Friedrich Gerstäcker
Unter den Pehuenchen
Friedrich Gerstäcker

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2. Kapitel

Aus dem araukanischen Gebiet – jenem weiten, herrlichen Landstrich, auf welchem die Horden der chilenischen Indianer noch bis zum heutigen Tag ihre Unabhängigkeit gewahrt und ihr Land gegen jeden Feind verteidigt haben – kehrten die chilenischen Regierungstruppen zum erstenmal siegreich zurück. Den wilden braunen Burschen war es nämlich in ihren fruchtbaren Tälern und mit süßen Weiden bedeckten Hügelhängen zu wohl geworden, so daß sie anfingen, ihre weißen, nördlichen Grenznachbarn zu belästigen. Ob die Häuptlinge selber damit in Verbindung standen, ließ sich allerdings nicht ermitteln, ja, es war sogar unwahrscheinlich, denn sie konnten nicht gut ein Interesse dabei haben, ihre Nachbarn zu erbittern und zu reizen. Nichtsnutziges, raublustiges Gesindel, aufgestachelt von weißen Vagabunden, die sich der chilenischen Justiz durch Flucht unter die Indianer entziehen, mochte wohl die alleinige Schuld an den immer häufiger vorkommenden Viehdiebstählen tragen. Aber die Häuptlinge mußten dafür verantwortlich gemacht werden, wenn sie solchem gesetzlosen Treiben nicht Einhalt tun konnten oder wollten, und als diese Grenzverletzungen kein Ende nahmen, rückten die chilenischen Soldaten in geschlossener Macht hinüber in das araukanische Gebiet und übten, wie sie es nannten, Vergeltungsrecht.

Den eigentlichen Feind trafen sie dort allerdings nicht; denn wenn sich ihnen auch einzelne Schwärme junger Krieger entgegenwarfen, so mußten diese doch bald den überlegenen Feuerwaffen und der vernichtenden Wirkung mitgeführter Kanonen weichen. Sie konnten nicht standhalten; das weite Land lag den Feinden offen, und während die Familien jetzt in wilder Hast in die Berge flüchteten, um dort – und wenn nicht dort – auf der Otra Banda Schutz zu finden, trieben die Männer, was sie in der Eile von ihren Heiden zusammenbringen konnten, ihnen nach und ließen ihre Gehöfte und Felder in der Gewalt der Weißen.

Vernünftiger wäre es gewesen, wenn diese einen gemäßigten Gebrauch von dem erlangten Vorteil gemacht und sich damit begnügt hätten, den Indianern nur ihre Macht zu zeigen; denn mächtig genug waren sie doch nicht, das für den Augenblick gewonnene Gebiet zu behaupten. So aber wirtschafteten sie nicht viel besser, als es die Indianer selber getan haben würden, wenn sie in Feindesland eingebrochen wären. Sie zerstörten die Wohnungen der Araukaner und brannten sie nieder, verwüsteten ihre Felder und hetzten die armen Frauen und Kinder in die unwirtbaren Berge hinein. Dann sammelten sie an Vieh und Pferden, was sie noch irgendwo finden konnten, und trieben alles so rasch als möglich nach Norden, in ihr eigenes Land hinauf. Sie wollten nämlich nicht warten, bis sich die wilden, kriegstüchtigen Horden sammeln konnten, und trauten ebensowenig den Nachbarn über den Bergen drüben, ob diese nicht doch bewogen werden konnten, ihren Brüdern Hilfe und Beistand zu leisten und durch die Engpässe der Kordilleren über sie hereinzubrechen. An Zahl wären ihnen die Indianer dann jedenfalls überlegen gewesen, und die Tapferkeit jener wilden Stämme war bekannt genug.

Unangefochten erreichten die Chilenen indessen ihre Grenze wieder, deren Insassen aber nicht besonders erfreut über das gewonnene Resultat schienen, denn bei solcher Kriegführung – wenn ihre Freunde auch augenblicklich den Sieg davongetragen – waren ihnen die Indianer doch überlegen, und gerade die an der Grenze wohnenden Kolonisten blieben in einem Vergeltungszug der gereizten Eingeborenen deren Rache am ersten ausgesetzt. Aber solche Bedenken kamen jetzt zu spät; das tapfere Heer kehrte siegreich und mit Beute beladen wieder heim, und den Hazendados blieb nichts übrig, als sich in das Unvermeidliche zu fügen und das Kommende geduldig zu erwarten. Liegt es ja doch auch überhaupt nicht in der Natur des Südamerikaners, sich über die Zukunft Sorgen zu machen oder über das Vergangene nachzugrübeln. Was ist, hat ein Recht zu sein, darin besteht ihre ganze Lebensphilosophie – und das Kommende mag eben kommen, wenn es an der Zeit. Wer kann's ändern.

So herrschte auch heute in dem Hause des Señor Enrique Rimas oder Don Enrique, wie er nach der dortigen Sitte gewöhnlich genannt wurde, reges, munteres Leben, und die Militärmusik des letzten Bataillons durchziehender Truppen sollte nicht umsonst in seinen Außengebäuden die Nacht gelagert haben.

Don Enrique hatte aber auch alle Ursache, den Zufall zu benutzen, denn gerade heute war seine älteste Tochter Elisa mit einem benachbarten und sehr reichen Hazendado verheiratet worden, und noch heute abend wollte dieser mit seiner jungen Frau auf sein eigenes Landgut hinüberreiten. Der Tag mußte deshalb der vollen Freude gewidmet sein, und Erwünschteres hätte dem neuen Paar nicht begegnen können, als das Eintreffen einer solchen Zahl junger, lebens- und tanzlustiger Offiziere mit einer ganzen Musikbande in Uniform. Was Küche und Keller hergeben wollte, wurde aufgeboten, und der Platz wimmelte von fröhlichen, jubelnden Menschen.

