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Zehntes Kapitel. Neuer Kummer und ein großer Entschluß

Bei der ganzen Sache und besonders, als der Ausgang bekannt wurde, war es Käthi bang; sie hatte nicht vergessen, was der Bauer gedroht hatte. Nun war Käthi kein Diplomat, so wenig als der Bürgermeister von Zürich, was freilich bei einer alten Frau weniger auffallend ist; sie bedachte nicht, daß es Leute gibt, welchen man, wenn sie zornig sind, aus dem Wege gehen muß, indem sie am ersten besten Gegenstand, welcher ihnen vor die Augen kömmt, ihren Zorn auslassen, sei er nun mit dem Zorn im Zusammenhang oder nicht, daß es ferner Leute gibt, die desto gröber werden, je mehr man sich demütigt, um so mehr Ursache zu Zorn und Wüsttun zu haben glauben, je mehr man sich in Entschuldigungen erschöpft. Käthi meinte, sie müsse da handeln, abwenden, zuvorkommen und Gott weiß was alles, was eben nur gut ist, wenn die Personen darnach sind, und sind sie nicht darnach, so ists eben hundsschlecht. Mit leeren Händen dürfe sie nicht kommen, dachte sie; dies war allerdings das Richtigste bei Käthis Kalkulieren, daß wenn sie dem freisinnigen Grotzenbauer unter die Augen wollte, es am richtigsten war, es geschehe wenigstens nicht mit leeren Händen. Käthi raffte alle Batzen und Kreuzer, welche sie zusammentreiben konnte, zusammen. Als sie alles, was ihr noch übrig war vom Erlös von Beeren und Kräutern, von ihren Tagelöhnen, beisammen hatte, so hatte sie an den zwei Talern, welche sie an der Miete noch schuldig war, noch drei Batzen zu wenig, an die Miete dagegen, welche in wenig Tagen aufs neue verfiel, keinen Kreuzer und wußte nicht, wo einen nehmen. Indessen, dachte sie, bezahle sie das Alte, so habe der Bauer desto eher Geduld mit dem Neuen, und der alte Gott lebe noch, er habe bisher geholfen und werde ferner helfen, wenn nur einstweilen der Bauer wieder zufrieden sei. Käthi suchte die drei fehlenden Batzen zu leihen, und als es gelungen, wanderte sie dem Grotzenbauer zu.

Die Bäurin stand am Brunnen, ihr zu trappte Käthi und wünschte ihr guten Abend und sagte, warum sie komme. »Lieber wäre mir, du wärest nicht gekommen, so lieb du mir sonst bist«, sagte die Frau. »Aber es ist noch nicht gut Wetter, und sieht er dich, so geht es frisch los. Hat er dich nicht gesehen, so gehe wieder und zeige dich nicht, bis ich dir Bescheid mache. Du kannst dich auf mich verlassen; aber erzeige es nicht, daß du es weißt.« Während Käthi dankte für den guten Bescheid, aber leider etwas lange, kam der Grotzenbauer um die Ecke und machte Augen wie Pflugsrädli. Nun mußte Käthi warten, rückte mit den zwei Talern aus und vielen Entschuldigungen, Bitten um einstweilige Nachsicht, Versprechen, daß es besser werden müsse. Der Bauer nahm das Geld, vom Nachlaß wegen Hagel war keine Rede, schimpfte viel über schlechte Münze und frug endlich, wie es sei mit der Miete, welche in wenig Tagen verfallen sei?

Die müsse er gewiß haben, sagte Käthi, aber wann, könne sie ihm nicht bestimmt sagen. Sie habe alles Geld zusammengerafft, welches sie im hintersten Winkel gehabt, und noch drei Batzen dazu leihen müssen. »Und dein Maulaffe, hilft der dir nicht?« frug der Bauer. »Er macht, was er kann«, sagte Käthi, »aber das Vaterland hat ihn im letzten Jahr zurückgebracht; er mußte die Ismaeliten helfen erwehren, und das kostet Geld, und dazu verloren ihm die Aargauer noch ein Hemd.« »Ja wolle, was geht einen Solchen das Vaterland an«, sagte der Grotzenbauer. »Versoffen hat er sein Geld, sonst hätte er es machen können mit dem Solde, so gut als die andern. Und kurz und gut, mach, daß du zahlen kannst, zahle dann, wer wolle! Sonst sieh, wie es dir geht! Vielleicht, daß dir die Nachtbuben auch hier helfen, geh und frug sie!« So sprach er und schoß von dannen, fast wie ehedem die Hexen auf den Besenstielen, wenn sie auf den Blocksberg ritten.

