Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Fünfzehntes Kapitel. Käthi kriegt den Johannes ins Haus samt einem Prozeß, und wie der Prozeß ausläuft

Johannes aber war in einem eigenen Zustande, er hatte einen Prozeß! Einen Prozeß haben, einen Prozeß, den man gewinnen, den man verlieren kann, mit dem man viel gewinnen, viel verspielen kann; einen Prozeß, durch den man eingeführt wird ins Labyrinth der Gesetze und Formen, der Ränke und Kniffe, wo man nie weiß, wo man daheim ist: oft plötzlich wieder beim Eingang, wenn man beim Ausgang zu sein glaubt, und plötzlich beim fatalen Ende, wenn man eben erst guten Boden errungen zu haben glaubt; einen Prozeß, der, wie man meint, einen zu einer ungeheuer wichtigen Person macht, auf welche Europa sieht, indem nie noch ein solcher Prozeß gewesen noch je mehr einer so sein werde!

Wir wollen diesen Prozeß nicht verfolgen, wir könnten unversehens ein ganzes Buch voll darüber kriegen. Wir wollen bloß bemerken, daß er sehr verwickelt wurde, denn die Neuhäuser wußten sich zu wehren, und ganz besonders damit, daß die Gegner ihnen den Weg vorgelaufen seien und sie überfallen, so daß sie sich hätten wehren müssen, wie sie hätten können. Es gab Versöhnungsversuche, Erscheinungen, Eide drohten, und unterdessen aß Johannes bei der Mutter, und sie erhielt ihn. Johannes suchte keinen Dienst; erstlich meinte er, er müsse Zeit haben, seiner Sache nachzulaufen und sie recht zu betreiben. Zweitens wollte es mit seinem Arm nicht gut gehen, er konnte denselben nicht recht brauchen.

Nun war bei dem allem eines gut: er sah nun, wie es die Mutter hatte und wie er es als Knecht gehabt hatte. Käthi gab es so gut wie möglich, aber wie sehr man dehnbare Dinge dehnen kann, am Ende nimmt die Dehnbarkeit doch ein Ende. Viel mehr Pulver nahm sie nicht zum Kaffee, mit dem Wasser vorzüglich besserte sie nach. Brot aß sie selbst desto weniger, absonderlich gings über die Erdäpfel her. Käthi wagte es kaum mehr, die Lampe mit in den Keller zu nehmen; aber denken mußte sie manchmal, wie gut es gewesen wäre, wenn sie den Hauszins anders hätte machen können, nicht Erdäpfel hätte verkaufen müssen. Aber was sie dachte, sagte sie nicht, ja man sah es ihr nicht einmal an. Und auch Johannes machte kein bös Gesicht, und so manierlich war er doch, wie wirklich nicht alle Korporale es sein sollen, daß er es nicht besser verlangte, als die arme Mutter es geben konnte. Aber er magerte sehr bei dieser Kost, er war es ganz anders gewohnt. Da war Hülle und Fülle gewesen, aufgegessen wurde nie; zwei große halbe Brote lagen oben und unten auf dem Tisch, Milch genug, und wenn irgendwo was fehlte, so muckelte man sofort über den Tisch weg, als ob man das Recht dazu hätte.

Nun war bei seiner Mutter alles dünn, sparsam; man durfte fast in keine Schüssel fahren, ohne zu fürchten, es bleibe nichts darin und alles hange am Löffel, und ob das Kraut Butter gesehen hatte oder nicht gesehen, weußte man nicht, denn es konnte es nicht sagen, und sonst merkte man es ihm nicht an, und über das Fleisch hatte man gar nicht zu klagen, denn da sah man gar keines. Ja, jetzt sah Johannes ein, welch großer Unterschied zwischen Essen und Essen sei, wie man oft nicht wisse, wie gut man es habe, und wie leicht man sich versündigen könne. Aber so weit war er noch nicht, daß was er sah, er auch bekannte. Einen andern sehr bedeutenden Unterschied aber merkte er jetzt noch nicht, konnte ihn also auch nicht bekennen. Das Knechtlein kommt zu Tische und will essen, und zwar gut; ob der Bauer es hat und woher ers nimmt und was es kostet, das kümmert ihn nicht im mindesten; da siehe du zu, denkt er. So ein Bürschchen weiß gar nicht, was es heißt, ohne Sorgen zum Tisch und ohne Sorgen davon! So hat es eine arme Hausmutter und namentlich so eine arme Käthi nicht. Die muß sich kümmern, woher nehmen und wie lange daran machen, muß sich kümmern, wenn das halbe Viertelpfund Kaffee all ist, woher die vier oder fünf Kreuzer zu einem neuen Viertelpfund nehmen, muß fast abwägen die Stücklein Brot, damit das zweipfündige seine acht Tage herhalte, muß unterdessen sich abarbeiten, um zwei oder drei Batzen für ein frisches Brot herauszuarbeiten, muß zur Butter Sorge tragen wie zu den eignen Augen, selbst mit den Kartoffeln zart umgehen und es als Gewinn achten, wenn eine weniger gebraucht wird, als man gerechnet.

