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Drittes Kapitel. Der Großmutter Vergangenheit

Der geneigte Leser wird es nicht ungern haben, wenn wir Käthis Vergangenheit und gegenwärtige Lage eingermaßen beleuchten.

Vor fünfzig Jahren war die alte Frau ein armes, aber rüstiges und hübsches Mädchen gewesen. Kätheli hatte man sie damals genannt. Da war ihr begreiflich auch die Liebe angekommen zu einem gutmütigen Burschen, der aber ärmer war als sie, das heißt, beide hatten kein Geld, aber Kätheli mehr Gaben, mehr Überlegung und Ausdauer. Er tat, was ihm geheißen wurde, nahm, was ihm geboten ward; aber etwas für sich zu beginnen, seine Lage zu verändern, dazu fehlte ihm nicht bloß Kraft und Einsicht, sondern wir glauben wirklich, er habe niemals daran gedacht, das war zu kühn selbst für seine Gedanken.

Die Leute hatten Kätheli diese Heirat sehr widerraten, denn Kätheli war von denen eine, welche allen Leuten lieb sind. Wenn es geheiratet sein müsse, so finde sie in dreißig Jahren noch einen Solchen, sagten ihr alle. Allein, wer allen Leuten lieb ist, muß auch viele Liebe im Herzen haben. Käthelis Liebe fand kaum Platz in ihrem Herzen; sie glaubte, es sei jetzt gut und sonst nimmermehr, und heiratete Sami. Das erste Kind gaben sie in Kost, und Kätheli diente wieder. Als das zweite anrückte, mußte sie den Dienst verlassen; sie glaubten, zu zwei Kostgeldern reiche ihr Lohn nicht hin, mit einer Haushaltung kämen sie besser fort, und einmal müsse es doch sein. Das Anschaffen des Hausgerätes, ein Bett, eine Pfanne, einige Töpfe und Schüsselchen, zehrte ihr ganzes Vermögen auf. So eine Haushaltung einzurichten, sei ein schrecklich Ding, sagten sie; sie hätten es nie gedacht, daß das so viel kostete, bis man nur das Halbe habe von dem, was man nötig hätte. Sami hatte dreißig Taler Lohn und einiges Trinkgeld von verkauftem Vieh, fünfzehn Taler betrug die Miete für eine kleine Wohnung und ein Stück Pflanzland, fünfzehn Taler blieben noch für den Rest übrig, das heißt für die ganze Haushaltung, Essen, Trinken, Kleidung und das beiderseitige Privatvergnügen. Kätheli rechnete daneben auf vielen Nebenverdienst. Wenn man den Leuten anständig sei, so gebe es viel zu verdienen und daneben noch manches. Man müsse in Gottes Namen sehen, wie man es mache. Die Hauptsache sei, daß man sich nach der Decke strecke. Das Übrige werde Gott dann schon machen, so rechnete Kätheli. So begannen sie guten Mutes, und es ging wirklich, und zwar recht wunderbar. Es ging umgekehrt wie in vielen reichen Häusern, wo man von vorneherein mehr als genug sieht und hinterher viel zu wenig hat. Hätte man ihren Bedarf in Zahlen gefaßt, ihren Verdienst dagegen gestellt, so wäre immer viel zu wenig gewesen, und doch hatten sie am Ende des Jahres genug, und manchmal noch einen Kreuzer Geld. Knapp ging es freilich zu, und was Kätheli tat und entbehrte, davon haben tausend und abermal tausend Damen zu Stadt und Land keine Vorstellung; aber Kätheli liebte ihren Haushalt, Sami, Kinder und alles, was dazu gehörte; ihm in guten Treuen vorzustehen, das war ihr Ehrenpunkt, ihre Krone, und wo Liebe und Treue ist, da wird die Bürde leicht und sanft das Joch. An Privatvergnügen dachte keines, für Wein und Schnaps gab Sami das Jahr durch keinen Batzen aus und stand deswegen keine grausamen Entbehrungen aus. Erstlich war er nicht daran gewöhnt, und zweitens dachte er nicht daran, sondern an Weib und Kinder.

Kätheli brauchte nichts für sich, als dann und wann etwas für Schuhe. In der ledigen Zeit hatte sie für Kleider gesorgt, und zwar für gute, haltbare und nicht für lumpichte Fähnchen. Jetzt konnte sie für die Kinder sorgen und doch ehrbar yor die Leute treten. Kätheli trug die Hauptlast, hatte Kinder im Umsehen; keins konnte dem andern helfen, man hätte alle mit einer Wanne zudecken können. Vier Kinder warten und verdienen dazu, dafür sorgen, daß die Kinder aus den Händen wachsen, das ist eine strenge Sache. Aber Kätheli hatte die Kinder lieb, sie waren keine Last, sie waren ihre Blumen; sie zu reinigen und zu pflegen, war ihre Freude und Erholung. Darum siechten sie nicht, überstanden rasch und leicht die Kinderkrankheiten. Freilich mußte dabei die Mutter oft ganze Nächte wachen; wenn eins schwieg, schrie das andere. Sie spann dann zwischen den Kindern, legte, wenn der Schlaf gar zu mächtig wurde, für einige Augenblicke die Arme auf den Tisch, den Kopf darauf, und mußte doch am Morgen früh wieder an die Arbeit. Aber Kätheli meinte nicht, es müsse nicht so sein, sondern schickte sich darein, schimpfte nicht über den Mann, daß der ihr nicht half, sondern wahrscheinlich ruhig im Bette lag. Sie schimpfte ebenso wenig über die reiche Bäurin, welche eine Kindermagd hatte, Milch im Keller und Geld im Sack; daß sie arm geboren worden, hatte Gott geordnet, und an der Heirat war sie selber schuld, und zur selben Zeit haßte und verfolgte man seinen Nebenmenschen nicht um Dinge willen, welche Gott getan oder welche man selbst getan. Käthelis Hauptsorge war, genug Erdäpfel zu pflanzen, und gelang es, daß die alten langten, bis die neuen kamen, so war sie freudenvoll; geriet dazu noch der Flachs, daß sie einige Pfund verspinnen und verkaufen konnte, so dankte sie Gott am Neujahr für das gesegnete Jahr und bat, wenn es sein Wille wäre, daß das kommende nicht schlimmer sein möchte. Wenn dann an einem Sonntage Sami, der Vater, heimkam, was selten geschah, da er nicht in der Nähe diente, so war es ein Familienfest. Wie am Baume die Raupen, krochen die Kinder an ihm auf, in heller Freude lief Kätheli herum und tat ihm Gutes, was in ihren Kräften stand. Nie klagte sie, wie bös sie es hätte, oder verglich neidisch die beiderseitige Bürde, sondern lobte die Kinder, hatte die größte Freude, verdiente Batzen zu zeigen oder das Fla[*]chsgeld zu Samis Lohn zu legen als Steuer für die Miete. Solche Tage stärkten dann aber auch Sami; das Lob seiner Frau posaunte er aus, so weit er konnte, sparte um so eifriger und wandte das nächste Mal ein Trinkgeld zu einem kleinen Krämlein für Weib und Kinder an, zu einem weißen Brötchen, einer Flasche Wein oder einigen Lebkuchen.

