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Neuntes Kapitel. Volksdiplomatik und Volksjustiz

Wenn man alte Rosse ausschirrt, so gehen sie ordentlich dem Stalle zu und machen sichs behaglich, schirrt man junge Rosse unachtsam aus, schlagen sie hinten und vorne aus und suchen das Weite. Hört am Samstagabend die Arbeit auf, freuen sich die Alten der Ruhe, das junge Volk aber, wenn der Zügel ihm freigelassen ist, springt erst jetzt zu vollem Leben auf, zu allen Streichen und Schwänken aufgelegt.

Vor dem Dorfe, zu welchem Käthi gehörte, lagen gezimmerte Balken zu einem neuen Hause; dort sammelten sich eines Samstagabends die jungen Bursche, tubakten und schwatzten, als ob sie eigentlich nichts wollten als tubaken und schwatzen. Als aber allgemach die Leute sich verliefen, niemand mehr zu sehen war als der Mann im Monde, frug einer: »Laßt sehn, was muß jetzt gehn?« Er ginge mit, sagte einer, bis nach Sprützligen, und täten sie einen Sprützliger Burschen erwischen, wollten sie ihn abklopfen nach Noten und dann durchs Wasser ziehen wie gebauchtes Garn. Die Sprützliger Buben wollten allenthalben Hans oben im Dorfe sein. Am letzten Solothurner Markt seien sie ihnen den Weg vorgelaufen, aber mit langer Nase hätten sie abziehen müssen; ein Mädchen hätte es ihnen verraten, und da sei es ihnen wohl gekommen, daß mehr als ein Weg sei auf der Welt. Heute seien jetzt ihrer Viele beieinander, sie könnten es ihnen eintreiben.

Da erhob sich noch eine Stimme: Ein andermal sei ihm das Eine, das Andere recht, auf ein paar Prügel mehr oder weniger komme es ihm nicht an, Birnen liebe er und auch den Wein; aber diesmal hülfe er zur Seltenheit alten Weibern was machen zLieb und zEhr. Der Grotzenbauer habe alten Weiber die Dornhalde angewiesen, um Reiswellen zu machen zum Erdäpfeldörren; er hülfe ausziehen, dort den alten Weibern die Wedeln hacken, und wenn Buchäste und Tännlein ihnen in der Dunkelheit in die Finger kämen statt Dornen, so sei eben die Dunkelheit daran schuld und nicht sie. Gingen sie rasch dranhin, so sei gemacht, was die alten Weiber in acht Tagen nicht fertig brächten, und vielleicht sei noch Zeit, sie ihnen gleich vor das Haus zu bringen, daß die Bauern mit dem Fahren nicht geplagt würden. Der Vorschlag fand rasch Beifall, es war was Neues, und bei allgemeinem Beifall verstummen bekanntlich diplomatische Bedenken.

Bloß ein klein, eitel Knechtlein, an dem nichts groß war als der Hochmut, begehrte schrecklich auf: Für solch alte Hexen, welche einem nicht einmal einen Schnaps zu geben vermöchten, rühre er keinen Finger, und er habe Durst und wolle saufen, bis er nicht mehr Babi sagen könne. So brüllte das Bürschli und streckte dabei seine Pfeife hoch, als ob er Löcher stechen wolle in die Sterne. Aber kein Mensch sah den Brüllhund über die Achsel an. »Wer nicht in zehn Minuten mit einem Werkholz beim Kräzerntürli ist, zahlt eine Maß«, hieß es, und zerstoben war der ganze Haufe bis an das halbbatzige Knechtlein. Dieses fluchte erst eine ganze Zeit lang, endlich sagte es: »He nun, wenn sie nicht wollen, so will ich. Das Meitschi im Surgraben wird es haben wie die anderen; wenn Hirsche nicht kommen, sind Hasen auch gut.« Er ging, machte den Zärtlichen, kriegte Kopf und Buckel voll Schläge, mußte acht Tage das Bett hüten und wußte nicht einmal, von wem er das Schmerzengeld fordern könne, und das war das Schlimmste.

