Friedrich Gerstäcker
Unter den Pehuenchen
Friedrich Gerstäcker

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9. Kapitel

Die Hamburger Bark hatte ihre für Valdivia bestimmten Güter schon am Mittwoch morgen fast sämtlich ausgeladen und jetzt nur noch zwei ziemlich große Lanchas oder Leichterfahrzeuge langseit, die von beiden Borden zugleich das letzte einnehmen sollten. Beide Leichterfahrzeuge gehörten übrigens einem deutschen Eigentümer und führten deutsche Namen, und zwar hatte man das eine »Eduard«, das andere »Kunigunde« genannt. So lag denn jetzt »Eduard« an der Steuerbord-, »Kunigunde« an der Backbordseite der Bark, und die an Bord befindlichen Steuerbeamten notierten die Kolli, die von beiden übergenommen wurden, da sie erst am Lande revidiert und verzollt werden, mußten. Die Arbeit ging aber nicht so rasch vonstatten, und die Sonne neigte sich schon dem Meere zu, als die letzte Kiste endlich an Deck geschafft und über die Seite gelassen wurde.

Der Kapitän war indessen an Land gefahren, um seine nötigen Papiere zu erhalten, und kam erst zurück, als der Steuermann die Flagge als Zeichen aufzog. Er war nur mit drei Matrosen abgefahren, kam aber mit vieren wieder zurück; die Beamten hatten das jedoch lange vergessen, und da jetzt die volle Zahl an den Riemen saß, achtete auch keiner von ihnen weiter darauf. Von den Matrosen gingen drei augenblicklich mit an die Arbeit, um den Anker aufzuwinden und die Segel loszuwerfen; der vierte stieg vorn in das sogenannte »Logis« hinab, und kam nicht wieder zum Vorschein, so lange sich noch einer von den Chilenen an Bord befand. Diese saßen mit dem Kapitän in dessen Kajüte, auf deren Tisch ein paar Flaschen Wein und Gläser standen, und der Seemann schenkte ihnen fleißig ein; aber es war schon so dunkel geworden, daß der Kajütenjunge die Lampe hineinbringen mußte, und erst jetzt dachten sie an den Aufbruch und traten an Deck hinaus.

»Also glückliche Reise, Kapitän –« und damit schüttelten sie dem Seemann die Hand und wurden von ihren Leuten dem Ufer zugerudert, dessen Landungsplatz eine rote Laterne bezeichnete. Auch die übrigen Lichter in dem kleinen Städtchen da drüben waren schon angezündet worden, zogen sich in langer sichelförmiger Reihe am Strande hin und blitzten ihren Schein in der kaum bewegten Flut wider.

Die Bark draußen in der Bai hatte indessen keine Zeit versäumt, ihren Anker aufzuwinden, und so langsam die Matrosen vorher unten im Raum gearbeitet, so tätig gingen sie jetzt ans Werk. Die vorher sorgfältig mit Werg verstopften und verhämmerten Luken wurden ohne weiteres wieder abgehoben, und ein Flaschenzug über denselben angebracht, um noch eine nicht unbeträchtliche Anzahl von Kisten so rasch als möglich an Deck zu hissen und dort bereitzuhalten.

»Kapitän«, sagte der Steuermann jetzt, der mit einem Begleiter zu seinem Vorgesetzten trat – »hier ist der Herr Meier – Sie kennen ihn ja schon von früher her, und da drüben kommt auch die Lancha eben ab, ich kann sie just mit dem Nachtglas ausmachen. Wollen wir ganz beilegen oder sie langseit nehmen?«

Die Befehle folgten blitzschnell aufeinander, die gelösten und angebraßten Segel faßten den Wind, der Bug drehte sich langsam gegen die ausgehende Ebbe auf, und jetzt glitt auch die Lancha heran, und ein geringes Geräusch, als sie zum erstenmal gegen die Schiffsseite stieß und daran scheuerte, konnte nicht gut vermieden werden, dann aber arbeitete schon die Winde, und eine Kiste nach der anderen wurde ausgehoben und über Bord in das Leichterfahrzeug hineingelassen.

Aus der Lancha kletterten indessen zwei dunkle Gestalten an Deck; der eine, ein alter Bekannter von uns, der Halbindianer, oder Señor Cruzado, wie ihn der chilenische Kaufmann genannt, der andere, ein Buchhalter oder Kommis aus dem Geschäft selber. Señor Cruzado kümmerte sich aber um nichts Weiteres, sondern blieb nur oben auf dem Deck stehen und zählte die Kisten und Kolli, die in die Lancha hinabgelassen wurden, während der Buchhalter, ohne sich auch nur oben umzusehen, rasch in die Kajüte hinabstieg, wohin ihm Meier folgte. Der Kajütenwärter hatte indessen schon Flaschen und Gläser zum Gebrauch bereitgesetzt, und während der Kapitän mit seinen beiden Gästen eine Anzahl von Papieren durchsah und eine Geldzahlung empfing, folgte draußen in wirklich fabelhafter Schnelle eine Kiste der anderen in das niedere Fahrzeug.