Und nicht bloß arme Weibchen müssen so denken und sorgen, sondern auch weise Bäurinnen müssen denken und sorgen, was alle Tage kochen, damit die Kirche mitten im Dorfe bleibe, das heißt, das Gesinde ihr nicht davonlaufe, sie aber sich nicht selbst arm koche. Von all dem weiß so ein Knechtlein nichts, muß es aber später zumeist bitterlich erfahren.

Das fühlte anfangs auch Johannes nicht; er saß zum Tisch akkurat wie an seinem Dienstorte, er dachte nicht daran, woher die Mutter es nahm, sondern bloß, wenn seine Gegner mit ihm abgemacht hätten und viel Geld ihm gezahlt, so wolle er die Mutter mit einem Kostgeld schadlos halten.

Der Staat erbarmte sich in diesem Winter der armen Leute, ließ Lebensmittel austeilen, die kamen Käthi wohl. Wars auch nicht viel dem Anschein nach, so ist doch, wo nichts ist, wenig eine große Wohltat. Den alten Joseph mit seinen sieben guten und seinen sieben schlechten Jahren, mit seinen Speichern und Vorratskammern hat man vergessen und sich ganz modern eingerichtet, hat keine Vorräte und das Geld auf Prozente ausgelegt. Die alten großen Schränke der Großmütter sind zum Trödler gewandert, die Hausfrau behilft sich mit sechs baumwollenen Bettüchern und drei baumwollenen Hemden. Die Keller hat man einem Seifensieder oder Lichtzieher vermietet und läßt den täglichen Bedarf täglich vom Markte holen, dieweil man ja auch bloß für das tägliche Brot bittet und nicht für zwei oder drei Tage oder gar ein Jahr zusammen.

Die Regierungen haben ebenfalls dieses Prinzip angenommen, rechnen nach Prozenten, nehmen keine andern Faktoren in ihre Rechnungen auf, ja einige Hexenmeister im Rechnen haben es klar bewiesen, daß Schulden einem Staat viel vorteilhafter seien als Gulden.

Und wenn überhaupt wenig oder gar kein Vorrat in einem Lande ist, so braucht es gar ungeheuer viel, bis das Bedürfnis befriedigt, das Loch, welches eine schlechte Ernte macht, ausgefüllt ist. Eine einzige mißratene Ernte kann die Not bis nahe an den Hungertod steigern. Nun, so arg gings im Jahre 1845 noch nicht, man fand, was man wollte, brachte glücklich ins Land Weizen und Reis, kaufte noch Hafermehl, teilte Reis und Hafermehl aus und erquickte manchen Menschen damit, namentlich mit dem Hafermehl. Reis verstehen die wenigsten ländlichen Köchinnen zu kochen, jedenfalls brauchten sie viel Holz. Haferbrei und Hafermus oder -suppe sind gesunde vaterländische Speisen, die vorzüglich nährten, ehe Erdäpfel und Kaffee kamen, die alte Landeskraft. Nur wenige Pfunde erhielt jede Haushaltung, aber wenn sie nur eine Woche oder zwei die Ausgaben unnötig machten, daß man den Verdienst zusammenlegen konnte, so reichte derselbe wieder einige Wochen, und so viel war glücklich überstanden, vom Winter abgelöst. Und wir können es nicht oft genug wiederholen: wo Wille, Sinn und Segen ist, da reicht weniges unglaublich weit.

