Friedrich Gerstäcker
Unter den Pehuenchen
Friedrich Gerstäcker

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21. Kapitel

Volle vierzehn Tage waren vergangen, ehe Boten aus dem Lager in den Pampas die Rückkehr des Kaziken Mankelav und seiner Begleitung meldeten, und länger noch hätte es vielleicht gedauert, wenn nicht Tchaluak, der wilde Häuptling, der indes ebenfalls ungeduldig den Heimritt der Fremden erwartet, am Limaï eingetroffen wäre und eine Beratung der Kaziken verlangt hätte.

Die Kunde von dem Tode des Apo Jenkitruss war ihm nämlich hinübergesandt in sein Lager, und tolle, ehrgeizige Pläne kreuzten sein Hirn und ließen ihn nicht ruhen und rasten. Boten hatte er nach allen Seiten ausgesandt, zu den Stämmen im Norden und im Süden, und seine eigene, von dem unmäßigen Genuß der Chicha zu jeder tollen Tat gebrachte, Schar war durch Reden und Versprechungen so aufgeregt worden, daß sie ihm blind gefolgt wäre, wohin er sie auch geführt hätte. Aber nach nichts Geringerem strebte er auch, als der Oberherrschaft über sämtliche Stämme, von den Wohnungen der Weißen an im Norden bis hinunter, wo die Patagonier unter ihren eigenen Führern und Häuptlingen hausten. Hatte doch seine Familie in früheren Zeiten diese Würde innegehabt, und was auch vorgefallen, um sie derselben zu berauben – Verrat und Rebellion gegen die Rechte der Indianer –, wie die alten Leute den Kindern noch manchmal abends am Lagerfeuer erzählten die Rechte konnten nicht aussterben. Wenn einer der früheren Kaziken ihrer verlustig gegangen war, seine Enkel durften mit ihren Ansprüchen getrost gegen jeden in die Schranken treten.

Mit sechzig seiner Leute war er angeritten gekommen und hatte den jetzt etwas niedrigeren Limaï durchschwommen, ohne auch nur nach dem Floß zu fragen. Er trug auch, zu des Doktors Schmerz, dessen Mantel, das rote grelle Futter aber nach außen und die jetzt sehr blank polierten Knöpfe auf dieses genäht, was ihm mit dem braunen Kopf und den wildflatternden Haaren ein wunderliches, fast dämonisches Aussehen gab.

»Samiel hilf!« hatte Reiwald gerufen, als er, noch triefend von dem Bad, durch das Lager galoppierte und dann vor dem Beratungszelt hielt, das er, ohne deshalb irgend jemand zu fragen, mit den Seinen in Besitz nahm. Kaum dort angekommen, erkundigte er sich auch gleich, ob die Alemanes noch am Limaï wären, und als ihm das bejaht wurde, schickte er augenblicklich einen Boten zu ihnen und – ließ sie um etwas Tabak bitten. Zu sehen verlangte er sie nicht. Aber Cruzado wurde zu ihm beschieden und mußte ihm über manches Auskunft geben, auch darüber, ob der alte Chilene seine Tochter wiederbekommen habe, oder was jetzt, nach dem Tode des Kaziken, mit ihr werden würde; eine Frage, die der Halbindianer nur durch sein gewöhnliches »Quien sabe« beantworten konnte.

An dem nämlichen Abend noch sattelte Cruzado sein Pferd und ritt hinaus in die Pampas, um dem Kaziken Mankelav Meldung von dem eingetroffenen Häuptling und dessen Ansprüchen zu machen. – Aber auch noch in eines andern Auftrag ging er, und zwar aus Mitleid mit dem alten Mann, der jetzt dem aufreibendem Gram, dieser ewig an ihm nagenden Ungewißheit, zu erliegen schien. Bis dahin hatte ihn die Hoffnung noch aufrechterhalten, Entbehrungen und Beschwerden nicht achten lassen und immer sein Auge nur dem einen ersehnten Ziel entgegengelenkt. Jetzt fing sein Geist an zu erschlaffen, er begann zu fürchten, daß Mankelav sein Kind, sein alles, ebensowenig wie sein Bruder, herausgeben, sondern für sich behalten würde, und mit dieser Furcht brach er in sich selbst zusammen.

