Friedrich Gerstäcker
Unter den Pehuenchen
Friedrich Gerstäcker

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1. Kapitel

Über die Kordilleren sandte die Sonne ihre ersten Strahlen und beleuchtete, hoch in den Bergen drinnen, ein ebenso eigentümliches als wildes Bild.

Inmitten eines weiten Rohrbruchs, der sich über den ganzen Hang zog, und aus welchem mächtige Buchen- und Lorbeerbäume emporwuchsen, lagerte ein Schwarm von trotzigen braunen Gestalten um fünf oder sechs Feuer, die an verschiedenen Stellen angezündet, aber jetzt schon fast niedergebrannt waren, wenigstens nicht mehr mit dem überall umhergestreuten trockenen Holz genährt wurden. Die Schar richtete sich auch augenscheinlich zum Aufbruch und gedachte wohl kaum eine zweite Nacht an dieser Stelle zu verbleiben.

So wild verwachsen war das Dickicht, daß man es nicht einmal für nötig befunden, die Pferde weiter zu sichern, die ungesattelt und ungezäumt überall das saftige Schilflaub abweideten.

Nur die Stelle, wo ein schmaler Pfad in die natürliche Lichtung ein- und an der anderen Seite wieder ausmündete, war durch querüber gezogene Lassos »geschlossen«, und keins der Tiere hätte die starre Hecke von Schilf und Unterholz nach irgendeiner Richtung hin durchbrechen können.

An der westlichen Seite des Platzes, wo sich das Land allmählich der Niederung zusenkte, war ein Einschnitt zwischen den Bäumen durch den Sturz eines der Waldriesen in das Laubmeer gerissen. Dorthin konnte der Blick weit ausschweifen, bis er den nebelumflorten Horizont des Stillen Meeres traf – und diesem Einschnitt gerade gegenüber, an einem hell brennenden Feuer und auf ein paar Guanakofelle ausgestreckt, lag der Häuptling und Kazike dieses Trupps.

Es war eine schlanke, kräftige, noch jugendliche Gestalt, dieser wilde Krieger, wie er dort neben der Flamme und, auf den linken Ellbogen gestützt, finster brütend lehnte. Sein Haupt, von dem das lange schwarze Haar straff niederhing, war unbedeckt, der Oberkörper trotz des ziemlich rauhen Morgens nackt. Nur ein paar kurze und eng anliegende blaue Hosen trug er und die aus roher Pferdehaut verfertigten Botas an den Füßen. Neben ihm aber lag der buntgewirkte Poncho, lagen die großen, schweren, silbernen Sporen und der aus seinen Streifen roher Haut kunstvoll geflochtene Zaum und Lasso. Die Bolas, das tödliche Wurfgeschoß der Pampas-Indianer, trug er wie alle Übrigen, um den Leib gewunden, das lange Messer steckte im Gürtel, und hinter ihm, an einem Baum, lehnte die wohl vierzehn Fuß lange, mit scharfem Messer bewehrte Lanze – alles zum augenblicklichen Dienst bereit und im Griff des Kriegers.

Und was wollten die dunklen Gestalten hier in der unmittelbaren Nähe von Ansiedlungen der Weißen, und doch so tief verborgen im schützenden Wald? Hatten sie Böses im Sinn? – Es war schon viel Blut geflossen von beiden Seiten, und Indianer wie Chilenen hatten ihre Kraft miteinander gemessen. – Aber noch verriet kein Zeichen, daß diese Schar über das friedliche Land hineinbrechen wolle, denn höher und höher stieg die Sonne, und nichts deutete darauf hin, daß die wilden Gestalten an einen Aufbruch dachten.

Da endlich tönte ein scharfer Schrei aus dem Dickicht heraus, wie ihn der graue Habicht ausstößt, wenn er über dem Wald die raschen Kreise zieht, und der Häuptling fuhr aus seiner ruhenden Stellung empor. – Noch einmal ertönte der Ruf, und jetzt zum drittenmal – es war einer der ausgesandten Kundschafter, der zum Lager zurückkehrte, und gleich darauf brachen und raschelten die Büsche, und ein junger Krieger hielt auf seinem fröhlich aufwiehernden Pferd vor den ausgespannten Lassos des inneren Pfades, die jetzt rasch von geschäftigen Händen beseitigt wurden, um ihm Einlaß zu geben.

