Friedrich Gerstäcker
Unter den Pehuenchen
Friedrich Gerstäcker

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16. Kapitel

Am nächsten Morgen schickte – etwas sehr Ungewöhnliches in den Pampas – der Kazike zum Doktor und ließ ihn zu sich rufen; aber der Doktor war noch nicht zu sprechen. Er lag mit ausgestreckten Armen und Beinen auf dem Bauche, hatte sein Gesicht in die Felle hineingegraben und stöhnte, daß es einen Stein erbarmen konnte. Neben ihm ruhte – wenn man ein ewiges Herumwerfen ruhen nennen konnte – Reiwald, die Knie bis unter das Kinn heraufgezogen und sie mit beiden Händen haltend.

Meier war diesmal Gesandter und stand eine ganze Weile kopfschüttelnd vor den beiden Unglücklichen, die hier, mitten in der Wildnis und aus dem Bereich jeder Zivilisation, nur als ein Opfer der strengen Etikette gefallen waren.

Er sah jedoch bald, daß hier jeder Versuch vergeblich sei, und kehrte zurück, um Cruzado den Erfolg seiner Mission zu melden.

Der Doktor wurde übrigens nicht gebraucht, denn der Kazike hatte gerade eine lange und eifrige Unterredung mit dem alten Chilenen, war aber dazu mit ihm und dem Dolmetscher von seiner Hütte fort und hinaus in die Pampas gegangen, wo sie von niemandem behorcht werden konnten. Das Gespräch beschäftigte sich ausschließlich mit dem Zweck von Don Enriques Reise, und zu Cruzados Erstaunen, der etwas ganz anderes zu erwarten schien, ging der Kazike viel williger darauf ein, als selbst Don Enrique gehofft hatte.

Cruzado aber, der seit seiner Jugend mit diesen Wilden verkehrt hatte, ja unter ihnen aufgewachsen war und selbst ihr Blut in seinen Adern hatte, merkte bald, daß den Häuptling noch ein anderer Beweggrund leitete, wenn er auch nicht die geringste Andeutung dahin machte. Er versprach im Gegenteil, ihm freies Geleit bis zu Jenkitruss Lager zu geben, das freilich jetzt auf der andern Seite des Limaï liege, wobei man es schwer finden würde, den angeschwollenen Strom mit Lasttieren zu passieren; aber es ging doch wohl, die Pferde schwammen, und man war auch vielleicht imstande, ein Floß zu bauen, um das Gepäck hinüberzuschaffen.

»Dann erlaubst du uns wohl, Kazike,« sagte Cruzado, »daß wir noch heute unsern Weg fortsetzen, um dir nicht länger zur Last zu fallen. Das Herz des alten Mannes sehnt sich danach, sein Kind wieder zu umarmen, und er hat mir gesagt, daß er dir noch auf dem Rückweg reiche Geschenke machen würde.«

»Heute noch?« sagte Tchaluak langsam – »ja – gewiß – aber – die Pferde werden nicht so rasch zusammengetrieben werden können.«

»In einer Stunde haben wir sie hier.«

»Und wir trinken dann auch wieder. Ich darf euch doch nicht fortlassen, so lange unser Fest dauert.«

»Du hast uns schon so reich bewirtet, und wir sind dir dankbar für das Genossene.«

»Und dann der Doktor,« fuhr der Häuptling nach einer Pause fort, »meine jüngste Frau ist nicht wohl. Er soll sehen, was ihr fehlt, er soll ihr von seinen Mitteln geben.«

Cruzado neigte das Haupt – es war kaum nötig, ein Wort weiter über die Sache zu verlieren, denn der Kazike schien entschlossen, sie heute noch nicht fortzulassen. Halten doch diese freien Häuptlinge der Steppe ihre Gäste immer so lange wie halbe Gefangene, als sie nicht für gut finden, sich von ihnen zu trennen. Widerspruch half da gar nichts und konnte die Sache höchstens verschlimmern. Er warnte auch Don Enrique, ja kein Zeichen von Ungeduld blicken zu lassen und sich in das Unabänderliche zu fügen; morgen vielleicht durften sie reiten und versäumten möglicherweise nicht einmal etwas dabei, da der Limaï jetzt nach dem letzten, erst kürzlich gefallenen Regen wahrscheinlich sehr angeschwollen war und sie doch gezwungen hätte, ein paar Tage an seinem Ufer liegen zu bleiben.