So auffällig hatte er sich dabei in den letzten Tagen verändert, daß es selbst dem sonst ziemlich gleichgültigen Halbwilden nicht entgehen konnte. Seine Wangen waren bleich geworden, die Augen lagen ihm tief in den Höhlen, sein Blick schien unstät fortwährend etwas zu suchen, und wie er früher rastlos, unermüdlich umhergeeilt oder die mitgebrachten Geschenke ausgepackt, geordnet und wieder weggelegt hatte, so saß er jetzt stundenlang still und regungslos auf einem Fleck und starrte vor sich auf den Boden nieder.

So vergingen Tage – lange, endlose Tage, und der Bote kehrte nicht zurück; aber der alte Mann saß still und geduldig harrend in seinem Zelte, und wenn ihm des Herzens ungestümes Pochen die Brust zu sprengen drohte, faßte er sie krampfhaft mit beiden Händen und flüsterte nur leise: »Paciencia! paciencia!«

Cruzado fand indessen die Kaziken noch beisammen, ja Huitrallan und Huentchapan waren sogar dazu gekommen, um den Tod ihres alten Führers zu betrauern und den neuen Kaziken zu begrüßen. Auch die Ankunft Tchaluaks hatte nichts Befremdendes, ja war sogar erwartet worden, da er in so kurzer Entfernung seinen Lagerplatz gehabt. In wilde Aufregung aber versetzte alle die Kunde, die Cruzado mitbrachte, daß er es wage, derartige Ansprüche geltendzumachen, und toll aufbrausend wären sie am liebsten gleich fortgestürmt, um ihn in seine Schranken zurückzuweisen. Mankelav beruhigte sie. Es war das, wie er sagte, eine Sache, die nicht mit Lanze und Bolas ausgefochten werden konnte, wenn sie den Frieden ihrem Land erhalten wollten, sondern die in geregelter Ratsversammlung besprochen und behandelt werden mußte, und dazu gab es keine bessere Gelegenheit als eben die jetzige, indem die größte Zahl der sonst in den Pampas zerstreuten Führer gerade hier versammelt war. Nur Huincaval und Jankin fehlten; allerdings waren auch zu ihnen Boten mit der Trauerkunde gesandt, aber Huincaval befand sich gerade bei dem Fort der Weißen, um den Tribut der Argentiner in Empfang zu nehmen, während der Kazike Jankin einen Zug gen Süden unternommen hatte, um die friedlichen Beziehungen mit ihren dortigen Nachbarn zu erhalten. Von beiden konnte, ehe Monde vergingen, keine Antwort eintreffen.

Die Trauerzeit für die Krieger bestand überdies nicht mehr, da man die Überreste ihres bisherigen Kaziken unter der üblichen Feierlichkeit beigesetzt hatte; nur den Frauen lag es jetzt noch ob, den Geschiedenen zu beweinen.

Der Befehl zum Aufbruch wurde gegeben, noch immer aber hatte Cruzado keine Gelegenheit gefunden, ein Wort zu Mankelav über des Chilenen Tochter zu sagen, und es war außerdem bestimmt worden, daß die Frauen – nur mit einer Ehrenwache – noch kurze Zeit an dem Begräbnisplatz zurückblieben. Da trat der Dolmetscher an den Kaziken heran, und seine Hand auf dessen Arm legend, sagte er leise: »Die Wasser des Limaï sind gefallen, der Mond steht am Himmel, der Wind weht trocken vom Süden herauf und die Berge der Kordilleren liegen klar und rein. Am Limaï aber sitzt ein alter Mann und jammert um sein Kind; seine Wangen sind dünn geworden und seine Augen hohl. Will Mankelav das Kind seinem Vater zuführen?«

Der Kazike schwieg und blickte finster vor sich nieder.

