Friedrich Gerstäcker
Unter den Pehuenchen
Friedrich Gerstäcker

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15. Kapitel

Der kleine Bursche führte den Trupp rasch der bezeichneten Hütte zu, wobei mit den Insassen, die sich vielleicht schon ziemlich bequem darin eingerichtet, verwünscht wenig Umstände gemacht wurden. Ob das Zelt sein Eigentum oder Gemeingut war, in dem er bloß zur Miete wohnte, hinaus mußte er, und zwar nicht einmal durch den Haupteingang, sondern durch die Felle der Rückwand, durch welche er sich auch mit seinem Sattelzeug und seinen Waffen sehr rasch zurückzog. Tchaluak hatte es so befohlen. Jetzt aber, so scheu sich die Eingeborenen bis dahin von den Fremden ferngehalten, griff auch alles zu, um ihnen zu helfen.

Nun entstand ein Augenblick des Durcheinanders, denn die Packen sämtlicher Pferde waren in kaum zwei Minuten Zeit abgeworfen und in das Zelt hineingetragen, dann folgten die Packsättel und das übrige Zaumzeug, aber die Indianer wußten zu gut damit umzugehen, um irgendeine Verwirrung möglich zu machen. Jedes einzelne Geschirr wurde gewissenhaft zusammengelegt, und während man die Tiere sich ruhig selber überließ, da diese schon den andern Pferdetrupp und die beste Weide aufsuchen würden, trugen junge Burschen noch Pferdehäute und Guanakofelle in das Zelt, damit sich die Gäste daraus ihre Lagerstätten bereiten konnten.

Don Enrique aber, während Cruzado die übrigen Indianer von der Stelle fernhielt, wo der alte Herr seine Reichtümer auspackte, damit sie nicht etwa gierig auf die verbotenen Schätze werden sollten, öffnete den einen Sack, in welchem er einen Teil der Geschenke verpackt hatte, und suchte mit seines Dolmetschers Hilfe das aus, was dieser am passendsten für den Kaziken fand – und welche wunderliche Kollektion war es für einen solchen Fürsten der Wildnis!

Das erste und Hauptgeschenk bildete allerdings ein sehr schönes und sehr langes Messer mit eingelegtem Perlmuttergriff und silberverzierter Scheide, dann aber kamen wertlose bunte Glaskorallen, die er an seine Frauen verteilen konnte, Schachteln mit Indigo, den diese ebenfalls zum Färben der selbstgewebten Stoffe brauchten, Messing-Fingerhüte, die sie durchbohrten und um den Hals hingen, bunte baumwollene Tücher von recht grellen Farben, Scheren, Maultrommeln, das Lieblingsinstrument aller dieser Stämme, und besonders, vor allem andern, Aji, die Schoten des roten spanischen Pfeffers, der in ungeheuren Quantitäten in Chile und Peru gezogen und von der ganzen südamerikanischen Rasse, von Weißen wie Indianern, leidenschaftlich gern zu fast allen Speisen verzehrt wird. Andere Kleinigkeiten waren noch dabei, starke Ringe zu Zaumzeug, Schnallen, Schellen, Papier zu Zigarren, und außerdem eine lange Rolle Tabak, von dem Don Enrique eine große Quantität mitgenommen, da ihm bekannt war, wie sehr ihn die Indianer lieben. Alles dieses wurde in ein mächtiges baumwollenes Tuch geknüpft, und dann ging Cruzado, während die übrigen ihren Schlafplatz zurechtmachen konnten und José schon für den seines Herrn sorgte, augenblicklich wieder zu dem Zelt des Kaziken zurück, weil sie wohl wußten, daß dieser mit Neugierde und Ungeduld die Ankunft der versprochenen Geschenke erwarten würde. Tchaluak stand auch richtig schon vor der Tür, und nur erst, als er die Fremden nahen sah, zog er sich in das Innere desselben zurück, warf sich auf die Felle und tat gerade so, als ob er gar nicht davon aufgestanden wäre.

Anfangs, als Don Enrique begann, die mitgebrachten Gaben auf einer Pferdehaut vor ihm auszubreiten, heuchelte er auch noch völlige Gleichgültigkeit. Er nickte wohlgefällig, als er den Tabak sah, lächelte, als er die vielen Geschenke für die Frauen bemerkte, und streckte sogar die Hand nach dem Aji aus, zog sie aber langsam zurück und übersah die Masse, als ob er sagen wollte, es ist so ziemlich, ich bin mit euch zufrieden. Als der Chilene aber als Letztes und Bestes das schöne Messer aus dem Tuche nahm, konnte er doch ein lautes, bewunderndes Ah! nicht unterdrücken, und im Nu ergriff er die Waffe, zog sie aus der Scheide und prüfte die hübsch verzierte Klinge.