Fünf oder sechs Kolli waren etwa noch übrig, und Señor Cruzado hatte dem zu ihm heraufkommenden Deutschen schon mitgeteilt, daß die Zahl stimme und die Quittung ausgestellt werden könne, als der Steuermann, der schon ein paar Minuten nach vorn ausgeschaut, plötzlich sein Nachtglas ergriff und aufmerksam damit in die Bai hinausschaute.

Dem Halbindianer war das nicht entgangen; während die letzten Kisten über Bord gehoben wurden, trat er zu dem Seemann und sagte leise:

»Seht Ihr etwas Verdächtiges, Señor?«

»Ja schwatz du und der Teufel!« brummte der Steuermann verdrießlich vor sich hin; »ich verstehe nichts von deinem Kauderwelsch, aber wenn du dich nicht bald auf die Beine machst, mein alter Caracho, so, denk' ich, kriegst du Gesellschaft.«

Der Eingeborene hielt sich nicht lange mit dem Mann auf, und rasch zu Meier tretend, teilte er diesem seinen Verdacht mit.

»Alle Wetter, doch nichts im Wind?« rief dieser erschreckt, zu dem Offizier tretend.

»Nichts Besonderes,« sagte dieser, »da drüben kommt aber ein Boot angerudert, und ich denke, es wird Zeit, daß wir uns aus dem Staube machen.«

»Na ja, weiter hat nichts gefehlt!« rief Meier, zum Tod erschreckt.

»Alles klar da vorn?« rief der Steuermann, doch mit vorsichtig gedämpfter Stimme.

»Fall ab, mein Junge! wir haben noch Seeraum genug; mein lieber Herr Meier, wenn ich Ihnen einen guten Rat geben soll, so klettern Sie so schnell als möglich in Ihr Boot hinunter, oder Sie gehen mit nach Valparaiso – wo ist Ihr anderer Señor?«

»Da kommt er gerade – na, das war eine schöne Geschichte.«

»Was gibt's, Steuermann?« sagte der Kapitän, der in diesem Augenblick mit dem Buchhalter auf Deck erschien.

»Weiter nichts, als daß wir Besuch bekommen; ich denke, einer von den Zollbeamten hat vielleicht sein Schnupftuch an Bord vergessen. Brassen, ihr Leute – rasch, steht bei, jeder Mutter Sohn von euch.« –

»Werft die Lancha los!« rief der Kapitän, »rasch – hinein mit euch – hinein; wenn das Schiff den Wind faßt, füllt ihr und sinkt.«

»Das geschieht mir recht,« stöhnte Meier; »weshalb hab' ich meine Finger nicht aus der verfluchten Geschichte herausgelassen.« – Aber jetzt war keine Zeit mehr, um etwas Geschehenes zu bereuen, und Meier auch nicht der Mann, im Augenblick der Gefahr den Kopf zu verlieren. Der Buchhalter begriff allerdings erst halb, was ihnen hier draußen drohe – wenn sie es wirklich mit einem Boot der Douane zu tun hatten. Meier ließ ihm aber auch keine Zeit zum Überlegen, sondern faßte seinen Arm und zog ihn rasch der Fallreepstreppe zu. –

Die Bark wurde durch die dem Ufer zudrängende Ebbe nach dem rechten Ufer des Stromes gesetzt, was aber nichts zu sagen hatte, da sie sich hier in tiefem Wasser befanden. Es konnte auch zwischen ihnen und dem Ufer, wenigstens bis zu dem Schatten desselben, kaum noch eine Breite von hundert Schritt liegen – und Meier, mit diesem Wasser und all' seinen Vorteilen genau bekannt, hatte rasch das Steuer ergriffen und den Bug dem Lande zugedreht. Die Brise half ihnen ebenfalls; das vorsichtig gewählte dunkle Segel wurde gesetzt, und das schlanke Boot glitt still und geräuschlos, aber ziemlich schnell dem Userrano entgegen, der wie ein schwarzer undurchdringlicher Streifen mit seinem Schatten auf dem Wasser lag.

Vorn auf dem Bootrand, in seinem dunklen Poncho, das lange straffe Haar wirr um den Kopf flatternd, stand der Halbindianer und spähte in die Nacht hinaus, ob er irgend etwas von ihren Verfolgern erkennen konnte. Dort drüben segelte das Schiff – es hatte mit all' seiner Leinwand die Brise gefaßt und glitt aus der Bai hinaus dem Meere entgegen. – Waren das nicht Stimmen, die von dort herüber tönten? Er bog sich vornüber und legte die hohle Hand gegen sein Ohr – deutlich konnte er einen Anruf unterscheiden, wenn ihm auch die Worte unverständlich blieben. Das mußte das Boot sein, das sie noch gar nicht bemerkt haben konnte, sondern zuerst an das Schiff gelaufen war. – Dadurch gewannen sie Zeit, denn jetzt, gegen die Ebbe an, hätten sie doch nur langsamen Fortgang stromauf gemacht, und wenn sie sich nur ein paar Stunden still versteckt halten konnten, ging die Gefahr vorüber. Es war nicht denkbar, daß sich die Zollwächter die ganze Nacht auf dem Strom herumtreiben und ihnen auflauern sollten, denn von ihrem Plan konnten sie keine Kenntnis haben, sie hätten die Bark sonst nicht bei Nacht in See gelassen.