Don Enriques Hazienda lag reizend auf einem kleinen Plateau mitten in den Hügeln, gerade nahe genug bei der Hauptstadt des Distrikts, »Concepcion«, um in einem Tage einen Ritt dorthin und zurück machen zu können, und doch auch wieder weit genug entfernt, um vollkommen die ländliche Einsamkeit zu genießen. Der Eigentümer hatte auch keine Kosten gescheut, um sein Grundstück nicht allein nutzbringend, sondern auch freundlich herzurichten, und die Natur begünstigte ihn dabei in reichem Maße.

Inmitten des Plateaus erhob sich das nicht hohe, aber lange und mit zwei Seitenflügeln versehene Gebäude. Hinter dem Haus zog sich ein weiter Weinberg hin, der mit einer Unzahl von Lauben und schattigen Gängen bedeckt war, in denen die vollen und schweren Trauben niederhingen (die Gegend von Concepcion ist ja ihres herrlichen Weines wegen berühmt), während weiter zurück die Keltergebäude und Pressen lagen. Vor dem Haus aber befand sich ein reizender Garten, den die herrlichsten Obstbäume füllten: Aprikosen, Pfirsiche, Äpfel, Birnen, Feigenbäume von mächtiger Größe, Granatäpfel und Orangen in Hülle und Fülle. Selbst ein paar Palmen waren an geschützter Stelle angepflanzt und gaben dem Ganzen etwas Tropisches.

Don Enrique Rimas bewohnte diesen Platz mit seinen beiden Töchtern Elisa und Irene, die erste achtzehn, die zweite kaum sechzehn Jahre alt. Elisa war heute vermählt worden. So blieb ihm denn nur die Jüngste, ein liebes, herziges Kind mit langen, schwarzen Locken, tief dunkelbraunen Augen und drei schelmischen Grübchen in Wangen und Kinn. Aber der Schelm saß ihr auch im Nacken, und wenn auch etwas verzogen vom Vater, der dem Liebling im Haus eben alles hingehen ließ, und mit einem kleinen Trotzkopf begabt, hatte sie sich doch einen ziemlich festen Charakter bewahrt, und ihre unendliche Herzensgüte ließ schon nie zu, daß ihr Eigenwille je einem Menschen – und wären es ihre niedrigsten Untergebenen gewesen – wehe getan hätte. Da gab es aber auch keinen GuasoDiejenigen chilenischen Landleute, welche ihrem Wesen und ihren Anschauungen nach »Bauern« sind. in der ganzen Nachbarschaft, bei dem sie nicht die willkommenste Erscheinung gewesen wäre, die je den Eingang seiner Hütte verdunkeln konnte; da gab es keinen Peon auf dem ganzen Gut, vom niedrigsten Stalljungen an, der nicht für sie durchs Feuer gelaufen wäre, und als sie einst – eine etwas zu tollkühne Reiterin – mit dem Pferde gestürzt war und wochenlang das Bett hüten mußte, schien es ordentlich, als ob die ganze Nachbarschaft nach Don Enriques Hazienda wallfahrten gegangen wäre, so strömten sie täglich von allen Seiten herbei, um sich nach dem Befinden des allgemeinen Verzugs zu erkundigen.

So wuchs Irene, welche die Mutter schon früh verloren hatte, fast mehr wie ein Knabe als ein Mädchen erzogen, auf, und wenn sie sich wenig mit weiblichen Handarbeiten befaßte, so war sie dafür imstande, ein Pferd zu tummeln, einen Lasso zu werfen und mit der Pistole nach der Scheibe zu schießen, wie irgendein junger Bursche ihres Alters. Aber trotzdem hatte sie sich doch jene schüchterne Weiblichkeit in ihrem ganzen Benehmen gewahrt, die gerade einen so unbezwingbaren Zauber über das Wesen einer Jungfrau ausgießt, und wenn ihr Vater behauptete, sie sei die Perle aller chilenischen Töchter, so war das ein Satz, über welchen vielleicht sämtliche chilenische Mütter die Achseln zuckten, der aber von keinem Sohn des weiten Landes bestritten worden wäre.

Trotz ihrer Jugend hatte sie auch schon Bewerber genug gehabt, und keine liebere Schwiegertochter würde irgendein Glücklicher seinen Eltern haben ins Haus führen können. Wenn sie sich aber auch allen lieb und freundlich zeigte, bevorzugen mochte sie keinen, und wer sich am meisten darüber freute, war ihr eigener Vater. Wie hätte er auch das Mädchen aus seinem Hause missen mögen – es wäre ihm ja von da an nur tot und öde vorgekommen.

An dem heutigen Tage schien aber auch fast die ganze Nachbarschaft hier versammelt, und aus dem Bereich einer Tagereise war alles gekommen, was noch die Füße zu einem Tanze regen konnte. Wer hätte auch die Sambacueca (den Lieblings- und Nationaltanz der Chilenen) im Haufe Don Enriques bei solcher Gelegenheit versäumen mögen! Wer war gastfreier im ganzen Lande, und wo sonst durfte man so viel Vergnügen, so viele der verschiedensten Genüsse zugleich erwarten?

Die jungen chilenischen Offiziere fanden sich plötzlich in einem wahren Himmel voll Engel, so strömten von allen Seiten auf schnaubenden, wiehernden Pferden reizende Gestalten herbei, und das muntere Völkchen ließ sich auch kaum für kurze Zeit an den Mittagstisch bannen, der doch mit allen nur aufzutreibenden Delikatessen bedeckt war, denn jeder drängte, den Tanz zu beginnen.