Meier war indessen zu ihrem Zelt zurückgekehrt und setzte seine Bemühungen fort, um den Doktor wachzubekommen. Es war ein schweres Stück Arbeit, aber es gelang doch endlich, und der unglückliche Pfeifel richtete sich empor. Er sah aber leichenblaß aus, die Augen lagen ihm tief im Kopfe und das Haar klebte ihm an der Stirn.

»Meier,« sagte er, als er den Deutschen erkannte, »ich habe Katzenjammer von Champagner gehabt und von Rheinwein, Katzenjammer von Bier, der ist auch nicht schlecht, darauf gebe ich Ihnen mein Wort, und Katzenjammer von Punsch und Bowle, ich habe ein Studium daraus gemacht, um die verschiedenen Stadien des Elends zu studieren, und darf mir zutrauen, ein Urteil in solchen Dingen zu besitzen; aber Chicha, von Apfelwein – nein, nicht einmal von Apfelwein, von einem Gesöff, von dem eine alte Kuh den ganzen Tag schreit, wenn man es ihr nur auf den Schwanz gießt, das ist das Entsetzlichste, was ein Mensch denken kann! – – – Seekrankheit ist auch nicht übel,« fuhr er weich fort, »eine Art von Auflösung des Gefühls in dem Magen, ein Zustand, in dem der Mensch Selbstmord begehen würde, wenn er sein Leben nur des Nehmens wert hielte; aber Katzenjammer von Chicha –« er fiel wieder flach auf sein Gesicht nieder, bis Reiwald, der schon den ganzen Morgen zwischen der Lagune und dem Zelte hin- und hergelaufen war, wieder zurückkam und Meier dabei so kläglich anblickte, daß dieser laut auflachte.

»Na,« sagte er, »beruhigen Sie sich nur. Heute bleiben wir, soviel ich merke, noch hier, denn es werben keine Anstalten zum Aufbruch gemacht, und Sie können sich bequem ausruhen und erholen. Wie steht's mit dem Kaffee?«

»Er ist fertig,« sagte Reiwald wehmütig, »ich trinke ihn immer im Vorbeilaufen.«

Meier lachte und ging zu der Kanne, um sich selber einzuschenken. Übrigens mußte Reiwald doch noch Zeit gefunden haben, auch etwas Kompakteres zum Feuer zu setzen: einen Topf mit Reis und ein großes Stück getrocknetes Fleisch darin, er hatte ja auch fast den ganzen vorigen Tag nichts genossen; wenigstens nichts seit dem Frühstück. Aber auch der Doktor war durch die Erwähnung des Kaffees munter geworden – oder doch zu sich selber gekommen. Er hob den Kopf und sagte: »Meier, tun Sie mir einmal den Gefallen, gehen Sie um die Ecke und holen Sie mir einen sauren Hering und eine Flasche Sodawasser.«

»Tut mir leid, Doktor,« erwiderte Meier, »heute ist Sonntag, und da sind alle Läden zu. Aber wie ist Ihnen? Sie sehen gut aus! Und wie haben Sie ihren Mantel hergerichtet!«

»Oh mein Kopf!« flüsterte der Doktor, indem er aber doch einen teilnehmenden Blick auf das erwähnte Kleidungsstück warf. Der Mantel sah in der Tat bös aus, zerknüllt und schmutzig, und so elend er sich fühlte, wollte er ihn doch wenigstens etwas wieder in Ordnung bringen, als er plötzlich ausrief: »Ei, so soll doch die diebischen Halunken der Henker holen!«

»Was gibts?« fragte Meier. »Haben Sie Ihnen etwas gestohlen?«

»Gestohlen?« fragte der Doktor. »Sehen Sie einmal den Mantel an. Die Hälfte von den Knöpfen haben sie mir heruntergeschnitten.«

»Ja,« lachte Don Carlos, »das hatte ich Ihnen vorhersagen wollen. Kommen Sie mit blanken Knöpfen zwischen dies Volk! Die hängen sich die Frauen in die Ohren, da noch dazu Henkel daran sind.«

»Und womit soll ich mir jetzt meinen Mantel zuknöpfen?«

»Bah, machen Sie kleine Bindfadenschleifen dran, es geht alles in der Welt. Übrigens wird es Zeit, daß wir wieder ins Zelt hinübergehen, denn die haben schon vor einer Stunde aufs neue angefangen zu trinken.«

Drüben war auch schon alles wieder im alten Gang, und der Kazike saß heute, lange nicht mehr so gesprächig wie gestern, mehr still und in sich gekehrt, und einzelne Indianer kamen und gingen und brachten ihm augenscheinlich Meldungen, aber er trank viel. Hastig stürzte er Horn nach Horn hinunter.

