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Die Bäurin gab Bescheid, als Käthi an der Türe klopfte und dem Bauer nachfrug. »Bin froh, daß du kömmst, daß er von dem verfluchten Gstürm weg muß«, sagte dieselbe. »Er hocket schon den ganzen Abend darob, buchstabiert daran, kein vernünftig Wort kriegt man aus ihm, und hat er genug gelesen, läuft er fort, und es weiß kein Hund, wann man ihn wieder sieht. Oh, ich wollt –!« Der Rest verhallte. Wahrscheinlich meinte die Bäurin mit dem Gstürm die Darstellungen, welche dem reichen, freien Bauernvolke seinen Druck und sein Elend handgreiflich klar machten.
Der Bauer war sehr unwillig, als er im Stübli, wohin er gerufen wurde, nur Käthi fand. Wahrscheinlich hatte er eine jener Majestäten erwartet, welche im Lande herumliefen, den Leuten einen Begriff von deren Elend beizubringen, und zu gleicher Zeit mit Schmarotzen ihr Leben fristeten. Solche taten seit einiger Zeit dem Bauer häufig die Ehre an, bei ihm einzukehren, weil der Bauer eine gute Speisekammer hatte, und solche lieben bekanntlich sowohl geistliche als politische Speisprediger. Käthi brachte Entschuldigungen vor, daß sie ihn gestört, daß sie so lange mit der Hausmiete gewartet; sobald sie etwas gelöst, hätte sie es gebracht; leider sei noch nicht alles da, so bald möglich wolle sie den Rest bringen. Sie löste das Band um den Strumpf, leerte das Geld auf den Tisch und sagte, er solle zählen, wieviel es sei; sie hätte es auch getan, aber sie könnte sich geirrt haben. Während er zählte, frug die Frau: »Was hast du denn zu verkaufen gehabt?« Käthi erzählte es. »Bist so lang hinter uns zu Haus und hast solch Zutrauen zu uns, daß es dir angst wird, als ob wir die wüstesten Leute von der Welt wären und armen Leuten den Weibel auf den Hals schicken? Wohl, das ist sauber von dir«, brummte die Bäurin. Käthi entschuldigte sich sehr, daß dies nicht also sei. Sie seien ja immer gut gegen sie gewesen, aber es plage sie so, wenn sie jemand schuldig sei, und sie müsse immer denken, die Leute könnten denken, sie begehre gar nicht zu zahlen. »Solche Leute sind rar«, sagte die Bäurin.
»Also zwei Taler fehlen noch«, sagte der Bauer, der das Geld gezählt hatte, »die bringst du mir, sobald du kannst.« »Es wäre mir lieb, ich könnte es machen, ehe wieder einer verfallen ist; aber diesen Augenblick weiß ich wahrhaftig nicht, wo ich das Geld hernehmen soll«, antwortete Käthi. »He«, sagte die Bäurin, »wegen denen zwei Talern wollte ich nicht kummern, Käthi; Christen wird dir, so Gott will, daran denken, daß du Hagel gehabt hast.« »He«, sagte Christen, »sieh einmal, daß du sie bekömmst; kann ich dir dann was schenken, so wirst es immer noch nehmen. Ich bin auch verhagelt worden, und es kommt keinem Menschen in Sinn, mir einen Kreuzer daran zu geben.« Käthi dankte für den guten Bescheid und ging.
»Der wüstest Hund bist du doch«, sagte die Bäurin, »der armen Frau die zwei Taler nicht gleich zu schenken, sondern sie in der Angst zu lassen, und wenn sie dieselben bringt, so bist du Hunds genug, sie zu nehmen.« »Solche Leute muß man nicht leichtsinnig machen«, sagte Christen, »sie müssen wissen, daß sie nicht bloß auf der Welt sind, für einen zu plagen und zu schmarotzen.« »Diese Frau machst du einmal nicht leichtsinnig; aber der Brauch wars unser Leben lang bei braven Leuten, den Lehnsleuten zu schenken, wenn sie verhagelt wurden«, entgegnete die Frau. »Meinethalb sei es der Brauch oder nicht. Aber wofür wird man alle Tage gescheuter und witziger, als um solche alte dumme Bräuche abzuschaffen und desto besser zu sich selbsten zu sehen.« »So redet mancher Lümmel«, sagte die Frau, »und sieht nicht, wie er mit all seiner Weisheit, mit Leib und Seele, mit Weib und Kind dem Teufel zusteuert.«
Das war der Eingang zu einem gewaltigen Ehegewitter, welchem lange böses Ehewetter folgte.
