nie zur Last gewesen und ihm immer die Miete gegeben, daß er nie lange daraufhabe warten müssen. Aber jetzt wisse sie gar nicht, woher sie nehmen, und der Bauer sei streng auf dem Gelde, er sei viel auf der Straße und viel der Halunken kehrten bei ihm ein, und wer viel Geld brauche, müsse sehen, woher er es nehme. Für das andere sei ihr nicht bange; es gebe immer gute Leute, welche an arme Leute dächten, ohne daß man zu klagen und zu betteln brauche an den Türen.

Johannes hatte kein verstockt Gewissen gegenüber der Mutter; er fühlte, was er sollte. Es sei ihm leid, daß er diesen Augenblick nicht helfen könne, sagte er; aber es solle bald geschehen, wenn den Großköpfen nicht was Neues in Sinn fahre. »Im Aargau verlor ich letzthin mein bestes Hemd; ich gab es zu waschen, wir mußten plötzlich fort, man versprach es mir nachzusenden, und wer es mit keinem Auge wieder sah, das war ich.« »Da hätte dir die Regierung wohl ein anderes geben können«, sagte Käthi, »aber sie werden sie vielleicht selbst nicht wohl haben, oder allweg nicht saubere; deretwegen sei aber nicht böse, über mich nicht und über Andere nicht. Zürns deswegen nicht an ihnen, es kommt mir in Sinn, ich könnte dir vielleicht helfen; ein schön Hemd ist allweg das bravste, was man anhaben kann.«

Sie zog aus einem Schrank ein Bündel hervor. »Sieh«, sagte sie, »es gibt vielleicht für zwei und ist bsunderbar schöne Leinwand; ich hatte es für das Bubi da gespart, wenn es zum erstenmal zum Nachtmahl geht und ich es erleben sollte. Bis dahin aber geht es noch lange, und der Flachs wird, so Gott will, wohl wieder einmal recht geraten, daß ich für ein paar Ellen kann auf die Seite tun.« »Mutter, Leinwand ist mir anständig«, sagte Johannes, »übel habe ich es nötig; aber ich will es zahlen, anders nehme ich es nicht, nur habe ich jetzt das Geld nicht.« »Was denkst, zahlen!» sagte die Mutter, die ganz glücklich war, freigebig sein zu können (Geben ist seliger denn Nehmen), »von selbem red mir kein Wörtli mehr! Stürbe ich unter der Hand, so wäre es ja ohnehin dein.«

Das ging Johannes doch ins Herz. Wenn er auch nicht dachte, er sei einer solchen Mutter nicht wert, so kam ihm doch ein, es sei nicht recht, wie er an ihr handle; daß eine alte Frau ihm sein Kind erhalte und obendrein noch ihn unterstütze, das sei doch wohl nicht in der Ordnung, und es wäre doch wohl Zeit, daß er wenigstens den guten Willen zeige. Johannes begann vom Aufbruch zu reden; den ließ die Mutter nicht zu, bis er Kaffee getrunken habe.

»Mutter, Ihr gebt mir ein wenig das Geleite«, sagte Johannes. »Was denkst auch, Johannes«, sagte sie, »so eine alte und wüste, wie ich bin; du würdest dich meiner wohl schämen, und dazu noch an einem Sonntage, wo so viele Leute auf der Straße sind! Geh in Gottes Namen und komme bald wieder!« »Kommt, Mutter«, sagte Johannes, »Wehren hilft nichts. Ich wäre vielleicht weiter gekommen, wenn ich mit niemand gelaufen wäre, der hübscher und hoffärtiger war als Ihr, Mutter. Leeret das Säckli ganz, ich muß es mitbringen, sonst sagt mir die Frau wüst, und kommt, daß wir nicht so pressieren müssen.«

Pötzlich schrie Käthi laut auf, und als Johannes sich umwandte, sah er, daß Käthi Geld in Händen hatte. »Ich habe geglaubt, es habe Euch ein Löwe im Maul oder ein Skorpion gebissen, so habt Ihr mich erschreckt«, sagte er. »E aber nein«, rief Käthi, »sieh, zehn Batzen noch im Säckli zu allem Guten; nein, das muß mir eine Frau sein! Das Säckli darf ich ihr doch so leer nicht zurücksenden, und was anderes als Eier habe ich nicht. Zürnen wird sie mir nicht, wenn ich ein Dutzend hineintue. Sage ihr dann, es sei nur ein Zeichen, und ich wolle Gott alle Tage bitten, daß er so viel Jahre, als Eier im Säcklein seien, ihrem Leben zulege; einer armen Frau zulieb wird er es wohl tun, und er wird am besten wissen, wieviel andern Leuten es dabei noch wohl geht.« Johannes wollte wehren, sie hätte Hühner und Eier genug, aber es half nichts. Käthi wollte auch geben, und zwar geben aus frommem, gutem Herzen.

Endlich ging der Zug von dannen. Käthi war ganz stolz auf den Sohn und daß er ihrer sich nicht schäme. Johannes war stolz auf seinen Buben. Es wäre schade, wenn zu dem nicht recht gesehen würde, aus dem könnte es etwas geben, dachte er; und der Bube war stolz auf sich selbst, daß er ein so großer sei, Fische gefangen habe und jetzt mit dem Vater könne, weit, weit weg. Käthi war aber nicht bloß stolz, sie war auch glücklich. Sie konnte dem Sohne sagen, wem dieser und jener Acker sei, und es tut einer Mutter immer wohl, wenn sie erwachsenen Kindern etwas sagen kann, das sie nicht wissen.