Im nächsten Augenblick schon sprengte er in den offenen Plan, aber nicht gleich zu dem ihn ungeduldig erwartenden Häuptling hin, denn vor allen Dingen galt seine Sorge dem Tier, das ihn getragen. Er sprang aus dem Sattel, den er abschnallte, worauf er mit einer Hand voll ausgerissenen Grases den nassen Rücken seines Rappen sorgfältig abrieb; dann zog er ihm den Zaum über die freudig gespitzten Ohren und ließ das also befreite Tier hinüber zu seinen Gefährten traben. Erst dann schritt er auf den Häuptling zu, der sich ebenfalls aufgerichtet hatte, aber mit keiner Silbe die notwendige Wartung des Pferdes beeilte. Das Tier gehörte zum Mann und verlangte oft sorgfältigere Pflege als dieser selber, besonders jetzt, wo sie sich auf feindlichem Boden befanden.

Der junge Kundschafter näherte sich seinem Führer. Er war schlank gewachsen und die Haut kaum mehr gebräunt, als man den heißen Strahlen der Sommersonne hätte zuschreiben können. Den Oberkörper trug er nackt wie der Häuptling, die Beine steckten in eng anschließenden dunkelblauen Hosen, und um die Hüften war noch ein schmales blau- und rotgewirktes Tuch geschlungen, in dem hinten im Gürtel das lange Messer steckte. Um den Leib hatte er außerdem die mit zwei eingenähten Kugeln bewehrte Bola geschlagen, sonst führte er keine Waffen. Die großen eisernen Sporen waren über den nackten Fuß geschnallt und hinderten ihn etwas im Gehen, weil sie klirrend nachschleiften. All diese Völker sind ja auch nur auf den Sattel angewiesen und dort daheim. Zu Fuß zeigen sie sich meistens hilflos und ungeschickt.

»Und was bringst du, Allumapu?« sagte der Häuptling endlich, als der junge Mann mit finsteren Blicken vor ihm stand, »kehrst du unverrichteter Sache zurück, und war dein Fuß nicht imstande, ihre Fährten zu kreuzen?«

»Sie sind breit genug,« erwiderte der junge Indianer, während ein halb trotziges, halb verächtliches Lächeln um seine Lippen spielte, »ein Halbblinder könnte ihnen folgen – doch in großen Schwärmen bedecken sie das Land, und ihre Feuerrohre blitzen überall in der Sonne.«

»Und unsere Tiere?« sagte der Häuptling ungeduldig.

»Eine weite Staubwolke zeichnet die Bahn, auf der sie dem Norden entgegengetrieben werden, und nach Osten zu flohen die Araukaner und ließen ihre Habe im Stich. An allen Punkten brennen ihre Hütten, sind ihre Felder verwüstet, und was sich von Rindern und Pferden nicht in den Wäldern versteckt hat, ist Beute der Sieger.«

»Und die Soldaten?« fragte der Häuptling, während sich seine Stirn in düstere, Unheil drohende Falten zog, »wie viele sind ihrer?«

»Wer kann sie zählen?« war die Antwort, »auf allen Pfaden ziehen sie daher, und ein Schwarm, stärker als der unsere und nur aus ihren Häuptlingen bestehend, lagert unten im Tal bei einem Huinca, wo sie Musik und Tanz haben und ein Gelag halten.«

»Dort unten im Tal?«

»Von diesem Hügelrücken aus, wo ein Felsenvorsprung die Tiefe überhängt, kannst du die Lichtung sehen.«

»Ich kenne den Platz,« rief der Häuptling rasch, »der Weiße dort war immer ein Freund der Pehuenchen. Er ist gut – er wird uns helfen. Du, Allumapu, kehrst dorthin zurück.«