Freilich, wenn der Winter vor die Türe kam, gabs schwere Tage, wie das Geld gestreckt werden könne, daß es reiche den lieben langen Winter durch zu Kleidern, Öl, Holz und was eine Haushaltung sonst noch bedarf. Und Kätheli streckte es so gut wie möglich, und da sie vielen Leuten lieb war, taten ihr diese Leute auch viel Gutes. Manchmal war die Not ganz vor der Türe; dann erschien wie von Gott gesandt plötzlich ein Pate oder eine Patin vor der Türe und verjagte die Not. Wahrscheinlich hatte der liebe Gott seine absonderliche Freude daran, wie dankbar und demütig Kätheli jede Gabe empfing und wie sie dann dieselbe also zu Gemüte faßte, daß nie verzagen solle, wer[*] noch glaube an den alten Gott, und daß er gezählt habe alle Haare auf unserm Haupte. In der Gegend, in welcher Kätheli wohnte, gehörten die Wälder einzelnen Besitzern, arme Leute baten diese um Holz; da war wohl kein Bauer, welcher Kätheli eine solche Bitte abgeschlagen und nicht beigefügt hätte: »Hast du es zusammengelesen, so sags, so kann man es dir heimfahren.« Und wenn Kätheli sagte, sie dürfe doch nicht so unverschämt sein und diese Mühe ihnen zumuten, so hieß es: »Wenn niemand unverschämter wäre, so wäre es gut.« Und wer treu ausharrt, dem bleibt die Hilfe nicht aus, und Käthelis Pflege der Kinder ward vergolten durch die Kinder selbst. Freilich ist diese Hilfe zuerst nur klein, und törichte Mütter weisen sie ganz von der Hand, weil dieselbe sie anfangs nur zur versäumen scheint. Sobald die Kinder ihr von dem Arme liefen, leitete Kätheli sie an, sich selbst zu helfen, sich gegenseitig zu helfen, der Mutter bei der Arbeit nicht im Wege zu sein. Von Natur war Kätheli freundlich gegen fremde Leute und gegen ihre Kinder. Diese Töne hörten die Kinder der Mutter ab, wurden freundlich untereinander, die Mutter versäumte wenig Zeit damit, Streit zu schlichten und Heulen zu beschwichtigen. Jedes Haus hat seine eigene Tonart. Man spricht viel vom guten Ton; der wahre gute Ton für Alt und Jung, für Reiche und Arme und für alle fünf Weltteile wäre doch der milde Ton, der freundliche Ton, in welchem die Liebe liegt, welche aus dem Herzen kommt.

Das älteste Mädchen konnte bald geschickt werden, Öl, Kaffee beim Krämer, Brot beim Bäcker zu holen. Für ein fleißig Weibchen, welchem jede Minute eine Münze ist, ist dies schon eine bedeutende Erleichterung. Redselige Weibchen freilich fragen solchen Erleichterungen wenig nach! Dann lernten sie auch einen Kreuzer verdienen. Was das für ein Jubel war, als sie den ersten verdienten Kreuzer in Händen hatten! Sie konnten kaum mehr schlafen, konnten nicht erwarten, bis der Vater heimkam, daß sie ihm denselben zeigen konnten. Der gute Sami begriff nicht, was das Freudengeschrei zu bedeuten hatte, mit welchem man ihn empfing, ob etwa ein Sack mit Geld dur[*]chs Dach gefallen oder die Mäuse im Häuschen zu Ochsen geraten seien.

So viel Verstand hatte Sami, zu begreifen, daß der erste Kreuzer, welchen ein Kind verdient, mehr wert ist als ein Sack Geld, welcher durchs Dach fällt. Der Fund vermindert sich nach und nach, der Verdienst mehrt sich, wird alle Tage neu. Es kam ein großer Trieb zu verdienen in die Kinder; das Ziel ihres Strebens war, der Mutter eine Ziege kaufen zu können, damit sie selbst Milch hätten, die Mutter nicht mehr so sauer das Geld dazu verdienen müßte. Futter für eine solche wollten sie schon sammeln, meinten sie; alle Jahre kriege eine Ziege ein Gitzi, so hätten sie alle Jahre eine Ziege mehr, könnten Milch verkaufen, viel, viel, und mit dem Gelde könnten sie dann ein Häuschen kaufen und eine Kuh, vielleicht gar ein Roß.

Das sind schöne Tage in einer Mutter Leben, wenn sie Kraft in den Kindern sich entfalten sieht; aber noch schöner werden sie, wenn sie sieht, daß die Liebe der Kinder ihr diese Kräfte weihen, die Erstlinge ihrer Anstrengungen ihr zum Opfer bringen will. Indessen fehlten auch die bösen Tage in Käthelis Leben nicht; Krankheiten und Mißwachs stellten sie oft weit, weit zurück, aber Kätheli nahm sie hin in Ergebenheit und Geduld. Sie weinte wohl auch bitterlich, aber sie verarbeitete die Drangsal im Gemüte, bis sie beten konnte: »Der Herr hats gegeben, der Herr hats genommen, der Name des Herrn sei gelobt.« Darum wurde Kätheli bei allem Unglück nie unglücklich, war bei allem Unglück unendlich glücklicher als mancher arme Teufel, Graf und Fürst, welche Geld haben wie Heu und Hochmut wie ein Bauernhaus, aber weder Frieden noch Genügen.