»Cume, cume!« rief er dabei einmal über das andere. »Gut! sehr gut! Jenkitruss hat kein solches Messer, und der Stahl ist brav! Es ist gut, Huenuy, es ist gut. Du sollst heute abend mit uns trinken, und morgen sprechen wir über das Weitere, sag ihm das! Wie ist dein Name?«

»Cruzado, Kazike.«

»Gut, sag ihm das, Cruzado. Tchaluak ist zufrieden.« Er stieß dabei einen eigentümlichen Gaumenlaut aus und horchte dann nach der Zeltwand hinüber, mußte aber das Zeichen wiederholen, ehe es befolgt wurde, denn es war bestimmt, seine Frauen herbeizurufen, welche alle drei erschienen.

Zwei davon waren sehr hübsch und noch jung. Sie gingen in die kleidsame Tracht des Landes, in jenen langen blauen Überwurf gekleidet, trugen aber kein solches Diadem auf dem Kopf, wie die Frauen an der andern Seite, sondern das Haupt bloß und das lange Haar nur in zwei Zöpfe geflochten, die ihnen vorn über die Schultern niederhingen. Sie waren auch ungemein schüchtern und zurückhaltend, blieben zagend am Eingänge stehen und erwarteten erst noch ein erneutes Zeichen ihres Herrn und Gebieters, ehe sie es wirklich wagten, näherzutreten. Nicht so die ältere von den dreien, die rasch herbei und, ohne die Fremden auch nur eines Blickes zu würdigen wie auch ohne sie zu grüßen, zu den dort ausgelegten Geschenken glitt, dabei niederkauerte und die Hände vor Freuden zusammenschlug. Ihre Jahre gaben ihr dabei jedenfalls ein Recht. Tchaluak schien aber nicht damit zufrieden, denn er sprach ein paar ziemlich barsche Worte und winkte die andern ebenfalls herbei. Da er die Fremden aber vielleicht doch nicht zu Zeugen einer Familienszene machen wollte, nickte er Cruzado zu, was dieser mit einem gewissen Takt als Zeichen nahm, daß sie entlassen wären.

Der Doktor war indessen mit Meiers Hilfe des verwundeten Indianers habhaft geworden, der mit einem fast handlangen offenen Fleischriß herumlief, als ob er sich aus Versehen einen schwarzen Strich ins Gesicht gemacht hätte und gar nichts davon wisse. Es war ein Schnitt, den er gestern abend bei einem Chichagelage von einem Betrunkenen erhalten halte; »es würde schon wieder heilen«, wie er sagte. Doktor Pfeifel war aber anderer Meinung, ließ sich etwas Wasser bringen, nahm einen Schwamm und wusch die Wunde aus. Der Indianer zuckte nicht dabei. Wie er aber den Schwamm fortlegte, den Riß abgetrocknet hatte, Nadel und Zwirn vornahm und jetzt auf ihn zugehen wollte, fuhr er zurück und sah sich scheu um, als ob er einen Ausweg suchte.

»So sagen Sie doch nur dem verfluchten Kerl, daß ich ihm ja das Maul nicht zunähen will, nur die Schramme«, rief der Doktor und nach einigen Beteuerungen Josés hielt der Bursch dann endlich still, beide Hände aber weit von sich und machte ein furchtbar dummes Gesicht. – Das beendet, legte ihm der Doktor ein Pflaster auf und ließ ihm durch José übersetzen, daß er sich, bis die Wunde geheilt sei, vor allen spirituösen Getränken zu hüten habe, rauchen dürfe er, wenn er Tabak hätte.

Der Indianer schien seelenfroh, als die Operation beendet war; da er dem Weißen aber nun doch einmal den Gefallen getan und Rauchen gerade erwähnt worden, streckte er, ohne weiter einen Dank zu äußern, nur einfach die Hand aus und bat um ein wenig Tabako, denn das Wort wenigstens hatten sie sich von den Chilenen schon gemerkt.