Cruzado war noch draußen vor dem Zelt gewesen; jetzt kam er herein, und als ihn Tchaluak bemerkte, winkte er ihm zu, sich wieder neben ihn zu setzen. Die gestrige feierliche Stille herrschte aber nicht mehr in dem Zelt; die Leute schienen aufgeregt durch den Trank. Frauen brachten überdies große Schüsseln mit gebratenem Fleisch herein, von dem der Kazike ein Stück nahm es mit den Händen zerriß und dann verzehrte. Die Hände wischte er sich in seinen Haaren ab.

»Wo sind die Alemans?« fragte er endlich Cruzado.

»Krank, Kazike,« lächelte dieser, »sie können das starke Getränk der Pampas nicht vertragen und liegen elend in ihrem Zelt.«

Der Kazike lachte und starrte wieder vor sich nieder; aber seine Augen hatten ihren früheren lebendigen Glanz verloren und sahen mehr gläsern und stier aus. Nach einer Weile fragte er wieder: »Wo sind die Alemanes?«

Cruzado warf einen forschenden Blick auf ihn und wiederholte dann die vorhergehende Antwort. Er sah, der Wilde war trunken, oder doch auf dem besten Wege, es zu werden.

Der Kazike wieherte jetzt laut auf und legte seine Hand auf Cruzados Schulter.

»Und wo ist der Alte?« flüsterte er ihm zu.

»Gleich hier daneben sitzt er – du hast ja vorhin mit ihm gesprochen.«

Der Indianer nickte vor sich hin, dann sagte er halblaut und fast mehr zu sich selber als zu seinem Nachbar redend: »Ein wunderhübsches Mädchen – weiß und zart – wie – wie ein junges Füllen – und so jung – so schön – aber die Weiber werden wütend werden – ha, was haben sie zu sagen! Bin ich nicht der Herr, Cruzado?«

»Gewiß bist du das, Kazike«, erwiderte der Halbindianer, der noch nicht recht wußte, wohinaus der Trunkene wollte, aber schon einen Verdacht geschöpft hatte; »du bist der Herr deines Stammes, und nicht allein die Weiber, nein, auch die Krieger müssen dir gehorchen.«

»Gut – gut, Cruzado!« nickte der Häuptling vergnügt, indem er ein ihm frisch gebotenes Horn nahm und den Inhalt auf einen Zug hinabstürzte; »du bist klug – du bist ehrlich – die Pehuenchen sind Hunde«, flüsterte er ihm plötzlich ins Ohr. »Sie sind feige und beugen sich einer Memme. Jenkitruss hat das Herz eines Weibes – ich will es herausreißen und die Hunde damit füttern.«

Cruzado erschrak, denn was der Wilde sprach, sprach er allerdings im Rausch; aber diese Vertraulichkeit konnte für ihn selber die schlimmsten Folgen haben, und er tat deshalb gar nicht, als ob er die Worte gehört, sondern saß wie jemand, der mit schweren Augenlidern den Schlaf nicht bewältigen kann und eben im Einnicken begriffen ist.

»Hoho, Freund!« lachte der Häuptling, dessen Blick auf ihn fiel, als ob er die Zustimmung zu dem eben Gesagten in seinen Mienen lesen wolle, »steigt auch dir der Chicha in den Kopf?«

»Mir? Gewiß nicht, Kazike!« rief Cruzado und ahmte die Bewegungen eines Erwachenden vortrefflich nach.