Aus dem Kätheli ward ein Käthi, es wußte niemand wie, gerade so, wie niemand weiß, wann er eigentlich alt wird, ja oft nicht einmal, wie er aus einem Dreißiger zu einem Fünfziger gerät. Die Kinder wuchsen ihr nicht bloß aus den Händen, sondern auch aus dem Häuschen. Die Leute stritten sich fast um sie für Dienstboten; sie waren treu und fromm, reinlich und fleißig, genügsam und freundlich, an Arbeit und nicht an Butterbrot gewöhnt. Nun konnte es Käthi nach vieler Leute Meinung gut haben, das heißt weniger arbeiten und besser essen. Aber das wäre für Käthi kein Guthaben gewesen; denn es ist eben nicht bloß ein Guthaben auf der Welt, sondern jede Richtung des Sinnes oder des Gemütes hat ihr eigenes Guthaben, und dieses begreifen viele Philosophen, ja selbst viele Räte nicht. Käthis Guthaben war, wenn sie ihren Kindern was Liebes und Gutes erweisen konnte, und es dünkte sie zehnmal besser, sich etwas abzudarben, um einem Kinde eine Freude zu machen, als dasselbe selbst zu genießen.

Sie war ihre Wäscherin, strickte ihnen Strümpfe an, schenkte ihnen Leinewand zu Hemden, wenigstens zu Hemdenärmeln, sie war ihre sichtbare Vorsehung, und an das Sorgen für ihre alten Tage dachte sie nicht, dachte auch nicht daran, daß eine solche aufopfernde Liebe eben das beste Sorgen sei. Die Kinder erkannten aber auch diese Treue, denn Käthi hatte sie nicht verzärtelt, nicht meisterlos erzogen, Käthis Liebe war nicht die blinde; diese ists, welche selbstsüchtige, undankbare Kinder erzieht. Käthis Kinder vergaßen die Mutter nicht, sie besuchten sie oft und krameten ihr, was in ihren Kräften stand. Dafür kriegten sie jedesmal Schelte, und Käthi war imstande, ein weißes Brötchen vierzehn Tage zu sparen, weil es sie reute, es selbst zu essen, und hoffte, einem andern Kinde damit aufwarten zu können. Die Kinder besuchten sie oft, denn sie hielten das Bewußtsein, eine Heimat zu haben, als ihr höchstes Gut; »gottlob«, sagten sie, »es mag mir gehen, wie es will, so weiß ich doch wohin, und muß nicht zu fremden Leuten oder gar auf die Gemeinde.« Dieses Bewußtsein, eine Heimat zu haben, in derselben ein mitleidig Herz, eine milde Hand, eine ruhige Ecke, um unverkümmert zu genesen oder zu sterben, ist ein unbeschreiblicher Trost und bewahrt vor vielem: viele Mädchen vor leichtsinnigem Buhlen, viele Burschen vor unzeitigem Heiraten. Wer einen warmen Ofentritt weiß, wo er ruhig absitzen kann, ein gut Mütterchen dazu, welches von weitem fragt: »Was hast, was magst, wo fehlts?«, der hat einen Halt im Leben, eine gewisse Zuversicht; er kann warten, bis er erstarket ist, auf eigenen Beinen zu stehen vermag, ehe er einen eigenen Haushalt gründet und auf die Schultern nimmt.

Diesem nebst dem guten Grunde im Herzen hatte es Käthi zu verdanken, daß es keinen sogenannten Verdruß an den Kindern erlebte. Anderem Leiden und Weinen jedoch enthob Gott sie nicht; sie war ihm lieb, und wen er lieb hat, dessen Herz läutert er durch Leid. Erwachsen erkrankten die meisten ihrer Kinder, suchten die Heimat und starben dort. Ein solcher Tod tat jedesmal Käthi grausam weh, es war ihr, als ob ein Stück vom Herzen geschnitten würde, denn ihr Leben war in ihren Kindern, und doch blieben alle diese Ereignisse in süßem Gedenken.

Käthi mußte manchmal jammern im Laufe der Jahre, denn bis auf zwei starben ihr alle Kinder, und eben wie es elterlichen Herzen gewöhnlich am schmerzlichsten ist, erwachsen und gut geraten, wenn die Freude an ihnen eben in der schönsten Blüte war. Zwei Kinder blieben, eine Tochter und das jüngste Kind, ein Knabe. Die Tochter heiratete weit weg ins Züribiet.

Kaum war ihr das Mädchen aus den Augen, so brachte man ihr Sami heim. Eine harte Krankheit war in langsames Siechtum übergegangen und hatte Sami zu jeglichem Dienst unfähig gemacht. Sami war grausam wunderlich; nichts war ihm recht, und was Käthi auch tat, es war ihm immer zu wenig. Er verzappelte vor Angst, nichts verdienen zu können, denn woher sollte die Miete kommen, wenn sein Lohn ausblieb? Und daß es so langsam ging, daran sollte Käthi schuld sein; wenn sie besser zu ihm sehen, seinen Sache besser besorgen würde, er wäre längst wieder gesund. Der Doktor predigte ihm dringlich Geduld, aber Sami verlor allen Glauben zu ihm. Der Schelm könnte die Sache, aber er begehre ihm nicht zu helfen, er gebe ihm absichtlich schlechtes Zeug, welches nicht anschlagen wolle, um desto länger ihm sein Geld abnehmen zu können. Er wollte daher zu andern Ärzten und mit brav Essen seine Gesundheit erzwingen. Käthi, welche einige Erfahrung gewonnen und zum Arzt, der ihr schon oft gar treu beigestanden, ein unbedingtes Zutrauen hatte, war gegen beides. Nun trug Sami das Mißtrauen gegen den Arzt auf Käthi über, meinte, auch sie begehre nicht, daß er auf komme, ein jüngerer Mann wäre ihr lieber, sonst würde sie das Geld nicht reuen, zu andern Ärzten zu gehen oder bessere Speise ihm zu geben, von der er auch essen möge.