»Allein und unbewaffnet?«

»Der Abgesandte des Häuptlings Jenkitruss ist sicher,« entgegnete der Wilde stolz, »wer will ihn schädigen? Du forderst unsere Tiere zurück. – Wir sind nicht im Krieg mit den Weißen – wir haben keinen Teil an ihren Kämpfen. Friedlich bin ich in dies Land gekommen, friedlich will ich es wieder verlassen. Wir haben ihre Herden geschont. Wir haben nicht die Hand nach ihrem Eigentum ausgestreckt, und als die Araukanos unseren Beistand verlangten, haben die Häuptlinge der Pehuenchen es abgelehnt, die Lanze gegen die Brust der Weißen zu richten. – Geh, die Sonne steigt höher, und bis sie wieder sinkt, müssen wir auf dem Heimweg sein.«

»Und wenn sie sich weigern?« sagte der junge Krieger.

»Weigern?« rief der Häuptling emporfahrend, »bei Pilians Zorn! Sie wagen's nicht. Sag ihnen dann, daß Jenkitruss mit seiner Schar im Walde lagert und mit Gewalt hinwegführen würde, was sein ist. Sag ihnen, sie hätten bis jetzt nur den freundschaftlichen Druck seiner Hand gefühlt, aber seine Lanze sei scharf und seine Bolas fehlten nie ihr Ziel.«

»Und wie handelten sie oben bei Antuko mit den Boten, die bittend und in Freundschaft zu ihnen kamen?« fragte der junge Krieger vorsichtig. – »Sie sehen nie die heimischen Pampas wieder!«

Das Auge des Häuptlings blitzte. »Fürchtest du dich, Allumapu, meine Botschaft auszurichten?«

Der junge Indianer erwiderte kein Wort, aber seine ganze Gestalt hob sich, sein dunkles Auge glühte und, sich abwendend, schritt er zu einem der frischen Pferde hinüber, das er an der Mähne faßte und zu seinem Zaumzeug führte. In wenigen Minuten war es gesattelt und zum Aufbruch bereit; aber nicht wie vorher gedachte er diesmal in das niedere Land hinabzusteigen. Aus einem Lederbeutel, der neben dem Gepäck der Genossen lag, nahm er zwei himmelblaue, großperlige Glasschnüre, die er sich um den Nacken hing; ein buntgewebtes wollenes Band knüpfte er sich um die Stirn, um das lange, schwarze, straffe Haar damit zurückzuhalten; dann nahm er Farbe und zeichnete sich Wangen und Stirn mit blauen und roten Streifen, und nun erst hing er den mit gelbroten und blauen Arabesken verzierten Poncho um die Schultern. So endlich gerüstet, griff er die Lanze auf, die, getrennt von den übrigen, an einem Baum lehnte, sah nach dem Lasso, ob er geordnet an seinem Gurt befestigt hing, und schwang sich dann mit einem kecken Satz in den Sattel.

»Allumapu!« rief die ernste, aber nicht unfreundliche Stimme des Häuptlings, der schweigend seinen Vorbereitungen zugesehen.

Der junge Krieger lenkte ihm sein Pferd zu und hielt neben ihm, des neuen Befehls gewärtig.

»Reite,« nickte ihm der Kazike zu, »aber – hab acht auf dich, unsere Herzen sind mit dir.«

»Allumapu fürchtet die Huincas nicht.«

»Ich weiß es,« sagte der Häuptling freundlich, »aber er weiß auch, daß er sie nicht zu fürchten braucht, denn starke Arme liegen im Hinterhalt und offene Augen bewachen seine Schritte.«

Eine leise Bewegung mit der Hand gab ihm das Zeichen zum Abschied, und der junge Krieger wandte ohne Zögern sein Pferd und sprengte schon im nächsten Augenblick über die Lichtung hinüber dem schmalen Pfad zu, hinter dessen Rohrwänden er im Nu verschwunden war.