Der innere Raum des Hauses – so weitläufig diese Wohnungen auch gebaut sind – genügte gar nicht mehr für die Scharen von Tanzlustigen, und vor der Veranda war deshalb des Kies glatt und eben gekehrt und dadurch ein ganz ausgezeichneter Tanzboden improvisiert. Auf der Veranda saßen nun, gerade in der Mitte, die Musizi, und rechts und links davon hatten die Zuschauer herrlichen Platz, während vor dem Haus, in einem wahren Duftmeer von Orangenblüten, das lustige junge Volk zum Tanz antrat und in der zierlichen Sambacueca die Tücher schwenkte und einander floh und suchte.

Erfrischungen wurden dazu fortwährend herumgereicht, und das eigentliche Volk (die Diener oder Peons und ärmeren Guasos der Nachbarschaft) ward ebenfalls nicht vergessen. Im Hof, auf der anderen Seite des Gebäudes, hatte man zuerst eine lange Tafel für sie gedeckt, ein Rind war geschlachtet worden, und Wein gab's im Überfluß. Mitten im Hof auf einer Art von hoher »Schleife« oder Schlitten, einem Fuhrwerk mit Kufen, das in diesen Gegenden ziemlich häufig ist, lag ein Weinschlauch von riesigen Dimensionen – ein wahres Heidelberger Faß unter den Schläuchen. Das ganze Fell eines mächtigen Stieres (die gewöhnliche Art, auf welche man den Wein dort verschickt) war nämlich abgestreift, inwendig von allem Blut und Fett gereinigt und dann wieder so vollkommen an allen Öffnungen vernäht worden, daß auch kein Tropfen aussickern konnte.

Die Chilenen sind übrigens – wie fast alle Abkömmlinge der spanischen Rasse – nur in höchst seltenen Fällen unmäßig im Genuß von geistigen Getränken, und wenn sie jetzt der Wein auch heiterer stimmte, so gab es doch den ganzen Tag nicht einen Betrunkenen unter ihnen.

Aber beim Trinken blieb es nicht allein; denn zu verlockend tönte die Musik durch das überall offene Haus auch nach dem Hof herüber. Welche »Guasita« hätte den Lauten widerstehen können! So formten sich denn nicht so bald vor dem Haus im Garten die Paare der Gesellschaft, als auch schon im Hof eine gleiche Lustbarkeit mit ebenso gutem Willen und oft mit nicht weniger Grazie ins Werk gesetzt wurde. Ja, die Señoritas im Garten mußten sogar zu ihrem Schmerz sehen, daß sich mancher ihrer Tänzer zuzeiten an die Otra Banda»Andere Seite«, d. h. hier der Teil des Hofes, der den Tanzplatz der niedern Klasse bildete. verlor, um dort – wenn er auch nicht wagen durfte, in jene Sambacueca einzuspringen – doch den Blick an den drallen, kräftigen Gestalten der jungen Mädchen zu weiden, die sich auch auf ihrer bescheidenen Seite des schönen Tages freuten.

Allerdings war das eigentliche chilenische Heer, das den Platz am frühen Morgen passiert hatte, schon weiter nach Concepcion zu marschiert, denn eine große Menge erbeuteten Viehes erschwerte ihr Vorrücken, und sie durften sich deshalb nicht unnötigerweise zu lange an einem Ort aufhalten. Auch die Offiziere hätten sich ihm anschließen müssen; aber eine solche kurze Erholung verstattete der Dienst schon, zumal da sie sich nicht einmal mehr im Territorium der Araukaner befanden und diese auch – nach allen Richtungen zersprengt und weit in die Berge hineingetrieben – Tage, ja vielleicht Wochen gebraucht hätten, ehe sie sich wieder sammeln und an Widerstand denken konnten. Nie aber würden sie – nach der eben erst erhaltenen Züchtigung – gewagt haben, den Bio-bio-Fluß zu überschreiten und ihnen auf chilenisches Gebiet zu folgen; und das junge, sorglose Volk gab sich deshalb auch der Lust und dem unschuldigen Vergnügen mit ganzer Seele hin.

Der Tanz war eben in vollem Gange – die Sonne neigte sich allerdings schon wieder dem westlichen Horizont zu, aber Don Enrique wollte nicht, daß er damit unterbrochen würde, und eine Anzahl Pechfackeln lag am Eingang des Gartens aufgeschichtet, um mit Dunkelwerden den Platz zu erleuchten. Nur das junge Ehepaar hatte sich zurückgezogen, um seine Hochzeitsreise anzutreten, was aber hierzulande allerdings nicht in bequemer Extrapost, sondern zu Pferd und im Sattel geschieht. Die Tiere waren im Hof aufgezäumt worden, und Don Fernando, wie der junge Hazendado hieß, hatte gehofft, ganz unbemerkt mit seiner Neuvermählten davonreiten zu können; das aber vereitelte das lustige Volk der Gäste. Posten waren schon nach jener Richtung ausgestellt, und wie beide, von einer Hecke blühender Orangenbüsche verdeckt und, wie sie glaubten, völlig unbemerkt, in die Sättel sprangen, blies plötzlich das Musikkorps auf ein gegebenes Zeichen einen lauten, schmetternden Tusch, und von allen Seiten sprang das fröhliche Volk hinzu, schwenkte Hüte und Tücher und rief den jetzt hastig Davongaloppierenden ein lautes, lachendes Lebewohl nach. Dann aber eilte auch alles wieder zum Tanz zurück, und das wilde Leben begann von neuem.