»Und von was sprach ich?«

»Von einem wunderhübschen Mädchen, zart und fein, und daß – daß du der Herr über deinen Stamm wärest – gewiß bist du's.«

Tchaluak lachte verächtlich vor sich hin; doch es wurde ihm augenscheinlich selber schwer, irgendeinen bestimmten Gedanken festzuhalten. Aber auf seinen ersten Satz derart zurückgebracht, rückte er plötzlich Cruzado näher, legte seinen Arm um dessen Schulter und flüsterte leise:

»Cruzado – du – du bist ein guter, ehrlicher Kerl – willst du – willst du mir helfen, das Mädchen gewinnen?«

Cruzado zuckte mit keiner Miene – sein Verdacht hatte sich bestätigt, und er war schon auf eine solche Frage vorbereitet gewesen. Nur die Achseln zog er empor und sagte ebenso leise:

»Ja, Kazike, von Herzen gern, aber wie?– Jetzt hat sie Jenkitruss, und wenn er sie wirklich dem alten Chilenen zurückgibt – was ich noch sehr bezweifle – so schließt er einen Handel dafür ab, und läßt ihn dann jedenfalls bis zu den Bergen mit einer Sicherheitswache begleiten, wie das Sitte ist.«

»Und wenn ich euch die nun gleich von hier mitgäbe?« sagte der Kazike lauernd; »du kannst ihn gewiß überreden, daß sie unter meinem Schutz gut aufgehoben sind.«

»Aber was nachher?« fragte der Halbindianer, »erfährt Jenkitruss später, daß sein Vertrag nicht erfüllt wurde, so –«

Tchaluak bog sich zu ihm nieder und legte seine Lippen an das Ohr des Dolmetschers; aber er schwieg, kein Laut kam darüber – kein Flüstern – dann richtete er sich wieder empor und sagte: »Laß es gut sein – was kümmerts dich, wenn der große Jenkitruss in den Pampas mit dir zürnt, so lange du drüben über den Bergen wohnst, was kann er dir schaden. Kommst du aber einmal wieder herüber, dann frage nach dem Lagerplatz Tchaluaks; jeder Pehuenche wird dir die Stelle bezeichnen können – und du hast einen Freund in der Ebene.«

Und wieder leerte er das ihm gebrachte Gefäß, dann lehnte er sich auf seinen Sitz zurück und sah starr vor sich nieder. Er wollte vielleicht nachdenken; aber die Folgen der durchschwärmten Nacht, die Masse berauschenden Getränks, das er heute morgen schon wieder zu sich genommen, kam über ihn. Er schloß die Augen und hielt sich einen Moment still, dann sank ihm das Kinn langsam auf die Brust und er entschlief.

Indessen war aber auch das sechste und letzte Chichafaß beendet, und alle die übrigen Trinker suchten ebenfalls ihre Zelte auf, um dort den angetrunkenen Rausch auszuschlafen. Ruhig und ohne die geringste Störung verging die Nacht, denn die Natur verlangte ihr Recht, und selbst die gestählten Glieder dieser wilden Söhne der Pampas verlangten eine Ruhezeit für den mißhandelten Körper. Die Indianer sind jedoch keine Langschläfer. So lange es dunkelt, rühren sie sich – außer wenn draußen auf dem Marsch – allerdings nicht; kaum aber verkündet im Osten das erste Zeichen am Himmel den nahenden Tag, so regt sich das Leben unter den Zelten, und wie die Frauen ihren Geschäften nachgehen, sehen die Männer auch nach ihren Pferden und rüsten sich zur Jagd.

Don Enrique war heute einer der ersten munter und weckte Cruzado, um die Pferde beizutreiben; dieser aber schüttelte mit dem Kopf:

»Hilft uns nichts, Señor,« sagte er, »dadurch kommen wir nicht eine Minute früher fort, eher noch später, denn der Kazike könnte es übelnehmen. Abwarten ist unsere Losung und den rechten Augenblick benutzen, und daß ich den wahrnehmen werde, darauf dürft Ihr Euch verlassen.« –

Der Morgen war ziemlich frisch und klar, und während über den Kordilleren düstere Wolkenschleier hingen und ihre Kuppen verhüllten, schien hier in der Ebene die Sonne.