Rasch glitt er zu Don Carlos, der am Steuer stand, hinüber und flüsterte mit diesem einige Worte. Auch Meier hatte den Anruf gehört und sah ebenfalls ein, daß ihnen hier keine weitere Wahl blieb, als, wenn irgendmöglich war, einen Versteck zu erreichen. Es blieb ihnen auch keine Zeit zu langem Überlegen, denn schon glitt die ziemlich schlank gebaute Lancha so dicht fast an das Ufer hinan, daß die Zweige fast das Boot berührten.

»Segel ein – den Mast heraus!« rief Meier mit unterdrückter Stimme; aber der Befehl war schon befolgt, wie er kaum gegeben, denn »Señor Cruzado« wußte ebenfalls ziemlich gut mit einem Boot umzugehen.

»Kein Geräusch, um euer Leben!«

Die Leute erfaßten die schwere Stange, ehe sie an Bord niederschlagen konnte, und ließen sie vorsichtig von vorn zu aft nieder. Jetzt rauschten die Zweige rechts und links, wie sie gegen den Bootrand scheuerten. Die Leute griffen zu und zogen sich weiter und weiter hinein, und schon lagen sie von dem Gebüsch so vollständig verdeckt, daß sie wohl selbst am hellen Tag von draußen schwer aufzufinden gewesen wären, als der Bug vorn gegen einen harten Gegenstand anstieß und zum Halten gebracht wurde.

»Caracho!« rief in dem Augenblick eine fremde Stimme dicht vor ihnen im Dunkeln – »Ave Maria purisima

»Alle Teufel!« zischte der Halbindianer zwischen den Zähnen durch, »wen haben wir da? – Sind wir dem Bösen g'rad' in den Rachen hineingefahren?« – Und wie eine Schlange glitt er nach vorn, schaute einen Moment über den Bootrand in die dichte Nacht hinein und sprang dann ohne weiteres über Bord.

Die Mannschaft der Lancha schien über die neue, gar nicht geahnte Gefahr anfangs sprachlos vor Schrecken. Was jetzt? Waren sie einem im Hinterhalt liegenden Boot der gefürchteten Douane gerade in die Fänge gelaufen, so durften sie sich auch eben so gut verloren geben, denn draußen in der Bai ließen sich schon die raschen und regelmäßigen Ruderschläge des zurückkehrenden Bootes hören, dessen weißes Segel sogar auf dem glatten und blinkenden Wasserspiegel sichtbar wurde. Ein einziger Ruf jetzt von einem der am Lande befindlichen Wächter, und sie konnten der Entdeckung gar nicht entgehen. – Aber alles blieb totenstill – einmal war es, als ob sie Cruzados Stimme vorn hörten, dann unterbrach kein Laut mehr die totenähnliche Ruhe – nur eine Möwe kreischte, die vielleicht durch das Boot aus ihrem Schlaf aufgescheucht worden, und jetzt quer über die Bai strich, um einen stilleren Platz zu suchen.

Niemand auch regte sich an Bord; die Leute wagten kaum zu atmen, denn draußen, kaum hundert Schritt entfernt, kam das Boot heran und hielt, allem Anschein nach, genau auf sie zu. Jetzt waren sie so nahe, daß man hätte einen Stein hinüberwerfen können.

»Caramba!« sagte da eine Stimme draußen in der Bai, »ich hätte doch darauf schwören wollen, daß ich vorhin den dunklen Schatten eines Fahrzeuges nicht weit von dem Schiff sah. Wäret ihr mir nur gefolgt. Daß sich das Schiff nicht würde von uns halten lassen, konnten wir vorher wissen und haben unsre Zeit bloß damit versäumt. Wie wollen wir sie jetzt in der Stockdunkelheit finden?«

»Wer weiß, was du gesehen hast, Amigo,« sagte eine andere Stimme, »laß uns nur vor allen Dingen zu der Stelle aufrudern, wo ihr heute abend die Lancha versteckt gefunden habt wahrscheinlich – liegt sie noch da – und dann sehen wir uns einmal nach der Mannschaft um. Hol' der Böse die Nachtfahrt! –«

Die Stimmen wurden hier undeutlich – das Boot glitt vorüber den Strom hinauf, und bald hörte man nur noch undeutlich und matt das Scheuern der Ruder oder Riemen in den Dollen.

»Alberne Burschen,« murmelte Meier für sich in den Bart, »daß sie nicht einmal ihre Ruder umwickeln und einen Skandal machen, den man auf eine Viertelstunde Weges hören kann – ich sollte nur drin sitzen – aber zum Henker auch, was ist denn nur aus Cruzado geworden?«

Vorsichtig schlich er sich nach vorn und sah über Bord, aber es war auch nicht das Geringste zu erkennen, als irgendein noch dunklerer Gegenstand als die Nacht selbst, der gerade quer vor ihrem Bug lag – was es aber sei, ließ sich nicht unterscheiden.

»Cruzado!« flüsterte er leise.

»Sind sie vorüber?« lautete die Antwort.