Mehr als eine halbe Stunde weit waren sie miteinander getrappet, hatten daran mehr als eine Stunde gemacht, da stand Käthi still und sagte: »Wir wollen dich nicht länger säumen, so leb wohl. Habe acht, daß du die Eier nicht zerbrichst, danke der Frau z'hunderttausend Malen und der liebe Gott wolle es ihr vergelten, und lassest du die Hemden machen, so gib sie einer Näherin, welche dir nicht die halbe Leinwand stiehlt; es ist zwischen ihnen und den Schneidern fast kein Unterschied mehr.«

»Mutter«, sagte Johannes, »das macht sich jetzt nicht so; dort ist ein Wirtshaus, dort zahle ich noch eine Flasche Wein, wir können da noch ein Wort miteinander reden.« »Vexier nicht«, sagte Käthi, »bist nicht witzig, ja wolle, ich ins Wirtshaus! Es weiß kein Mensch, wann ich in einem war.« »Eben darum müßt Ihr jetzt kommen, ein Tropfen Wein tut Euch wohl«, sagte Johannes, nahm sie bei der Hand und wollte mit ihr gehen. »Nit, nit«, rief Käthi, »mach nit dr Narr mit mir! Denk, was würden die Leute sagen, wenn du so ein alt, verhagelt Witfraueli ins Wirtshaus brächtest! Ich müßte mich ja schämen mein Leben lang.«

Da half aber alles Wehren nichts, der Sohn zog, der Großsohn, dem das sehr recht war, stieß, und es war ein lustig Zusehen, wie die alte Frau so gleichsam ins Wirtshaus geschroten wurde, halb weinend, halb lachend. Halb weinte sie, wie der junge und der alte Uflat ihr Gewalt antäten, halb lachte sie wie ein jung hoffärtig Mädchen; daß die sich wehrten, sei der Brauch, aber daß man ein alt Fraueli zum Weine schleppe, das sei doch wohl noch nie erhört worden, die sagten es sonst, wenn sie Wein möchten. Und doch freute sich Käthi innerlich, daß Johannes sich ihrer nicht schäme, und noch dazu vor so vielen Leuten, und während sie immerfort grollte und klagte, so oft sie der Wirtin ansichtig wurde, nippte sie doch mit sichtlichem Behagen den Wein und Wecken mußte sie essen, obgleich sie sagte, die seien nicht für arme Leute, und wenn sie jemand darnach sehen würde, er würde sie schön bereden. »Wenn mein Hausbauer hineinkäme, ich glaube, ich stürbe vor Angst; die Hausmiete nicht gegeben und jetzt hinter Wein und Wecken! Der würde mir!«

»Du gute Frau«, sagte die Wirtin, »du lebst abgeschieden von der Welt und weißt nicht mehr, wie es geht. Wenn niemand ins Wirtshaus gehen und trinken wollte, als wer die Miete bezahlt hat, müßten wir ja Hungers sterben. Gerade Solche sind die besten Kunden; Zahlen sei ein verfluchter Zwang, sagen sie, es sei ja jetzt Freiheit, und so hätten sie das Recht, mit ihrem Gelde zu machen, was sie wollten. Und es wird wohl so sein, allweg ists mir so recht.« »Du mein Gott«, seufzte Käthi, »kein Wunder, hagelt und wettert es so, und wer weiß, wie es noch kömmt! Es wird einem recht angst, und am wohlsten ist man daheim, wo man solches nicht vernimmt.«

Indessen vergaß sie das Elend wieder, und nach herzlichem Abschied ging sie ganz glücklich heim, es war recht rührend zu sehen; so glücklich wird in den obern Regionen wohl selten ein Menschenkind gefunden. Der Mund brummte zwar immerfort, aber das Herz hatte die freudigsten Empfindungen. Traf sie einen bekannten Menschen an, so stellte sie sich zu ihm und sagte: Er werde nicht wissen, wo sie herkomme, und wenn es nur dr tusig Gottswille kein Mensch vernehme. Der Sohn sei bei ihr gewesen, wo Korporal sei beim Militär; er sei gar grusam gut gegen sie und gekommen zu sehen, wie es ihr ergangen. Sie hätte ihm das Geleit gegeben, und habe der Uflat sie nicht ins Wirtshaus gerissen, als ob sie ein jung Meitschi wäre! Sie habe trinken müssen, ob sie habe wollen oder nicht, und sei nun ganz betrunken, und wenn sie nur dr Gottswille niemand anrede.

»Aber Großmutter«, sagte endlich Johannesli, »wenn du es so ungern hast, wenn die Leute wissen, wo du gewesen, so mußt du dich nicht bei allen stellen und es selbst ausdampen. Wenn du es allen Leuten sagst, so vernimmt es der Bauer noch diesen Abend und kommt er und jagt uns aus.«

»Du tausends Bubeli du«, sagte Käthi, »was dir nicht in Sinn kommt, e nein aber, was du für einer bist! So komm jetzt schnell, daß kein Mensch uns mehr sieht!« Und beim nächsten Menschen stellte sich Käthi wieder und war nicht wohl, bis sie gebeichtet hatte, von wegen, wessen das Herz voll ist, dessen läuft der Mund über.


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