»Sprichst du mir jetzt davon, den Weißen Gutes zu tun,« sagte er endlich, »wo das Blut meines Bruders noch den Boden färbt?«

»Der alte Mann hat viel gelitten, er wird sterben,« sagte Cruzado ruhig, »und die schöne Blume wird welken und vergehen. Es sind Weiße, was können sie dafür, daß sie sündigen; du bist Mankelav, der Kazike der Pehuenchen.«

Der Häuptling sah ihn fest ins Auge, aber seine schönen Züge hatten das Starre, Düstere, verloren. Er erwiderte auch kein Wort, sondern schritt langsam in das Zelt zurück, und zwei Indianer flogen gleich darauf in die Pampas hinaus, um einen kleinen braunen Hengst dort einzufangen.

»Und die Frau darf uns begleiten?« rief Cruzado mit freudestrahlendem Auge, als er zurückkehrte, »oh, du tust ein gutes, großes Werk, Mankelav!«

»Dadurch, daß sie uns begleiten soll?« sagte der Häuptling ausweichend. – »Ich hatte sie nur vergessen, darf sie aber nicht hier allein lassen, da sie die indianischen Frauen hassen. – Ich werde sie vor der Hand unter den Schutz meines Zeltes stellen.«

Cruzado sah erschreckt zu ihm auf, des Indianers Züge verrieten aber nichts von dem, was in ihm vorging, sein Antlitz war starr und ausdruckslos, und zu seinem Pferd schreitend, schwang er sich in den Sattel. Es dauerte noch einige Zeit, bis die übrigen Kaziken ihre Leute und Pferde beisammen hatten, und zwischen ihnen erschien die junge Weiße, aber entstellt durch die gebotene Trauerzeremonie der Pehuenchen. Sie hatte ihr Gesicht schwarz färben müssen und, ihr Schultertuch über den Kopf gezogen, folgte sie nur wie ein Opferlamm den Befehlen, die ihr gegeben wurden.

»Armes, armes Kind,« seufzte Cruzado, der zu lange zwischen den Weißen gelebt und ihre Sitten kennengelernt hatte, um nicht zu wissen, was sie gelitten haben mußte. Gern hätte er ihr auch ein Wort des Trostes zugeflüstert, aber ob Mankelav etwas Derartiges fürchten mochte und verhüten wollte, er ließ den Dolmetscher nicht von seiner Seite und, als die Frau endlich im Sattel saß, diese an seiner andern Seite reiten.

Die Kaziken hatten miteinander geflüstert; es war ungewöhnlich, daß die Witwe eines Häuptlings schon nach so kurzer Zeit ihr Zelt verlassen durfte, aber sie mochten auch den Kaziken nicht deshalb fragen, denn schwere Sorge lag auf seiner Stirn. Endlich setzte sich der Zug in Bewegung, und im scharfen Galopp jagten sie über die Pampas, bis sie die einbrechende Nacht zum Halten zwang. Nicht einmal wurde in der ganzen Zwischenzeit gerastet, und auch jetzt nur ein einziges kleines Zelt aufgeschlagen, unter welchem die junge Frau die Nacht zubringen sollte. Alle übrigen lagerten im Freien.

Aber mit Tagesanbruch standen die Pferde schon gesattelt und bereit, und wie die Sonne sich am Horizont zeigte, flogen die wilden Reiter wieder mit donnernden Hufen über die Pampas, während der Braune Irenes, immer im Paß, vollkommen Schritt mit ihnen hielt.

Wieder ging es unaufhaltsam vorwärts, bis die Sonne schon fast im Mittag stand und sie einen kleinen Steppenbach erreichten, der sein Wasser dem Limaï zuführte. Hier gebot Mankelav Halt, und sich zu Cruzado wendend, sagte er, viel freundlicher, als er bis jetzt gesprochen: »Sage der Chilenin, daß sie sich in diesem Bache wäscht.«

Cruzado zögerte und sah ihn staunend an.