»Ja – vor der Hand wenigstens.«

»Kommt herunter!«

»Ich? – wohin? ins Wasser?«

»Hier liegt ein Boot.«

»Aber weshalb kommt Ihr nicht herauf?«

»Untersucht erst selber das Boot,« lautete die aber immer noch mit vorsichtig gedämpfter Stimme gegebene Antwort – »ich hab hier einen Gefangenen.«

Meier kletterte, ohne ein Wort zu sagen, hinab, vorher aber erst vorsichtig mit den Füßen nach einem festen Standpunkt fühlend, damit er nicht aus Versehen ins Wasser hineinträte.

»Und wen haben wir da?«

»Er sagt, er wäre ein Fischer – ist das ein Fischerboot? – Ich kann ihn nicht loslassen, bis wir nicht vollkommen sicher sind.«

»Dann wirst du ihn wohl noch eine Weile festhalten müssen, Kamerad,« brummte Meier, führte aber doch den Auftrag aus, indem er, ohne sich weiter um den Gefangenen zu kümmern, an den beiden Männern vorbei und durch das Boot kroch. Er fühlte dabei mit den Händen vorsichtig umher und sagte endlich, als seine Finger etwas Fremdes berührten und faßten: – »Hier liegt ein Netz – und da fühl ich auch Angelhaken – na Gott sei dank, der ist unschädlich.«

»So lange wir ihm das Messer an die Kehle halten, ja,« knurrte Cruzado – »ich fürchte, er hat sich heut abend selbst gefangen.«

»Oh, Señor, um des Heilandes willen«, wollte der arme Teufel bitten.

»Bst! Caracho,« wehrte ihm aber der Mestize, »einen Laut, und ich renne dir das Eisen zwischen die Rippen! Wo ist das Boot, Don Carlos?«

»Die Bai weit hinauf, bis wir die Ruder nicht mehr hören konnten.«

»Ich dachte es mir; – jetzt, Compañero, steige einmal vor mir in die Lancha hinauf. Du kommst nicht weg, also gehorchen und keinen Laut; verstanden?«

»Wie in aller Welt kommt der Bursche nur hierher in das Dickicht?« fragte Meier bestürzt, als sie das Deck ihres kleinen Fahrzeugs wieder erreicht hatten. – »Caramba, Señor, weshalb lagt Ihr denn auf der Lauer?«

»Auf der Lauer, Señor?« bat der arme Teufel – »geschlafen habe ich, denn die Ebbe hatte mich überrascht, und ich wollte nur bis zur rückkehrenden Flut beilegen, um nach Hause zurückzukehren.«

»Mit deinem leichten Boot? Als ob du auf die Flut zu warten brauchtest,« sagte Cruzado finster.

»Aber ich habe einen ganzen Kasten voll Fische im Schlepptau,« bat der Chilene; »denken Sie nur, Señor, wie das aufhält, mit dem könnte ich gar nicht gegen die Strömung anrudern.«

»Ist das wahr?«

»Die Leine ist hinten am Steuer befestigt – wenn ich eine Lüge spreche, machen Sie mit mir, was Sie wollen.«

Cruzado antwortete nicht, stieg aber in das Boot zurück und überzeugte sich selber. Es hing wirklich einer jener spitz gebauten und durchlöcherten Fischbehälter hinten am Boot befestigt, und der Gefangene hatte in der Tat nicht gelogen. Es war nur irgend einer der hier überall ansässigen Fischer, dem sie der Zufall in den Weg geführt, und er mochte wohl schwerlich absichtlich auf sie gelauert haben. Nichtsdestoweniger blieb es ein sehr unbequemes Ding, einen solchen Mitwisser ihres Vergehens hier unten in der Bai zurückzulassen, während sie noch einen weiten Weg vor sich hatten, ehe sie ihr Ziel erreichten, und dort ebenfalls einiger Zeit bedurften, um nicht allein ihre Fracht in Sicherheit zu bringen, sondern auch jede Spur der Tat zu verwischen.

Vor der Hand war jedoch nichts weiter zu tun, als ebenso wie der Fischer ihre Zeit abzuwarten. Wären sie unentdeckt geblieben und kein Verdacht gegen ihr Vorhaben erweckt worden, so hätten sie es wohl wagen dürfen, im Schutz der dunklen Nacht langsam gegen die Strömung aufzuarbeiten; Fortgang machten sie dabei immer und konnten dann lange vor Tag ihre Ladung untergebracht haben; so aber war das nicht mehr möglich, denn jenes Boot suchte jedenfalls erst das ganze Ufer ab und blieb noch eine lange Weile in der Bai. Dessen Rückkehr nach Corral mußten sie deshalb erst abwarten, und was sie jetzt dabei versäumten, half ihnen nach Mitternacht ja auch wieder die aufgehende Flut, mit der sie so viel rascher vorrücken konnten.

Und was sollte indessen mit dem Fischer geschehen? Hier lassen konnte und durfte man ihn nicht, und ihn mitnehmen? Das hätte nur um so viel rascher alles und sogar das Wichtigste, ihren gewöhnlichen Landungsplatz verraten.

