Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Achtes Kapitel. Vom Verlauf der Frage, und wie es Käthi und andern dabei geht

Das erste, was man sicheres vernahm, war eben, daß die angesteckten Kartoffeln nicht giftig seien und mit Vorsicht genossen werden könnten. Wenn es recht finster ist, kömmt das kleinste Licht willkommen, und wo man das Ärgste erwartet hat, ist jede Milderung ein Trost. »Gottlob«, sagte Käthi, »so ist doch nicht alles verloren. Es war mir von Anfang, ich wollte mich darein ergeben, wenn man doch nur zur Notdurft zu essen hätte. Gottlob, es ist doch einer über uns, und der lebt noch[*].«

Das zweite, was man glaubte, war, daß man die Erdäpfel so rasch als möglich aus dem Boden machen müsse. Das traf sich nun in eine Zeit, wo man ohnehin alle Hände voll zu tun hat, und in ein Jahr, wo man der vielen Regentage wegen ohnehin mit allen Arbeiten zurück war.

Da wurden die Hände rar. Nicht bloß die gewohnten Leute mußten alle an Tanz, und kein Bauer knauserte und wollte alles mit seinen eigenen Leuten erzwingen. Da sandte man hinaus auf die Kreuzwege und las zusammen, was man fand, fragte nicht, ob sie taub, blind oder lahm seien, sondern bloß, ob sie Erdäpfel ausmachen oder doch wenigstens auflesen könnten.

Die meisten ärmern Leute haben ihre Häuser oder ihr Haus, aus welchem ihnen ihr Verdienst zuwächst, wo sie nachrechnen, wann sie wieder hingehen oder ihnen was zufallen könne, und wo sie es sehr übel nehmen, wenn sie einmal übergangen werden sollten. Jetzt aber dachte jeder Arme: Wenn es nur Gottes Wille wäre, daß mich niemand bestellte, daß ich meine zuerst ausmachen könnte. Und nun klopfte nicht bloß ein Finger an sein Fensterchen, sondern mancher, die Fragen purzelten ordentlich übereinander. »Hab dich wollen fragen, ob du morgen kommen könnest? Bin schon an sieben Orten gewesen und an allen hatten sie schon versprochen, und Leute müssen wir haben, selb ist fertig!« Diese reichen Nachfragen freuten den Armen nicht. Gepreßt sagte er: »Kann nicht kommen, hab schon versprochen, wäre aber lieber daheim geblieben«, und macht mit Seufzen das Fensterchen wieder zu. Er muß gehn und andere ausmachen, seine im Boden lassen. Äußerer Zwang ist freilich keiner da, aber er denkt: Lasse ich den Bauer stecken in seiner Not, so hilft er mir auch nicht in meiner Not.

Es scheint schrecklich, daß der Arme dem Reichen helfen muß, sein Vieles retten, statt daß der Reiche dem Armen zuerst hilft, sein Weniges aus dem Boden machen, daß der Arme einem solchen Zwange zu unterliegen scheint, nicht von einem solchen emanzipiert wird. So scheint es theoretisch, und so wurde es auch ein Dachstübchengelehrter darstellen, der für die Emanzipation des Volkes schreibt, im Grunde aber sich vom Dachstübchen emanzipieren und zu einem komfortabeln Leben, zuweilen mit etwas Champagner, verhelfen möchte. Indessen sieht dieses viel grausamer aus, als es wirklich ist. Vor allem aus darf man das patriarchalische Verhältnis, welches gottlob noch öfter stattfindet, als man denkt, nicht vergessen. Der Reiche, welchem der Arme arbeitet, wird vom Armen betrachtet als seine sichtbare Vorsehung, welche ihn nicht im Stiche läßt, und der Reiche ists auch. Bedarf der Arme was, Geld, Holz, Zug, Taufzeugen, so ists bei seinem Bauer nie Nein, wie er sagt, und sagt jener: »Ich sollte morgen absolut daheim sein«, so sagt der Reiche: »Es ist lätz, es ist mir zwider, aber wenn du es nicht anders machen kannst, so seis, aber übermorgen komme mir, du weißt, was zu tun ist.« Nun betrachtet sich der Arme auch als dem Reichen notwendig, er glaubt, ohne ihn könne es dort nicht gehen, das ist sein Stolz. Ferner hat der fromme Arme, welcher seine Abhängigkeit von einem höhern Willen täglich erkennt und bekennt, zumeist mehr Ergebung und Geduld als der Reiche, welchem mehr Mittel zu Gebote stehen, den eigenen Willen durchzusetzen, welcher mehr zwängen kann. Was der Arme entbehrt, darf ferner nicht beurteilt werden vom Standpunkte des verwöhnten Menschen und des verderbten Menschen, der meint, was der Reichste genieße, sei Bedürfnis für alle, weil ihm der Neid dasselbe zum Bedürfnis macht. Es muß beurteilt werden mit den Augen des Armen selbst.