Der Doktor lachte und gab ihm etwas; als ob das aber das Stichwort für alle Übrigen gewesen wäre, drängten sie jetzt sämtlich herbei und baten um ein gleiches Labsal – und er nahm mehr als eine halbe Stange, um sie sämtlich zu befriedigen. Was aber lag auch an dem Tabak, wenn sie sich die Indianer dadurch zu Freunden machten.

Reiwald, der an einem andern keine Wunde sehen konnte, denn er versicherte, daß es ihm die Nerven bis in die Zehenspitze zusammenzöge, war indessen hinaus vor das Zelt geschlendert, um sich da ein wenig umzuschauen, und der Doktor folgte ihm bald. Daß die Indianer freundlich gegen sie gesinnt seien, hatten sie gezeigt, und weshalb sollten sie die Zeit nicht benutzen, um soviel als möglich von den Sitten dieser wilden Menschen kennenzulernen, nahmen sie doch das größte und lebendigste Interesse daran.

Sie wanderten durch die eine Zeltstraße der Lagune zu, als ihre Aufmerksamkeit auf einen Trupp von Reitern gelenkt wurde, die am Strand des Sees eine Anzahl von Pferden zusammentrieben und, den geschwungenen Lasso in der Hand, eins davon herauszufangen suchten. Kaum hatten sie etwa hundert Schritt zurückgelegt, als der eine Lasso hinausschoß. In demselben Moment warf sich das Pferd des Reiters, der ihn geworfen, auf den Hinterbeinen herum und stemmte sich fest gegen den erwarteten Ruck, und fast zu gleicher Zeit auch flog das gefangene Tier, dem die Schlinge um den Hals lag, herum und knickte zusammen. Wie ein Wetter flüchtete jetzt die übrige Schar, aber niemand kümmerte sich mehr um sie, und während der Reiter das gefangene Tier am Lasso hielt, trieben es die andern zu einem ziemlich hohen und kräftigen Apfelbaum, der dicht am Ufer der Lagune stand, und wo sich jetzt alle sammelten.

Im Nu war der Lasso, der um den Kopf des unglücklichen Geschöpfes befestigt worden, oben in den Wipfel des Baumes hinaufgeworfen, und eine Anzahl junger Burschen hing sich jetzt daran und zog es in die Höhe, bis es unter den Stamm zu sitzen kam. Es stemmte sich dabei mit den Hinterbeinen und hieb mit den Vorderhufen in der Luft, aber um alle vier Beine wurden sogleich Schlingen gelegt, mit denen man das arme Tier regungslos halten konnte. An jedem Hinterbeine hielt einer den Huf in die Höhe, daß es sich damit nicht vom Boden schnellen konnte, und die Vorderbeine wurden ebenfalls nach beiden Seiten auseinandergezogen. Vor dem unglücklichen Tiere stand aber ein Pehuenche mit vollkommen nacktem Oberkörper und hatte, wie die beiden Deutschen zu ihrem Entsetzen bemerkten, dem Schlachtopfer rasch ein großes viereckiges Stück der Halshaut abgelöst, das wie ein Lappen jetzt vorn herunterhing. Dicht dabei saßen ein paar Frauen, die auf einem großen flachen Steine eine Anzahl von spanischen Pfefferschoten so fein als möglich rieben, und das Geriebene dann in eine kleine hölzerne Schüssel taten. Was um Gottes willen sollte das werden?

Jetzt schnitt der davorstehende Wilde dem gequälten Tier langsam in die Gurgel – endlich machte er doch den Leiden des unglücklichen Geschöpfes ein Ende! – aber nein, er hielt den Schnitt augenblicklich wieder zu, rief den Frauen etwas hinüber, und diese brachten dann rasch den zerriebenen Aji herbei, von dem er eine richtige Handvoll nahm und mit der geschlossenen Faust dann – die beiden Deutschen wandten sich schaudernd ab – dem gemarterten Tier in die zerschnittene Gurgel fuhr.

»Alle Teufel!« sagte der Doktor, »das ist stark; ich glaube wirklich, Reiwald, wir hätten besser getan, nicht hierherzukommen, mir selber ist ganz elend geworden.«

»Weiter hat mir gar nichts gefehlt«, klagte Reiwald. »Was meinen Sie, wollen Sie die weitere Behandlung, Sektion usw. noch mit abwarten, Doktor?«

»Nein, ich danke,« erwiderte dieser, »ich habe gegenwärtig vollkommen genug – das sind ja wahre Scheusale. Wenn nur Meier hier gewesen wäre, daß er uns die Sache erklären könnte!«