Der gute Sami war zum ersten Male krank in seinem Leben und zum ersten Mal daheim in seinem kleinen Haushalt, das brachte er aber nicht in Anschlag. Er konnte nicht arbeiten, daher dünkte ihn das Essen schlecht, bei so schlechtem Essen könnte er also nicht gesund werden. An eine große Haushaltung gewöhnt, wo Hülle und Fülle war und große Schüsseln auf den Tisch kamen, sah er nirgends genug und meinte, Käthi gönne es ihm nicht, obgleich immer mehr da war, als er aß. Er begann zu glauben, Käthi hätte schlecht gehaushaltet, sei schuld, daß sie nicht zu Gelde gekommen, die Kinder so früh gestorben, und wenn er es Käthi auch nicht auf den Kopf zusagte, so sah man doch, daß er es dachte. Das tat Käthi sehr weh, daß sie dies am Ende ihrer Ehe noch erleben mußte, war doch Sami sonst ganz anders und hatten doch die Kinder der Mutter Güte empfunden und erkannt bis zum letzten Augenblicke, und tat sie Sami noch mehr als den Kindern! Sie kannte die Ursachen von Samis Stimmung nicht recht, versuchte alle Tage, es ihm recht zu machen, ihm zu zeigen, wie gerne sie ihn pflegte, und traf es doch nicht, stellte ihn nicht zufrieden. Es wollte ihr fast das Herz abdrücken, wenn Sami seufzte: Er hätte sein Lebtag so großen Lohn verdient, allen heimgegeben, und jetzt wisse er nicht, wo er hingekommen, denn wohin man sehe, sei nichts. Wußte doch Käthi am besten, wie sie abgeteilt, wie kleine Teile es gegeben, wie hart sie gearbeitet und dabei doch zuweilen hungrig zu Bette gegangen sei. So durfte sie Sami die Bedrängnis, in welche sie nach und nach geraten, nicht einmal mittei[*]len, aus Furcht, er werfe ihr vor, daran schuld zu sein; dennoch verwand Käthi diese geistige und leibliche Not recht ritterlich, ließ sie Sami nicht entgelten.

Käthi sagte ebenfalls nicht, wie es wohl manche Frau in ihrer Stelle getan hätte, es werde hoffentlich bald eine Änderung geben, es ginge dann ihr und Sami wohl, und wenns gestorben sein müsse, so wolle sie am liebsten, es würde je eher je lieber geschehen, von wegen der Mühe und wegen den Kosten, sie möge Sami die ewige Ruhe von Herzen gönnen. Und als Sami endlich starb, weinte sie nicht bloß, sondern sie trug wirklich großes Leid im Herzen. Er sei ein gar Guter und Treuer gewesen, und keinen Kreuzer hätte er unnötig vertan. Wenn sie ihn wieder lebendig machen könnte, sie wartete keinen Augenblick, sie habe grausam Sehnsucht nach ihm, es dünke sie, sie habe niemand mehr auf der Welt.

Buchstäblich war dies nicht zu nehmen, und bald darauf hätte Käthi auch nicht mehr so gesprochen; denn einen Anhaltepunkt in der Welt, ohne welchen ein Mensch nicht gerne ist, absonderlich ein Weib nicht, fand sie alsbald wieder, und zwar in ihrem noch übrig gebliebenen Kinde. Johannesli hieß dieses, war bereits aus dem elterlichen Hause, als der Vater starb, ein munterer, aufgeweckter Bursche; diesem wandte sie nun das Herz ungeteilt zu, und sobald sie sich aus den dringendsten Nöten gearbeitet hatte, begann sie, dem Sohne zu helfen mit allerlei. Wenn er ihr etwas kramte oder sonst helfen wollte, so entschuldigte er sich wohl wie üblich, daß es nicht mehr sei; aber der Lohn sei klein, mit diesem wollten die Bauern nicht nach, während doch alles teuerer sei als ehedem und man ohnehin auch mehr brauchen müsse des allgemeinen Gebrauches wegen. Das glaubte Käthi natürlich, verbat sich alle Hülfe und bedauerte sonst noch das arme Kind gar sehr.

Nun aber hat es eine sehr eigentümliche und zwar sehr gefährliche Bewandtnis mit dem Bedauern. Gar zu gerne ist jeder Mensch geneigt, sich selbst zu bedauern, zu glauben, es gehe ihm bös, er werde nicht nach Verdienst angesehen von Gott und Menschen. Kommt aber noch einer hinzu und sagt ihm, und er braucht es ihm nicht alle Tage dreimal zu sagen: »Du Armer, wie du mich doch dauern kannst, so einer wie du und so bös haben und solchen Dank, solchen Lohn, nein, es ist gar zu arg; ich und meine Frau sagen es alle Tage zu einander, einen geplagteren Menschen, als du seist, gebe es nicht«, so ist der Teufel los. Ist der so Bedauerte ein vierschrötiger Bauer, so wird ihm halb ohnmächtig, er muß sich setzen; aber dann ballt er die Fäuste und flucht: »Aber jetzt habe ichs satt, den will ich, wohl!« Ist derselbe aber nicht vierschrötig, sondern schmächtigerer Art, Schulmeister oder gar Regent, so wird der ganz ohnmächtig, fällt dahin wie ein Ochs, und kommt er wieder halb zu sich, so weint er Ströme und seufzt, daß es knallt und grollt, als ob Lawinen donnerten, und wirft die Hände über den Rücken, daß es dem Mond übel wird, die Sterne das Zittern kriegen, die Sonne selbst ein verblüfft Gesicht macht, weil sie nicht weiß, soll sie retirieren oder stehen bleiben.

Geschieht solches Helden, so kann man es Käthis Johannesli nicht verübeln, wenn er bei stetigem Bedauern der Mutter wirklich den Wahn kriegte, er sei zu bedauern und hätte der Mutter Hülfe wirklich noch nötig. Es ging ihm wie vielen Kindern: sie überschätzen die Lage der Eltern, wollen nicht begreifen, wie es ihnen geht, besonders wenn sie nicht bei ihnen wohnen oder ihre Geschäfte nicht teilen. Er dachte nicht daran, wie leicht ein Taler ihm aus den Händen ging und wie schwer es der Mutter ward, wie manchen Bissen sie ihrem Munde abbrechen mußte, ehe sie für ihren Johannesli ein Hemd errungen und erschunden. Leider gefiel derselbe nicht bloß der Mutter wohl, sondern auch den Mädchen, und das Geschick wollte, daß wie um den Paris drei Göttinnen, um Johannesli drei Näherinnen sich stritten. Alle drei taten zimperlig, aber spröde waren alle drei nicht, auch waren alle sehr beredt wie Ratsherren und wußten zum Beispiel handgreiflich darzutun, wie darin das größte Lebensglück liege, daß man die Unflate, die Schneider, los werde, und dies geschehe auf keine Weise bündiger und angenehmer, als wenn einem das Glück wolle, daß man eine Näherin zur Frau kriege.