Während die jungen Leute nach jenem Teil des Gartens stürmten, von welchem aus sich die Neuvermählten heimlich entfernen wollten, und der Tusch lustig dazwischen schmetterte, hielt ein einzelner Reiter vor der Gartenpforte und horchte etwas überrascht der plötzlichen Unterbrechung der eben noch gehörten Tanzmusik – aber nicht lange. Das laute Lachen und Jubeln, das gleich danach folgte, verriet ihm deutlich genug das Harmlose jener kriegerisch klingenden Töne, und ohne weiter zu zögern, denn schon lange hatte er dort verweilt, hob er geschickt mit seiner Lanzenspitze den hölzernen Riegel empor und ritt langsam in den Garten hinein.

Da schnaubte sein Pferd, das mit dem Kopf fast die am weitesten zurückstehenden Zuschauer berührte, so daß die ihm nächsten, überrascht von dem Laut, sich rasch umdrehten. Es waren ein paar Offiziere, und mit einem lauten »Caramba!« sahen sie zu dem Indianer empor, der hier, wie aus dem Boden gewachsen, zwischen ihnen hielt. Das erste Gefühl war auch das des Schrecks; denn wie hätte es ein einzelner Indianer wagen dürfen, bewaffnet zwischen ihnen zu erscheinen, wenn er nicht Hilfe in der Nähe wußte. Waren sie umzingelt – verraten?

Allumapu aber hielt ruhig und regungslos zwischen ihnen, nur ein leichtes spöttisches Lächeln stahl sich über seine dunklen Züge, als er die augenscheinliche Verwirrung bemerkte, die sein Anblick hervorgerufen hatte und die ihm nicht entgehen konnte. Dann aber ließ er die Lanze in den rechten Arm fallen, brach einen der Myrtenbüsche ab, unter denen er gerade hielt, und aus dem Sattel springend, indem er das Pferd sich selber überließ und die lange Lanze an den Myrtenbaum lehnte, aus dem er den Zweig gebrochen, schritt er, den Kopf erhoben, mitten in den Kreis hinein. Fast unwillkürlich machten die Offiziere dem jungen indianischen Krieger, der so zuversichtlich mitten zwischen sie hineintrat, Platz, während dieser mit seinen dunklen, forschenden Blicken den Kreis durchflog, um den obersten Häuptling aus der Menge herauszufinden.

Mit Don Enrique trat aber auch der kommandierende Obrist heran und übernahm jetzt das Verhör, denn Senior Rimas hatte ihm schon zugeflüstert, daß dieser Indianer nicht zu den Araukanern gehöre, sondern jedenfalls von der Otra Banda und einem der dortigen Stämme herübergekommen sei. Allein aber wagten sich diese Krieger nie über die Berge; ein Trupp seines Stammes mußte also in der Nähe lagern, und es war wichtig genug, darüber Aufschluß zu erhalten.

»Zu welchem Stamm gehörst du, Amigo,« redete ihn der Obrist unverweilt an, »bist du ein Araukaner?«

»Nein,« antwortete der Wilde, stolz den Kopf emporhebend, »meine Heimat liegt in der weiten Steppe drüben, mein Häuptling ist Jenkitruss, der Tapfere.«

»Und was hat dich hier herüber zu uns geführt? Bist du gekommen, um Teil an dem Krieg zu nehmen? – Zu spät – deine roten Freunde waren zu flüchtig, als daß wir ihren Fährten hätten folgen können.«

»Die Pehuenchen führen keinen Krieg mit ihren weißen Nachbarn,« sagte der Bote finster, »sie sind Freunde und haben weder Lanze noch Bolas gegen sie erhoben.«

»Und was ist sonst dein Begehr?«

»Ich bin Bote des Häuptlings und großen Kaziken der Pehuenchen und komme in seinem Auftrag.«

»Und was will dein Kazike von uns?«

Die Stirn des jungen Kriegers zog sich in Falten, sein Auge blickte düster auf den Sprechenden. Aber den vielleicht aufsteigenden Unmut kämpfte er hinab, und mit ruhiger Stimme fuhr er nach kurzer Pause fort: »Es ist Sitte bei uns, daß der Fremde vor dem toldo (Zelt oder Haus) Nachricht über sich gebe; hat er das aber getan, dann führt man ihn in das Beratungszelt oder weist ihm eine eigene Hütte an, aber man läßt ihn nicht mehr unter freiem Himmel und vor den Augen der Neugierigen stehen.«

»Ihr habt überhaupt wunderliche Gebräuche,« erwiderte der Obrist, aber doch über die Zurechtweisung lächelnd, »einer ist jedoch auch, soviel ich weiß, daß ihr nicht unangemeldet den Frieden eines Hauses stören dürft und draußen – selbst bei dem Toldo des Geringsten, warten müßt, bis man euch eintreten heißt. Du hast das wohl vergessen, Amigo, als du mit deinem Pferd hier mitten zwischen die Unseren hereingeritten kamst, ohne daß dich jemand kommen sah oder melden konnte. Wenn du von uns Förmlichkeiten verlangst, weshalb beobachtest du sie nicht selber? Kommen wir zu dir oder du zu uns?«

Allumapus Auge blickte düster den Sprechenden an, endlich, nach dem Himmel hinaufdeutend, erwiderte er: »Von dort drüben ist die Sonne gerückt, seit ich vor eurer Pforte hielt und meinen Anruf herübersandte, aber er verhallte in der schallenden Musik wie im Rauschen eines Wasserbaches. Wenn ihr die Türen eurer Häuser heilig halten wollt, warum werden sie dann nicht von euren jungen Leuten bewacht?«