»Auch noch?« fragte Reiwald »ich dächte, es wäre deutlich genug gewesen, und ich bitte Sie um alles, reden Sie kein Wort mehr davon, mir wird schon ganz übel.«

»Hallo,« rief der Doktor, »was ist das – dort ziehen alle in das große Zelt hinein. Am Ende wird da Kirche gehalten, und wir können einem Gottesdienst dieser Heiden beiwohnen.«

»Was haben wir denn heute für einen Tag?« fragte Reiwald, »mir ist meine ganze Zeitrechnung verlorengegangen.«

»Ja, ich weiß es auch nicht, aber das bliebe sich auch gleich, denn wer weiß, welchen Tag sie feiern.«

»Wollen wir einmal hineinsehen?«

»Wenn wir dürfen.«

»Dort ist ja auch Meier im Schwarm,« rief Reiwald, »kommen Sie, dort werden doch wenigstens keine Pferde geschlachtet.«

Die beiden Deutschen bemerkten übrigens jetzt, daß ihnen ihr Landsmann schon zuwinkte, und wie sie auf ihn zuschritten, rief er: »Wo haben Sie denn nur gesteckt, Sie sind schon überall gesucht worden, die Geschichte geht los.«

»Was für eine Geschichte?« fragte der Doktor.

»Chicha wird getrunken, und der Kazike ist schon drin und hat nach Ihnen gefragt. Er will Sie sprechen, Doktor.«

»Mich?« fragte dieser erstaunt.

»Ja, er hat davon gehört, daß Sie dem einen Burschen die Backe so hübsch und elegant genäht haben, und will sich, glaub ich, ein Paar Hosen bei Ihnen bestellen. Sie werden Kundschaft kriegen.«

»Oh, Unsinn!« rief der Doktor; »nein, sagen Sie, Meier hat der Kazike wirklich nach mir verlangt?«

»Gewiß; er hat eine Partie Kranke, die Sie wahrscheinlich in der Geschwindigkeit kurieren sollen; kommen Sie nur, große Herren haben nie viel Geduld.«

Damit betraten sie den inneren Raum des Zeltes und sahen hier in der Tat ein sehr charakteristisches Bild, dem selbst eine gewisse Feierlichkeit nicht fehlte, denn es wurde kein lautes Wort gesprochen, und nur einzelne der Anwesenden, obgleich sie sehr zahlreich versammelt waren, unterhielten sich flüsternd miteinander.

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Meier überlieferte den Doktor ohne weiteres an Cruzado, der sich schon nach ihm umgesehen hatte, ihn auch gleich bei der Hand nahm und mit ihm zu der Stelle ging, wo Tchaluak auf ein paar weich und bequem für ihn ausgebreiteten Guanakofellen lagerte.

Reiwald sah sich indessen in dem inneren Raum des Zeltes um und bemerkte, daß an dem einen Ende, aber nicht dicht nach der Wand, sondern mehr nach der Mitte zu, sechs ziemlich große Fässer aufgestellt standen. Das eine davon, zunächst dem Kaziken, war in der Mitte angebohrt, und aus ihm sprudelte oder schoß jenes entsetzliche gelbgrüne trübe Getränk in einem vielleicht fingerdicken Strahl heraus, während die verschiedenen Indianer sich darum herdrängten und jeder ein ziemlich umfangreiches Kuhhorn unterhielt, um es füllen zu lassen.

Indessen wurde der Doktor dem Kaziken Tchaluak vorgestellt und hatte dabei ganz in Gedanken seinen Mantel umbehalten, der die Augen des Häuptlings aber auf sich zog. Es war ein alter Militärmantel mit rotem Kragen und blanken Knöpfen, aber ganz mit rotem Flanell gefüttert, und Tchaluak nickte vergnügt, als er ihn sah, er gefiel ihm. Die Unterhaltung mit dem Deutschen, obgleich er das Wort Aleman ebenfalls ziemlich wohlwollend aussprach, zeigte sich aber doch sehr schwierig, da er sich dabei eines doppelten Dolmetschers, Cruzados und Meiers bedienen mußte. Er fragte ihn aber trotzdem, wo er herkäme, ob er alle Krankheiten kurieren könne und auch Zaubermittel verstünde, und während er mit ihm sprach, war er aufgestanden, befühlte und strich den roten Kragen und prüfte die Knöpfe am Mantel, auf die er besonders sein Augenmerk hatte; warm schien er ebenfalls, es war jedenfalls in den Augen des Häuptlings ein Kabinettstück.