Cruzado flüsterte Meier etwas ins Ohr; aber dieser faßte erschreckt seinen Arm und rief:

»Nein! bei Gott nicht, so lange ich hier im Boot bin. – Ich will der verdammten Zigarren wegen keinen Mord auf meiner Seele haben. Was kann er denn machen, wenn wir ihm Ruder und Segel wegnehmen?«

»Weiter nichts als Spektakel,« sagte der Mestize ruhig, »bis er das Boot der Aduana – die der Teufel holen möge, wann er Lust hat – herbeigerufen und auf unsere Fährte gehetzt hat.«

»Und wenn wir ihn schwören lassen, daß er sich ruhig verhalten will?«

»Schwören?« sagte der Halbindianer verächtlich, »wen bindet ein Schwur? – Ein Tau und Knebel sind verdammt viel besser. Aber wie Ihr wollt, was kümmert's mich – laßt ihn meinethalben schwören, die Folgen jedoch über Euch – meine Haut bringe ich schon in Sicherheit.«

»Und ihr überlaßt es mir?«

»Meinetwegen – Ihr tragt dann auch die Verantwortung und steckt wenigstens so tief drinnen wie ich.« – Und damit, als ob jede weitere Beredung unnötig wäre und er seine Schuldigkeit getan habe, stieg er auf ihre Fracht hinauf, rollte das Segel auseinander, wickelte sich hinein und legte sich zum Schlafen nieder.

Meier fühlte sich allerdings erst beruhigt, als er sah, daß ihm sein Gefährte wirklich die ganze Leitung ihrer Angelegenheiten allein überließ.

Wenn aber das Boot der Douane wieder zurückkam und der Bursche an Bord nur einen Hilferuf ausstieß? – Meier fühlte, daß er ihm wenigstens Verhaltungsbefehle geben müsse, und zu ihm tretend sagte er leise: »Ich will Euch was sagen, Señor; wir sind hier unfreiwillig zusammengetroffen und können uns nicht eher trennen, bis die Ebbe abgelaufen ist. Verhaltet Ihr Euch bis dahin, ob uns ein Boot passieren sollte oder nicht, ruhig, so mögen wir nachher als die besten Freunde scheiden; gebt Ihr aber nur den geringsten Laut von Euch, und treffen wir dadurch mit Leuten zusammen, die wir jetzt vermeiden, so seht hier diese Pistole, sie hat sechs Läufe, und ich kann sechs Kugeln daraus abschießen, die erste aber schicke ich Euch durch den Kopf, habt Ihr mich verstanden?«

»Vollkommen, Señor,« sagte der Chilene leise, »wenn Sie es erlauben, will ich mich hinlegen und schlafen; Sie sollen keinen Laut von mir hören.«

»Das ist das Beste, was Ihr tun könnt, Amigo,« nickte Don Carlos, »sorgt Euch um nichts, Ihr habt nichts für Euch zu fürchten.«

Der Chilene antwortete nichts weiter, nahm nur seinen Poncho ab, wickelte sich hinein und suchte sich dann, indem er auf Deck herumfühlte, einen Platz aus, wo er sich niederlegen konnte. Den hatte er auch bald gefunden, streckte sich aus und rührte von da an kein Glied mehr. Meier hielt indessen, während sich die Bootsleute ebenfalls in eine warme Ecke drückten, treulich Wache, aber Stunde nach Stunde verging, ohne daß ein Laut die Stille unterbrochen hätte, und die Augen taten ihm zuletzt selber weh vom vielen Schauen; die Lider wurden ihm schwer, und er fiel in einen unruhigen Schlaf; wenn er dann und wann emporzuckte und wieder aufhorchte, würde ihn kein Mensch überredet haben, daß er wirklich eine Weile ganz sanft geschlafen hätte.

Er trug eine Uhr bei sich, aber sehen konnte er das Zifferblatt in der Dunkelheit nicht, und er nahm sie nur zu Zeiten vor, öffnete sie unter dem Poncho und fühlte mit dem Finger nach den Zeigern. Stauwasser mußte heute gerade um Mitternacht, vielleicht noch etwas früher, eintreten. – Vor ein paar Minuten hatte er erst nachgefühlt, wie er glaubte – und es konnte kaum länger her sein; jetzt nahm er die Uhr wieder vor, und zwar mehr aus Langeweile, als weil er hoffte, daß es schon Zeit zum Aufbruch sei – aber erschreckt fuhr er mit seinem Finger über die Zeiger hin – es war schon Zwölf vorbei – der Zeiger deutete auf halb Eins.

Rasch schüttelte er Cruzado, der auf den Zigarrenkisten so sanft geschlafen hatte, als ob er daheim in seinem Bett läge, und sich um die Gefahr verwünscht wenig zu kümmern schien. Der Halbindianer fuhr empor und griff nach seinem Messer; aber im Nu war er munter, und den Blick emporwerfend, murmelte er:

»Welche Zeit ist's, Don Carlos?«

»Halb Eins vorbei – wir haben uns verschlafen,« sagte der Deutsche; »kommt, Compañero, wir dürfen keinen Augenblick mehr versäumen.«

»Bah, noch Zeit genug,« meinte der Mestize, sich langsam emporrichtend; »am besten ist's, wir bleiben noch ein paar Stunden liegen, desto weniger haben wir nachher von den Douanen zu fürchten.«

»Alle Teufel!« murmelte indessen Meier vor sich hin, der vergebens auf Deck nach dem Fischer umherfühlte, – »wo ist denn der Lump hin? er hat sich doch vorhin hierhergelegt.«

»Wer? der Bursche, den ich aus dem Boot heraufgeholt?« fragte der Mestize rasch.