Indessen, wenn sie sich freuten, daß der Winter zu Ende rückte, so nahte damit was anderes welches Käthi bange machte, und das war der Tag, an welchem die Hälfte des Hauszinses fällig war, der sogenannte Frauentag oder Maria Verkündigung. So ist es oft im Leben, daß das Eilen der Zeit wohl angenehm und wünschbar ist, wenn nur eines nicht wäre, welches mit jedem Tage näher tritt und nicht zu umgehen, nicht zu überspringen ist. Oberhalb des Rheinfalls kann man landen und unterhalb wieder einsteigen, aber es gibt Tage, vor denen man bleich wird und durch die man doch muß nun die arme Käthi über den Frauentag, an welchem sieben und ein halber Taler fällig wurden, zu denen kein Kreuzer lag im Hochzeitsstrumpf, und keine Aussicht, irgendwie dazu zu kommen, außer wenn Johannes viel Geld erhielt von denen, welche ihn geschlagen.

Diese Hoffnung aber verdüsterte sich mehr und mehr. Johannes behauptete, es helfe alles einander und ein Schelm sei wie der andere. Seine Gegner seien Bauernsöhne und seine Richter Bauern, bekanntlich hacke keine Krähe der andern die Augen aus; seine Gegner hätten Geld und er keines, bekanntlich aber seien die Agenten für das Geld da, und wo sie welches sähen, da täten sie nehmen und frügen Gott und Teufel nichts nach, wie sie sich dessen selbst rühmten; er merke, wo es hinaus solle. Das Hauptunglück dabei war, daß der Arm nicht heilen wollte, er hatte nicht Kraft darin, es schien, als schwinde er und werde dünner; er konnte in keinen Dienst, keine Arbeit verrichten, höchstens ein wenig holzen, wo er das meiste mit einer Hand machen konnte. Er verdiente dabei nicht das Essen, und es kränkte ihn sehr, wenn er, der große Bursche, kaum so viel verrichtete als ein halbgewachsener Junge, wenn ein alter Mann mehr zu schätzen war als er.

In ihrer treuherzigen Ehrlichkeit meinte Käthi, sie müsse gehen und sich bei ihrem Bauer wieder entschuldigen, daß sie den Hauszins noch nicht bringe, und ihm sagen, es solle so bald geschehen, als Johannes seinen Prozeß gewonnen hätte. Sie traf ihn aber nicht zu Hause. Die Frau nahm Käthi ins Stübli und sagte ihr: »Hör mal, du bist das dümmst Fraueli, welches auf zwei Beinen läuft, du schickst dich nicht mehr in die heutige Welt. Wenn du jemand was schuldig bist, kriegst du Himmelangst, läufst dem, welchem du schuldig bist, auf den Schuhen herum und zappelst und bittest, daß es einem selbst angst wird dabei. Sieh, Käthi, das geht heutzutage ganz anders; je mehr sich jemand duckt, desto gröber verfährt man mit ihm, und jeder Lumpenhund meint, er könne auf ihm herumtrappen. Man muß keck und aufbegehrisch sein vom Teufel, dann kriegt man was, dann wird man was. Und der Gebrauch ist, daß man denen, welchen man schuldig ist, nicht vor der Türe ist und unter der Nase herumläuft, im Gegenteil, man flieht sie, man läßt sich verleugnen, man wird wie unsichtbar für sie, und wenn mans nicht meiden kann und ihnen unter die Augen muß, so tut man weder schüchtern noch demütig, sondern daß die Leute sagen müssen: Er wird ihm gewiß nicht schuldig sein oder doch nicht Ursache haben, sich zu fürchten. Wenn aber dein Gläubiger trotzdem dich mahnt, so mußt du ihm sagen: Du brauchst mir den Verstand nicht zu machen, gib du mir Geld, so will ich dich schon bezahlen! So mußt es machen, dann läßt man dich ruhig. Kannst es nicht machen, wegen der täglichen Ausgaben, so geh vor die Gemeinde und sage ihnen wüst, und geben sie dir nicht, was du willst, so sage, du wollest sie verklagen oder sie sollen sich in acht nehmen, daß ihnen nicht die Häuser ob dem Kopf verbrannt würden; dann lassen sie das Herz fallen bis in die Schuhe und du hast, was du willst. So gehts, Käthi, und jetzt geh heim, mach, daß mein Mann dich nicht sieht! Läuft er dir ungsinnet an, so erschrick nicht, sondern schimpf über die Zeit, so viel du ins Maul bringst; willst aber was von mir, so komm, wann er im Wirtshaus ist, alle Abend ungefähr und alle halbe Jahr eine Stunde länger. Das steigt mit der Aufklärung, und wenn sie endlich ganz aufgeklärt sind, so werden sie erst heimkommen, wenn die Sonne am Himmel steht, im Sommer um viere, im Winter um achte.« So sprach die Frau, zornige Tränen standen ihr im Auge, aber weich blieb ihr Herz für die Armen und offen ihre Hand. Dankend und segnend verließ Käthi das Haus.