»Hast du mich verstanden?« fuhr der Häuptling aber ruhig fort. »Bis zu diesem Bach war sie die Witwe meines Bruders, des Kaziken Jenkitruss, aber sie darf nicht mit geschwärztem Gesicht vor ihrem Vater erscheinen.«

»Mankelow!« rief der Dolmetscher bewegt.

»Sprich kein weiteres Wort zu ihr,« setzte aber der Kazike hinzu, indem er warnend die Hand hob, »ich verstehe genug von deiner Sprache, um das zu hören.«

»Keine Silbe, Kazike,« rief Cruzado freudig, »ein solches Glück mußt du ihr selber künden«, und sich zu der jungen Frau wendend, sagte er freundlich: »Der Kazike, Señorita, wünscht, daß Ihr Euch an diesem Bache die schwarze Farbe aus dem Antlitz waschen mögt.«

»Und darf ich?« fragte die Unglückliche furchtsam.

»Ihr dürft es – tut es unbesorgt.«

»So komm, Cruzado,« sagte Mankelav, der ihm noch immer nicht recht traute, »wir wollen indessen dort hinüberreiten, daß sie hier ungestört ist, sie mag uns folgen, wenn sie fertig ist«; und im Schritt führte er den Zug etwa hundert Schritt weiter, zu einer Erhebung des Bodens, von wo aus sie deutlich das nicht mehr ferne Lager am Limaï erkennen konnten. Recht gut unterschieden sie auch die links abgelegenen Zelte, in deren einem der alte Chilene seinen Aufenthalt hatte.

Irene beendete indessen die so wohltätige Waschung, denn die ganzen Wochen hindurch seit dem Tode des Häuptlings hatte ihr kein Wasser das Antlitz nässen dürfen, während all den Frauen nur die notdürftigste Nahrung gereicht war, um sie am Leben zu erhalten. Jetzt hatte sie sich wieder erfrischt und die entstellende Farbe von den, ach, so weißen Wangen gespült, dann stand sie auf, trat zu ihrem Tier, das geduldig neben ihr den Boden scharrte, schwang sich in den Sattel und folgte dem vorangegangenen Trupp.

»Huenta!« rief Tureopan erstaunt aus, als er das von der entstellenden Farbe befreite wunderliebliche Weib erblickte und ganz überrascht des neben ihm reitenden Paillacans Arm ergriff, »wie schön sie ist und wie weiß.«

»Mankelav hat nicht gut daran getan, ihre Trauer so abzukürzen,« sagte dieser, »sie ist ein gefährliches Erbe seines Bruders.« Aber Mankelav achtete nicht auf sie; ihr Pferd hatte sich wieder an seine Seite gehalten, und seinem eigenen Tier die Sporen gebend, flogen sie über die Steppe, bis sie die nächsten Zelte auf etwa vier- bis fünfhundert Schritt erreicht hatten. Da noch einmal zügelte er sein Tier ein, und seine Hand auf Cruzados Arm legend und ihn etwas auf die Seite drängend, sagte er leise und lächelnd: »Zum erstenmal in meinem Leben möchte ich die Sprache der Chilenos reden – hilf du mir – wie heißt es, wenn sie sagen wollen: Dort ist dein Vater!«

Mit freudestrahlendem Gesicht sprach ihm Cruzado die Worte vor; der Häuptling sah still dabei vor sich nieder und nickte langsam mit dem Kopf, dann wandte er sein Pferd und ritt auf die Frau zu.

»Irene,« sagte er, und seine edlen, offenen Züge glänzten vor Freude, während er den Arm nach den nächsten Zelten ausstreckte, »dort ist dein Vater.«

»Mein Vater?« stieß die Arme bestürzt, ihren Ohren kaum trauend, hervor – »mein Vater? – wo? – hier?«

»Sprich du mit ihr, Cruzado,« lächelte da der Kazike, »es geht doch nicht. Sage ihr, daß sie in jenen Zelten ihren Vater findet.« Mit flüchtigen Worten verkündete ihr auch der Dolmetscher ihr Glück, während sich ihr Antlitz wie mit Purpur färbte – aber es war nur ein Moment.