Da nun wirklich Johannesli sich so bedaurungswürdig glaubte, als die Mutter es ihm sagte, so begann er zu denken, es sei wenigstens schon etwas gewonnen, wenn er einem Unglück entrinne, den Unflaten, den Schneidern; daß man aus dem Regen in die Traufe kommen könne, war er zu jung, um es zu wissen. Schwierigkeiten und Bedenken verursachte ihm die Auswahl. In der Zärtlichkeit merkte er keinen großen Unterschied; wenn sie nähten, machten alle drei Stiche, und wegen Schönheit und Reichtum konnte keine der anderen etwas vorhalten. Endlich kam er zum Schluß, da werde Liebe und Hülfe am größten sein, wo man ihm am meisten schenke und ihn am meisten rühme. So heiratete Johannesli sein Lisettli, glaubte sich nun aller Not enthoben, von allen Unflaten frei und dachte wirklich an einen Himmel nicht bloß voll gewöhnlicher Geigen, sondern voller Baßgeigen.

Käthi hatte große Freude an dieser Heirat, obgleich sie sich in ihrer Demut vor einer so vornehmen und geschickten Frau fast schämte. So ein anschlägig und geschickt Mensch sei ihr viel lieber, sagte sie, als eine reiche Bauerntochter, welche alle Tage ihrem Bub den Reichtum vorhielte. Begreiflich hatte Johannesli sein Lisettli der Mutter sehr gerühmt und gesagt, wie es eine rechte Mutter an ihm gewesen. Das zog bei Käthi, sie war nicht, wie viele Mütter sind, sie war nicht eifersüchtig, liebte ihren Buben nicht um ihretwillen, sondern um seinetwillen. Wenn ihr auch an der Schwiegertochter einiges auffiel, so nahm sie ihren Verstand gefangen und urteilte: Es sei halt eine neue Welt und nicht mehr wie ehedem, das werde jetzt so sein müssen, und zweitens sei sie eine Näherin, und die werden zeigen müssen, was wohl anstehe und jetzt Mode sei, wegem Verdienst. Der Schwiegertochter gefiel die Schwiegermutter desto weniger; das sei eine alte, dumme Frau, sagte sie; ehe sie bei einer solchen sein möchte, wollte sie lieber betteln gehen. Lisettli dachte nicht daran, daß man sich mit Worten so gut versündigen könne als mit Taten.

Als nun Lisettli Frau war, so änderte sich das Ding akkurat wie bei den Volksliebhabern; das Rühmen und Schenken hörte auf, jetzt sollte der Mann den Brotkorb vorstellen, jetzt wollte Lisettli ernten, es hatte lange genug ausgesäet, wollte ruhen einem Wanderer gleich, welcher einen steilen Berg erstiegen hat. Es kam dem Johannesli, der nun ebenfalls zum Johannes avancierte, sonderbar vor, als die Sache sich so änderte, als nun auf einmal Lisettlis Verdienst nicht reichte, als er an allen Ecken und Enden zuschießen sollte, und wenn er es nicht tat, ein schlechter Kerl, ein Bauernlümmel und grober Joggi genannt, mit Tränen und Schmollen regaliert wurde. Er hatte einmal gehört, man müsse sich nicht unterdrücken lassen, und einmal komme der Fall, wo man zeigen müsse, wer der Mann sei und die Hosen anhabe, dann habe man gewonnen für immer. Bei einem Anlaß, wo Lisettli munter ihre Schrepfhörner an seinen Geldsäckel setzte, der ohnehin nicht viel ertragen mochte, da wollte er nun zeigen wer Meister sei, und fabrizierte ein Donnerwetter, das schrecklich sein sollte. Aber gemachte Wetter bleiben gemachte Wetter; es knallt, aber es wirkt nicht. Lisettli, potz Wetter, führte eine Batterie auf, daß Johannes lange schwieg, als Lisettlis Batterie noch lange, lange fortdonnerte, ja daß er Lisettli der tusig Gottswillen bat, es solle wieder zufrieden, gut sein; wenn er gewußt hätte, in was für Umständen sie sei, er hätte ja nichts gesagt, und sie hätte ihm sagen sollen, wie es mit ihr stände, dann wäre er nicht so gekommen; er wisse doch wohl noch, was Brauch sei. Je mehr er einlenkte, desto schärfer donnerte Lisettlis Batterie. Wer nicht besonnen angreift, besonders wenn er zum erstenmal ein Gefecht macht, der wird nicht bloß diesmal vollständig geschlagen, sondern er wird zumeist sein Lebtag kein Held mehr. Je mehr er gutmachen wollte, desto länger schmollte Lisettli und lebte derweilen besser als gar manche Bäurin in solchen Umständen; das gute Leben schlug ihr in die Glieder, daß sie nicht nur übermütig ward gegen ihren Mann, sondern auch vornehm tat gegen die Kunden. Leider sind nun Kunden mit einer Näherin nicht verheiratet, meinen bei der stattfindenden Auswahl nicht, daß sie sich alle Flausen gefallen lassen müßten; ein Kunde nach dem andern ging ab. Nun gab es böse Zeiten, und Lisettli hielt sie nicht aus.