Da stand nun die arme Käthi angedonnert, und als sie sich endlich aufmachte, war ihr Gemüt beschwerter als je. Bisher war des Herrn Hand über ihr gewesen, jetzt sollte sie noch in die Hände der Menschen fallen. Jetzt schwebte der härteste Schlag über Käthis Haupt, an den sie nicht gedacht, den sie auch nicht zu überleben dachte. In dem Häuschen zwischen Bach und Emme, im freundlichen Boden hatte Käthi seit vierzig Jahren gewohnt; hier war ihre Heimat, die sie nicht zu verlassen gedachte, bis der Herr die himmlische ihr öffne. Mit dem Häuschen war sie zusammengewachsen wie die Seele mit dem Leibe, und das Stücklein Land war ihr auch ins Leben gewachsen. Seit vierzig Jahren hatte sie es verbessert und hielt mehr darauf als mancher Bauer auf seinem Hof. In der Welt war sie ein Fremdling geworden; ein Gang in einen andern Ort als da, wo ihre Kirche stand, ihr Krämer, ihr Apotheker wohnte, kam ihr vor wie eine Reise nach Amerika, und bloß bei dem Gedanken, dort wohnen zu müssen, kam sie ein bitter Heimweh an. Und wie sollte sie das Kind durchbringen, wenn sie das Land nicht mehr hätte und die Häuser nicht mehr mit den guten Leuten und dem schönen Verdienst? Eine wahre Seelenangst kam über Käthi, ob welcher sie Flachs und Kartoffeln vergaß, welche sie nicht schlafen ließ.

Wie einer, der in finsterer Nacht in der Wüste irre gegangen, die Augen anstrengt, einen Weg zu finden, doch umsonst, nichts erblicken kann als Nacht um und um, so wanderte Käthi heim, dachte nach, wie sie die Miete schaffen sollte in so kurzer Zeit, und dachte immer umsonst. Nur kreuzerweise tropfte der Verdienst, drei Batzen hatte sie geliehen mit großer Mühe, wie zu sieben und einem halben Taler kommen? In diesem Kreise bewegten sich Käthis Gedanken, darüber hinaus streiften sie nicht. Gar manche Frau wird sich über Käthis Dummheit wundern und sagen: Dieser kömmt doch nichts in Sinn, hat die denn nichts zu verkaufen? Es gibt Leute, und namentlich Weiber und Frauen, welche immer was zu verkaufen und zu verschachern haben. Diese an Käthis Platz wären durchaus nicht verlegen gewesen, war da doch um mehr als sieben und einen halben Taler zu verkaufen: Kartoffeln, Kleider, Hühner, Geräte, kurz in vielen Augen große Reichtümer. An das alles dachte Käthi wirklich nicht. Käthi war eine viel zu gute, treue Hausmutter gewesen von jeher. Gute Hausmütterchen nun können selten was verkaufen, was einmal zu ihrem Haushalt gehörte. Nicht einmal an die Erdäpfel dachte Käthi, welche vielleicht entbehrt werden konnten. Man war so in Angst gekommen wegen der Speise im Frühjahr und bange, die meisten möchten in den Kellern faulen, daß Frauen wie Käthi gar nicht ans Verkaufen dachten.

Johannesli war ein verwöhnter Junge und regierte die Großmutter meisterlich, aber er war kein böser, selbstsüchtiger Junge noch, wie verwöhnte Jungen später gerne werden. Er liebte die Großmutter innig, ihr Leid war sein Leid. Als sie selben Abend so kummervoll am Tische saß und weder essen noch trinken mochte, da wollte er wissen, was sie habe. Als sie Ausflüchte machte, brauchte er sein unfehlbar Mittel: er begann zu weinen und zu sagen, wenn sie ihn nicht mehr lieb hätte, so habe auch er sie nicht mehr lieb, wolle fort, wolle sterben, »du wüste Großmutter du, daß ich von dir fortkomme!« Da war begreiflich die Großmutter überwunden und erzählte ihm, wie der Bauer es ihr gemacht und wie es sie fast töten wolle, daß sie aus dem Häuschen müßten, und wüßte nicht wohin, und sei hier gewohnt, wisse an einem andern Orte nichts anzufangen, könnte nicht mehr pflanzen, und seine Hühner würden auch fort müssen, und das werde sein müssen, sie sehe keine Hülfe.

Die Großmutter weinte jetzt, Johannesli schmiegte sich an sie und sagte: »Weißt du was, Großmüetti, so nimm du die großen, schönen Batzen in meinen Taufzetteln, sie gefallen mir nicht mehr, ich mag sie nicht mehr sehen, die Buchzeichen im Psalmenbuch und die Bilder im Kalender gefallen mir viel besser. Nimm die Batzen und bringe sie dem Bauer, und dann solle er stille sein, oder er solle sehen, wie es ihm gehe!«

Das löschte fast die Glut von der Großmutter Schmerz, daß das Bubi von seinem Liebsten, seinem einzigen Eigentum sich trennen wollte um ihretwillen. Aber sie nahm das Opfer nicht an; sie müßte sich schämen ihr Leben lang, wenn sie ihm seine Einbünde verbrauchen wollte, und die wenigen Tage, wo sie noch zu leben habe, wolle sie sich nicht noch so was auf das Gewissen laden, sagte sie.