»Mein Vater!« jauchzte sie, »Santa Maria!« und ihrem kleinen Tier die Hacken einsetzend, flog es mit ihr über den Boden, daß es die Erde kaum zu berühren schien.

»Haha!« lachte der Kazike, indem er jetzt auch seinem Pferd die Sporen einsetzte, »das war wie Blitz und Schlag, wie der Braune läuft.« Und in gestreckter Karriere folgte der Trupp, die Indianer nicht einmal wissend, ob sie nicht die Flüchtige einholen sollten. Ja, einige der Leute warfen schon unwillkürlich ihren Lasso los, aber Mankelav wehrte ihnen lachend:

»Laßt sie,« sagte er, »sie ist frei und kehrt zu den Ihrigen zurück.«

Den Braunen hätten sie aber auch nicht eingeholt. – Wie der Pfeil von der Sehne, schnellte er über die Pampas, und Irene, kaum die Zügel mehr achtend, die Arme ausgebreitet, schrie, als sie sich den Zelten näherte: »Vater! Vater! wo bist du – o komm – komm zu deinem Kind!«

Ein wilder Aufschrei tönte aus einem der Zelte, mit Mühe nur zügelte sie das mutige Tier ein, eine weiße, bleiche Gestalt taumelte daraus hervor. »Vater, zu mir – zu mir!«

Sie war vom Pferde, sie wußte nicht, wie sie zu Boden gekommen war. Der alte Mann vermochte nicht mehr, sich von der Stelle zu rühren, sie war neben ihm, sie hatte ihn umschlungen, und bewußtlos, von der Seligkeit dieses Moments überwältigt, brach er in ihren Armen zusammen.

Im nächsten Augenblick donnerten die Indianer heran, die ihr dicht gefolgt waren, und einer von ihnen fing Irenes Pferd, warf ihm Sattel und Zaum ab und ließ es frei.

Mankelav hielt neben der Gruppe, während Cruzado vom Pferd gesprungen war, um nach dem alten Mann zu sehen.

»Ist er tot?« sagte der Häuptling leise.

»Er lebt,« rief Cruzado, »nur die Freude hat ihn umgeworfen.«

»So hol deinen deutschen Doktor,« nickte der Kazike, »der mag ihn wieder zu sich bringen – kommt!« Und seinem Tier die Zügel lassend, flog der ganze Trupp jetzt in das andere Lager hinüber und vor das Beratungszelt, das sie zu ihrem Erstaunen von Tchaluaks Schar besetzt fanden.

Der Häuptling stand mit untergeschlagenen Armen und festzusammengezogenen Brauen vor der Tür – ohne Gruß, ohne Worte der Erkennung, ja, er schien im Gegenteil den Gruß der anderen zu erwarten, und finsterer wurde sein Antlitz, als sich die Kaziken schweigend und trotzig um ihn sammelten.

»Hallo!« rief Mankelav, der einen Blick ins Innere geworfen hatte und die Lagerszene dort drinnen bemerkte; »wer hat euch Burschen die Erlaubnis gegeben, das Beratungszelt der Kaziken zu einem Schlafplatz zu machen? Hinaus mit euch! Habt ihr verstanden, oder soll ich eure Sättel und Decken durch meine Leute auf die Straße werfen lassen?«

»Halt, Mankelav,« rief da Tchaluak finster und drohend, »ich selbst gab ihnen die Erlaubnis, das Zelt zu beziehen.«

»Du, Tchaluak? und welches Recht ward dir, darüber zu verfügen?« rief der Kazike, während sein Auge blitzte; »Allumapu, Saman, hierher, meine Leute, und treibt mir einmal das Gesindel aus dem Zelt!«