Unsere beiden Deutschen hatten auch endlich ausgeschlafen und die Wirkungen des entsetzlichen Getränks sich verflüchtigt; sie sahen wenigstens beide wieder so ziemlich wohl aus und schlenderten, nachdem sie ihren Kaffee getrunken, ihre kurzen Pfeifen im Munde, behaglich in die frische Luft hinaus. Aber es war ziemlich kalt, der Herbst machte sein Anrecht geltend, und vom Süden herauf wehte ein fröstelnder Luftzug, der sie sich fester einhüllen ließ. Cruzado kam gerade die Straße herab, als auch der Kazike aus dem Zelt trat und sein Blick in demselben Moment auf das rote Futter von des Doktors Mantel fiel.

Dieser, der die Leidenschaft des Kaziken mehr als irgend etwas anderes fürchtete, wollte sich rasch zwischen die Zelte hineindrücken, um ihm wenigstens aus Sicht zu kommen, aber zu spät.

»Heh! Heh! Oh!« rief der Indianer und winkte Cruzado, dem er nur die paar Worte zurief, was den Dolmetscher augenblicklich auf des Doktors Fährte setzte. Er hatte ihn auch im Nu eingeholt, und Sträuben und Einreden halfen gleich wenig: es war der Befehl des Kaziken, der mußte ohne weiteres befolgt werden, und der Doktor sah sich jetzt nur in seiner Verzweiflung nach Meier um, denn wie sollte er mit dem Wilden fertigwerden? Wo aber war Meier? Weder die Straße auf- noch abwärts ließ er sich entdecken, und es blieb ihm nichts anderes übrig, als seinem Schicksal entgegenzugehen.

Der Doktor fand seinen Verdacht auch nur zu bald bestätigt, denn kaum näherte er sich dem gefürchteten Häuptling, als dieser ihn gar nicht ansah, sondern nur auf den Mantel deutete und einige Worte dabei dem Halbindianer entgegenrief, die Pfeifel natürlich nicht verstand, die er aber für weiter nichts als einen Befehl hielt, sein Alles auszuziehen und dem roten Heiden zu überliefern. Er hatte sich jedoch darin geirrt. Cruzado folgte rasch der Bewegung von Tchaluaks Arm, und rief dann erstaunt aus:

»Señor, adonde estan sus botones?« (Herr, wo sind Ihre Knöpfe?)

»Bitte«, sagte der Doktor, der kein Wort davon verstand, und er schüttelte lebhaft mit dem Kopf. Cruzado ließ sich aber nicht auf lange Erklärung ein, sondern faßte den Mantel und zeigte auf die Stellen, an denen die Knöpfe fehlten. Er wollte wissen, wo sie hingekommen wären.

»Aha!« sagte Pfeifel, der jetzt vollkommen begriff, was er meinte. – Ein spanisches Wort wußte er aber, was die Sache vielleicht erklären konnte, ladron, Spitzbube, und er wiederholte dasselbe mehrere Male. Cruzado lachte und erklärte dem Häuptling die wahrscheinliche Ursache von dem Verschwinden dieser kostbaren Gegenstände, aber Tchaluak lachte nicht, sondern wurde sehr böse. Rasch winkte er einen ihm folgenden Indianer herbei und sagte ihm etwas zornig und aufgeregt in ihrer Sprache, und dieser verschwand auch im Nu zwischen den Zelten. Dann bemerkte aber der Doktor zu seinem Erstaunen, daß sich niemand weiter um ihn bekümmerte und der Kazike mit Cruzado in tiefem Gespräch hinunter zur Lagune schritt.

»Das ist ein kurioses Volk,« sagte er zu Reiwald, der sich ihm, als er mitten im indianischen Dorf so allein stehen blieb, wieder anschloß, »da werde der Henker daraus klug, und Anstalten zu unserer Abreise macht auch niemand. Ich glaube wahrhaftig, daß wir unser Felldach mit monatlicher Kündigung in Miete bekommen haben.«

»Mir ist gestern abend mein gutes Messer gestohlen,« sagte Reiwald ärgerlich, »ich hätte lieber zehn Taler verloren; jetzt kann ich mein Fleisch mit den Fingern schneiden.«

»Oh,« meinte der Doktor, »das Pferdefleisch zergeht auf der Zunge! Übrigens lassen Sie es nur den Kaziken wissen, der verschafft's Ihnen wieder. Wie er eben hörte, daß sie mir die Knöpfe abgeschnitten hätten, wurde er fuchswild.«