»Tretet mit ihm ins Haus, Señor«, flüsterte Don Enrique dem Offizier leise zu, während Allumapus Augen mißtrauisch auf dem alten Mann hafteten. Was hatte der heimlich zu sagen, das er nicht hören durfte? Enrique Rimas aber fuhr wie vorhin fort: »Ich kenne in etwas die Sitte dieser Herren von der Otra Banda. Es ist wildes, aber sonst doch ziemlich anständiges Volk, und immer besser, sie zu Freunden zu behalten.«

Der Obrist schien nicht recht damit einverstanden, denn er war der Meinung, daß man am besten mit diesem »braunen und diebischen Gesindel« auskäme, wenn man so wenig als möglich Umstände mit ihm mache. Um aber nur bald zu hören, was der Bursche eigentlich von ihm wolle, denn das war vor allen Dingen nötig, und am Ende auch recht gut, daß er es zuerst allein erfuhr, nickte er seinem Gastfreund zu und sagte: »Wir können's so machen und wollen ins Haus gehen. Komm, Amigo, und ihr anderen laßt euch nicht stören. Es ist wahrhaftig nicht nötig, der braunen Haut wegen unser Vergnügen zu unterbrechen.«

Eben nicht in bester Laune schritt er dem Indianer voraus, und wie sie nur den Saal betreten hatten, während er dem Musikkorps zuwinkte, seinen Tanz weiter fortzuspielen, wandte er sich zu dem ihm folgenden Eingeborenen und sagte finster: »Nun, mein Bursche, jetzt hast du deinen Willen, wir sind im Toldo. Jetzt aber auch heraus mit der Sprache, was hat dich hergeführt?«

»Verzeiht, Señor,« unterbrach ihn da, ehe der Indianer nur auf die Frage antworten konnte, der geschmeidige alte Herr, der es für seinen Teil wenigstens nicht mit den braunen »Nachbarn« verderben wollte, so weit er sich ihren guten Willen nämlich durch Höflichkeiten erhalten konnte, »wollen wir nicht dem jungen Mann da erst etwas Speise und Trank –«

»Ich bitte Euch, Señor, ihn erst meine Frage beantworten zu lassen«, wehrte aber der Offizier ab. »Wir müssen vor allen Dingen wissen, woran wir mit ihm sind und wo seine Kameraden stecken; nachher hat er Zeit genug, an seine Pflege zu denken. Wir stehen hier noch im Felde.«

Don Enrique war nicht ganz damit einverstanden. Die letzte Andeutung des Obristen schien ihm ebensowenig stichhaltig, denn »im Felde« befanden sich die Herren Offiziere allerdings nicht mehr, sondern konnten sich nur noch als seine Gäste betrachten, da das ganze Heer mit Sack und Pack schon abmarschiert und wahrscheinlich sicher und wohlbehalten in Concepcion angelangt war. Seine eigene Höflichkeit litt aber nicht, daß er widersprach – die Herren Soldaten mußten ja doch wohl ihren eigenen Weg gehen –, und er zog sich deshalb auf die Veranda zurück, um dort mit seiner Tochter Irene Rücksprache zu nehmen, daß sie Wein und Kuchen, wie auch vielleicht etwas kräftigere Nahrung für den Eingeborenen besorge, sobald die Unterhaltung drinnen beendet sei.

»Und nun, mein Bursche, hast du meine vorige Frage verstanden?« sagte der Offizier aufs neue. »Wo kommst du her, was willst du und wo sind deine Kameraden?«

»Ihr fragt dreimal, Señor,« lächelte der Wilde, ohne sich im geringsten einschüchtern zu lassen, »doch in meiner Antwort liegt alles, was Euch zu wissen not tut.«

»Zu wissen not tut? Caracho!« fuhr der Chilene auf.

Allumapu hob aber abwehrend die Hand und sagte ruhig: »Ich komme aus den Bergen; mich schickt der große Häuptling Jenkitruss, der oberste Kazike des ganzen Pehuenchen-Volkes, der aus der weiten Pampas, unserer Heimat, herübergekommen ist in das Land der Araukaner.«

»In der Tat?« rief der Offizier emporfahrend, »um trotz aller Friedensversicherungen gemeinsame Sache mit unseren Feinden zu machen, heh?«

»Um Frieden zu stiften zwischen dem weißen und roten Mann«, fuhr aber der junge Wilde fort.

»Um Frieden zu stiften?« lachte ungläubig der Chilene.

»Ich habe es gesagt,« nickte der Indianer; »nicht um zu kämpfen kommen wir, oder wir hätten das Land mit unseren Kriegern überschwemmt, und der Schlachtschrei wäre nicht so wohltönend zu dem Ohr der Weißen gedrungen, wie die Musik da draußen.«

»Du drohst, mein Bursche?«

»Ich drohe nicht, ich rede nur die Wahrheit. In friedlicher und freundlicher Absicht kamen wir herüber, aber zu spät. Als wir in die Täler herniederritten, waren die Araukaner schon feige geflohen, und eure jungen Leute überschwemmten das Land und trieben die erbeuteten Herden vor sich her.«

»Es hat allerdings nicht lange gedauert«, lachte der Obrist.