Von allen Seiten kamen Indianer herbei, die Leute Tchaluaks mochten es aber doch nicht für geraten finden, etwas Derartiges abzuwarten, denn mehr und mehr Reiter sprengten herbei, und es kam ihnen dabei fast so vor, als ob sie den Einfluß ihres Kaziken, von dem er ihnen selber soviel erzählt, doch vielleicht ein wenig überschätzt hätten. Keinenfalls nahm Mankelav viel Notiz von ihm. Sie zögerten deshalb auch nicht, dem so rauh gegebenen Befehl zu gehorchen, und während jeder sein Reitzeug und seine Waffen aufgriff, was sie an Gepäck mitgebracht, lag ja außerdem noch draußen, war das Zelt auch rasch und vollkommen geräumt. Frauen wurden dann herbeigerufen, die das Zelt kehren und säubern mußten, und Saman, der ein tüchtiges Feuer in der Mitte entzündet hatte, ordnete Sitze für die Kaziken darum her – den höchsten, am obern Ende, für Mankelav.

Kaum war der Beratungssaal in Ordnung gebracht und die Kaziken hatten ihre Plätze eingenommen, als auf ein Zeichen Mankelavs die Seitenwände des Zeltes niederfielen, womit die Erlaubnis für alle Indianer gegeben war, wenn auch nicht an der Beratung teilzunehmen, doch die Reden zu hören, die gehalten wurden, und neugierig drängte alles herbei. Hatten doch auch Tchaluaks Leute schon offen ausgesprochen, daß nur ihr Kazike von jetzt an der rechtmäßige »Apo« in den Pampas sein könnte und ihm die Würde eines ersten Häuptlings übertragen werden müsse.

Als Tchaluak das Beratungszelt betrat und diese Vorkehrung bemerkte, schoß er einen Blick voll Haß und Zorn auf Mankelav, und mit gereizter Stimme fragte er laut: »Seit wann ist es Sitte, daß die Kaziken in ernster, wichtiger Beratung ihr Zelt dem ganzen Stamme öffnen? Der alte Brauch der Pampas heischt, daß die Häupter des Volkes zuerst ihre Meinungen austauschen, ehe das, was sie berieten und überdachten, Gemeingut der Masse wird.«

Die Kaziken schwiegen und blickten auf Mankelav, der, von seinem Sitz aufstehend, ruhig sagte: »Freunde und Bundesgenossen, nicht zu einer Beratung sind wir zusammengetreten, die über Krieg oder Frieden oder wichtige innere Angelegenheiten unseres Volkes entscheiden soll, sondern –«

»Aber wer sagt dir das?« schrie Tchaluak gereizt dazwischen, »ich selber fordere –«

»Ruhe – Frieden!« riefen die Kaziken entrüstet – »Mankelav spricht. Was du zu sagen hast, bring später vor.«

»Sondern ich selber habe euch hierher berufen,« fuhr Mankelav fort, »um als Erbe unseres Geschlechts und meines ermordeten Bruders Jenkitruss den Oberbefehl der Stämme zu übernehmen und euch zu fragen, ob ihr so treu zu mir halten wollt, als ihr es zu dem Toten getan?«

»Hört mich, Kaziken!« rief Tchaluak, seiner Sinne kaum mehr mächtig, denn keine Zeit blieb ihm mehr zu schlauer Vorbereitung und Berechnung. »Jenkitruss war unser Kazike – er ist tot, und sein Andenken wollen wir ehren. Er war tapfer und klug; aber nicht nach Erbschaftsrecht, wie es unsere Sitte verlangt, erhielt er den Ehrenplatz der Häuptlingsschaft, sondern nach freier Wahl der Stämme.«

»Sein Vater war vor ihm Kazike, Tchaluak!« rief Tureopan.