»Jawohl – hier streckte er sich, in seinen Poncho gewickelt, aus, und jetzt ist die Bestie rein verschwunden.«

»Caracho,« murmelte Cruzado zwischen den Zähnen durch, denn die Nachricht hatte ihn vollständig munter gemacht, und rasch glitt er zu dem Bootrand, um nach dem Kahn auszusehen. Der aber lag noch an Ort und Stelle, nicht zehn Mann hatten ihn überhaupt flott bekommen können, ohne vorher die Lancha selber aus dem Weg zu schieben – aber der Chilene war verschwunden, und es blieb keinem Zweifel umterworfen, daß er, sich wahrscheinlich an seinem Leben gefährdet glaubend, über Bord geschlüpft und in den Wald entkommen sei. – Und hatten sie etwas von ihm zu fürchten? Meier glaubte es nicht. Cruzado drängte jetzt selber zum Aufbruch, denn wer konnte wissen, ob der Bursche nicht noch einen Kameraden in der Nähe hatte; je eher sie also diesen Platz verließen, desto besser, eine andere Stelle dazu auszusuchen, als länger hier zu bleiben.

Sein Boot hatte der Fischer allerdings nicht mitnehmen können, sich aber wahrscheinlich gar nicht damit aufgehalten, nur den Versuch zu machen; und Cruzado sorgte jetzt dafür, ehe sie ihre Lancha wieder in die Bai hinausschoben, ihm, wie er sagte, die Flügel ein wenig zu stutzen. Er warf das Segel mit der Segelstange vor allen Dingen in die Lancha hinein, und dann auch das eine Ruder, das andere ließ er ihm, damit er sich selber, aber nur langsam, forthelfen konnte – dann fiel es ihm wenigstens nicht ein, um Hilfe zu rufen und das Wachtboot der Douane, falls sich das noch wirklich auf der Bai herumtreiben sollte, aufmerksam zu machen.

Übrigens war es wirklich die höchste Zeit, aufzubrechen, denn wie sie ihr Fahrzeug nur aus den Büschen hinausschoben, fanden sie, daß die Flut schon vollständig eingesetzt habe und eine scharfe Brise die Bai hinaufwehte; jede Minute, die sie hier länger zögerten, war verloren und konnte vielleicht nicht einmal wieder eingebracht werden.

Allerdings setzte Cruzado nicht gleich das Segel, sondern horchte erst vorsichtig über den Wasserspiegel hin, ob nichts Verdächtiges zu entdecken sei, aber Totenstille lag auf dem Wasser, auf das die Sterne ihren funkelnden Glanz warfen, und nur hier und da schnellte ein Fisch in die Höhe und unterbrach einen Moment das Schweigen.

Jetzt glitten sie hinaus, etwas vom Land ab, um die Brise besser fangen zu können, aber doch nicht ganz aus dem Schatten der Waldung. Vorsichtig und geräuschlos wurde die Segelstange vorn eingesetzt und die Lancha glitt rasch, von Strömung und Brise begünstigt, am Uferrand hinauf, und nach kaum einer Viertelstunde konnten sie schon wieder einzelne noch in Corral brennende Lichter erkennen. Selbst die rote Laterne an der Landungsbrücke ließ sich unterscheiden.

Es wurde kein Wort weiter für eine lange Zeit gewechselt, und Cruzado beschäftigte sich nur damit, das dunkelbraune Segel der Lancha vollkommen freizugeben, daß es jeden nur möglichen Luftzug fasse. Das wackere Boot fühlte bald den stärkeren Druck, und man konnte das Wasser unter dem Bug plätschern hören. Sie hatten auch schon den breiten Teil der Bai hinter sich und liefen jetzt in den eigentlichen Valdiviastrom ein, der, wenn immer noch ziemlich ansehnlich, doch mehr beengte Ufer bot.

So hatten sie ziemlich den halben Weg bis zu ihrem bestimmten Landungsplatz unter Valdivia zurückgelegt, und Meier, der bis jetzt eine schmähliche Angst ausgestanden, wenn er auch kein Wort davon gegen seinen Gefährten äußerte, atmete freier auf.

»Compañero,« flüsterte Cruzado in diesem Augenblick, »was ist das da vorn?«

»Wo?« fragte Meier erschreckt.

»Gleich links am Segel vorbei – haltet ein wenig ab, nach rechts herüber, so könnt Ihr es deutlicher sehen.«

Das schlanke Boot gehorchte rasch dem Steuer, und der Deutsche erkannte jetzt ebenfalls einen dunklen schmalen Gegenstand, der aus dem Schatten heraus quer über den Strom hielt – es war jedenfalls ein Boot oder Kanu und mußte auf diesem Weg mit ihnen zusammentreffen.