So ists im gewöhnlichen; nun aber war die Kartoffelkrankheit was Ungewöhnliches, Ungeheures, sie war eine Lebensfrage und ergriff Reiche und Arme, und mancher Arme hörte den Ruf zur Arbeit nicht gerne; es war ihm wie einem Hausvater, der bei einem Brande erst die eigenen Kinder, sein Weib, seine Habe retten will, ehe er andern zu Hülfe eilt, denn da schien eben kein Warten zu sein, so wenig als bei manchem Brande. Er machte Tag und Nacht Kartoffeln aus in seiner Seelenangst, reife und unreife, während Andere sich Gewalt antaten und andern halfen.

Käthi gehörte zu den letztern, sie gehorchte, ging und half; aber manchen Kampf hatte sie zu bestehen, und man[*]chmal brannte ihr der Boden unter den Füßen, meinte sie, vom Acker laufen zu müssen. Verschieden waren die verschiedenen Sorten angesteckt; die Leute meinten, es liege an den verschiedenen Sorten, meinten, die Insekten oder die Schwämme liebten die einen mehr als die andern usw. Machten sie nun an einer Sorte aus, wo es keine oder wenig angesteckte gab, so waren die Arbeiter wohlgemut und Käthi schlief prächtig selbe Nacht. Kam nun eine andere Sorte, bei welcher die meisten Knollen Flecken trugen oder ganz krank waren, dann wars, als ob keine Sonne am Himmel sei, wie schön sie auch scheinen mochte; keinen Spaß hörte man, kein hell Gesicht sah man, und wer in die Gemüter gesehen hätte, der hätte gesehen, wie in mancher sonst leichtfertigen Seele die Wolken des schwersten Kummers heraufgezogen waren. An solchen Tagen mochte Käthi den Feierabend nicht erwarten, und obs auch Nacht war, wenn sie heimkam, ging sie mit dem Laternchen auf ihr Äckerlein, hob Stauden auf, forschte, wie es mit den Erdäpfeln bestellt sei, und vielleicht entrann ihr wohl zuweilen das Wort: »Gottlob, noch lange nicht so bös wie dem Bauer seine!«

Das war ein Herbst, in welchem die Hausfrauen geprüft wurden, eine recht fest sein mußte, wenn sie bestehen wollte, und ob eine bestanden ohne Ungeduld, das weiß Gott. Im Herbste wartet der Bäurin in gewöhnlichen Jahren Arbeit, daß sie oft nicht weiß, steht sie auf den Füßen oder geht sie auf dem Kopf und wo sie zu allem die Hände hernehmen soll. So viel Hände, als er kann, nimmt der Mann selbst, wenn er kein schlechter Hauswirt ist, auf den Acker, zu dem großen Geschäfte des Sammelns, der Hausfrau bleiben die Geschäfte des Innern. Was sie nicht selbst machen kann, dazu muß sie Zeit und Hände stehlen. Sie muß die Besorgung von Flachs und Hanf zu Ende bringen, den Samen der Gartengewächse einsammeln, das Obst, den Kohl, die Rüben und Möhren dörren und einkellern, sollte waschen, sollte noch eine Menge Dinge machen, denen man keinen Namen geben kann. Zu diesem allem kam nun noch die Erdäpfelplage mit allen den unsäglichen Plackereien, welche die Gelehrten anrieten, von denen kaum einer eine Kartoffel gesehen anders als geschunden und gebraten. Dazu kam an vielen Orten das Obst, mit welchem man nicht wußte wohin, das auch gedörrt sein wollte oder faulte. Das alles sollte die Bäurin besorgen, dazu einen Trupp hungriger Arbeiter speisen, die Speisen selbst rüsten und kochen, und dazu nicht wissen wo laufen, ohne über Erdäpfel zu fallen oder Äpfel zu zertreten. Das war ein Herbst, an welchen jede Bäurin denken wird und ob welchem mancher Herrenfrau, wenn sie nämlich was davon begreift, das Haar sich zu Berge stellt beim bloßen Denken daran.