»So weißt du was«, sagte das Bubi, »wir wollen zum Vater gehen, der hat Geld und gibt uns davon, was wir nötig haben, oder er nimmt den Säbel und haut dem Bauer den Kopf ab; dann wird er schon aufhören, uns zu plagen.« »Du gottlos Kind«, rief die Großmutter, »was dir nicht alles in Sinn kömmt! Ja wolle, den Kopf abschlagen, das käme noch manchem wohl, wenns erlaubt wäre, so seine Schulden zu bezahlen! Aber komm, Kind, wir wollen ins Bett und beten, o Kind, man kann sich nicht genug in acht nehmen mit den Worten, gar leicht kommts, daß man sich versündigt.«

Wie die Großmutter gesagt, geschah es, sie gingen zu Bette. Aber der Junge war aufgeregt, schlief lange nicht, begehrte auf, bis er einschlief. Im Renommieren und Schwadronieren zeigte er bedeutende Anlagen; wenn er eines Rartsherren Sohn gewesen wäre, es hätte mancher Ratsherr seine große Freude an ihm gehabt.

Die Rede des Kindes hatte sich eingehakt im Herzen der Großmutter, freilich im hintersten Winkel nur. Dort war der wunde Fleck, wo Gedanken entstanden, welche Käthi so gut als möglich vor Gott selbst zu verbergen suchte. Dort stand zuweilen der Gedanke, es sei doch nicht recht von Johannes, daß er sich so wenig um sie kümmere. Sie meine nicht, er solle mehr tun, als er könne, aber doch zuweilen kommen, sehen, wie es ihnen gehe, und raten, was sie anfangen sollten, das sollte er doch können. Dieser Gedanke stand gar fest und aufrecht in Käthis Seele, die ganze Nacht durch konnte sie denselben nicht loswerden. Es war aber auch, als ob derselbe in Johanneslis Seele sich festgesetzt hätte, denn er erwachte mit der Frage, wann sie zum Vater wollten? Als es Morgen war, da kam der Gedanke, zum Sohne zu gehen, Käthi viel schrecklicher vor als gestern abend, denn das war mehr als Amerika, mehr als zwei Stunden weit wohnte Johannes!

Also Großmüetti und Großkind stritten sich um die Frage: Solls gewagt werden, soll es nicht; wollen wir zum Vater gehen oder hier bleiben? Dieser Kampf war andauernder als sonst einer und dauerte mehr als einen Tag. Und als es endlich dem Grundsatze nach entschieden war, daß sie reisen wollten, entstand erst ein langes Beraten über das Wann und das Wie.

Also war es abgemacht und beschlossen, am nächsten Sonntag ward die Wanderung unternommen; das war ein Ereignis in ihrem Leben, für Johannesli das allergrößte, welches er mit Bewußtsein erlebte. Er sollte die ersten, vom Paten geschenkten Hosen tragen, mit denen die Großmutter bis dahin auf das Sorgfältigste hinter dem Berge gehalten.

Sie freuten sich beide sehr auf die Reise, das Kind wegen Hosen, Fleisch und Speck, die Großmutter, einen solchen Staatsbuben durch die Welt führen zu können; nur kümmerten sie, es möchte vielleicht nicht schönes Wetter sein.

Der Samstag rückte endlich ein, und zwar schön. Johannesli ward es angst, je länger es ginge, desto eher könnte sich das Wetter ändern, und meinte, wenn er seine Hühner zMittag in den Stall jage und gleich darauf die Großmutter ins Bett, so sei der Samstag auch vorbei und der Sonntag im Nu da. Er versuchte der Zeit vorzugreifen. Aber junge Bübchen ändern die alte Welt nicht, die Hühner wollten für alle Gewalt nicht in den Stall. Wären diese gegangen, dann hätte Johannesli es wahrscheinlich bei der Großmutter durchgesetzt, daß auch sie mit ihm zu Bett gegangen wäre. Endlich nach vier Uhr ließen sich die Hühner herbei, suchten ihre Sitze, und bald darauf mußte auch die Großmutter daran glauben, wie sie auch seufzte und jammerte: Wenns die Leute vernehmen würden, sie sei schon zu Bette, so würden sie glauben, es fehle ihr im Kopfe. Desto früher am Morgen krähte der junge Hahn, und die Großmutter mußte auf, was sie auch sagte, es sei nicht viel über vier Uhr. »Je früher wir gehen«, sagte der Bub, »desto mehr können wir unterwegs ausruhen; dann weißt du noch nicht, wann wir fortkommen, mit neuen Hosen gehts manchmal lang, bis man sie anhat.«


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