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Zweiter Teil.
Russische Märchen


Der Philosoph

Ein junger Mann war sehr häßlich und wußte das. Deshalb sprach er zu sich selbst:

»Ich bin klug. Ich will ein großer Weiser werden. Bei uns ist das höchst einfach.«

Und er begann dicke Bücher zu lesen. Denn er war nicht etwa dumm, und wußte ganz genau, daß man Weisheit am besten durch Zitate aus Büchern beweist.

Also las er soviel kluge Bücher wie nötig waren, um sich die Augen zu verderben; dann hob er stolz die vom vielen Lesen gerötete Nase und erklärte aller Welt:

»Nein, bitte! Ich lasse mich nicht anführen. Ich sehe schon, – das Leben ist lediglich eine mir von der Natur gestellte Falle.«

»Und – die Liebe?« fragte der Geist des Lebens.

»Danke verbindlichst. Gottlob bin ich kein Dichter. Ich lasse mich nicht für ein Stückchen Käse in den eisernen Käfig der ›unabweislichen Pflichten‹ sperren.«

Immerhin war er nicht allzu begabt. Darum beschloß er, Philosophieprofessor zu werden.

Er begab sich zum Unterrichtsminister und erklärte:

»Eure Hohe Exzellenz, ich kann Vorlesungen über die Tatsache halten, daß das Leben völlig sinnlos ist, und daß man sich den Eingebungen der Natur nicht unterwerfen darf.«

Der Minister überlegte: ist der Mann brauenbar oder nicht?

Dann fragte er:

»Aber den Befehlen der Obrigkeit muß man sich doch unterwerfen?«

»Unbedingt muß man das!« antwortete der Philosoph und neigte ehrerbietig seinen von den vielen Büchern arg mitgenommenen Kopf. »Denn unsere menschlichen Leidenschaften …«

»Nun eben! Also, dann hinauf aufs Katheder! Gehalt: sechzehn Rubel. Nur, – falls ich plötzlich verfügen sollte, die Naturgesetze doch anzuerkennen, dann bitte ich mir aus: keine freien Meinungen äußern! Das dulde ich nicht.«

Er überlegte und sagte mit trübseliger Stimme:

»Wir leben in einer Zeit, in der wir im Interesse der Unversehrtheit des Staates möglicherweise nicht nur das Bestehen der Naturgesetze, sondern sogar ihre Zweckmäßigkeit werden anerkennen müssen, – teilweise wenigstens.«

»In zwei Teufels Namen!« rief der Philosoph in Gedanken. »Wenn ihr soweit kommt, ja dann …«

Aber laut sagte er lieber nichts.

Er tat also so: allwöchentlich stieg er aufs Katheder und erzählte einer Schar krausköpfiger Jünglinge:

»Meine Herren! Der Mensch ist äußerlich beschränkt und ist innerlich ebenfalls beschränkt. Die Natur ist ihm feind, das Weib ist nur ein blindes Werkzeug der Natur, – und aus allen diesen Gründen ist unser Leben völlig sinnlos.«

Er gewöhnte sich daran, so zu denken, ließ sich oft von der Begeisterung hinreißen und sprach dann schön und aufrichtig. Die jugendlichen Studentchen klatschten ihm begeistert Beifall; er nickte ihnen, höchst befriedigt, mit dem kahlen Schädel freundlich zu; seine rötliche Nase glänzte rührend, und alles ging ausgezeichnet.

Weil ihm das Wirtshausessen nicht bekam – wie alle Pessimisten litt er an schlechter Verdauung –, heiratete er und speiste dann neunundzwanzig Jahre lang zu Hause. Unter der Arbeit, ohne es selbst recht zu merken, zeugte er vier Kinder, – dann starb er.

Dem Sarge folgten ehrerbietig und trauervoll seine drei Töchter mit ihren jungen Ehemännern und sein Sohn, ein Dichter, der in alle schöne Frauen der Welt verliebt war. Die Studenten sangen das »Ewige Gedenken«, – sie sangen sehr laut und fröhlich, aber schlecht. Am Grabe sprachen die Kollegen des Professors in blumigen Reden von dem abgerundeten metaphysischen System des Verstorbenen. Alles war sehr ordentlich und feierlich, es gab geradezu rührende Momente.

»Ja, nun ist der Alte tot!« sagte bei Verlassen des Kirchhofs ein Student zu den Kameraden.

»Er war ein Pessimist,« äußerte ein anderer.

Und ein dritter fragte:

»Ach? Wirklich?«

»Ein Pessimist war er, und konservativ.«

»Sieh einer an, der Glatzkopf! Das ist mir gar nicht aufgefallen …«

Ein vierter Student, ein armer Teufel, erkundigte sich eifrig:

»Ob wir zum Totenschmaus eingeladen werden?«

Sie wurden eingeladen.

Weil der verstorbene Professor bei Lebzeiten allerhand gute Bücher geschrieben hatte, in denen er mit viel Wärme sehr schön die völlige Zwecklosigkeit des Lebens darlegte, wurden seine Bücher viel gekauft und gern gelesen. Man kann sagen, was man will: der Mensch liebt nun doch einmal das Schöne!

Seine Familie war gut versorgt, – Pessimismus ist eine sichere Sache! – das Totenmahl fiel großartig aus, und der arme Student schmauste vorzüglich, wie nur selten. Als er heimging, dachte er schmunzelnd:

»Nein, – auch Pessimismus kann Nutzen bringen.«


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