»Aber nicht dessen Vater!« schrie der Häuptling, »im Kampf und Aufruhr wurde er zum Kaziken gewählt, durch nichtswürdige Verleumdungen, auf den Stamm geschleudert, der von jeher die oberste Macht im Lande besessen. Cajapol, mein Urahn, war Apo dieser Steppen, und seine Enkel wurden geschmäht, gelästert, weil sie Frieden mit den Weißen schließen und den ewigen Kriegen, den unaufhörlichen Metzeleien ein Ende machen wollten. – So konnte man seinen Stamm wohl für kurze Zeit verdrängen, aber sein Blut macht seine Rechte geltend, und ich, Tchaluak, stehe hier als letzter Sprosse jenes edlen Geschlechts, und verlange von euch, ihr Kaziken, daß ihr die Gesetze unseres Bundes ehrt und nicht Aufruhr und Empörung über unser Vaterland heraufbeschwört. Was ich getan, weiß das Volk,« fuhr er, sich stolz emporrichtend, mit beredter Stimme fort, »die Moluchen haben meine Lanze gekostet und ihre jungen Männer die Wucht meiner Bolas gefühlt. Drei Kriegszüge habe ich gegen die Weißen im Norden unternommen; bis zu ihrer befestigten Stadt San Louis bin ich zweimal vorgedrungen; und als ich zurückkehrte, lagen ihre Wohnungen in Asche, und die Pampas umher war leer von Pferden und Rindern. Fünfzig Gefangene tötete ich allein auf dem letzten Zug, der Schrecken ging vor mir her, und blutig waren die Stätten, die ich im Rücken ließ, während meine Lasttiere unter der gemachten Beute keuchten.«

»Und wo war Tchaluak,« rief da Mankelav mit gehobener Stimme, während ein Gemurmel des Beifalls durch die draußen versammelten Zuhörer lief, »als die Weißen ein Fort an der einzigen Furt durch den Kusu-Leufa gebaut, durch die wir unser Salz erlangen konnten? Wo war Tchaluak, als mein Bruder Jenkitruss ihn zur Unterstützung herbeirief, um die mit Feuerwaffen bewehrten Feinde aus ihrer festen Stellung zu verjagen? Gegen Weiber und Kinder führte er Krieg, ja – die wehrlosen Hütten überfiel er in der Nacht, steckte sie in Brand und trieb die Herden fort, aber die bewaffneten, verschanzten und mächtigen Feinde wagte er nicht mit anzugreifen. Er weigerte sich, an dem Zuge teilzunehmen, und Jenkitruss allein mit seiner Schar stürmte das Fort, warf sich in die Palissaden und bahnte uns wieder den Weg zu unserem Salz, das von da ab kein Weißer mehr gewagt hat, uns streitig zu machen.«

»Ja, so war es – so war es!« schrien zahlreiche Stimmen von da und dort, »Jenkitruss hat das getan.«

»Und wo war Tchaluak!« rief Mankelav, sich zornig und verächtlich gegen den Häuptling emporstreckend, »als die Weißen über den Bergen das Land unserer roten Brüder mit ihren bewaffneten Scharen überzogen, ihre Wohnungen niederbrannten, ihre Herden wegtrieben – wo war er, als ihn Jenkitruss zu Hilfe aufrief, den Indianern gegen den gemeinsamen weißen Feind zu helfen und das Land des roten Mannes frei von ihm zu halten? Er weigerte die Hilfe gegen die bewaffneten Männer, weil er nur mit Weibern und Kindern Krieg führt.«

»Weil ich unserem Land den Frieden erhalten wollte!« rief der Häuptling, in Haß und Wut zu dem Kaziken aufblickend.

»Den Frieden?« rief Mankelav verächtlich, »und deshalb hat Tchaluak auch wohl seine Boten zu den Poypus und Chonos, zu den Dihuits und Teluchets gesandt, um sie zur Empörung gegen Jenkitruss aufzufordern und ihn selber zum Kaziken auszurufen? Deshalb verkehrte er wohl heimlich mit den Sendlingen, die von Carmen aus durch die Sümpfe zu ihm schlichen, und die er aufforderte, den Tribut nicht länger zu zahlen, um sie als Bundesgenossen gegen die Pehuenchen zu bekommen? Ha! – traf ich den rechten Fleck? Fort mit dir, falscher Tehuelche. Hier stehen die Kaziken dieses Landes, und ihnen liegt es ob, zu sagen, wer Oberhaupt im weiten Reiche sein soll, Mankelav, der Bruder ihres Kazijen Jenkitruss, oder Tchaluak, der Verräter, der sie an die Weißen verkaufen wollte.«