»Und haben Sie sie wiederbekommen?«

»Er hat eben einen Polizeidiener danach ausgeschickt. Heda! was hat dieser verwünschte Halbindianer da wieder so zu rennen. Das weiß der Böse, in dem Menschen ist auch nicht ein bißchen Ruhe, und es macht mich ordentlich nervös, wenn ich ihm lange zusehen muß.«

»Heh, hallo! satteln! vamonos! vamonos!« rief ihnen Cruzado aber schon von weitem entgegen: »oh, Don Carlos, hierher, erklärt einmal euren beiden Landsleuten, daß sie, so rasch sie können, ihre Ledersäcke zusammenschnüren.«

»Gehen wir?« fragte Meier, der gerade zwischen den Zelten durchkam.

»Augenblicklich, ich habe schon Leute nach unseren Pferden ausgeschickt, das Wetter ist auch günstig, der Limaï wird nicht mehr so hoch sein, fort! eilt euch! wir haben keinen Augenblick Zeit zu verlieren, oder unsern Kaziken gereut am Ende die Erlaubnis« – und damit eilte er selber in das Zelt hinein, um nachzusehen, ob alles in Ordnung und bereit wäre, ohne Zögern aufgeladen zu werden, sobald die Pferde beigetrieben wurden.

Reiwald und der Doktor waren eigentlich kaum recht im klaren, ob sie sich über diese plötzliche Fortsetzung ihrer Reise freuen sollten. Sie hatten hier ein vortreffliches Zelt gefunden, das sie jedenfalls gegen den Regen schützte, und – Pferdefleisch? Gütiger Himmel! Noch weiter in den Pampas drinnen gab es davon eher mehr als weniger – und das ewige Packen! Der Doktor dachte aber an seinen Mantel, den er hier nicht ohne Grund für gefährdet hielt, und Reiwald an die rote Grütze, und beide schienen denn doch mit dem Befehl zufrieden. Ihre Sachen waren auch bald geschnürt; wo man immer gerüstet ist, läßt sich das Gepäck leicht ordnen, und überdies hatten sie nichts dürfen herumliegen lassen, denn den diebischen Charakter dieser Stämme kannten sie jetzt. Trotzdem beschäftigten sie sich noch damit, als Meier in den Eingang des Zeltes trat und, die Hand hoch emporhaltend, ausrief:

»Doktor, was hab' ich hier?«

»Und das soll ich wissen?« fragte Pfeifel. »Hat Ihnen der Kazike vielleicht den blauen Kondororden vierter Klasse verliehen, aus Anerkennung Ihrer mangelnden Verdienste?«

»Ihre Knöpfe!« rief aber Meier, die damit gefüllte Hand gegen ihn ausstreckend, »was sagen Sie nun?«

»Caramba!« rief Pfeifel. »Die Polizei möchte ich mancher deutschen zum Muster empfehlen, allen Respekt!«

»Oh, Meier,« sagte Reiwald, »tun Sie mir doch auch den Gefallen und melden Sie dem Kaziken, daß sie mir mein Messer ebenfalls gestohlen haben. Dem ehrlichen Finder sichere ich ein anständiges Geschenk zu, er mag zwischen meiner ewigen Dankbarkeit und einer halben Rolle Tabak die Wahl treffen.«

»Ich will's ihm sagen, wenn ich ihn nachher sehe,« erwiderte Meier, »aber jetzt muß ich erst meinen Plunder in Ordnung bringen, denn es wird Ernst. Der Kazike hat selber sein Volk mit hinausgeschickt, unsere Pferde herbeizuschaffen, und den ersten Transport brachten sie schon eben ein. Was wollen Sie denn machen, Doktor, Sie packen ja wieder aus?«

»Bloß meine Knöpfe annähen«, sagte dieser. »Beim Himmel, es fehlt auch nicht ein einziger, selbst der hinten vom Bändel ist da.«

»Aber dann machen Sie schnell.«

»Ehe die Pferde kommen, bin ich lange fertig.«

Er hatte auch kaum zu viel versprochen, denn er besaß darin eine wirklich anzuerkennende Fertigkeit; aber die Pferde kamen doch rascher, als er gedacht, nur daß seine Hilfe bei ihrer Bepackung nicht in Anspruch genommen wurde, denn eine Anzahl von Pehuenchen trat, von Cruzado geführt, mit in das Zelt, und die Ledersäcke und Sättel wurden in unglaublich kurzer Zeit aufgeschnürt.