»Caramba,« sagte Meier, mehr zu sich selbst als zu seinem Gefährten redend, »das ist ja doch nicht möglich, daß wir hier noch mit den vermaledeiten Schuften zusammentreffen sollten; aber wer hat hier noch nachts herumzufahren?«

»Ich höre keinen Ruderschlag,« flüsterte Cruzado, »sie müssen ihre Riemen umwickelt haben.«

»Na,« stöhnte Meier, »dann will ich nur wünschen, daß sie sich auf eben so faulen Wegen befinden wie wir selber, sonst werden wir verdammt wenig von unseren Zigarren zu rauchen bekommen – so viel ist sicher.«

»Hol' sie der Teufel,« knirschte der Halbindianer zwischen den Zähnen durch; »wenn sie glauben, uns mit den paar Mann aus unserer Lancha zu holen, so haben sie sich doch vielleicht geirrt – wozu führen wir die Gewehre?«

»Cruzado, Amigo, das geht nicht; damit machen wir die Sache nur noch schlimmer,« bat Meier.

»Noch schlimmer? Caracho, ich glaube, sie ist schlimm genug und kann eben nicht mehr schlimmer werden. In der Bai, ja, da hätten uns die Schüsse vielleicht ein Boot des Kriegsschiffes auf den Hals gelockt, denn die sind immer rasch genug bei der Hand. Hier aber können sie den Knall der Gewehre nicht mehr hören, und jedenfalls wissen sie nicht einmal, ob sie auf dem Fluß oder dem festen Land abgefeuert wären. Nein, hier gehts Mann gegen Mann, und die Lancha kriegen sie nicht, so lange ich noch eins der Gewehre abdrücken kann.«

Das fremde Boot war jetzt so weit in den Strom herausgekommen, daß sie bei dem hellen Schein der Wassers die Ruder zählen konnten. Es hatte deren vier, und wie es schien, saßen noch zwei andere dunkle Gestalten im Stern desselben, während ein Mann vorn aufrecht am Bug stand und ein Gewehr oder auch vielleicht einen Bootshaken, es ließ sich das nicht deutlich erkennen, in der Hand hielt.

Das Boot mochte jetzt etwa zehn Schritt voraus sein, als es leichtsinnigerweise seinen Bug stromab drehte und sich dadurch scharf gegen das Fahrzeug kehrte. Den Moment benutzte Meier, der sein Boot vortrefflich zu führen wußte.

»Luv ein wenig mit Eurem Segel – luv!« flüsterte er Cruzado zu, der neben ihm stand und das Schotenfall in der Hand hielt; zu gleicher Zeit neigte sich der Bug der Lancha, rasch dem Steuer folgend, nach links hinüber, und ehe das fremde Boot recht wußte, was die Gegner beabsichtigten, jedenfalls ehe sie ihre Ruder wieder aufgreifen und ihren Bug herumwerfen konnten, schoß die Lancha vorbei in freies Wasser.

»Halt, das Boot da!« schrie plötzlich einer der im Stern der Jolle sitzenden Männer, indem er ebenfalls in die Höhe sprang. »Im Namen des Gesetzes! welche Lancha ist das?«

»Geh zum Teufel!« brummte Meier leise vor sich hin, als er den Vorteil sah, den sie errungen, »komm an Bord, wenn du Antwort haben willst.«

»Halt, oder ich schieße!« rief die Stimme wieder, und so nahe waren sie, daß sie das Knacken eines Gewehrhahns hören konnten.

»Schieß und sei verdammt!« knurrte Meier, drückte sich aber doch, als dem Feind am nächsten, so weit als möglich auf seinem Platz zusammen, um den Bootrand zwischen sich und seine Verfolger zu bringen, denn er wußte recht gut, daß sie auf den Steuernden allein zielen würden.

»Jesus Maria!« stammelte der Buchhalter, der jetzt erst eine Ahnung von der Gefahr bekam; »was ist da? – was wollen die Leute?«

»Feuer zu einer Zigarre!« sagte Cruzado trocken, als es in diesem Augenblick an Bord des fremden Bootes aufblitzte, und eine Kugel an ihren eigenen Bootrand anschlug und dann pfeifend zur Seite fuhr. Mit den Worten hatte er aber auch selber schon eins der Gewehre ergriffen, und ehe ihn einer der Übrigen daran verhindern konnte, hob er es an die Backe und drückte es auch in demselben Moment auf die Feinde ab. Gezielt konnte er kaum haben, ein Aufschrei antwortete aber von drüben, und es schien fast, als ob die Zollbeamten in Verwirrung gekommen wären – doch nicht lange.

Daß sie die Lancha, bei der scharfen Brise, nicht mit Rudern einholen konnten oder wenigstens eine Menge Zeit dabei versäumten, sahen sie wohl ein, denn erreichte sie ihren Versteck, wo sich der auch immer befand, so war nichts wahrscheinlicher, als daß sie dort noch Hilfe und Beistand fanden, und die wenigen Beamten würden nichts ausgerichtet haben. Ehe sie Hilfe von Corral oder Valdivia haben konnten, wären die geschmuggelten Waren lange in Sicherheit gewesen. Außerdem lag ihre Segelstange im Boot und hinderte sie noch sogar an der freien Benutzung der Ruder. Cruzado triumphierte deshalb zu früh, als er das plötzliche Zurückbleiben des Bootes bemerkte und laut aufjubelte. Die Mannschaft hatte nur ihre Ruder eingelegt, um das Segel zu setzen, das sie quer über den Strom herüber nicht gebraucht, und im Nu war die leichte Stange eingestellt, die Leinwand gelöst, während sie rasch den Wind faßte und nun hinter der Lancha, weit rascher als diese laufend, herschoß. Cruzado suchte mit bitteren Flüchen sein Segel mehr anzuholen, daß es den Wind besser faßte; es half nichts. Die Lancha lief allerdings vortrefflich, war aber doch mehr dazu gebaut, um Fracht zu tragen als schnell zu segeln, und daß ihr das schlanke Boot darin weit überlegen war, zeigte sich nur zu bald.