Wenn es Käthi an einem Ort besserte, so bösete es ihr an einem andern; es lag ein eigen Verhängnis über ihr. Als die Bäurin ihr diesen Trost eingesprochen hatte, ging Käthi nicht wohlgemut, aber doch gelassen nach Hause. Wenn kein Mensch in ähnlichen Fällen bösern Bescheid erhielte, so wäre es dabeizusein und man hätte Ursache, Gott zu loben und zu preisen, dachte Käthi. Aber nun begann ein eigen Leiden mit Johannes. Seine Sache ging zum Abdrücken, wie man sagt, obschon sie sich sehr verwickelt gestaltet hatte. Es wurden die Parteien in den Eid erkannt.

... und Käthi hatte darüber eine schreckliche Angst. Ein Eid kam ihr ganz schrecklich vor; soviel sie wußte, war in ihrer Familie nie einer getan worden. Es machte sie schlaflos; ein Eid kam ihr wie eine Verletzung der Seele vor, wenn sie auch so im allgemeinen sagte: Ja, ja, sie habe nichts dawider, ein rechtmäßiger Eid werde wohl erlaubt sein, es heiße so im Fragenbuch. Aber doch sei es ihr grausam zuwider, wenn Johannes einen tun sollte; gar leicht sei die Seele berührt, und er sei ihr einzig Kind, und wenn sie einmal nicht wieder zusammenkommen sollten, sie grämte sich zu Tode.

Doch der Eid ging nicht vor sich, es legten sich Mannen dazwischen. Diese werden von einer Sorte Rechtstreiber gefürchtet wie das Schwert und gehaßt wie Gift, jedoch nur heimlich und verblümt werden sie verdächtigt, denn sie gehören zum Volke und können bedenklich schaden. Einer der Schläger hatte einen Vater, welcher ein solcher Mann war, und zwar von den bessern einer. Es sollte geschworen werden, man wisse nicht, wer gestochen habe, oder Johannes sollte schwören, er wisse bestimmt, wer gestochen, bestimmt, daß nicht einer von seinen Freunden es gewesen sei usw. Der Mann hatte alle Ursache, zu glauben, sein Sohn habe das Messer gebraucht, und es schien ihm nicht recht, daß derselbe straflos darauskomme, denn er haßte das Messerziehen als etwas Banditenmäßiges sehr. Er gab so halb und halb Notwehr zu, aber es dünkte ihn hart, daß Johannes so schwer gestraft sein sollte, vielleicht sein Lebtag arbeitsunfähig, und Kosten und Schmerzen an sich Selbsten haben oder aber einen falschen Eid tun müsse. Es dünkte ihn, wegen einigen Talern sollte man keine Seele versuchen, vielleicht verloren gehen lassen. Er steckte sich hinter einen Mann in Johannes' Gemeinde; derselbe fand die Gelegenheit, Johannes die Sache aus dem rechten Gesichtspunkte darzustellen, ihn aufmerksam zu machen, daß es sich eigentlich handle um seine Seele oder den Verlust des Prozesses, indem die Fragen so gestellt seien und er so hineingearbeitet, daß kein Ausweg mehr für ihn sei. Johannes polterte gewaltig, endlich begriff er, daß eine Vereinigung um jeden Preis für ihn das Beste sei. Wiederum wurde eine Versöhnung angestellt und dafür gesorgt, daß man nicht mit Schimpfen beginne und mit bösern Köpfen fortgehe, als man gekommen. Die Rechtstreiber wurden nicht beigezogen. Endlich wurde ausgemacht um eine runde Summe, welche Johannes erhielt, dabei aber seine Kosten, sowohl Rechts- als Arztkosten, übernehmen mußte.