In diesem Herbste sah man selten eine Bäurin Erdäpfel graben auf dem Felde. Das Sammeln jeder Frucht erweckt sonst Freude, ein fröhlich Leben regt sich auf den Feldern, in den Weinbergen, es ist ein Vorgeschmack der seligen Zeit, wenn der Landmann die Ernte sammelt, die auf dem Acker seines Geistes ins ewige Leben wuchs. Unter allen Ernten ist die Kartoffelernte wenn nicht die fröhlichste, so doch die bedeutsamste für den Lebensunterhalt. Es erntet da der Reiche und der Arme, und der Arme und der Reiche verrichten wenige Arbeiten lieber als das Ausgraben von Erdäpfeln. Es gibt Bauern und Bäurinnen, welche wenig mehr arbeiten im Felde, aber beim Erdäpfelgraben sind sie dabei, und selten wird Bauer oder Bäurin zu finden sein, welche nicht wenigstens einen halben Tag an diesem eigentümlichen Schatzgraben teilnehmen, denn da geht es hell und lustig zu bei heiterem, trocknem Wetter, und was da für ein Treiben ist um die schönen Stauden, welche der verborgenen Schätze viele versprechen, wie hoch die Hacke gehoben wird, um glatt und sauber in einem Ruck den ganzen Schatz zutage zu fördern! »Nein aber, sehet, sehet«, schreit der glückliche Graber auf, »wie große, wie viele!« Und während man sieht und zählt, schreit am andern Ende ein anderer auch über einen noch glücklicheren Fund. So läuft ein halber Tag herum, man weiß nicht wie, und unerwartet tönt die Feierabendglocke, welche die auf den Feldern Zerstreuten zu Weib und Kind und Vieh, zu ruhigem Schlafe unter sicherm Dache ruft.

Wer die Erdäpfel kauft, hat solche Freuden nicht. Sie sind süß und wonnereich und wahre Zaubertränke.

Im Herbste 1845 war bei der Kartoffelernte keine helle Stimmung; stille war es auf den Feldern, trüb waren die meisten Gesichter, und wenn man schon einen Bauer und hie und da eine Bäurin auf dem Felde sah, so war es nicht wegen der Freudigkeit, sondern wegen der Bangigkeit, und wer sonst arme Weiber freudvoll sah, sah jetzt sie weinen bitterlich. Hie und da wohl mag ein frech Knechtlein oder gar eine ruchlose Gesindeschar frohlockt haben, daß die Erdäpfel bald gegessen seien, mit Reis und Mehlbrei der Bauer jetzt aufwarten, zweimal in der Woche backen und mit dürrem Obst und vorrätigem Fleisch zum Vorschein müsse; jetzt einmal sei die Zeit, wo der Bauer seinen Diensten gönnen müsse, er möge wollen oder nicht, was sonst Müller und Metzger kriegten. In solchem Gesindel ist keine Spur von der Treue, welche im Hunde wohnt, kein Blick, der über die nächste Stunde reicht, während in so vielen Tieren die Ahnung der Witterung ist und bedächtige Vorsorge für kommende Gefahren. Solche Tröpfe dachten nicht, daß in dem Maße, wie die Speise fehle, desto mehr Leute verabschiedet würden, weil der Bauer Arbeit verschob, mehr selbst machte, mehr den Kindern zumutete, und daß der Bauer den Instinkt habe, die zu verabschieden, welche sich am meisten auf Reis und Mehlbrei freuten. Wo sollte dann so ein verabschiedet Knechtlein Platz finden bei dem Mangel an Speise, den überflüssigen Händen, den hungrigen Bäuchen ohne Zahl?

Auf ihr Äckerlein kam Käthi lange nicht; an gar manchem Orte mußte sie KummmerzHülf sein, wie man zu sagen pflegt. Eine vertraute Person, welche man über alles schicken konnte, kam gar mancher Bäurin wohl in diesem Herbste. Käthi verdiente ihrer Ansicht nach ein ordentlich Stück Geld, wenn auch der Taglohn nicht mehr als drei Batzen nebst der Speise betrug, und an den Erdäpfeln litt sie nicht Schaden, eher das Gegenteil. Nach und nach war der vor lauter Gelehrsamkeit stille gestandene schlichte Verstand wieder in Fluß gekommen und hatte begriffen, daß das Herumrühren der Erdäpfel um die Häuser, wie man geschmolzene Butter rührt, daß sie nicht Knollen kriegt, nicht bloß die Krankheit nicht hemme, sondern auch die gesunden verderbe, indem Erdäpfel das Trockenliegen und absonderlich die Sonne nicht ertragen mögen; Erdäpfel wollen Erde über sich oder Kellerluft um sich. Wer spät ausmachte, hatte den Verdruß nicht, daß ohne Flecken ausgemachte hintendrein die Pestbeulen zeigten; was er gesund ausmachte, blieb gesund. Indessen hatte auch Käthi kein freudig Ausgraben, denn sehr viele angesteckte fanden sich, und je mehr Erdäpfel im Boden sich fanden, desto mehr drängte der Gedanke sich auf: Wie schade, so viel angehängt und so viele nichts wert! Bei dem vielen Graben jedoch und dieweil man anfänglich alles verloren gab, hatte Käthi sich angewöhnt, jeden gesunden Erdapfel als einen gefundenen anzusehen, während man zuerst jeden kranken als einen verlorenen betrachtete. In Beziehung auf den Ertrag kam es wohl auf eins heraus, ob man es auf die erste oder zweite Weise ansah, doch in Beziehung auf die Gemütsstimmung lag zwischen beiden Ansichten eine himmelweite Kluft.