»Mankelav soll unser Kazike sein!« rief da Paillacan, von seinem Sitz emporspringend, »der Erbe von Jenkitruss, Mankelav!« Und »Mankelav!« riefen die Häuptlinge wie mit einer Stimme, während die Hunderte von Kriegern, die indessen in äußerster Spannung außerhalb der Hütte der Verhandlung gelauscht, in den donnernden Jubelruf ausbrachen: »Mankelav! Mankelav! Es lebe der Kazike Mankelav! Nieder mit seinen Feinden!«

Still und regungslos stand Mankelav, kein Zug seines Angesichts verriet die Leidenschaft, die in ihm tobte, und nur als der Jubelruf der Masse wild und stürmisch ausbrach, zuckte ein leichtes triumphierendes Lächeln um seine Lippen.

»Und nun zu dir, Tchaluak,« fuhr Mankelav, als sich das Toben endlich gelegt, mit scharfer und gehobener Stimme fort. »Du siehst, daß deine übermütigen Ansprüche durch die Kaziken abgewiesen sind, du weißt aber auch, daß ich deine Umtriebe und deine Pläne kenne, deren mein Bruder dich nicht für fähig hielt. Er schon hat dir befohlen, die Nontue-Lagune zu verlassen und dich nach Süden zu wenden, zu dem Lien-Leufu. Ich gebe dir fünf Tage Zeit, deinen Wohnsitz zu verändern und deine Zelte hinüberzuschaffen. Hast du verstanden, was ich dir gesagt?«

Tchaluak stand, die Unterlippe zwischen den Zähnen, seinen blutroten Mantel krampfhaft mit der rechten Hand gefaßt. Es war fast, als ob er die Kaziken noch einmal anreden wolle; aber der Blick, den er im Kreis umherwarf, mochte ihn wohl überzeugen, daß er unter all den hier Versammelten auch nicht einen gefunden hätte, der seine Partei ergriffen haben würde. Er zog den Mantel fester um sich, und mit finsterer Miene im Kreis umherschauend, sagte er: »Es ist gut, die Kaziken haben gesprochen, die Gesetze der Pehuenchen sind in den Staub getreten, sie gelten nichts mehr, und nur die Übermacht regiert. Tchaluak geht.« Und sich abwendend, schritt er trotzig dem Eingang des Zeltes zu, wo ihm die dort versammelten Indianer rasch und willig Raum gaben.

Huentchapan, eine wilde, mächtige Gestalt, mit einem Tigerfell als Mantel, dessen Krallen vorn auf seiner Brust gekreuzt waren, fuhr bei der Anschuldigung empor, aber Mankelav winkte ihn begütigend zur Ruhe.

»Laß ihn gehen, Kazike,« sagte er freundlich, als Tchaluak das Zelt verlassen hatte und sein Ruf draußen die Seinen um sich sammelte, »am Lien-Leufu ist er gefahrlos und mag dort seinen Ingrimm an Guanakos und Straußen auslassen; weiße Boten dringen dort nicht zu ihm.«

»Und wenn er sich mit den südlichen Stämmen verbindet?« rief Huitcallan.

»Wenn sie ihm trauten,« lächelte Mankelav, »so hätten sie nicht Boten zu mir gesandt, daß ich den Bruder warnen könne. Er ist machtlos wie sein Zorn; und jetzt, Freunde, räumt das Zelt, daß wir in stille und geheime Beratung über die nächsten Schritte treten. Die Versammlung der Pehuenchen ist geschlossen: die Versammlung der Kaziken beginnt; laß die Wände wieder befestigen, Saman, daß wir von jetzt an ungestört sind.«

 


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