Wie Gewitter, Feuerberg und Schlacht sich ähnlich sind in Feuer, Donner, Dampf und Graus, Anfang, Fortgang und Ende, und doch weder das Eine noch das Andere sich gleich sind, so umfaßt ein Wetter am Ehehimmel alle jene drei in Ähnlichkeiten und Unähnlichkeiten, es ist ein wild, wüst, grausig Ding, und ein solches brach auch aus zwischen Lisi und Christen, scheinbar ganz um nichts und wieder nichts. Aber da hatte es sich auch schon lange angesammelt, aufgestaucht innerlich, während es äußerlich ganz windstill gewesen war. Lisi war über ihren Mann sehr böse, der immer freisinniger ward, immer weniger tat, das Vaterland immer mehr liebte, immer weniger daheim war, immer hochmütiger wurde, je weniger er taugte, immer brutaler, je liberaler er sich nannte, immer unbarmherziger gegen die Armen, je mehr er als Volksliebhaber und Freiheitsfreund sich gebärdete, immer mehr über die Herren schimpfte, immer mehr den Herrn machte, immer mehr von bessern Zeiten sprach und immer mehr den Grund zu Bösem legte und legen half, immer lauter von Selbständigkeit sprach und immer handgreiflicher von andern ausgebeutet wurde. Dieses alles kochte schon lange in Lisis Herz, und seit einem Jahre immer heftiger; so lange kocht es selten in einem Weiberherz, ohne loszudonnern. Bei Christen kochte es ebenfalls nicht schlecht. Es schien ihm, seine Frau hielte zu wenig auf seine Sache, ästimiere ihn zu wenig, mute ihm zu viel zu, trage seiner Stellung zu wenig Rechnung, habe zu viel ihren eigenen Kopf, sei zu träge, ihre Sachen zu machen und seine dazu, sei viel zu altväterisch, eigentlich viel zu dumm für ihn, spare am unrechten Orte, sei wiederum freigebig am unrechten Orte, gebe sich überhaupt viel zu viel mit schechten Leuten ab und sei viel zu abergläubisch, das heißt christlich, und wenn man leben wolle zeitgemäß, so spränge sie an den Wänden hinauf wie eine tolle Katze. Das alles ging längst in ihnen herum wie Wurmpulver, und Selbstgespräche waren längst gehalten worden lange und bündige, gegen welche die Reden der angebranntesten Großräte zarte Wiegenlieder sind. Die unglückliche Käthi berührte unglücklicherweise die aufgeschwollenen Zornwolken, sie gerieten aneinander, und jetzt brachs los, was längst in Beider Herzen kochte. Rasch ging die Schlacht los, alle Truppen wurden ins Feuer gejagt, die Batterien spieen einander die Grundsuppe ins Gesicht, die Schüsse brannte man sich in die Augen, die Munition wurde verschossen bis auf die Patrone, welche schon am Tage nach der Hochzeit gemacht wurde; nur zum Handgemenge kam es nicht, das Terrain gabs nicht zu, Mangel an Munition und Entkräftung machten der Schlacht ein Ende. Christen lief ins Wirtshaus, ergab sich dem Vaterland und verschrie seine Frau, Lisi blieb daheim und weinte sich fast die Augen aus dem Kopfe über des Mannes entschiedenen Fortschritt.
Wie schnell einer fleißigen alten Frau die Tage durch die Finger rinnen, begreift nicht, wer im geschäftigen Müßiggange lebt; der Buß- und Bettag, die eigentliche Herbstweihe, war da, ehe Käthi daran dachte.
Je älter Käthi ward, desto inbrünstiger feierte sie diesen Tag, sie fühlte, wie leicht in den kurzen Tagen ihr der immer kürzer werdende Atem ausgehen könnte. Selig zu sterben, war ihr höchster Wunsch; aber zu leben, bis Johannesli selbst fortkommen könnte, das war der zweite, den sie freilich nicht mit Worten ausdrückte am Bettage, aber alle Tage mit unaussprechlichen Seufzern. Käthi freute sich aber auch, Gott zu danken an diesem Tage.
Käthi, trotz kürzlich gemachter Erfahrungen, behauptete doch, sie hätte nie geglaubt, daß die Leute so gut seien und sie ihnen so lieb, und wenn sie nicht verhagelt worden wäre, so hätte sie dies nie erfahren; darum habe sie Gott zu loben und zu preisen, daß er ihr dies in ihren alten Tagen noch gezeigt.
Der Pfarrer predigte gewaltig von der Sünde und von der Gnade, den Übeltaten der Menschen, den Guttaten des Herrn. Es sei Zeit, umzukehren und sich zu bekehren, der Herr habe warnend den Finger aufgehoben; auf den Unbußfertigen und Verstockten werde sich legen des Herrn schwere, gewaltige Hand. Käthi hatte gebetet, geschauert, sich gefreut und ging heim fast wie in einer heiligen Wolke.