Es war Johannes schwer, in diesen Apfel zu beißen. Zwei Gespenster standen vor ihm, vor beiden bebte seine Seele. Das eine Gespenst war ein zweifelhafter Eid, das andere Gespenst war ein armer Krüppel, arbeitsunfähig, mit gelähmtem Arme. Der arme Krüppel siechte, bettelte, fror und hungerte, war allen eine schwere Last, ein Stein des Anstoßes, wohin er kam, und dieser arme Krüppel war er selbst. Krüppel im fünfundzwanzigsten Jahre, sonst so stolz, aufbegehrisch, Kor[*]poral, und jetzt ein Krüppel, und wie viele lange Jahre durch! Das ist ein grausig Gespenst für einen jungen Menschen, der meinte, er hätte nach niemand zu fragen, der beim dritten Worte sagte, er lasse sich nicht kujonieren und frage niemand was nach. Dieses Gespenst sah ihn grausig mit hohlen Augen ab, hob die rechte Hand und daran drei Finger auf und stand vor ihm Tag und Nacht, und aus dem bleichen Munde quollen ohne Unterlaß die Worte: Schwöre, schwöre! Den Eid tat er nicht gerne, er schauderte, wenn er daran dachte; aber dann ein armer Krüppel sein, ein Bettler sein Leben lang! Er hatte sich eingeredet, er werde, wenn er schwöre, eine Pension erhalten oder doch eine so große Summe, daß er von den Zinsen leben könnte. Dieses Hoffen und das Fürchten vor dem Eide hatten in seiner Seele täglich sich gestritten: bald war das eine Meister, bald das andere, doch keines lange. Das Besiegte erhob sich mit neuer Macht und ließ nicht ab, bis es die Oberhand hatte, doch nur, um wieder unten zu liegen.

Als nun die Mannen ihn in die Hände nahmen, redeten sie ihm ganz anders, als ihm sonst geredet worden war. Sie sagten ihm: »Sieh, du erbarmest uns, darum wollen wir versuchen, es auszumachen, darum tue vernünftig. Sieh, du tust den Eid ungern, und rechtmäßig und ohne Gefährde kannst du ihn nicht tun, man mag dir sagen, was man will. Darum mach aus! Billig und recht ists nicht, daß du alles allein tragest, denn das Messer zu ziehen ist unrecht. Aber denk daran, du hast angefangen, denk, ob es nicht möglich ist, daß jemand eure Abrede gehört habe und hintendrein auch noch reden könnte! Darum ist es billig und recht, daß du auch was leidest. Wir gehen es zu, es kommt dir schwer und du vermagst es fast nicht. Aber deretwegen ist dir nicht mehr erlaubt als anderen, du hättest zu rechter Zeit daran denken sollen.« So sprachen die Mannen, und Johannes fühlte die Wahrheit ihrer Worte wie ein zweischneidend Schwert, und er mußte bekennen, wenn die gleich anfangs dahintergekommen wären, so wäre die Sache nicht so weit gelaufen. Er machte also endlich aus um eine runde Summe und hoffte dabei, daß ihm über seine Kosten aus immer noch ein ziemliches übrig bleibe, und einer der Mannen gab ihm noch den Rat mit, er solle sich im Spital zu Bern, die Insel genannt, melden, dort werde er unentgeltlich kuriert oder aber in ein Bad geschickt und ebenfalls unentgeltlich, wie bekannt. Johannes sagte, er hätte auch daran gedacht, aber des Prozesses wegen wäre er nicht gegangen.

Der Rechtsagent oder Anwalt von Johannes ward schrecklich böse, als Johannes ihm die Nachricht von der Vereinigung brachte und seine Rechnung verlangte. Jetzt schimpfte er mörderlich über die Bauern, welche arme Knechtlein auf solche Weise beschummelten, und über die dummen Knechtlein, welche sich so beschummeln ließen. Hätte er ihn machen lassen, für wenigstens tausend Gulden wäre er ihm gut gewesen, jetzt solle er sehen, was ihm übrig bleibe, er werde Augen machen, sagte der Rechtsagent.

