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Die Juden

In einem fernen Lande, einem andern Reiche, lebten Juden, – ganz gewöhnliche Juden für Pogrome, Verleumdungen und andere Staatsnotwendigkeiten.

Es herrschte daselbst folgendes System: sowie die bodenständige Bevölkerung Unzufriedenheit mit ihren Lebensbedingungen zeigte, ertönte von Seiten der wohlgeborenen Herren aus den Warten der öffentlichen Ordnung der hoffnungsfroh lockende Ruf:

»Volk, schare dich um den Sitz der Macht!«

Das Volk wurde herangezogen, und die Herren suchten es abzulenken.

»Was soll die Unruhe?«

»Ihr wohlgeborenen Herren, wir haben nichts zu fressen.«

»So? Aber Zähne habt ihr wohl noch im Maul?«

»Ein paar haben wir noch.«

»Seht ihr! Ihr wißt also immer noch etwas vor der Obrigkeit zu verbergen.«

Fanden die wohlgeborenen Herren, daß die Unruhen durch endgültiges Ausschlagen der Zähne zu dämpfen waren, dann griffen sie unverweilt zu diesem Mittel. Sahen sie aber, daß dadurch auch keine harmonischen Verhältnisse herzustellen waren, so versuchten sie mit listigen Reden der Sache auf den Grund zu gehen:

»Was wollt ihr eigentlich?«

»Mehr Land hätten wir gerne …«

Manche aber hatten so wenig Verständnis für die Interessen des Staates, daß sie noch weiter gingen und greinten:

»Ein paar Reformen hätten wir gerne. So, daß unsere Zähne, Rippen und Eingeweide sozusagen unser persönliches Eigentum wären, und niemand sie ohne Grund anrühren dürfte …«

Da begannen die wohlgeborenen Herren ihnen ins Gewissen zu reden:

»Ach, Brüder! Wozu solche Träumereien? Es ist gesagt: nicht vom Brote allein lebet der Mensch, und es ist ferner gesagt: für einen Geprügelten gibt man zwei Ungeprügelte.«

»Und die sind damit einverstanden?«

»Wer?«

»Die Ungeprügelten.«

»Herrgott! Natürlich. Im Jahre 1903, nach Mariä Himmelfahrt, baten die Engländer, zu uns kommen zu dürfen. Ja. Sie baten: ›Schickt alle eure Leute nach Sibirien und setzt uns auf ihr Land; wir zahlen euch pünktlich die Steuern und trinken jährlich, Mann für Mann, zwölf Eimer Wodka. Und überhaupt …‹ – ›Nein,‹ sagten wir. ›Wozu das? Unser Volk ist ein braves, friedfertiges, gehorsames Volk, wir kommen mit ihm schon aus …‹ Wißt ihr was, Kinder, regt euch nicht zwecklos auf, verhaut lieber ein bißchen die Juden, was? Wozu sind die sonst gut?«

Die bodenständige Bevölkerung überlegte lange und sah schließlich: was Vernünftiges ist doch nicht zu erreichen; man muß schon tun, was die Obrigkeit befiehlt, und es wurde beschlossen:

»Nun, denn man los, Kinder. In Gott's Namen …«

Sie schlagen ein halbes Hundert Häuser kurz und klein, prügeln ein paar Juden tot, lassen dann, müde von der Arbeit, von ihren Wünschen ab, und – die Ordnung hat wieder einmal triumphiert! …

Außer den wohlgeborenen Herren, der bodenständigen Bevölkerung und den zur Ablenkung von Unruhen und zur Dämpfung der Volksleidenschaften benötigten Juden gab es in diesem Staate noch gewisse wackere Leute, die sich nach jedem Progrom in voller Zahl – sechzehn Mann hoch – versammelten und der Gemeinde einen schriftlichen Protest einreichten:

»Obwohl die Juden auch russische Untertanen sind, sind wir dennoch der Überzeugung, daß es nicht angebracht ist, sie gänzlich auszurotten. Wir erklären deshalb hiermit unsere entschiedene Mißbilligung einer übermäßigen Vernichtung lebender Menschen. – Humanistow. Fitojedow. Iwanow. Kusajgubin. Toropygin. Ossip Trojeuchow. Grochalo. Figofobow. Kirill Mefodijew. Slowotekow. Kapitolina Kolymskaja. Oberstleutnant a. D. Nepejpiwo. Privatdozent Narym. Chlopotunski. Pritulichin. Grischa Budustschew, siebenjähriger Knabe.«

Das geschah nach jedem Pogrom, nur mit dem Unterschied, daß Grischa allmählich älter wurde, und daß die Kolymskaja für Narym unterzeichnen mußte, der ganz plötzlich nach der gleichnamigen Stadt abgereist war Narym – berüchtigter Verbannungsort in Sibirien.

Manchmal kam aus der Provinz ein Echo auf solche Proteste.

»Drücke Zustimmung und Einverständnis aus«, telegraphierte Rasdergajew aus Dremow. Satorkanny in Miamlin schloß sich an, und in Okurow »Samogrysow und andere«, – wobei man ganz genau wußte, daß er sich »die anderen« der besseren Wirkung halber selbst ausgedacht hatte, denn es gab in Okurow überhaupt keine »anderen«.

Wenn die Juden solche Proteste lasen, weinten sie noch viel bitterlicher. Eines Tages machte einer von ihnen, ein sehr gerissener Mensch, den Vorschlag:

»Wißt ihr was? Nein? Also: vor dem nächsten Pogrom verstecken wir alles Papier, alle Schreibfedern und alle Tinte! Dann wollen wir mal sehen, was die machen, die sechzehn samt dem Knaben Grischa.«

Die Leute hielten gut zusammen. Gesagt, getan. Sie kauften alles Papier und alle Federn auf und versteckten sie; alle Tinte aber gossen sie ins Schwarze Meer, und setzten sich hin und warteten.

Nun, lange brauchten sie nicht zu warten. Die Erlaubnis traf ein, der neue Pogrom wurde veranstaltet. Die Juden lagen bald in den Spitälern, die Humanisten aber liefen in ganz Petersburg herum und suchten nach Papier und Federn. Aber es gab kein Papier und keine Federn, außer in den Kanzleien der wohlgeborenen Herren, und die gaben nichts heraus.

»Seht mal an!« sagten sie. »Wir wissen schon, wozu ihr das braucht? Nein, nein, ihr werdet schon ohne das auskommen.«

Chlopotunski flehte:

»Ja aber, was sollen wir denn da tun?«

»Ach was!« antworteten die. »Ihr habt uns oft genug mit euren Protesten belehrt. Denkt selbst darüber nach …«

Grischa – er war jetzt schon über 43 Jahre alt – weinte:

»Is will aber plotestieren …«

Aber es war eben nichts da, um drauf zu schreiben!

Figofobow kam finster grübelnd auf einen Gedanken:

»An die Zäune sollte man es schreiben …«

Jedoch in Petersburg gibt es keine richtigen Bretterzäune, nur Lattengitter.

Sie liefen also in die Umgebung hinaus, bis weit hinter die Schlachthäuser: da fanden sie endlich einen alten Bretterzaun. Kaum hatte aber Humanistow mit Kreide den ersten Buchstaben angemalt, da erschien, wie vom Himmel gefallen, ein Schutzmann und mahnte:

»Was soll denn das heißen? Kleinen Jungen haut man für solche Schmierereien den Hintern voll! Aber Sie sehen doch aus wie gesetzte Herren. Ei, ei, ei!«

Natürlich hatte der Schutzmann kein Verständnis für sie; er hielt sie für Schriftsteller von der Sorte, die gemäß Paragraph 1001 Der russische »Unzuchtparagraph« schreiben! Aber sie wurden verlegen und gingen alle nach Hause.

So verlief dieser Pogrom ohne Protest, und die humanen Leute kamen um ihr Vergnügen.

Mit Recht behaupten Leute, die Verständnis für Rassenpsychologie haben, die Juden seien ein sehr schlaues Volk!


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