Daß die Enden sich berühren, sagt das Sprüchwort; daß aus dem unverständig hoffärtigen Mädchen nicht eine Hausfrau, sondern eine Haussau wird, das lehrt die Erfahrung. Lisettli ward das unappetitlichste Weib, welches man sehen konnte: Sauberes einen Kreuzer groß hätte man am Lieb und um den Lieb nicht gefunden, und hätte man einen Fürsprecher mit einer Doppelbrille dazu beauftragt; Besen hatte es keinen und flicken tat es nichts, und wärs ein Loch gewesen, durch welches man ein Dorf samt der Kirche hätte stoßen können. Johannes tat, was er aufbringen mochte; aber es war, als ob er Wasser gieße auf einen heißen Stein. Das erste Kind starb, das zweite war auf dem Wege. Lisettli bedurfte je länger, je mehr, verdiente je länger, je weniger. Johannes wußte keinen Rat, als für seine Frau die Heimat anzusprechen, wie alle seine Geschwister getan, wenn Not an Mann kam. Die Mutter war mit allen Freuden bereit, obgleich sie von Lisettli nie ein Liebeszeichen empfangen hatte, desto wüster aber tat Lisettli; das sei nichts als Aufweisung von der alten Hexe, sagte sie, aber der wolle sie es eintreiben, sie sei ihr gut dafür. Was sie dachte, hielt sie auch.

Was Käthi tat, war ihr nicht recht, und was Käthi hatte, vertat Lisettli und klagte daneben allen Leuten und absichtlich, daß die Mutter es hören mußte, wie dieselbe wüst gegen sie sei, und wenn sie sterben müsse, so solle sich darüber niemand wundern. Anfänglich nahm das Käthi sehr zu Herzen; Lisettli und Johannesli waren als ein Fleisch und nicht mehr zwei im gleichen Verschlag ihres Herzens. Aber allmählig nahm Käthi eine geheime Ehescheidung vor, bugsierte Lisettli hinaus und bedauerte Johannes grausam, daß er an eine solche Frau geraten und einen solchen Schuhvoll habe herausnehmen müssen. Sie wisse wohl, das, was einem beschieden sei, sei ihm beschieden, und was einem auf die Nase fallen solle, falle einem nicht auf die Füße; aber sie müsse bekennen, vom lieben Gott dünke es sie streng, daß gerade ihr Johannes, ihr einzig Kind, mit einer solchen Frau geschlagen worden sei. Es liefen doch der Maulaffen genug herum, für die es gar nicht schade gewesen wäre, wenn sie ein solches Lisettli hätten haben müssen. Sie könne nichts Bessere wünschen, als daß der liebe Gott wieder von einander täte, was er zusammengetan, und je eher er es täte, desto weniger würden sie sich aneinander versündigen. Sie wünsche Lisettli gar nicht den Tod, aber denken hätte sie schon manchmal müssen, ein Mensch, wenn er nicht gesund sein könne und nicht arbeiten möge, sei nirgends wohler als im Himmel.

So redete Käthi, aber nicht vor der Schwiegertochter. Doch für solche Dinge, für Haß und Liebe haben die Weiber ein fein Gefühl; Lisettli warf der Mutter nicht bloß vor, sie sähe sie gerne sterben, sondern behauptete steif und fest, sie bete sie zu Tode, sie fühle ganz deutlich, wie ein Stück Leben nach dem andern weggebetet werde. Das solle ihr aber nichts nützen; wenn es gestorben sein müsse, so wolle sie der alten Hexe eine Suppe anrichten, worob sie das Maul verbrennen solle, daß ihr das Beten vergehe in alle Ewigkeit. Kam dann Johannes, so fielen beide Teile ihn mit ihren Klagen an, daß er nichts zu sagen wußte als, er könne in Gottes Namen nicht helfen, sie sollten Geduld haben, der Fehler werde auf beiden Seiten sein; was aber niemand so recht glauben wollte. Endlich gebar Lisettli einen Knaben, mochte ihn aber kaum ansehen, hatte gar keine Liebe zu ihm. Die Großmutter dagegen empfing ihn mit der größten Freude, breitete ihre schützenden Fittige über ihn aus, unter welchen er zu einem kräftigen Buben gedieh. Je mehr die Großmutter daran Freude hatte, desto mehr ärgerte sich Lisettli und behauptete, die Großmutter pflege das Kind so gut bloß aus Bosheit, um zu zeigen, daß sie Kinder mit dem Leben davonbringen könne, was Lisettli nicht gekonnt. So verzehrte Lisettli selbst noch den Rest ihrer Lebenskräfte; sie starb, und als ihr Leib der Erde wiedergegeben war, war es in Käthis Häuschen fast, als ob ein bös Geschwür, welches alle gesunden Säfte an sich gezogen, den ganzen Körper krank gemacht, aufgegangen sei. Der Schmerz hatte aufgehört, das Behagen, welches Genesende empfinden, stellte sich ein, Käthi atmete frisch auf, ein trüber Schleier, welcher sich über ihr Leben gelegt hatte, war zerrissen; sie sah in eine Zukunft hinein voll Rosenrot und Sonnenschein, wie es sie dünkte, eine unbeschreibliche Freude am Großkinde glänzte in ihrer Seele auf. Diese Freude war nicht bloß die übliche großmütterliche, sondern sie hatte noch eine tiefere, eigentümliche Bedeutung.