Während er also seine scharfsinnigen und tiefgehenden Ideen entwickelte, machte er seine Rechnung. Praktischer Sinn war ihm nicht abzusprechen; so er Geld witterte, ließ er sich die Rechnung nicht zweimal fordern. Diese Rechnung fiel allerdings aus, daß sie Johannes die Augen übertrieb, denn ihm blieb fast nichts übrig. Der Agent sah sein Erschrecken wohl, und gewöhnt, aus dem Stegreif zu reden, sagte er: »Erschrick nur, du hast recht. Da nimm Exempel, wie es geht, wenn man so dummen Bauern und Dorfmagnaten mehr glaubt als guten Freunden, welche die Sache verstehen. Hättest du die Finger aufgehoben und mich machen lassen, die Sache wäre anders gekommen, ich bin dir gut dafür, denen hätte ich es zeigen wollen, was Stechen kostet. Ich habe dir nicht zu viel aufgesetzt, im Gegenteil, weil du ein armer Bursche bist, so hatte ich ein Einsehen; wenn du Verstand gehabt hättest und den andern die Kosten überbunden, wohl, die hätte ich anders schroten wollen!«

»Ich habe wollen«, sagte Johannes, »aber sie wollten nicht. Sie sagten, Ihr seiet gar ein Betrügerischer, sie wollten lieber nichts mit Euch zu tun haben.« »So, haben sie das gesagt?« fragte der Agent, »hast Kundschaft dafür, kann man es im Fall beweisen?« »Es war niemand weiter in der Stube,« sagte Johannes. »Denen grauen Schelmen kommt das wohl; wohl, denen wollte ich den Marsch machen und ihnen zeigen, wer betrügerischer ist, sie oder ich; die müßten mich gut machen, daß besser nichts nützte. Aber damit du sehen kannst, wer es gut mit dir meint, sie oder ich, will ich dir, wenn du mich gleich bezahlst, zwei Taler schenken, obgleich mir deine verfluchte Freundlichkeit mehr als zwanzig Taler schadet.« Johannes erkannte diese Gutmeinenheit, zahlte, kriegte desto größeren Groll gegen die Bauern wieder in den Leib; dabei dachte er, er hätte der Mutter nie glauben wollen, wie schlecht die Welt sei, aber jetzt fange er doch an zu glauben, sie habe recht. Es sei keinem der Schelme mehr zu trauen, jeder wolle es gut meinen, und wenn man es glaube, so sei man betrogen und beschummelt. Wenn es aber einer gut meine, so müsse es der Agent sein; der habe sich seiner doch noch erbarmet, und als er gesehen, wie ihn die Manne betrogen wie die ärgsten Schelme, ihm zwei Taler geschenkt. Der gute Johannes begriff nicht, daß dem Agenten alles am Erhalten des Geldes lag, erstens, weil er in der Klemme war, großen Durst hatte, eine leckere Zunge und wenig Verdienst, und zweitens, weil die Rechnung eine Moderation nicht ertragen mochte. Ging nun Johannes mit derselben herum und klagte, so hätte man ihm gesagt: »Zahle nicht, laß dich angreifen, das macht sich dann anders, oder gehe und laß moderieren!« War die Rechnung einmal bezahlt, war das Ding viel schwerer, da mußte ordentlich geklagt werden, und zwar bei solchen, welche eben wieder nichts mehr als Rechtsagenten sind, und ehe man solche Klagen wagt, welche zudem wieder viel Geld kosten, leidet man lieber vieles.

Mit viel Zorn über die Dolders Bauern, aber mit wenig Geld ging Johannes heim. Das seien die wahren Unglücksmacher, dachte er, und wenn man denen einmal auf den Leib könnte, sein guter Arm reuete ihn nicht; ob einer mehr oder weniger, es komme fast auf eins.