Aber düstere Wolken fuhren über das Antlitz des Kaziken Jenkitruss, denn der Verdacht, den sein junger Kundschafter über die Treue der »Fremden« geäußert, war nicht spurlos an ihm vorübergegangen. Dort unten im Lande lagen die Hütten und Gehöfte seiner roten Brüder zerstört. Hunderte ihrer jungen Männer waren erschlagen, ihre Familien in die Gebirge gejagt, ihre Herden fortgetrieben, ihre Wintervorräte verbrannt oder geraubt, und wenn auch sein eigenes Volk an der Otra Banda in diesen Streitigkeiten keine Hand gehabt und die Weißen weder bedroht hatte, noch von ihnen bedroht war, so kannte er doch nur zu gut die Leidenschaften der Menschen, die, mit einmal erregtem Blut und die Waffe in der Faust, schwer in ihr altes, ruhiges Geleis zurückzubringen sind. Aber hätten sie es gewagt, auch ihn zu reizen? – Boten waren vor Ausbruch des Krieges zu ihm hinübergesandt, um sich seine Neutralität zu sichern, Geschenke waren ihm geschickt, um den Pehuenchen zu beweisen, daß die Chilenen nichts Feindseliges gegen sie beabsichtigten, daß sie nur die Einfälle der Araukaner bestrafen, aber mit ihren roten Brüdern im Osten in Frieden und Freundschaft leben wollten; mußte er ihnen nicht trauen? – Und doch, wie oft schon hatten sie ihn getäuscht – wie oft hatten die Kaziken der Weißen ihm ihren Freundschaftsgruß gesandt, während ihre eigenen Leute über die Berge schlichen und seine Pferde hinwegtrieben, ja einzelne seiner Leute erschlugen oder verjagten. Und war ihm je Recht – je Genugtuung für solchen Friedensbruch geworden? Nie. – »Nenne die Verbrecher,« hatten die Weißen gesagt, »und sie sollen ihre Strafe erhalten; wir selber aber können sie nicht suchen.« – Wo aber einer der roten Söhne des Landes einen Friedensbruch beging – wie dies jetzt bei den Araukanern der Fall gewesen –, da überschwemmten sie in Massen mit all ihren neuen Zerstörungsmaschinen das Land, und der Unschuldige mußte mit dem Schuldigen leiden.

Solche Gedanken zuckten ihm durchs Hirn, wie er mit untergeschlagenen Armen, den Blick fest am Boden haftend, dasaß und vor sich niederstarrte. Aber der kecke, wilde Häuptling der Pehuenchen war wahrlich kein Grübler, und plötzlich den Kopf emporwerfend, ließ er den Blick über seine Krieger schweifen, die, noch ungewiß, welcher Befehl ihnen werden würde – ob zum Aufbruch, ob zur längeren Rast hier –, leise miteinander plaudernd in verschiedenen Gruppen umherstanden.

»Saman!« rief der Häuptling, und aus der einen Gruppe löste sich eine kleine, schmächtige Gestalt los, die wie ein Pfeil über den Boden auf ihn zuglitt, »du bist rasch und geschickt,« fuhr Jenkitruss ohne weitere Vorbereitung fort, »folge Allumapus Fährte, aber kein Weißer darf dich sehen. Nahst du dich ihren Wohnplätzen, so laß dein Pferd im Dickicht. Du kehrst mit Allumapu zurück oder – meldest mir, was aus ihm geworden. Hast du mich verstanden?«

Der Indianer antwortete gar nicht – geräuschlos glitt er zu seinem Pferd hinüber, warf ihm den Zügel über, und auf den nackten Rücken desselben springend, war er im nächsten Augenblick schon im Wald verschwunden. Jenkitruss aber warf sich neben seinem Feuer nieder, und die anderen Wilden, die jetzt wohl sahen, daß für die nächste Zeit nichts unternommen wurde, lagen bald auf dem Boden, um die Ruhe zu suchen. Sie alle wußten, daß sie den Moment benutzen mußten; denn wenn es zum Kampfe kam, wurden ihre Kräfte auch nicht geschont.

 


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