Dem Doktor gefiel das gar nicht; er hatte gehört, daß es im Orient Sitte sei, jemandem eine Sache, über die er sich beifällig äußerte, zum Geschenk anzubieten, und der verwünschte Wilde sah genau so aus, als ob er etwas Derartiges ebenfalls erwartete. Den Mantel konnte er aber nicht hergeben, er wäre in den Pampas verloren gewesen und dankte seinem Gott, als ihn der Kazike, der sich der Chicha nicht so lange entziehen wollte, endlich wieder entließ. – Vorläufig war er gerettet.

Jetzt begann das Trinken systematisch. Es zeigte sich keine Überstürzung darin, sondern die Leute tranken dies traurige Gebräu mit einem Ernst und einer Beharrlichkeit, als ob sie irgendein wichtiges Geschäft zu erledigen hätten. So mochten etwa zwei Stunden vergangen sein – es war Nachmittag geworden, und schon das zweite Faß zur Hälfte leergetrunken, ohne daß der Durst der Anwesenden im geringsten abzunehmen schien.

»Doktor,« sagte da Reiwald, »reden Sie mir von bayrischen Biertrinkern, die ihre sechzehn Maß an einem Abend vertilgen – die könnten hierherkommen und etwas lernen. So etwas ist mir in meinem ganzen Leben noch nicht vorgekommen. Und sehen Sie nur, wie der Kerl säuft, dem Sie die Backe zugenäht haben.«

»Hol ihn der Teufel!« brummte der Doktor, »das sind gar keine Menschen und haben keine Menschennatur – wie hielten sie's auch sonst aus. Mein Magen ist schon wie ein Essigfaß, und diese verfluchte Aufmerksamkeit von den roten Bestien. Alle Augenblicke ist einer mit einem Horn da.«

»Ein Gutes hat es,« meinte Reiwald, »wir werden, wenn wir je einmal wieder in die zivilisierte Welt zurückkehren sollten, was freilich allen Anzeichen nach noch sehr problematisch ist, nie wieder in einem Hotel über Magdeburger Medok schimpfen oder einen Rinderbraten ungenießbar finden. Wir machen hier einen Kursus durch, der – alle Wetter! was tragt der Bursche da – beim Himmel! ich glaube, das ist ›rote Grütze‹, mein Leibessen. Ich habe gar nicht gewußt, daß sie hier Himbeeren haben.«

Der Doktor sah hinüber und bemerkte jetzt ebenfalls ein paar junge braune Burschen, von denen der eine eine ziemlich große Holzschüssel trug. In dieser lag ein roter, geleeartiger Kuchen von runder Form, und er ging damit auf den Kaziken zu, vor welchem er ihn niedersetzte.

Es mußte jedenfalls eine Delikatesse sein, denn es wurden dem Häuptling zugleich eine Anzahl kleiner Rindenstücke gebracht, die augenscheinlich als Teller dienen sollten. Tchaluak nahm dann sein neues Messer aus dem Gürtel, würdiger konnte er es nicht einweihen, und schnitt den Kuchen in kleine Stücke, von denen er jedes auf einen Rindenstreifen legte und durch die Kinder zu den Personen sandte, denen er eine Ehre erweisen wollte.

Das erste bekam Don Enrique, der es mit dankender Verbeugung nahm und ohne weiteres – während ihm Cruzabo einige Worte zuflüsterte, verzehrte.

»Dem Alten scheint es zu schmecken,« sagte Reiwald, der ihn scharf beobachtet hatte; »es ist wahrhaftig rote Grütze. Merkwürdig, daß die Pehuenchen deren Bereitung verstehen. Das müssen sie doch sicher von den Deutschen aus Valdivia, die manchmal herüberkommen, gelernt haben. – Da kommt auch etwas für uns.«

Die zweite Portion war für den Doktor bestimmt, der diese Auszeichnung – er schien selber zweifelhaft darüber – entweder seinem Stande oder, wie er fast fürchtete, seinem rotgefütterten Mantel verdankte. Er nahm das Gebrachte aber ebenfalls dankend an und holte sein kleines Taschenmesser heraus, um es zu verzehren.

