Friedrich Gerstäcker
Unter den Pehuenchen
Friedrich Gerstäcker

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22. Kapitel

Mankelav, wenn er heute die Hoffnungen und Pläne eines ehrgeizigen, trotzigen Herzens zu Boden geschlagen, hatte aber auch zwei glückliche Menschen gemacht, die in der Seligkeit, einander wieder anzugehören, die Welt um sich vergaßen. Der alte Mann hatte freilich, von dem plötzlich hereingebrochenen Glück überwältigt, in einer tiefen und langen Ohnmacht gelegen und der von Cruzado rasch herbeigerufene Doktor seine Mühe und Not gehabt, ihn wieder zum Bewußtsein zu bringen. Aber die Freude tötet nicht so leicht, und jetzt, drinnen im Zelt auf seinem Lager sitzend, die wiedergefundene Tochter fest mit seinem Arm umschlingend und wieder und wieder in ihr liebes Auge schauend, trug er eine Welt voll Seligkeit im Herzen.

Am andern Morgen waren die Indianer früh auf und in Tätigkeit. Tchaluak hatte freilich schon gestern, unmittelbar nach seinem Austritt aus der Versammlung, die Seinen zusammengerufen und den Limaï wieder gekreuzt, sich auch gar nicht am anderen Ufer aufgehalten, sondern weit aus Sicht sein Lager aufgeschlagen; aber niemand achtete darauf oder kümmerte sich darum. Daß der ehrgeizige Kazike zürnte, war natürlich; was aber konnte er gegen die ganze Macht der Pehuenchen mit seiner kleinen Schar ausrichten, selbst wenn er diese ganz für sich gewonnen hätte? – nichts; und daß er bei seinen jetzigen Nachbarn, den Araukanern, keine Freunde fand, da diese recht gut wußten, daß nur er das Bündnis mit Jenkitruss hintertrieben, lag ebenfalls auf der Hand. Sein Grimm blieb machtlos und Mankelav immer stark genug, sich seinen Gehorsam zu erzwingen, wenn er ihm den je einmal weigern sollte.

Die heutigen Vorbereitungen galten aber keiner feindseligen Handlung, keiner Rüstung zur Verteidigung oder Verfolgung. Niemand dachte daran, sondern nur der Regierungsantritt ihres neuen Kaziken sollte gefeiert werden, und zwar in der einzigen, ihnen möglichen Weise – durch Essen.

Unsere deutschen Freunde berieten indessen den Plan für den bevorstehenden Abschied und die Rückreise über die Kordilleren.

»Ich wollte, wir hätten Tschaluaks Station erst passiert«, sagte Meier nachdenkend; »das ist ein Halunke durch und durch, und wenn ich wie der alte Mann wäre, führte ich meine Tochter verwünscht viel lieber durch Carmen und die ganze Argentinische Republik, ehe ich mich zu ihm wieder auf Besuch setzte.«

»Aber was kann er tun, wenn uns der erste Kazike freie Erlaubnis gibt, sein Land zu verlassen?«

»Bah! Was kann er tun, so ziemlich alles, was er will; denn daß er uns nachher nicht wieder über die Lagune ließe, um ihn bei Mankelav zu verklagen, wäre natürlich.«

»Und wenn wir nun Mankelav unseren Verdacht mitteilten?«

»Ich habe schon mit Cruzado darüber gesprochen,« nickte Meier, »der schüttelte auch sehr bedenklich den Kopf und wollte mit ihm reden. Wenn der uns ein paar Leute mitgäbe, möcht's vielleicht gehen, aber ich fürchte, er läßt sich darauf nicht ein – doch, wir werden ja sehen. Hallo! Da ist unser alter Komtur aus dem Don Juan wieder frisch und munter auf den Strümpfen und blüht wie eine Rose.«

Und Meier hatte recht. Eine fast wunderbare Veränderung war mit dem alten Mann vorgegangen: seine Augen strahlten, seine ganze Gestalt hatte sich gehoben, und kräftig, ja mit jugendlicher Frische fast, schritt er ihnen entgegen.