Am folgenden Morgen war, wo zwei zusammenkamen, zwischen ihnen die Frage: »Nein aber, hasts auch gehört in Grotzenbauers Dornhalde, wie doch das gemacht hat! Was ists wohl gewesen?« Wer es nicht gehört hatte, dem erzählte man: Zwei Stund vor Mitternacht und zwei Stund nach Mitternacht habe es an der Dornhalde gehackt, gerasselt, geschleift, als ob hundert Holzer dort gewesen seien, und doch seien es nicht Holzer gewesen, man habe keinen meschlichen Laut gehört; zuletzt seien Wagen davongerasselt, aber Pferde hätte man keine gehört. Die Gelehrten waren auch da verschiedener Meinung. Die einen meinten, es sei der Zwingherr auf der Wartburg, welcher dort den Schatz hüten müsse, der habe Holz geholt und müsse Dornen hacken, wenn er Holz haben wolle; es werde einen grausam kalten Winter geben, man könne sich in acht nehmen. Andere glaubten nicht an den Zwingherrn, aber Herrenköchinnen seien es gewesen, sagten sie, welche grausam Holz verschwendet und immer drei Scheiter gebraucht, wo sie es mit einem halben hätten machen können; die schicke der Teufel auch bei aufgehendem Mond herum, Dornbündel zu machen zu Hauptkissen für böse Weiber, welche Kinder in Kost genommen und sie schlecht und unbarmherzig hielten. So erzählten die Leute, und selben Morgen ward gar mancher Kaffee später getrunken als sonst, weil die Bäurin das Feuer wieder ausgehen ließ, die arme Frau die geholte Milch eine Stunde später als sonst nach Hause brachte.

So gings auch mit der Kirche. Der Pfarrer war ganz verwundert, so wenig Leute zu finden, als er auf die Kanzel kam. Viele kamen später, viele nicht; sie gingen nach der Dornhalde, nachzusehen, ob man da etwas sehe, und was. Käthi hatte sich auch verspätet, so kam sie nicht mit Menschen zu reden; bloß so im Hinterdreingehen hörte sie etwas von Dornhalden und Teufel, aber sie wußte nicht, was die Leute damit meinten.

Ob Käthi in der Predigt andächtig war, wissen wir nicht; aber sobald die Kirche aus war, fingen die Leute wieder davon an, und Käthi vernahm Bericht, was man gehört und was man denke und meine, und Käthi erschrak sehr. »Der liebe Gott soll mich bewahren, was muß ich erleben! Sollte ich dem Teufel, Gott sei bei uns, so lieb und wert sein, daß er mir Holz zum Hause schafft? Das kann doch wohl nicht sein!« Als die Leute sie ansahen, erzählte sie, wie sie diesen Morgen, als sie Wasser im Bache geholt, um Kaffee zu machen, einen prächtigen Haufen, wohl bei hundert Wellen, vor ihrem Fenster gesehen, und prächtige Wellen, viel grobes Holz, tannenes und sogar buchenes darin. Sie sei ganz versteinert und habe denken müssen, sie seien aus dem Boden gewachsen, denn sie habe einen so leisen Schlaf, daß sie es höre, wenn ein Mäuslein gähne, und die ganze Nacht sei sie nie erwacht, hätte keinen Menschen ums Haus herum gehört. Sie sei ganz verblüfft gewesen, hätte mit nichts fertig, nicht zum Fragen kommen können. Wenn sie doch dr tusig Gottswille wüßte, wie der Haufe daher gekommen sei, und ihr nur jemand wieder davonhülfe.