Zum Dörren der Erdäpfel hat man Holz nötig; Käthi besaß keinen Wald und auch kein Recht in irgend einem Walde. Wohl hatte sie eine sogenannte Kunst in der Stube, das heißt in der Stube einen Tritt am Ofen von Sandstein, welcher durch das Kochen von der Küche her warm wurde. Aber so ein arm Fraueli, welches das Holz kaufen oder von guten Leuten erbitten muß, kocht we[*]der Schinken noch Rinder, hat nicht wie eine Herrenköchin entweder halb zu viel Feuer oder halb zu wenig, sondern geht mit dem Holze um wie sparsame Weiber mit dem Zucker; so ein Tritt wird daher vom gewöhnlichen Kochen nicht heiß zum Dörren. Der Arme muß Holz haben, je schlechter er gekleidet ist, um so mehr bedarf er der Wärme. Ehedem war es ihm zugänglicher, jetzt je länger, je weniger, und je teurer es wird, desto spärlicher fallen die freiwilligen Holzspenden aus, und in dem Maße, als alles teurer wird, steigen die Tagelöhne nicht, und am Ende wo nehmen und nicht stehlen? Und wenn gar noch reiche Spitzbuben das Holz stehlen zum Verkaufen, was bleibt den armen alten Weibchen zum Erdäpfeldörren?

Käthi wohnte an einem Orte, wo man noch Verstand hatte. Es herrschte noch nicht die herzlose moderne Selbstsucht, und die eiskalte Freisinnigkeit war noch nicht allgemein, sondern das patriarchalische Verhältnis bestand noch, und ein gewisser väterlicher, vorbauender Sinn dachte an die Bedürfnisse der Armen, ehe sie gen Himmel schrien. Es traten die besitzenden Bauern zusammen und beschlossen, damit die Armen nicht genötigt seien, die kranken Kartoffeln faulen zu lassen oder dem Brenner zu geben, sondern für Speise sorgen könnten, ihnen das nötige Holz zum Heizen in ihren Wäldern anzuweisen. Leider weckte diese Freigebigkeit in vielen Armen eine Begehrlichkeit, daß sie den Reichen ihr Tun verbitterten, daß man sich ordentlich zwingen mußte, zu sagen: Vater, vergib ihnen, sie wissen nicht, was sie tun. Sie verleumdeten sich gegenseitig, um einer den andern aus dem Verzeichnis der Bedürftigen zu bringen, sie verleumdeten die Geber, als ob sie damit die Armen für immer abspeisen wollten, als ob sie eine allgemeine Maßregel nur darum verabredet hätten, damit einzelne Hausbesitzer ihren Mietsleuten nicht mit Holz helfen müßten usw. Kurz sie trieben es so, daß den besseren Armen bange wurde, eine solche Unverschämtheit werde die milden Hände verschließen für immer, daß sie um so inniger dankten, um gut zu machen, was die andern böse gemacht.

Käthis Bauer hatte schandenhalber mitstimmen müssen, aber von Herzen ging es ihm gar nicht, die Sache machte ihm böses Blut. Er war eigentlich kein böser Mann, aber er hatte es wie viele andere und namentlich sehr hohe Herrschaften, er war in einer Übergangsperiode. Er wollte sein Gut nicht verschwenden, im Gegenteil, er wäre gerne alle Tage reicher geworden. Nun aber mußte er, wie er meinte, standesgemäß leben, das heißt wegen seiner Freisinnigkeit alle Tage mehr Zeit versitzen und mehr Geld verblitzen im Wirtshause. Damit brachte er seinen Hof nicht in Aufgang, sondern in Abgang, aber er wollte doch nicht zurückkommen. Wie nun das machen, wie den Ausfall decken?

Demselben waren einige alte Weiber, unter diesen auch Käthi als seine sogenannte Hausfrau, zugeteilt worden, und diesen wies er nun eine steile, wüste Halde an, auf welcher nicht viel andres stand als Dornen, um da Reiswellen zu machen. Mancher, welcher nicht vorrätiges Holz beim Hause hatte, wies die Armen in seinen Wald, aber keiner an eine Dornhalde, und namentlich alte Weiber nicht. Das Ding wurde natürlich bekannt und erregte großes Aufsehen, und es wurde viel von der Freisinnigkeit gegen alte Weiber geredet.


 << zurück weiter >>