»Heda, Señor,« sagte der Doktor in seinem gebrochenen Spanisch, »keine Medizin mehr?«

»Keine mehr, Doktor,« lächelte der Chilene; »das hier«, indem er die Hand seiner Tochter faßte, »hat mich kuriert, und jetzt sorgen Sie nur dafür, Freund, daß wir so rasch als möglich den Rückzug antreten mögen. So lange ich die weite Pampas sehe, schnürt es mir noch immer die Brust zusammen.«

»Und Sie können reiten?«

»Reiten? Jagen, wohin Sie wollen, und wenn wir Tag und Nacht im Sattel hängen müssen; aber noch eins, Don Carlos, wo ist Cruzado?«

»Er spricht mit dem Kaziken über unsere Abreise.«

»So könnt Ihr es an ihn bestellen, Don Carlos, aber bald, daß der Kazike nicht glaubt, die Fremden wären geizig. Er hat mir alles gegeben, was mein Glück auf Erden macht, laßt mich ihm wenigstens geben, was ich hier mein nenne. Reiche Geschenke habe ich für ihn; bittet ihn durch Cruzado, daß er mir verstatte, sie ihm zu übergehen und ihm aus vollem, überfließendem Herzen zu danken.«

»Hm, das käme vielleicht heute gerade recht,« nickte Meier, »jedenfalls werde ich das gleich bestellen, denn wenn sie nachher ihre Festlichkeit beginnen, haben sie am Ende keine Zeit. Packt Euren Kram zusammen, Señor, ich denke, ich bringe Euch bald günstige Antwort«, und mit den Worten wanderte er rasch dem anderen Lager am Limaï zu, um Cruzado dort aufzusuchen.

Diesen traf er gerade, als er das Zelt des Kaziken verließ, und teilte ihm des Alten Botschaft mit.

»Bueno,« nickte der Halbindianer, »das trifft sich vortrefflich, die Frauen sind gerade bei ihm, wartet hier draußen, Don Carlos, Ihr sollt augenblicklich Nachricht erhalten.«

Cruzado trat in das Zelt zurück. Auf seinem Lager ausgestreckt, eine kurze Pfeife in der Hand, aus welcher er langsam den Rauch einzog, verschluckte und durch die Nase wieder von sich blies, lag Mankelav, und neben ihm saßen seine beiden jungen Frauen – Schwestern, die eine mit einem kleinen, prächtigen Jungen auf ihrem Schoß, die andere vor ihr kniend und mit dem Kleinen spielend.

»Und was führt dich zurück, Cruzado?« fragte der Häuptling. »Hast du noch ein Bedenken? Ich sage dir, ein einzelner Bote von mir wäre imstande, ihn im Zaum zu halten.«

»Nein, Kazike, aber der Chilene, dem du die Tochter wiedergegeben, bittet dich, ihm zu erlauben, daß er dir danke, und dir als Zeichen seiner Achtung und Liebe die Gaben zu Füßen lege, die er in die Pampas gebracht.«

»Ich habe ihm sein Kind nicht zurückgegeben, um Geschenke von ihm zu nehmen,« sagte der Häuptling finster, »er hätte sie nie im Leben kaufen können.«

»Aber er will sie nicht kaufen; du hast sie ihm geschenkt, nun bittet er dich, ihm nicht das Gefühl zu lassen, daß er, ohne dir gedankt zu haben, in sein Vaterland zurückkehre.«

»Oh, bitte, bitte, Kazike, laß ihn kommen,« baten die beiden jungen Weiber, den Häuptling liebkosend, »sieh, er hat vielleicht viele hübsche Sachen mitgebracht, und wie glücklich ist er, sein Kind wieder mitnehmen zu dürfen.«

»Laßt ihn seiner Wege ziehen«, sagte der Kazike ruhig und abwehrend.

»Und alles wieder mitnehmen, was er mitgebracht hat?« rief die Jüngste in komischem Zorn. »So, du böser Mann, darfst du denn etwas verschenken, was uns gehört, und weißt du denn wirklich, ob ihm ein Gefallen damit geschieht, wenn er seine Packpferde wieder beladen muß? Da drüben in seinem Lande hat er solcher Sachen genug. Und selten kommen die Weißen damit zu uns.«

»Du machst ihm selbst eine größere Freunde als deinen jungen Frauen, Kazike, wenn du ihm erlaubst, zu dir zu kommen.«

Der Häuptling sah die beiden Frauen an, deren Hände bittend zu ihm erhoben waren, und sagte endlich lächelnd: »Nun meinetwegen denn, laß ihn kommen und uns sehen, ob er etwas bei sich hat, was diesen beiden närrischen Dingern gefällt.«

»Und seine Tochter soll er mitbringen,« rief die jüngste Frau, »damit wir Abschied von ihr nehmen können.«