»Die chilenischen Krieger sind tapfer«, sagte der Wilde ausweichend. »Sie kamen in großer Zahl, und ihre Feuerwaffen tragen den Tod weiter und rascher als Bolas oder Lanzen. Sie kamen in der Nacht, wie der Puma auf seine Beute springt.«

»Den roten Dieben war lange genug angekündigt, daß sie zur Rechenschaft gezogen würden – aber was hat das alles mit unserer Sache hier zu tun? Die Pehuenchen sahen, daß sie zu spät kamen – gut, ich will glauben, das war der einzige Grund, weshalb sie die Berge überschritten: Frieden zu stiften, wie du sagst; aber da wir selber schon Frieden gestiftet haben, weshalb gehen sie da nicht wieder – oder wollen sie sich in den araukanischen Wohnplätzen niederlassen?«

Dem jungen Krieger entging wohl kaum der in den Worten liegende Spott des Weißen; ein verächtliches Zucken spielte um seine Lippen, als er mit ruhiger Stimme erwiderte: »Die araukanischen Wohnplätze sind niedergebrannt und ihre Frauen und Kinder obdachlos geworden. Die mächtigen Weißen haben einen vollen Sieg errungen, und die Frauen der Araukaner werden viel zu trösten haben in diesem Winter. Die chilenischen Krieger haben das Eigentum ihrer Feinde gründlich zerstört, aber in der Nacht schieden sie nicht das Gut von Freund und Feind, und deshalb schickt mich mein Häuptling, um zurückzufordern, was ihr – nicht wissend, wem es zu eigen sei – davongetrieben: die Pferde der Pehuenchen, die wir über die Berge herübergebracht und wieder mit zurücknehmen wollen.«

»Hahahaha,« lachte der Obrist laut auf, »das ist vortrefflich; da ihr im Lande nichts mehr zu stehlen fandet, verlangt ihr jetzt, daß wir mit euch teilen sollen? Nicht übel ausgedacht. Und deshalb hat dich Jenkitruss herübergeschickt?«

»Die Pehuenchen stehlen nicht,« sagte Allumapu, sich hoch und stolz emporrichtend, während seine Stirn sich in düstere, drohende Falten zog, »unsere Gesetze verhängen die Todesstrafe über den Dieb.«

»Aller Ehren wert,« nickte der Chilene, »wird aber wohl nicht so genau genommen, denn der Begriff ist weit.«

»Auch mein Weg ist weit«, sagte der Indianer finster, der sich in der ihm überhaupt unbequemen Sprache nicht auf einen Wortkampf einlassen mochte. – »Gieb uns die Pferde zurück, die deine Krieger mit denen der Araukaner zusammen- und fortgetrieben haben, und wir kehren heim in unsere Pampas; wir wollen keinen Streit mit den Weißen – wir haben Frieden und Freundschaft mit ihnen – so sagt Jenkitruss.«

»Und wieviel Pferde sind euch abhanden gekommen?« fragte der Offizier.

»Zweiundsechzig Stück,« erwiderte der Pehuenche, »die wir mitgetrieben haben, um unsere Tiere zu wechseln und unser Gepäck zu tragen.«

»Mehr nicht?« lachte der Chilene, »und wo sollen die jetzt stecken, und wer wollte sie herausfinden aus den übrigen?«

»Ich kenne sie alle,« erwiderte Allumapu, »jedes Haar von ihnen.«

»Das glaub ich, daß du dir die besten heraussuchen würdest,« nickte der Offizier, »nicht den geringsten Zweifel; aber daraus wird nichts. Niemand hat euch zu unseren Streitigkeiten über die Berge gerufen; ihr habt überhaupt hier hüben gar nichts zu suchen. Sind euch dabei Pferde wirklich abhanden gekommen, so wär's euer eigener Schade, und ihr mögt sie euch wieder in den Bergen der Araukaner zusammensuchen, dagegen habe ich nichts – aber von den Tieren, die wir in Feindesland erbeutet, bekommt ihr kein Stück, das sage ich – und wenn ihr euch deshalb auf die Köpfe stellt.«

»Du weigerst dich, unser Eigentum herauszugeben?« fragte der Indianer, und sein Blick haftete mit dunkler Glut auf dem Weißen.

»Ich kenne euer Eigentum nicht und habe nichts damit zu tun. – Hast du sonst einen Auftrag?«

»Nein.«

»Und wo liegen deine Freunde?«

»In den Bergen«, erwiderte kurz der Wilde, der seinen Poncho zusammenfaßte und sich zum Gehen rüstete.

»Aber wo – in welchen? Weit von hier?«

»Wer kann sagen, wo die Pehuenchen hausen!« sagte Allumapu, als sich ein trotziges Lächeln über seine Züge stahl, »heute sind sie hier, morgen dort – wie der Pampero fegen ihre Rosse über die Pampas. Es ist ein wildes, bewegliches Volk.«

Der Obrist biß sich auf die Lippe, denn er verstand recht gut den in den Worten liegenden Spott; aber andere Gedanken zuckten ihm auch zugleich durch das Hirn.

»War das die Antwort, die ich dem Kaziken bringen soll?« fragte der Indianer jetzt, indem er sich zum Gehen wandte.

»Das war die Antwort – allerdings – aber – du mußt vorher etwas essen, ehe du gehst. – Señor Don Enrique, wenn ich Sie bitten dürfte, unserem roten Freund jetzt etwas Speise und Trank reichen zu lassen – unsere Unterhaltung ist beendet, und er wird hungrig und durstig geworden sein.«