»Eigentlich gehörte Milch und ein Löffel dazu,« meinte er, »hier aber muß man sich freilich behelfen, wie es eben geht.«

»Und wie es scheint, bekomme ich nichts davon,« sagte Reiwald, »mir werden sie wohl ein Stück Pferdefleisch bringen.«

»Was, zum Teufel! ist denn das?« brummte aber der Doktor, der ein Stück abgeschnitten und gekostet hatte, »rote Grütze, bah, das brennt wie Feuer auf der Zunge und muß eine Art Gelee sein.«

»Wie schmeckt es denn?«

»Nicht schlecht, aber furchtbar gepfeffert.«

»Na, da bekomme ich auch etwas,« nickte Reiwald, indem ein kleines Mädchen zwei solche Naturteller, einen für ihn und einen für Meier brachte.

Meier hatte es sich überhaupt außerordentlich bequem gemacht und tat, als ob er da ganz zu Hause wäre. Er lag auf einem Guanakofell behaglich ausgestreckt, und wenn ihm einer der Indianer ein Horn mit Chicha zureichte, so leerte er es, ohne eine Miene zu verziehen, bis auf den Grund und gab es dann mit einem gnädigen Kopfnicken wieder zurück, als ob das gar nicht anders sein könnte. Nur jetzt warf er über seinen Holzteller hinweg einen halb neugierigen, halb neckischen Blick nach seinen beiden Landsleuten, die mit solchem Behagen die neue Kost verzehrten; denn auch Reiwald hatte davon gekostet, und es schien ihm ganz vortrefflich zu schmecken.

»Donnerwetter!« sagte er, »wenn ich nur wüßte, was das wäre; beißen tut es freilich niederträchtig, und ich kann gar nicht hinter den Geschmack kommen, bekannt ist er mir aber.«

»Ja, ich weiß auch nicht,« meinte der Doktor, »es ist fast – es ist fast wie« – er hielt den Teller erschreckt von sich weg und betrachtete den Gegenstand genauer, »hören Sie, Meier, wissen Sie nicht, was das ist?«

»Geronnenes Pferdeblut«, sagte dieser, mit dem größten Gleichmut ein Stück davon in den Mund schiebend, und er mußte an sich halten, um nicht geradeheraus zu lachen, als er die Wirkung bemerkte, die das eine Wort auf die beiden Freunde hatte.

»Was?« schrie Reiwald im Ton des furchtbarsten Entsetzens, »was, sagten Sie, war es?«

»Geronnenes Pferdeblut mit Pfeffer,« wiederholte Meier lächelnd, »nicht wahr, es schmeckt gut?«

»Herr, du meine Güte«, sagte der Doktor und zog den Mund so breit, wie er konnte. – Reiwald erwiderte gar nichts; er hielt noch ein Stück im Munde, aber er sprang auf, warf einen stieren Blick umher und taumelte dann mehr, als er ging, dem Eingang zu. Die Indianer sahen sich erstaunt nach ihm um, aber schon ehe er das Fell erreichte, das als Tür diente, wurde ihnen klar, weshalb er das Weite suchte. Lachend wichen sie ihm aus, und der Unglückliche stürzte hinaus, die Straße entlang, bis er einen Apfelbaum erreichte. Er kam auch nicht wieder. – Der Kazike schickte Cruzado ab, um nach dem »kranken Aleman« zu sehen, und dieser nahm Meier mit. Sie fanden ihn auch, aber in dem Zelt, das ihnen zum Wohnort angewiesen war, elend und stöhnend auf den Boden hingestreckt. Wahrscheinlich machte er sich dabei kränker, als er wirklich war; aber keine Macht der Welt hätte ihn wieder auf die Füße bringen können. Sie mußten ihn wirklich liegen lassen und dem Kaziken Bericht erstatten, daß er zu elend sei, um wieder zu erscheinen, und diese Gelegenheit hielt der Doktor natürlich für außerordentlich passend, um sich ebenfalls davonzumachen. Sein rotes Unterfutter aber verriet ihn. Tchaluaks Blick fiel im Moment darauf, als er sich rasch erhob und hinaus wollte, und er ließ ihn durch Cruzado rufen und hieß ihn sich neben sich setzen – eine besondere Auszeichnung, die ihm damit widerfuhr, die er jedoch wohl kaum nach ihrer ganzen Größe zu schätzen wußte. Aber er ließ alles über sich ergehen; er trank Chicha bis zum nächsten Morgen um zwei Uhr, verzehrte zwei oder drei Pferdefleischkoteletts, und hatte später nur eine dunkle, unbestimmte Erinnerung, daß ihn ein paar Männer, einer unter jedem Arm, in dunkler Nacht »nach Haus« geführt und auf sein Bett gelegt hatten.

 


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