Die Zollbeamten wußten aber jetzt, daß die Leute in der Lancha bewaffnet waren und auch wahrscheinlich nicht zögerten, von ihren Gewehren Gebrauch zu machen; auf die Antwort des ersten Schusses hatten sie wenigstens nicht lange warten lassen. Ob sie nun ernstlichen Widerstand fürchteten und lieber versuchen wollten, die Übertreter der Gesetze noch einmal im Namen der Gesetze anzurufen und zur Übergabe aufzufordern, oder vielleicht gar beabsichtigten, rasch und plötzlich an Bord zu laufen und zu entern; genug, sie hielten sich für jetzt noch fast die ganze Breite des Stromes aus dem Weg der Lancha, gewannen aber dabei mit jeder Sekunde an ihr und hatten sie bald überholt, so daß sie ihr jetzt schon zu jeder Zeit den Weg abschneiden konnten. Erst als sie sich darin vollkommen sicher fühlten, ließen sie ihren Bug wieder mehr der Mitte des Stromes zufallen und hatten auch damit nicht viel Zeit zu versäumen. Eine kleine Strecke weiter oben zweigte nämlich der Valdivia aus, oder eine Insel trennte hier vielmehr das Fahrwasser; bog die Lancha dort ein, so kam es nachher allein darauf an, welche Besatzung stärker sei, denn auf Hilfe durfte das Regierungsboot in jenem abgelegenen und selten befahrenen Arm nicht mehr rechnen.

»Jetzt steht bei, Compañeros,« sagte Meier mit einem tiefen Seufzer zu den Leuten, die unschlüssig an Deck herumstanden und nicht zu wissen schienen, ob sie ihr Heil in der Flucht durch Schwimmen versuchen oder das Boot verteidigen sollten.

»Ich glaube bei Gott! sie wollen entern,« rief Cruzado, der, sein geladenes Gewehr in der Hand, an dem niedern Mast lehnte; »aber beim Himmel! dem ersten, der seine Hand auf den Bootrand legt, schick' ich eine Ladung Blei durchs Hirn.«

»Jetzt halten sie wieder ab«, rief Meier.

»Das ist nur der ungeschickte Tölpel am Steuer,« brummte Cruzado, »er hat nicht mehr Idee von einem Ruder wie eine Kuh.«

»Es wird Ernst – sie halten gerade auf uns zu.«

»Jetzt seh' ein Mensch, wie der mit seinem Bug herumfährt.«

»Verdamm' mich,« sagte Meier, »wenn sie mir so in die Quere kommen –« er sprach kein Wort mehr, aber hielt sein Steuerruder fest in der Hand, daß er den geringsten Druck fühlte, den das Fahrzeug gab. Die Lancha steuerte sich auch, besonders bei raschem Fortgang, ganz vortrefflich und gehorchte augenblicklich jeder Änderung. Das Zollboot war noch etwa zehn Schritt voraus und hielt wieder gerade auf sie zu. Wenn beide Fahrzeuge noch wenige Sekunden so fortliefen, mußten sie langseit kommen, und daß die Beamten besser bewaffnet waren und auch wohl besser mit ihren Waffen umzugehen wußten, als sie, lag auf der Hand.

»Nehmt die Handspaken, Leute,« schrie Cruzado, »dem ersten, der seinen Schädel über Bord drückt, treibt nur den Hut an, wenn auch die Hirnschale eine Borste kriegt.«

Der Bug der Lancha fuhr herum, aber nicht, wie das erstemal, von dem feindlichen Boot ab, sondern gerade darauf zu.

»Caracho!« schrieen sie drüben an Bord, »stoßt ab! rasch – werft das Boot herum.«

Ob der Mann am Steuer den Ruf nicht gehört oder in dem Augenblick den Kopf verloren hatte, genug, er warf erst das Steuer links und dann, anstatt es dort zu halten, eben so rasch wieder rechts; dadurch behielt das Boot seinen Kurs, und in demselben Moment fast packte es die Lancha midships, daß die Planken krachten.

»Hurrah!« schrie Cruzado, »jetzt vorn hin, daß uns keiner herüberklettert. – Auf die Köpfe, Jungens, auf die Köpfe!«

Diese Vorsicht war nicht ganz unnötig gewesen. Zwei oder drei hatten sich in der Tat, während ihr Boot zusammenbrach, an den Rand der Lancha angeklammert; aber die Bootsleute nahmen nicht viel Rücksicht darauf, ob die Leute schwimmen konnten oder nicht. Wenn sie auch nicht stark genug zuschlugen, um sie zu töten, loslassen mußten sie sicher, und wenige Minuten später glitt die Lancha frei durch die Flut, und hinter ihr, auf dem bewegten Wasser, schwamm das Wrack des Zollbootes, an das sich die bisherigen Insassen nun anklammern konnten, so gut es eben gehen wollte.

 


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