Friedrich Gerstäcker
Unter den Pehuenchen
Friedrich Gerstäcker

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8. Kapitel

Am nächsten Tage schwärmte die Stadt von wilden Gerüchten, denn ein paar Chilenen, die mit von Concepcion herübergekommen waren, hatten noch nachträglich solch' entsetzliche Geschichten über die von den Pehuenchen verübten Greuel erzählt, daß die Valdivianer wirklich anfingen, um ihre Sicherheit besorgt zu werden. Man sprach in allem Ernst davon, sich gegen einen indianischen Einfall zu rüsten, eine Miliz zu schaffen, Erdwerke auszuwerfen, die Frauen nach der südlicher gelegenen Kolonie Puerto Mont zu schaffen und dergleichen mehr. Das einzige nur, was die Kolonisten einigermaßen beruhigte, war die vorgerückte Jahreszeit; denn wenn die regelmäßigen Regen, die jetzt jeden Tag beginnen konnten, eintraten, so durften sich die Wilden nicht mehr in das Land hineinwagen, da ihnen, durch die rasend schnell anschwellenden Ströme, der Rückzug recht gut abgeschnitten werden konnte. Außerdem beschwichtigten die Ruhigeren unter den Deutschen auch bald die übrigen.

Der Überfall bei Concepcion sollte durch den Kaziken Inkitruss ausgeführt sein, und mit diesem gerade hatten sie bis jetzt immer in Frieden gelebt; ja verschiedene Händler waren sogar schon bis in sein Gebiet vorgedrungen und dort von ihm stets freundlich behandelt worden. Es blieb deshalb nicht wahrscheinlich, daß er einen Einfall in ihr Land machen würde, noch dazu, da er in den vollkommen unbewaffneten Indianern auf dieser Seite nicht die mindeste Stütze fand. Es wurde deshalb, wenn auch einzelne ihre Büchsen vorsuchten und instand setzten, von einer Miliz nicht weiter gesprochen, und gegen Abend dachte niemand mehr an irgendeine Gefahr, die ihnen etwa drohen konnte.

Wie fern übrigens die im Osten oder diesseits der Kordilleren wohnenden Eingeborenen all diesen Streitigkeiten standen, und wie wenig sie sich bis jetzt hineingemischt hatten, zeigte ein Trupp von Indianern, Männern und Frauen, die an diesem nämlichen Nachmittag in die Stadt kamen, um einige Einkäufe zu machen. Sie hatten als Handelsartikel ein paar Pferde mitgebracht, schlenderten jetzt in den Straßen herum und blieben vor allen Ladenfenstern stehen, um sich die dort ausgehangenen Herrlichkeiten von Glasperlen, Messern, bunten Tüchern und sonstigen Kostbarkeiten aufmerksam zu betrachten und dann untereinander lebhaft über deren Wert zu debattieren.

Der alte Chilene, Don Enrique, kam die Straße herunter und stutzte, als er den Indianern begegnete. Waren diese von der Otra Banda drüben, und konnten sie ihm Kunde geben von seinem Kind? – Ein Versuch, sie anzureden, war aber vergeblich; die Männer lachten und schüttelten mit dem Kopf, die Frauen wichen scheu hinter sie zurück.

»Die verstehen nichts als ihre Pehuenchensprache,« sagte da Meier, der gerade in diesem Augenblick, seinen Poncho übergehangen, aber seine kurze deutsche Pfeife im Munde, vorüberkam und den alten Mann von gestern erkannte, »das ist das blanke Kauderwelsch, Señor, und bricht einem die Zunge ab.«

»Und kommen sie aus den Pampas?« fragte der Chilene rasch, der selbst den Deutschen im ersten Augenblick mißtrauisch betrachtete, denn sein fremdartiger Dialekt und sein sonnengebranntes Gesicht mochte in ihm den Verdacht erwecken, daß er ebenfalls zu irgendeinem der Stämme gehöre.

»No.« sagte Meier kopfschüttelnd, »das ist Volk von der Ranco-Lagune oder da herum, die haben mit den Pehuenchen nichts weiter zu tun, als daß sie ziemlich ebenso sprechen, kommen auch nie hinüber über die Berge.«

»Und waren Sie schon drüben, Señor?« fragte der Alte.

»Ich? Si!« nickte Meier, »wo bin ich nicht schon gewesen, zweimal mit einem der Händler hier, die alle Jahre fast die Reise bis zum Limaï machen und drüben Tauschhandel mit den Wilden treiben. Jenkitruss ist ein famoser Bursche und hält auf Ordnung. Man ist so sicher drüben, wie hier in Valdivia.«

»Sie kennen Jenkitruss?« rief der alte Mann mit zitternder erregter Stimme.