»Darf er, Kazike?«

Mankelav nickte lächelnd, »Sie tun doch, was sie wollen,« sagte er, »schicke sie her!«

Kaum eine halbe Stunde war vergangen, und wie oft hatten die beiden jungen Frauen indes die Felle gelüftet, die ihnen einen Anblick nach der Straße gewährten – endlich – endlich kamen sie, der alte Mann und seine Tochter, und Cruzado selber führte das Packtier, das zwei mächtig große Ledersäcke trug; das konnten doch nicht lauter Geschenke für sie sein? Aber vor dem Zelt wurden sie abgeladen; zwei Indianer trugen sie herein und legten sie neben dem Feuer auf den Boden nieder, und der Chilene selber betrat jetzt, von Irene, die sich schüchtern hinter ihm hielt, gefolgt, das Zelt und schritt mit tränenden Augen auf den Häuptling zu. Er wandte sich auch nicht an den Dolmetscher. Was er dem Kaziken sagen wollte, mußte aus vollem, warmem Herzen kommen, und wenn der auch nicht die Worte verstand – den Sinn derselben sah und fühlte er.

Tränen standen bei dem Dank, den er stammelte, in den Augen der Frauen, und leise sich von ihren Sitzen erhebend, nahmen sie das junge weiße Kind liebkosend zwischen sich, küßten sie, zogen sie nieder zu sich ans Feuer, spielten liebkosend mit ihrem weichen, lockigen Haar und preßten sie wieder und wieder in die Arme.

Mankelav stand still, aber freundlich dem alten Mann gegenüber, den Worten lauschend, die ihm von den Lippen sprudelten, als ob er sie verstände, und als jener geendet und im Übermaß seines Gefühls die Hand des jungen Indianers ergriff und an die Lippen preßte, sagte er, den Arm bestürzt zurückziehend: »Sprich zu ihm, Cruzado, es ist gut, er ist ein alter Mann – ich freue mich, daß er glücklich ist, ich will ihn sicher über die Berge führen lassen. Und nun, wenn er Tand für die Frauen hat, den er auspacken mag, laß ihn beginnen.«

Und mit vor Freude bebenden Händen begann der alte Mann seine Herrlichkeiten auszukramen und schämte sich fast, daß sie so ärmlich waren, denn wie gern, wie gern hätte er alles, alles gegeben, über das er verfügte, um die Seligkeit, sein Kind da lächelnd zwischen den jungen Frauen zu sehen, und zu wissen, daß sie glücklich, daß sie gerettet sei.

Und was für wunderliche Dinge brachte er jetzt zum Vorschein! Voraus, was ihm zuerst in die Hände kam, Tabak, und eine lange Stange nach der anderen zog er hervor, bis zuletzt der ernste Häuptling selber lachte; dann ein Paket mit bunten seidenen Tüchern, das die Augen der jungen Frauen leuchten machte; dann ein ganzes Stück roten echt gefärbten Kattuns, die Lieblingsfarbe der Indianer, dann Perlen in Gold und Silber, blau, rot und weiß, Scheren, Fingerhüte, Nadeln, Zwirn, ganze Pakete Indigo, Pfunde von spanischem Pfeffer, Pakete mit Zuckerzeug und Kandis, kostbare Messer, plattierte Löffel, zinnerne Teller, Gabeln und Messer in Paketen, kurz Dinge, die das ganze Zelt erfüllten und die Frauen jedesmal, wenn er etwas Neues hervorbrachte, laut aufjubeln machte.

Aber auch des Häuptlings Augen leuchteten, als er aus dem zweiten Sack noch ein prachtvolles Zaumzeug und schwere Sporen von Silber hervorholte, und die Indianer wissen vortrefflich zu unterscheiden, was echt oder unecht ist.

»Das wird zu viel, Cruzado!« sagte der Kazike abwehrend, »sprich mit dem alten Mann; diese Geschenke sind das Doppelte von dem, was uns die Argentiner an Tribut zahlen.«

»Laß ihm die Freude,« sagte Cruzado lächelnd, »du siehst ja doch, wie gern er es dir gibt.«

»Von dem Tabak müssen wir den Leuten geben.«

»Er hat noch einmal soviel durch den einen Deutschen unter sie verteilen lassen.«

»Und die Kaziken?«

»Für jeden von ihnen hat er Geschenke bereit – er ist reich, und so viel leichter und rascher kehrt er über die Berge zurück.«