Es war Käthi gegangen, wie es vielen Weibern geht. Sie hatte sich, ohne es zu wissen oder zu wollen, der Kirche entwöhnt. Ein Weib, welches allein haushaltet, ein Kind nach dem andern hat und kein Kindermädchen dazu, entwöhnt sich leicht der Kirche. Es fehlt die Zeit dazu; die Kinder darf man nicht allein lassen, und der Sonntagmorgen ist für ein Weib, welches die Woche durch verdienen muß, eine gar verführerische Zeit, manches in der Haushaltung nachzuholen, für was in der Woche keine Zeit war. Es wäre auch anders zu machen, wenn das Beispiel da wäre und ein rechter Ernst in der Zeit, denn bei den Katholiken sieht das anders aus. Als endlich andere Zeiten kamen, die Pflege von Kindern Käthi nicht mehr so scharf ans Haus fesselte, da waren die Kleider alt geworden; und was die Leute sagen und denken würden, wenn sie wieder zur Kirche ginge, daran dachte Käthi ebenfalls, und das Letzte namentlich hielt sie ab, denn die Furcht vor den Leuten und was dieser oder jener sagen würde oder gar denken, will den Leuten nicht aus dem Leibe, sogar Majestäten nicht. Dabei war Käthi treu und fromm geblieben, dachte an Gott, betete zu Gott, las fleißig Gottes Wort und übte sein Gebot nach dem Maße der erhaltenen Kräfte. Eine Lücke blieb ihr doch im Herzen, ein wunder Fleck, welchen zu heilen sie nicht die Kraft fand. Das Missen der Sakramente und der Verkündigung des lebendigen Wortes schmerzte Käthi. Mit tiefer Sehnsucht dachte sie an die Zeit der Unterweisung, des Tages, an welchem sie die Erlaubnis zum heiligen Abendmahl erhalten, an den Tag, an welchem sie es zum erstenmale genossen hatte, und wie es ihr da so heiß gewesen sei im Herzen, als ob Feuer darin sei oder Gottes Auge, welches schaue, was darinnen sei, und wie sie sich gefreut, daß sie, das arme Mädchen, in einem Bunde sei mit Gott und den besten Menschen der Erde, mit hohen und niedern, weisen und unmündigen. So freute sich also Käthi der großen Tage in ihrem Leben und auch des Tages, an welchem ihre Ehe vor Gott geheiligt wurde; aber die eingerissene Gewohnheit zu überwältigen, dazu fehlte ihr die Kraft. Das aber ließ sie sich nicht nehmen, am Samstag aufzuräumen ums Häuschen, zu fegen, was sich fegen ließ, sich und die Kinder zu waschen, und zwar gründlich und nicht so oberflächlich, wie zuweilen die hoffärtigsten Mädchen tun. Am Sonntag waren sie und die Kinder rein angezogen, die schlechten Hemdchen so rein als möglich gewaschen. Das sei der Tag des Herrn, sagte Käthi, habe der Pfarrer gesagt, und da schicke es sich doch, daß man rein zu sein suche vor dem Herrn inwendig und auch auswendig; zudem sei er auch der Gedächtnistag an das verlorne Paradies und der Verheißungstag, daß wer wieder rein zu werden trachte, wie der Heiland rein gewesen, statt des Paradieses den Himmel finden werde.

Wenn die Leute lachen und spotten wollten, solch Aufräumen und Reinhalten sei nicht für arme Leute, die hätten das Arbeiten nötiger, das sei nur Hoffart, so blieb Käthi hier standhaft und sagte: Sei das, wie es wolle, so sei sie es gewöhnt von Jugend auf und habe noch nie gemerkt, daß es ihr schade. Sie denke, der Herr des Sonntags sei auch der Herr der Woche, und wenn man seiner am Sonntag gedenke, so werde er nicht Gutes mit Bösem vergelten, sondern durch die Woche auch derer gedenken, welche den Sabbat feierten und heiligten, daß sie nicht darum weniger hätten. Wenn am Sonntag es dann zur Kirche läutete, so saß Käthi gerne auf einem Bänklein und gedachte ihrer schönen großen Tage, und Tränen kamen ihr in die Augen; aber deswegen ging sie doch nicht mit den Christen, den Herrn zu verehren.

Als Johannesli geboren wurde, da sollte Käthi dessen Patin sein. Lange weigerte sie sich dessen, mußte am Ende doch nachgeben. Am Abend vor dem Tauftage war es ihr gar seltsam zumute, fast wie am Abend vor dem ersten Abendmahl oder vor dem Hochzeittage; im Schlafe ängstigten sie allerlei Träume, sie ließ das Kind fallen, sie gab es dem Pfarrer verkehrt, daß er es bei den Beinen taufte, sie sagte die Namen unrichtig, daß das Kind Anne Bäbi geheißen ward. Als sie das Kind zur Taufe trug, hatte sie Angst wie ein siebenzehnjährig Mädchen, und erst als sie das Kind abgegeben hatte, saß und singen hörte, da wich die Angst und es ward wirklich wieder ein großer Tag für Käthi. Derselbe brach die Macht der Gewohnheit, verwischte das Bangen vor den Menschen und knüpfte Käthi wieder mit der Gemeinde zusammen. Sie hatte erfahren, daß an den geringen Kleidern niemand Ärgernis nahm, ging nun, so oft sie konnte, zur Kirche, und es tat ihr unbeschreiblich wohl; es stärkte ihren Glauben an die Menschen, ihr Vertrauen auf Gott, es ward ihr viel heiterer vor den Augen, viel leichter im Herzen, und dieses hatte sie dem Johannesli zu verdanken; er war ihr von Gott gesandt, sie wieder einzuführen in sein Haus. Sie hatte nun wieder ein Kind, welches sie nicht mit der Welt teilen mußte, bloß mit einzelnen Spenden erfreuen durfte, ein Kind, welchem sie leben, vergelten konnte, was es ihr getan.

Wie in einem Brennglase die Sonnenstrahlen zusammenlaufen und zum zündenden Strahle werden, während sie vereinzelt bloß leidlich wärmen, so sammelte sich Käthis Kindesliebe auf Käthis großmütterlichem Herzen und strahlte in vielfach erhöhter Glut über das geliebte Großkind. Ein Armer, welcher einen Schatz gefunden, ein Seefahrer, welcher ein neu Land entdeckt, ein Held, welcher einen Weltteil erobert oder zwei, können nicht größere Freude haben als Käthi am Großkinde, denn ein Mensch kann nicht mehr Freude haben als das Herz voll, und so viel Freude hatte Käthi. Dann aber war ein großer Unterschied zwischen Käthis und des Helden Freude: die Freude des Helden ist am größten gleich nach errungenem Siege, schrumpft dann alsbald wieder zusammen in den Mühen und Kümmernissen, welche die Behauptung der Eroberung mit sich bringt; die Freude der Großmutter wächst jeden Tag, wächst mit dem Kinde, jede Sonne bescheint neu entdeckte Schönheiten und Tugenden, und diese wachsende Freude dehnt das Herz aus täglich und zersprengt es doch nicht. Tag und Nacht ließ Käthi ihren Schatz nicht aus den Augen; ging sie einen Schritt von Hause, trug sie ihn auf den Armen mit herum, bei der Arbeit lag er in einem Korbe neben ihr, des Nachts hatte sie ihn in ihrem Bette, und wenn er sie nicht schlafen ließ, so war sie am glücklichsten, denn dann konnte sie sich ungestört ihres Bübchens freuen.