»Gewiß, gewiß«, rief der Chilene bereitwillig; war er doch schon die ganze Zeit ziemlich ungeduldig und auch unbehaglich auf seiner Veranda auf und ab gegangen, denn die Unterredung da drinnen gefiel ihm gar nicht. Das war kein freundlicher Ton, der dabei vorherrschte, und Don Enrique war viel zu sehr schon durch die Streitigkeiten mit den benachbarten Araukanern beängstigt, als daß er es hätte für wünschenswert halten sollen, sich nun auch noch mit den Stämmen der Otra Banda zu verfeinden. Was kümmerten sich freilich die Soldaten darum; die zogen weiter in ihre Garnisonen zurück, und fielen die Indianer wieder ins Land, nun, so wurden sie aufs neue herkommandiert und konnten ihre Vergeltung ausüben. Wer aber indessen einzig und allein den Schaden hatte und aller Gefahr und Sorge ausgesetzt blieb, das waren die Grenzbewohner, und diese deshalb auch gar nicht mit der Art und Weise einverstanden, wie dieser letzte »Krieg« von den Regierungstruppen geführt worden. Mit Sengen, Brennen und Herdenwegtreiben stellten sie sich mit den Wilden auf eine Stufe, die ihnen noch dazu in solcher Kriegführung mit ihren leicht beweglichen Schwärmen stets überlegen blieben. Gegen Regierungsbefehle konnte man aber – wenn man auch in einer Republik lebte – nicht ankämpfen. Mit um so größerem Eifer beschloß der friedliebende Chilene dafür alles zu tun, was in seinen Kräften stand, um den Indianer freundlich gegen sich zu stimmen, und Irene bekam rasch den Auftrag, das Verlangte und schon Bereitgestellte dem Gast hineinzutragen.

Allumapu stand noch unschlüssig im Saal allein, denn der Obrist hatte ihn verlassen und war hinaus zu seinen Offizieren getreten, mit denen er leise und eifrig flüsterte. – Einen Augenblick fast schien es, als ob er die gebotenen Erfrischungen ausschlagen und das Haus verlassen wolle, um so rasch als möglich zu den Seinen zurückzukehren; aber sein Körper verlangte nach Nahrung, denn zu lange schon hatte der eiserne Wille des Mannes jede aufsteigende Schwäche zurückgekämpft. Jetzt fühlte er, daß er einer Stärkung bedürfe, wenn er nicht der übergroßen und unnatürlichen Anstrengung vielleicht erliegen sollte.

Da trat, von einer Dienerin begleitet, welche die Speisen trug, Irene selber zu ihm ins Gemach, und mit freundlicher Stimme sagte sie: »Ihr werdet durstig sein von dem weiten Ritt, Señor, eßt und trinkt, damit Ihr gestärkt von dannen zieht«, und mit den Worten schenkte sie ihm aus einer mitgebrachten Flasche ein großes Glas Rotwein ein, das sie ihm selber kredenzte.

Allumapu nahm es; aber so fest haftete sein Blick dabei auf den lieblichen Zügen der Maid, daß sie die Augen schüchtern und errötend vor ihm zu Boden schlug und sich dann abwandte, um ihm die Speisen auf dem Tisch zu ordnen. Wie sorglich hatte sie das Beste und Schmackhafteste für ihn ausgesucht und sich dabei so nutzlose Mühe gegeben. Was kümmert sich der Pehuenche um Delikatessen, der daran gewöhnt ist, sein Stück Pferdefleisch auf trockenem Kuhmistfeuer zu braten oder es auch auf der Flucht oder Verfolgung in seinen Pampas roh zu verzehren und das Blut dazu zu trinken! Aber die aufgestellten Speisen reizten ihn doch – er durfte auch nicht zu lange Zeit hier nutzlos vergeuden, und mit einem »Gracias, Señorita – Dios se lo pague!« setzte er sich zu dem reichen Mahl und schlang die Speisen jetzt mehr hinein, als daß er sie ordentlich verzehrt hätte.

Irene betrachtete ihn mitleidig und sagte endlich freundlich: »Ihr waret wohl recht hungrig und habt so lange warten müssen.«

»Die Sonne ist zweimal aufgegangen,« sagte der Indianer, »ohne daß ein Bissen Speise meine Lippen berührt hat. Allumapu war sehr hungrig.«

Lebensmittel hatte sie genug auf den Tisch gestellt für wenigstens vier hungrige Menschen, und sie verschwanden, als ob sie nicht verzehrt, sondern nur in der Geschwindigkeit in eine Reisetasche geschoben würden. – Und wie konnte er dabei trinken! Er schluckte gar nicht, und es lief hinab wie in einen Schlauch; es war ganz erstaunlich.

Jetzt hatte er geendet; ob er satt sei, wußte man nicht, aber sämtliche Lebensmittel waren aufgezehrt; der braune Bursche war auch nun wieder bereit, wenn es sein mußte, zwei volle Tage zu hungern und zu dürsten. Er wischte sich den Mund nur mit seinem dunkelbraunen Poncho ab und strich das Fett von seinen Fingern in die langen, wehenden Haare hinein; dann stand er auf, und der Jungfrau die Hand reichend, die sie schüchtern nahm, sagte er freundlich: »Dank, Señorita, viel Dank, viel Dank. Allumapu ist wieder ein Mann, und wenn er in die Pampas zurückkehrt, wird er am Lagerfeuer den jungen Leuten von der lieblichen Blume erzählen, die er im Lande der Weißen gefunden. Sie goß Sonnenschein auf den Pfad eines armen Kriegers und wird noch lange seine Träume füllen.«

Irene geriet bei den Worten in die peinlichste Verlegenheit und wußte nicht, wie sie ihre Hand wieder frei bekommen sollte; ob aber der Indianer das fühlte, oder ob er selber glaubte, lange genug geweilt zu haben, er ließ sie los, und ihr nur noch freundlich zunickend, verließ er das Zimmer und trat wieder auf die Veranda hinaus.