Jetzt war alles geleert; noch einige prachtvoll vergoldete Lanzenspitzen von gutem Stahl barg der eine Sack und ein kunstvoll gearbeitetes und mit Silber eingelegtes Trinkhorn, und Mankelav selber war erstaunt über den Reichtum von Sachen, die vor ihm ausgebreitet lagen. Dann sagte er freundlich: »Drei Tage dauert unser Fest; ich kann dir früher keine Leute mitgeben; aber der Himmel ist klar, der Wind weht von Süden. Nach drei Tagen brich nach deiner Heimat auf. Bis dahin laß deine Tochter bei meinen Frauen, die sie lieben und pflegen werden. Wenn du sie sehen willst, komm in mein Zelt, du bist willkommen. Und jetzt laß uns hinübergehen, die Kaziken warten, der Tabak wird ihnen erwünscht sein,« nickte er, still vor sich hin lächelnd, und eine Stange davon in seinen Poncho wickelnd, schritt er hinaus zu dem Beratungszelt.

Don Enrique hatte seine Gaben in der Tat noch nicht erschöpft, allen anwesenden Kaziken teilte er reichlich mit, und auch Allumapu, den er wiedererkannte, überhäufte er mit Geschenken. Da draußen begann indes das Fest, kein Trinkgelage wie an der Lagune, denn die berauschende Chicha fehlte, und eben so wenig war Branntwein in dieser Jahreszeit von der andern Seite der Berge zu erhalten; aber die Indianer hatten genug zu essen und genug zu rauchen, und mehr verlangten sie nicht. Zwei Pferde waren geschlachtet, und außerdem drei oder vier Guanakos von den Jägern eingebracht. Auch Don Enrique überraschte außerdem noch die Frauen des Kaziken, indem er ihnen durch Irene einen großen Topf voll Schokolade kochen ließ, die sie leidenschaftlich lieben, und doch, natürlich, nur so selten erhalten können.

Und wunderliche Gruppen bildeten sich draußen. Als sich die Indianer sattgegessen hatten, legten sie sich in einzelnen Kreisen auf den Bauch, immer zwölf oder sechzehn einen Ring bildend, die Köpfe in der Mitte, und sangen dabei ihre wunderlichen monotonen Lieder, zu denen ein Vorsänger das Thema weit mehr weinte als sang, und der Refrain dann immer mehr, halb gesprochen, halb betont, in die Erde hineingeschrieen wurde.

Einen kleinen Privatkreis hatte sich aber Reiwald wieder geschaffen, und wie es schien, ganz zu seinem eigenen Vergnügen, denn er mußte sich vortrefflich dabei amüsieren; wenigstens sah er außerordentlich vergnügt dabei aus. Er saß in der Mitte, auf seinen Knieen eine lange Stange Tabak haltend, von welcher er immer abschnitt, wenn irgend jemand Bedarf danach fühlte, und pfiff dabei eine der schon gemerkten Pehuenchen-Melodien; jedesmal aber, wenn der Refrain kam, hielt er inne, und die Pehuenchen brüllten dann den Chor in lautem Jubel heraus.

»Donnerwetter, Reiwald,« sagte erstaunt der Doktor, als er ihn bei dieser Beschäftigung erblickte, »Sie geben hier wohl ein Konzert?«

»Ich studiere mir ein Orchester ein, Doktor,« lachte der junge Mann, »das ich mir für Berlin engagiert habe; glauben Sie nicht, daß ich Furore damit machen werde?«

»Zwanzig Silbergroschen Entrée und jeden Abend ausverkauftes Haus,« sagte der Doktor; »auf dem linken Ohr bin ich aber schon taub, und will jetzt lieber zu Bett gehen, um mich von diesem Genuß zu erholen. Haben Sie Ihren Hausschlüssel mit? sonst kommen Sie nicht zu spät.«

Drei volle Tage dauerten die Festlichkeiten, und die Indianer gaben sich ihnen mit einer merkwürdigen Ausdauer hin. Ein englischer Matrose ist allerdings auch imstande, eine alte Ballade von einem ihrer Seegefechte, mit vierundsiebzig Versen und jeden Vers zu acht Zeilen, immer nach der nämlichen Melodie abzusingen; aber solcher Konsequenz im Festhalten einer einzigen monotonen Melodie sechs und acht Stunden lang hintereinander wäre er doch nicht fähig. Dazu gehört ein südamerikanischer Indianer, und ob sie im Norden ihre Marimba spielen, oder im Süden ihre Lieder heulen, es bleibt sich gleich.

 


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