Diese Liebe dachte begreiflich an kein Kostgeld. Als Lisettli starb, nahm man als ausgemacht an, das Kind bleibe bei der Großmutter. »Komm zuweilen und sieh, was es macht«, sagte Käthi zum Sohne. »Ja«, sagte der Sohn, »und was mir möglich ist, werde ich tun.« Das war die Abrede, und bei dieser blieb es. Was der Sohn brachte, nahm Käthi gerne, nicht ihretwegen, sondern um ihres kleinen Abgotts willen, dann hatte der es desto besser. Kam der Vater aber lange nicht oder brachte er nichts, so klagte sie nicht, forderte sie nichts, sondern dachte, er werde nicht fortkommen können oder sein Geld haben brauchen müssen. Dieser Mangel an Nötigung jedoch taugte für den Vater Johannes nicht, er mochte ihn nicht ertragen. Johannes war kein böser Mensch, aber von denen einer, die am schlimmsten werden können. Ihm fehlte die Kraft der Selbstüberwindung und Selbstbestimmung, er hing von denen ab, mit welchen er in Berührung kam. Wer ihn zum Beispiel recht unter dem Daumen hielt, konnte ihm all sein Geld abnehmen, wer es ihm aber nicht abnötigte, dem gab er keinen Kreuzer, sondern opferte es alsdann seinen Gelüsten. Er hatte viel zu früh geheiratet, weder an Leib noch Seele ausgewachsen; er wußte, daß er eine Frau hatte, die sagte ihm, was er zu tun hätte, was er mit seinem Gelde machen solle. Als Lisettli starb, hörte dieser Druck auf, und Käthi legte ihm keinen neuen auf; er ward frei, atmete wieder frisch auf.

Es gibt Zeiten, wo der Versucher gar heftig umhergeht wie ein brüllender Löwe und sucht, wen er verschlinge, und da nimmt er denn gar gerne die, welche frisch aufatmen, sich was gönnen wollen. Unglücklicherweise traf es sich gerade in einer solchen Zeit, als Johannes frisch aufatmen, sich was gönnen wollte. Johannes war Soldat, und zwar ein hübscher, der Freude am Soldatenspiel hatte, dem Auge der Obern sich gefällig darstellte, dem man eine Sache nicht siebenmal sagen und dazu noch jedes Wort mit sieben Rippenstößen begleiten mußte. Es traf sich in einer Zeit, wo er alle Augenblicke in die Uniform mußte; das kostet Geld, bringt gar manchen rückwärts, absonderlich einen Knecht, der mit seinem Lohn noch jemand ernähren sollte. Er war, obgleich Knecht, ausnahmsweise noch Korporal, und darauf hielt er viel und Käthi noch mehr. Wir sind weit davon entfernt, Johannes und Käthi auszulachen, weil sie Gewicht auf einen Ehrenposten setzten; wir sind überzeugt, solche Stufenerhöhungen in der Gesellschaft sind durchaus notwendig, nicht bloß um der Ordnung willen, sondern um der Trägheit aufzuhelfen, den menschlichen Kräften einen höhern, edlern Schwung zu geben.

Johannes sprang allemal hoch auf vor Freude, wenn ein Aufgebot kam für eine Garnison oder ein Lager oder sonst was, war zehnmal lieber unterm Gewehr als im Tenn oder am Pfluge. Es war nicht seine Sache, welche er versäumte, und das Geld, welches er vertrat, reute ihn nicht, er gönnte es sich, lag doch keine Schuldigkeit auf ihm, und wenn er mit leeren Händen zur Mutter kam, so entschuldigte ihn diese besser, als er selbst konnte.

Das Jahr 1844 nahm die militärische Jugend gar sehr in Anspruch mit allerlei Spielereien und allerlei Teufeleien, und als man endlich sich in Ruhe glaubte für dieses Jahr, sprengte ein quasidiplomatischer Handstreich die Bataillone neu auf die Beine, aber zu früh; die Mine ging zu früh los, der Schuß hintenaus.

Den Rest seines Lohnes, den er für die Mutter aufgespart hatte, mußte Johannes einziehen, und wenn es schon nicht lange dauerte, so ging doch sein Geld dahin. Im Winter bei den langen Abenden, im Gebirge in Eis und Schnee macht ein Korporal es nicht mit seinem Solde, und was bei solchem Wetter an Schuhwerk draufgeht, ist ebenfalls keine Kleinigkeit. Die Mutter mußte es entgelten, mußte den Hauszins allein schaffen, ging wahrhaftig manchmal hungerig zu Bette, um einige Tropfen Milch, einige Bissen Brot zu sparen.

Johannes hatte versprochen, Lohn einzuziehen, sobald er dürfe; da hagelten neue Aufgebote in alle Häuser, und auf die Beine mußte aufs neue die Miliz. Die Regierungen und die entschiedenen Fortschrittler hatten Blindekuh miteinander gespielt; unter den sogenannten Augen der Regierungen hatten die Freischärler sich gebildet, waren bundesbrüchig in den Kanton Luzern eingefallen, und wer von ihnen noch laufen konnte, zu allen Löchern, welche sie fanden, wieder hinausgestoben. Jetzt konnten die unschuldigen Milizen büßen, konnte der Landmann büßen, welchem die Arbeit stille stand, mußten des gebrochenen Friedens wegen auf den Beinen sein, die Ruhe zu bewahren. Der arbeitsreiche April wurde vermilizlet, teilweise in ausgehungerten Quartieren brauchte der Soldat sein Geld, und Johannes kam so arm heim, daß er die Mutter dringlich bat, sie sollte ihm doch waschen, er hätte weder saubere Wäsche mehr noch einen Kreuzer Geld für die Wäscherin, und Käthi tat es mit großem Bedauern für den Johannes; aber daß sie manchmal nicht genug aß, das sagte sie nicht. Daß sie im Rückstand mit dem Hauszins geblieben war, welcher halb am sogenannten Frauentag oder der Maria Verkündigung fällig gewesen war, das wußte Johannes.

Käthi hatte auf den Johannes gezählt, der mußte ins Feld, hatte die Hoffnung auf den Flachs gesetzt, der war verhagelt. Nun, als siebenzigjähriges Mütterchen, nach so vielem Schaffen und Arbeiten, war sie übler daran als je. Rückstände, nichts zum Verkaufen, niemand, der sich ihrer annahm, einen Sohn, der nicht einmal kam zu sehen, wie es Mutter und Kind gehe, und die Mutter hatte ihn doch so sehnlich erwartet ? das war Käthis Lage und dieses ihr Lebenslauf.


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