Jetzt war alles bereit; Don Enrique saß schon im Sattel und schien die Zeit nicht erwarten zu können, wo ihre Rosse wieder über die Pampas fliegen sollten.

Die Straße herunter kam Tchaluak auf einem kräftigen, prachtvollen Rappen; die langen Haare von einem blauen Band zusammengehalten, aber einen ziemlich alten, abgetragenen Poncho übergehangen; seine Krieger selbst sahen anständiger aus als er. Doch hoch und stolz hielt er den Kopf, sein Blick war überall, und wenn er nur den Arm ausstreckte, flogen seine Leute, ihm zu gehorchen. Er herrschte durch Furcht und hatte Widersetzlichkeit oder selbst Ungehorsam schon in so wilder, grausamer Art gestraft, daß niemand mehr wagte, ihm auch nur Grund zur Unzufriedenheit zu geben.

Don Enrique ritt auf ihn zu, und ihm die Hand entgegenstreckend bat er Cruzado, ihm zu sagen, wie herzlich er ihm für seine Gastfreundschaft danke, und wie er ihm die freundliche Aufnahme nicht allein nie vergessen, sondern auch noch reichlich lohnen werde.

Der Kazike nickte freundlich. »Es ist gut,« sagte er, »uns hat es auch gefreut, dir gefällig sein zu können; möchte Jenkitruss ebenso günstig für dich gestimmt sein, und wenn du deinen Zweck erreicht hast, kehre hierher zurück, und meine jungen Leute sollen dich sicher über die Lagune schaffen und bis zu unserer Grenze geleiten – lebe wohl.«

Ein ganzer Schwarm von berittenen Pehuenchen hielt um den Trupp, der jetzt in kurzem Galopp an dem Häuptling vorübersprengte. – Zuletzt, zwischen den Indianern, welche die Packpferde zusammentrieben, kamen die drei Deutschen – Cruzado hielt noch neben dem Kaziken.

»Ah! Amigo!« rief Tchaluak plötzlich und winkte dem Doktor zu – ein paar den Seinen zugerufene Worte machten auch, daß diese sich vor Pfeifels Pferd warfen und es seitab lenkten, und unser Freund fand sich, ohne daß er eigentlich selber recht wußte, wie er dahin gekommen, dem Häuptling gegenüber.

»Sieh da,« lächelte dieser, als sein Blick auf den Mantel fiel und er die wieder vollständig ersetzten Knöpfe daran erkannte, »das ist brav. Sag' ihm, Cruzado, daß ich ihn ehren will, weil er einen meiner Krieger durch seine Mittel geheilt und dessen Wunde verbunden hat; ich werde meinen Poncho mit ihm tauschen und er soll den meinigen mir zum Andenken tragen.«

Cruzado, der einen Blick auf den Poncho des Kaziken warf, konnte ein Lächeln kaum unterdrücken, übersetzte aber Meier die Worte, und dieser, mit dem ernsthaftesten Gesicht, gratulierte dem Doktor zu der Ehre, die ihm widerführe, und bat ihn, nur rasch seinen Mantel abzunehmen und dem Kaziken zu überreichen. Tchaluak selber hatte in der nämlichen Zeit seinen Poncho abgestreift und hielt ihn in der Hand.

»Na ja,« sagte der Doktor, »ob ich es mir denn nicht gedacht habe. Jetzt weiß ich nun auch, weshalb er die Knöpfe so geschwind herbeigeschafft hat. Aber besser den Mantel, als die Haut! Da – sagen Sie dem roten Spitzbuben, daß er unter dem nächsten Apfelbaum damit hängen bleiben und den Hals zugeschnürt kriegen möge.« Damit hakte er den Mantel los und reichte ihn dem neben ihm haltenden Cruzado hin.

Des Kaziken Gesicht strahlte indessen vor Vergnügen, und gierig streckte er den Arm nach dem ersehnten Schatz aus.

»Was sagte der Aleman?« fragte er dabei.