Käthi flutete nicht lange im Strome der Menge, sie lenkte seitwärts ab; sie liebte das Geschwätz der meisten Kirchengänger nicht, welche statt der eigenen Sünden die mutmaßlichen Schwächen der Nächsten verhandelten. An ihrer Hand zottelte Johannesli, welcher in der Kirche vaterländisch geschlafen hatte, jetzt übellaunig war, über Durst klagte, ums Trinken die Großmutter übel plagte. »Dem mußt abhelfen, Frau!« erscholl hinter ihnen eine rauhe Stimme, »ein solch Bübli darf man nicht so befehlen lassen, potz Sacker!« »Hörst jetzt«, sagte Käthi, »der Mann hat es gehört, wie du ein Zwängischer bist, jetzt kannst dich schämen.« »Er wird es so gewohnt sein«, sagte der graue Mann, von dem die Stimme kam, mit gutmütigem Lachen. »Allweg ists besser, man sage es, wenn man durstig ist, als man saufe den Leuten hinterm Rücken kübelweise. Sieh, dort bei jenem Hause mußt du zu trinken haben, bis du selbst sagst, jetzt sei es genug.« »Mag nicht Wasser, will Milch!« schrie der Junge.
Was Käthi das ungern hatte und wie sie auch redete, sie machte die Sache immer schlimmer. »Tritt ein, Frau«, sagte der Mann, »heute dressierst du deinen Jungen nicht anders. Frau, da bringe ich dir einen Jungen, der Milch will, hast welche?« sagte er zu seinem Weibe, welches sie erwartend auf des Hauses Terrasse stand. »Der soll Milch haben und Kaffee dazu, wenn er will. Wir kochen am Bettag nie Fleisch«, sagte sie zu Käthi, »machen es kurz über Mittag, damit zur Kirche kann, wer laufen mag; nachmittags schmeckt dann ein Kaffee doppelt gut.«
Der Mann ging dem Hause zu, Johannesli zögernd nach, Käthi blieb stehen mitten auf der Straße. »Seh, komm«, rief die Frau, »und halte mit, du hast doch nichts zu tun daheim.« Käthi weigerte sich, sagte, das wäre viel zu unverschämt, das mache sie nicht, und ließ sich erst bewegen, zu gehn, als der Mann sagte: »He nun, wenn du ihn nichts schätzest und meinst, meine Frau mache den Kaffee dir zu schlecht, so wollen wir dich nicht zwingen.« Kommend wehrte sich Käthi doch noch und meinte, sie dürfe wahrlich nicht mit ihnen Kaffee trinken, das sei gar nicht anständig. »Hätte nicht geglaubt, daß du so hochmütig seiest und dich unser verschämtest«, sagte der Mann. »Komm du«, meinte die Frau, »sonst mußt du noch mehr hören. Wenn er ans Trümpfen kommt, so wäre es mir manchmal lieber, er hätte die Peitsche in der Hand als Trümpfe im Maul.«
Noch vor dem Hause meinte Käthi, in die Stube dürfe sie nicht; wenn man ihr eine Tasse da auf die Bank geben wolle, so wolle sie es mit grausamem Danke angenommen haben. »Mach nicht länger Schneckentänze! Hast nicht gehört, was der Pfarrer gesagt hat: wir seien alle arme Sünder, Reiche und Arme, und in manchen Stücken hätten sich die Reichen vor den Armen zu schämen, erstlich wegen dem Beispiel und zweitens wegem Hochmut. Und jetzt marsch!«
Es war Käthi ganz eigen zu Mute, als sie da in dem vornehmen Hause zu Tische saß, und wenn der Kaffee schon sehr gut war, wie sie ihn seit Jahren nicht getrunken, so tat es ihr noch wohler, und zwar nachhaltend, daß solche Leute sich ihrer nicht schämten und mit ihr umgingen akkurat wie mit ihresgleichen. Drei Tassen voll mußte Käthi trinken, den Rest des aufgestellten schönen Emmentaler Käses wickelte die Frau ihr in ein Papier, sie mußte ihn in die Tasche stecken, und als sie fort wollte, fragte der Mann: »Hast zu pressieren?« »Apart nicht«, antwortete Käthi, »zu kochen brauche ich heute nicht mehr; ich habe gegessen und getrunken, ich könnte es vierundzwanzig Stunden aushalten.« »Das könnte dir doch wohl zu lange werden«, bemerkte er. »So komm und sitz ab«. Somit saß er selbst auf die große grüne Bank vor dem Hause, rief seine Frau, sie solle auch kommen, und Käthi mußte zu ihnen sitzen, wo alle Leute es sehen konnten.
Es war ein schöner Abend.
In stiller Freude saßen sie auf der Bank, wechselten trauliche Worte, und wenn sie schon weltlich lauteten, klangen sie doch feierlich und geistlich in den Seelen. Sie merkten das Eilen der Zeit nicht, und wer weiß, wie lange sie zusammengesessen hätten, wenn Johannesli nicht nach Kinderweise Heimweh bekommen und immer ungestümer heimbegehrt hätte. »Den dressiere dann anders«, sagte der Mann beim Abschied, »und komm bald wieder. Es Plätzli und es Bitzli ist immer da für dich.«
In stillem Glücke ging Käthi heim, so wohl war es ihr lange nicht gewesen.