Nicht bald macht was so durstig als der Zorn, darum kehrte Johannes auf dem Heimweg ein, was er sonst wirklich in der letzten Zeit nicht öfters getan hatte, als er mußte. Dort war auch der Grotzenbauer mit einigen andern Freisinnigen, und alle weingrün. Sie redeten frei und freuten sich laut über die kommende Zeit, wo sie zeigen wollten, wer Meister sei und daß der Kern des Volkes der Bauer sei. Diese Reden machten den Johannes zorniger, also durstiger, und als er auch weingrün war, konnte er sich nicht enthalten, einige Worte gegen die Bauern fliegen zu lassen. »Wenn alle Unglücksmacher und Leuteschinder zum Land aus müßten, so könnte mancher Bauernhof feil werden, und wenn die Bauern regierten, so wäre es den armen Leuten besser man schlüge sie vorher tot« so sagte er.

Nun gabs bös Blut und ungute Worte, und bei ihrem Auseinandergehen sagte der Grotzenbauer zum Beweis seiner Freisinnigkeit und wie unrecht Johannes den Bauern täte: »Wart, Bürschli, du bist mir gerade der Rechte, dir will ich es eintreiben, daß du an mich denken sollst und ehe es lange geht. Ich will dir zeigen, wer du bist, wenn ich schon nur ein Bauer bin, wie du meinst.« Das war auch ein Beweis nicht bloß von der Urteilsfähigkeit des Grotzenbauers, sondern von seiner Logik überhaupt, die mit Taten beweisen wollte, welche das Gegenteil auswiesen von dem, was mit Worten behauptet worden war.

Käthi hatte eine gar unendliche Freude gehabt, daß der Eid vermieden worden war. Jetzt, sagte sie, sei ihr wieder wohl, es dünke sie, man hätte allen Leuten genommen und ihr gegeben. Das hätte sie geplaget bis ins Grab, und noch im Grabe hätte sie sich umgekehrt, wenn ihr Kind einen Eid getan hätte; da das glücklich vorbeigegangen, so dünke es sie, was jetzt auch noch kommen möge, es mache ihr nichts mehr, das Gräßlichste von allem hätte sie jetzt ausgestanden.

Am folgenden Morgen wusch Käthi im Bache ihre Erdäpfel mit einem stumpfen Besen und dachte bei sich: Gottlob, wie schöne noch! Vielen sollen sie gefault sein, und keinen einzigen faulen finde ich unter den meinen! »Machst sauber?« tönte eine rauhe Stimme hinter ihr. »Ich sollte«, antwortete Käthi im Umwenden und erschrak sehr, denn es war der Grotzenbauer in eigener Person. »Du wirst nicht mehr wissen, wann der Frauentag ist«, fuhr derselbe Käthi an, »oder meinst, das Häuschen sei deins und das Zinsen abgeschafft?« »Bewahre mich Gott vor solchen Gedanken«, antwortete Käthi, »nein, so schlecht denke ich nicht, und der Frauentag kam mir nie aus dem Sinn, und schon längst hätte ich mit dir geredet, wenn ich dich angetroffen hätte. Es war mir, weiß Gott, nicht möglich, den Zins zusammenzubringen. Konnte nichts verkaufen, der Verdienst war bös, das Essen teuer, und wie ich auch gespart, ich konnte nur dürftig mich durchbringen, ohne jemand zu plagen. Gewiß, sobald der Verdienst kommt, müßt Ihr alle Kreuzer haben.«

Nun brach der Grotzenbauer los, fast wie ein Waldbach, der durch einen Erdrutsch in seinem Laufe gestört worden und endlich Bahn gefunden. Er wolle nicht Kreuzer, sagte er, er sei kein Bettler, er wolle den Zins. Er hätte des Dings satt und wolle nicht schlechte Leute zu Hausleuten, welche andern Leuten zur Last wären und vor denen man nicht ruhig sitzen könne in einem Wirtshaus, die kein Geld hätten, aber schnöde Worte, einen zuschanden machen möchten vor allen Leuten. Faule Leute, welche aufeinander säßen und nichts zu verdienen begehrten, nur darauf ausgingen, die Bauern zu plündern und zuzugreifen, wo sie was fänden, solche Leute wolle er nicht haben unter seinem Dache; entweder solle sie ihn zahlen, und zwar in vierzehn Tagen, oder er nehme ihr die Sachen weg und jage sie aus, das ganze Pack miteinander, und den großen Schlingel voran.


 << zurück weiter >>