»Daß der Poncho deinen Körper schützen und undurchdringlich für die Waffen deiner Feinde sein möge«, erwiderte der nie um eine Antwort verlegene Cruzado.

Freundlich winkte der Kazike mit der Hand, und da Meier des Doktors Pferd gerade einen Hieb versetzte, machte dieses einen Satz nach vorn, und einige Sekunden später sprengte der Trupp, noch immer am Ufer der Lagune entlang, jener Stelle zu, wo sich der Nontue-See mit dem von Huetchun durch einen schmalen Arm verbindet, über welchen hin die Straße nach dem Osten liegt.

Wie aber war der Zug indes gewachsen! Don Enrique hatte geglaubt, daß ihm der Kazike eine so zahlreiche Begleitung nur bis über die Lagunen mitgegeben habe, denn dadurch gerade ehren die Indianer einen vornehmen Besuch, daß sie ihm eine stattliche Begleitung zuteilen. Die ihm beigegebenen Pehuenchen hatten aber selber Packtiere bei sich mit Zelten und Zeltstangen und schienen sich für einen längeren Marsch gerüstet zu haben. Cruzado erklärte ihm denn auch, daß sie bestimmt wären, ihn bis zum Limaï oder zu Jenkitruss Lager und von da zurück zu geleiten, hütete sich aber wohl, ihm den Grund mitzuteilen, der den Kaziken Tchaluak zu einer solchen Aufmerksamkeit bestimmte. Des alten Mannes Herz war schwer genug; er wollte es nicht noch schwerer machen.

Ein merkwürdiges Gefühl ergriff besonders die beiden Deutschen, als sie nach kurzem Ritt die letzten Bäume hinter sich ließen und nun, von dem Schwarm dieser wilden, unbändigen Menschen umtobt, den Zügel in der Faust, die Wehr an der Seite, in die nur vom Horizont begrenzte Pampas hinaussprengten.

»Nun,« lachte Meier, der sein Pferd zu ihnen hinüberlenkte, »wie ist's heute morgen, heh? Nicht wahr, hier reitet sich's famos, und noch prachtvolles Wetter, ja, da drüben, auf der waldigen Seite der Kordilleren, setzt die Regenzeit immer eine Woche früher ein als hier und hält auch viel zäher an; für heute nacht kommen wir hoffentlich gut durch, und wenn Jenkitruss nicht zu hoch am Limaï hinauf lagert, sind wir morgen abend vielleicht schon dort. Wenn wir nur erst über den Fluß drüben wären!«

»Ach was,« lachte Reiwald, der mit dem blauen Himmel über sich und dem erhebenden Gefühl eines scharfen Rittes an gar keine Gefahr mehr dachte, »wir kommen überall durch, nur immer gerade darauf zu, es geht wahrhaftig alles, was man will; à propos, Meier, haben Sie dem Kaziken heute morgen nichts von meinem Messer gesagt?«

»Jawohl«, nickte Meier vergnügt.

»Nun – und?«

»Er meinte, Sie sollten zum Teufel gehen; er hätte mehr zu tun, als anderer Leute Messer zu suchen.«

»Aber die Knöpfe!« sagte Reiwald bestürzt.

»Ja,« lachte der Deutsche, »das waren aber nicht ›anderer Leute‹ Knöpfe, das waren seine eigenen, und die wollte er sich wohl nicht stehlen lassen.«

»Tout comme chez nous«, brummte Reiwald zwischen den Zähnen durch. Aber die eigentümliche Szenerie, der ganze Reiz, den das neue, wilde Leben für ihn hatte, verdrängte bald alle anderen Gedanken wieder.

Weiter und weiter sprengte der Trupp. Meeresgleich breitete sich die öde Pampas vor ihnen aus – meeresgleich mit ihren wogenähnlichen Anschwellungen und Senkungen, die aber den Lauf der Tiere nicht hindern konnten. Ob sie einen solchen Hang hinab- oder hinaufritten, es blieb sich vollkommen gleich, die Indianer zügelten nie ein; und allen voran, auf seinem prachtvollen Schimmel, mit flatterndem Poncho, die weißen Haare im Winde wehend, den Zügel fest und jugendfrisch in der Faust, ritt der alte Chilene gen Osten, immer gen Osten, dem einzigen Ziel seines Lebens entgegen.

 


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