Dort hatte sich indes noch wenig verändert, und der Tanz war in der ganzen Zeit noch keinen Augenblick unterbrochen worden; aber keiner der Offiziere beteiligte sich mehr daran, und diese standen alle auf der Veranda zerstreut, während das Musikkorps die in den Garten führende Treppe vollständig ausfüllte. Sie mußten erst Raum geben, ehe jemand hätte hinabsteigen können.

Allumapu trat hinaus und warf den Blick umher. Er sah, wie der Eigentümer der Hazienda eifrig, ja anscheinend sehr erregt mit dem Obristen sprach, aber augenblicklich und fast erschreckt schwieg, als der Indianer in der Tür erschien. Was hatten die beiden miteinander – und der Weg hier überall verstellt? – Aber die Musik spielte fort. Sollte er warten, bis sie geendet hatte? – Es ging nicht, die Zeit verstrich, und er mußte dem Kaziken die unwillkommene Antwort bringen; er durfte nicht länger säumen. Ohne sich auch nur zu besinnen, trat er auf einen der Trompeter zu und sagte, seinen Arm berührend: »Gib Raum, Amigo, daß ich passieren kann.«

Der Mann drehte sich, ohne in seinem Spielen einzuhalten, um und sah ihn an, aber wich nicht von der Stelle, und der Indianer wollte eben seine Aufforderung wiederholen, als er den Offizier, mit dem er die Unterhandlung gehabt, auf sich zukommen sah und dieser sagte, während er die Hand auf seinen Arm legte: »Paciencia, Amigo! Laß die Leute spielen; du hast Zeit und wirst noch einige Tage bei uns bleiben.«

»Werd ich, Amigo?« erwiderte finster der Indianer, »mich gelüstet's nicht«; und wieder berührte er die Schulter des Spielenden. Aber er sah, daß sich die Leute fast wie absichtlich zusammendrängten, um nicht den geringsten Raum freizulassen, und zum erstenmal schoß ihm ein Verdacht durchs Hirn, daß man daran denken könne, ihn zurückzuhalten. Ihn zurückhalten? Ein trotziges Lachen zuckte über seine Züge. Dort unten stand sein Pferd gesattelt und aufgezäumt, daneben lehnte seine Lanze; glaubten die törichten Bleichgesichter, er brauche eine Treppe, um in den Garten hinabzukommen? Die Veranda war vielleicht sechzehn Fuß hoch; er legte seine Hand auf die Balustrade derselben, und ehe jemand eine Ahnung hatte, was er beabsichtigte, schwang er sich, leicht wie ein Hirsch, hinüber und schritt, noch immer keine Eile verratend, auf sein Tier zu.

»Caracho!« schrie der Obrist, als er den kecken Sprung bemerkte, »haltet den Spion! Schießt ihn vom Pferde, wenn er nicht gutwillig hält.«

Allumapu hörte den Ruf und wußte jetzt gut genug, daß seine Freiheit bedroht sei; er sah auch, wie eine Anzahl von Offizieren die Treppe hinabstürmte, denen das Musikkorps bereitwillig Raum gab; der Tanz war unterbrochen, die Tänzer standen scheu und erschreckt, die Mädchen flüchteten sich zurück in den Schutz des Hauses. Nur der Indianer verlor auch nicht für einen Moment seine Geistesgegenwart. Er wußte, was ihm drohte, er wußte, wie er alledem entgehen konnte; ein leiser Pfiff rief im Nu das Pferd an seine Seite, dort an dem Myrtenbaum lehnte seine Lanze; seine linke Hand griff die Mähne, die Rechte stützte sich leicht auf das Rohr der Waffe, und im Nu saß er im Sattel, während das wackere Tier schon, vom Schenkeldruck getrieben, nach vorn sprang, um die Ausgangspforte zu erreichen – aber die Pforte war geschlossen; seine Lanze neigte sich, um den hölzernen Riegel zurückzuschieben, aber die Spitze rutschte an dem glatten Holze ab; noch einmal versuchte er es, da raschelten rechts und links die Büsche, und drei, vier Schüsse fielen zu gleicher Zeit. Hatten sie gefehlt? Er fühlte sich unverwundet, und fast drängte es ihn, mitten hinein in die Feinde zu brechen – aber Jenkitruss mußte Botschaft haben; sein Pferd empfand den scharfen Druck der Sporen und hob sich wild empor, vorwärts preßte es der Reiter, mit keckem Satz sprang das wackere Tier mitten in die Hecke hinein, die unter seinem Gewicht zusammenknickte und draußen im Freien schlugen seine Hufe den Boden. Vorwärts flog es, den schmalen Pfad entlang, der zwischen den Feldern hin dem Walde zuführte; die Verfolger waren hinter ihm, aber zu Fuß; wie hätten sie hoffen dürfen, ihn je einzuholen. Da strauchelte das Pferd, rasch hob es der Reiter mit dem Zügel wieder empor – ein nicht sehr starker Stamm lag quer über den Weg gebrochen; es war heute morgen schon darüber hingesprungen. Das Pferd raffte sich auf und setzte an, aber eine der kleinen Kugeln hatte einen tödlichen Punkt getroffen – im Sprung brach es zusammen, und während es mit dem Vorderfuß in einem der Äste hängen blieb, überschlug es sich und schleuderte seinen Reiter seitwärts in das Gewirr von niedergebrochenen Zweigen hinein, in dem er, als er rasch wieder emporspringen wollte, mit seinen Sporen und dem Poncho hängen blieb.

Im nächsten Augenblick hatten ihn die Verfolger ereilt, umzingelt, und als er sein Messer aus der Scheide riß, sah er die todbringenden Pistolenläufe von allen Seiten auf sich gerichtet. Er war gefangen und Widerstand nutzlos geworden.

 


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