»Fürs selbe laß dir keine grauen Haare wachsen«, sagte ein Mann, »vom Holz kömmt man immer, und wenn man es vom Teufel selbsten hätte. Aber wast du nicht an die Dornhalde gewiesen, um Wellen zu machen?« »Wohl«, sagte Käthi. »Dort wurde diese Nacht geholzet. Hast du etwa jemand hingesandt?« frug der Mann. »Was denkst«, sagte Käthi, »wer wollte mir gegangen sein, und solche Wellen gibt es nicht an der Dornhalde.« »'s ist doch kurios«, sagte der Mann, »da wird wohl ein Zusammenhang sein zwischen deinem Holz und dem Holzen dort. Es will mir fast in Sinn kommen, wer die Ungeheuer waren.«

Da stellte sich eine Bäurin mit unterstellten Armen, so dick wie Zwölfpfünderröhren, und einem Gesichte wie das Zifferblatt an einem Kirchturme, vor ihr Haus und rief mit einer Stimme, wie sie der Goliath gehabt haben wird, als er das Volk Israel ausspottete: »Kann Euch aus dem Gwunder helfen! Soeben brachte man unser Knechtlein halb totgeschlagen, und als man ihn fragte, ob denn die andern ihm nicht geholfen, sagte er, es sei keine Gerechtigkeit mehr im Himmel und auf Erden; er habe nicht einen Holzschelm abgeben wollen wie die andern, die gegangen, dem Grotzenbauer zu holzen, und weil er keinen Schelm habe abgeben wollen, so habe er jetzt so heillos Schläge gekriegt; ob das jetzt recht sei?«

»So, also die Nachtbuben haben den Spuk gemacht«, sagte ein Mann, und viel ward gelacht über das Stücklein, und nur hier und da nannte man es ein kreuzdummes, dieweil es noch nicht erhört worden sei, daß man wegen drei armen alten Weibern einen Bauer bös gemacht.

Da erschrak Käthi sehr, denn wer siebenzig Jahre alt wird, ist so weit in seinen Erfahrungen, daß er weiß, wie, wenn zwei große Mächte (und Nachtbuben sind eine Macht) einander recht böse gemacht, eine dritte schwache ihren Zorn entgelten muß. Also warm machte sie sich dem Grotzenbauer zu, den sie nicht in der Kirche gesehen hatte. Seit er freisinnig geworden, sah man ihn selten dort. Er schäme sich, sagte er, so mit allem Schelmen- und Lumpenpack zusammenzusitzen, für einen Liberalen schicke sich das nicht.

Käthi traf ihn noch am Frühstück an. Gestern abends war er in einer Kneipe dem Vaterland obgelegen und hatte es grausam geliebet, bis er den Mond nicht mehr von den Sternen unterscheiden konnte, den Dorfbach für die Heerstraße ansah, den Kirchturm für den Nachtwächter und ihn prügelte, weil er ihm nicht aus dem Wege wollte. Es ging lange, bis er was von der Sache begriff, deretwegen Käthi sich tausendfältig entschuldigte; als ihm endlich ein Licht aufging, ward er schrecklich zornig, und je mehr Käthi sich entschuldigte, wie sie sich der ganzen Sache nichts vermöge, sie ihr von ganzem Herzen leid sei, desto mehr zog sie des Bauern Zorn auf sich. Wenn es so gemeint sei, sagte er, so vermöge er das Häuschen leer zu lassen, wenn er nicht Hausleute finde, welche es besser mit ihm meinten und seine Gesinnung mit ihm teilten. Aber er wisse es wohl, sie sei auch so eine verfluchte Konservative!

Vom Frühstück weg lief er stracks, den Schaden zu sehen, kam noch zorniger heim, aber langsamer, denn bei jedem Begegnenden stellte er sich und fluchte sich fast die Finger ab, wie er es den Schelmenbuben anstreichen wolle.

Auf der Stelle spannte er an und fuhr die Wellen heim, welche die Weiber zu viel erhalten. Er wollte alle nehmen, aber das litt seine Frau nicht. Drei Weiber waren ihm zugeteilt, und jede sollte vierzig Wellen machen können; nun hatte jedes Weib einen Haufen von wenigstens achtzig beim Hause, und nicht Dornwellen, sondern ganz andere. Es wollte ihm fast das Herz abdrücken, daß seine Frau mit geballter Faust ihm erklärt hatte, er solle ihr das Herrgotts sein und ein Stück von den vierzig einem Weibe wegführen, sie sei dann auch noch da und habe was zur Sache zu sagen.

Nun richtete er seinen ganzen Zorn gegen die Nachtbuben; denen wolle er einen Konto machen, daß ihnen das Wedelnmachen ihr Lebtag verginge, drohte er. Man wollte es ihm ausreden, stellte ihm vor, an den Nachtbuben gewinne niemand was, am besten komme man aus mit ihnen, wenn man lache zum Spaß. Wolle man sich rächen, so greife man in ein Wespennest; den letzten Streich wollten sie haben, das sei gewiß.

Er klagte förmlich und ward, wie üblich, zur »Versöhnung« gewiesen. Volkstümliche Behörden befassen sich nicht gerne mit Klagen gegen das Volk, und namentlich nicht gegen Nachtbuben, die Parteien zur Freundlichkeit weisen ist kürzer. Bleibt der Fortschritt entschieden, so wird ganz sicher bei allen Diebstählen nicht weiter amtlich verfahren, als die Parteien, das heißt den Dieb und den Bestohlenen, an eine »Versöhnung« zu verweisen. Der Urheber des Vorschlags erschien an derselben. Es war ein stiller Bursche, aber einer, der ein heißes Herz hatte. Er haßte alle Ungerechtigkeit, alle Heuchelei, geistliche und weltliche, haßte ärger als falsches Geld alle falschen Wort. Daneben war Hans vermögend, hatte so viel Bildung, um ein eigen Urteil zu haben, war also wirklich innerlich und äußerlich unabhängig und selbständig, souverän.

Hans trieb an der »Versöhnung« das Gespött mit dem Grotzenbauer. Das werde seine Liebe zum Volke sein, daß er alte Weiber, um Wellen zu machen, an seine Dornen weise, und das seine Freisinnigkeit, daß er nicht einmal andern'erlauben wolle, der alten Weiber sich zu erbarmen. Wenn es junge Weiber gewesen wären, vielleicht daß er ihnen näher einen schicklichem Platz gewußt hätte, um Wellen zu machen! Begreiflich loderte der Grotzenbauer auf wie ein Feuerteufel, auf welchen feuriger Schwamm gelegt wird, und wer weiß, wie weit er in seiner freisinnigen Kultur gegangen wäre, wenn er nicht einen unwillkürlichen Respekt vor Hanses sehr tüchtigen Knochen verspürt hätte. Er begnügte sich daher mit Schimpfen und sagte: Wer ihm wegem Weibervolk Schlechtes nachrede, lüge wie ein Schelm, und in anderer Leute Wald zu holzen wie ein Schelm und Spitzbub, dessen hätte er sich sein Lebtag geschämt. Wenn das ihn angehen solle, so wolle er vermahnt haben, sagte Hans. Sie hätten für alte Weiber Reiswellen gemacht, da wo es ihnen erlaubt gewesen sei und jedenfalls sei er ihnen den Macherlohn schuldig, und unverschämt genug werde er nicht sein, ihnen nicht wenigstens einen Schnaps einzuschenken, wenn sie ihm nächsten Samstag vors Haus kämen. Sie wüßten zwar wohl, daß er freisinnig sei; aber für so unverschämt hielten sie ihn doch wirklich nicht, daß er für das Wedelnmachen nicht wenigstens ein Trinkgeld gebe.

Da meinte der Vermittler: Ja, darum sei es nicht zu tun. Der Bauer habe geklagt, und jetzt frage es sich nicht, was derselbe tun wolle, sondern wie sie ihn zufrieden zu stellen und was er zu empfangen hätte an seinen Schaden. Da gebe er keinen faulen Rappen, sagte Hans, und wie sonst üblich, solle der Vermittler in der Mitte sein und nicht dem einen oder dem andern sein Agent; aber das werde die neue Mode sein. »Sei es, wie es wolle, so behalte ich mir meine Rechte vor«, und »Adie wohl!« so sprach Hans. Man wollte ihn zurückbehalten, aber Hans war fort. Nun saß man da, sah sich verblüfft an, und endlich ward man einig, das Beste sei, man rede so wenig mehr von der Sache als möglich, denn der Hans sei ein Donners Bub.


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