»Werd' ich ihn nicht kennen,« lachte Meier; »ich habe drei Nächte vor seinem Zelt im Regen geschlafen, ohne daß er auch nur ein einziges Mal gesagt hätte: ›Bitte, treten Sie näher, Herr Meier.‹ Lebensart haben die roten Schufte gar nicht, das muß wahr sein, aber auf ihren Pferden find sie flink wie die Teufel, und sonst auch eben nicht unrecht, denn wenn sie sich auch untereinander – wie wir drüben waren – ein paarmal die Hälse abschnitten – betrunken hatten sie sich, daß es einen Stein erbarmen konnte – uns Deutschen taten sie nichts, und ich hätte es keinem aus dem Schwarm raten mögen, auch nur das geringste von unseren Sachen oder gar ein Pferd zu stehlen, der Kazike wäre ihm nicht schlecht auf den Kasten gestiegen.«

»Und was haben Sie für eine Beschäftigung?«

»Gar keine – den ganzen Tag reiten sie in der Welt herum und essen und trinken.«

»Nein, ich meine Sie selber – haben Sie hier ein Geschäft in der Stadt?«

»Ach so, ich! Ich dachte, Sie meinten die Rotfelle. – Ich? nun, ich bin auch so 'ne Art halber Indianer; ich arbeite, was vorkommt – je weniger, desto besser – ich kann mit sehr wenig Arbeit auskommen!«

»Und hätten Sie Lust, mich über die Berge zu begleiten?«

»Je nun,« meinte Meier, »darüber ließe sich vielleicht noch reden – das eilt ja auch nicht. Jetzt fängt die Regenzeit an, und dann sind die Berge geschlossen, und bis zum November läuft noch mancher Tropfen Wasser den Berg hinunter.«

»Ich will aber gleich gehen,« rief der alte Mann, »morgen – heute, wenn es sein könnte, je eher, desto besser – ich muß hinüber.«

»Ja muß,« sagte Meier trocken, indem er an seiner Pfeife zog, »und wer geht in der Jahreszeit mit, wo die Wilden jetzt ihre Apfelchicha saufen und alle vierundzwanzig Stunden im Tag betrunken sind, kein Mensch wäre seines eigenen Halses sicher.«

»Sie werden einen Vater schonen, der sein Kind sucht.«

»Ein hübscher Trost für uns andere!« meinte der Deutsche. – »Und dann die Jahreszeit – wenn wir wirklich noch hinüberkämen, nachher säßen wir dort in den Pampas den langen Winter zwischen den Wilden mit Pferdefleisch-Koteletts und gepfeffertem Blutkuchen – brrr! mir schaudert die Haut, wenn ich nur an die abscheulichen Mahlzeiten denke.«

»Und wenn ich nun gut für Ihre Begleitung zahle?« drängte der alte Mann. »Ich bin reich, und das Geld hat keinen Wert für mich.«

»Das könnte ich gerade von mir nicht sagen,« meinte der Deutsche; »aber ich habe nur einen Hals, und in der Zeit trag' ich ihn nicht in die Berge, so viel ist sicher, und wenn Sie mir die Taschen mit Gold füllten. – Hülfe Ihnen übrigens auch nichts, denn wir zwei allein können doch nicht gehen, und weiter beredeten Sie niemanden in der ganzen Kolonie, soviel ist sicher.«

Der alte Mann seufzte aus tiefster Brust, drehte sich ab, zog sich den Hut in die Stirn und schritt schweigend die Straße hinab. Meier blieb stehen und sah ihm nach.

»Armer Teufel,« murmelte er dabei, »tut mir selber leid, aber jeder ist sich selber der nächste, und Geld zu verdienen – bah, da gibt's hier auch noch in Valdivia Gelegenheit, wenn man's nur eben klug anzufangen weiß.« Und damit schlenderte er, die Hände unter seinem Poncho in den Taschen, lustig dampfend die Straße hinab, denselben Weg einschlagend, den der Alte vor ihm genommen. Er sah auch noch, wie dieser dem Hause des Gouverneurs zuschritt und dort eintrat. Jedenfalls wollte er sich von diesem Hilfe erbitten.

Meier selber hatte einen andern Weg – er bog links ab, einem langen, aber ziemlich wohnlichen Gebäude zu, vor dem eine Anzahl von Fässern und Kisten aufgespeichert stand, in den kühlen Hausflur, um nach dem Eigentümer der Wohnung zu fragen.

Er brauchte übrigens nicht lange zu warten, denn dieser hatte ihn jedenfalls schon vom Fenster aus bemerkt und stand, ihm zuwinkend, in seiner Kontortür, die er, als Meier jetzt den kleinen Raum betrat, hinter ihm schloß und einen Riegel vorschob, was den Deutschen aber nicht im geringsten zu beunruhigen schien.

»Sie hatten mich zu sprechen verlangt, Señor«, sagte er in seinem etwas gebrochenen spanischen Dialekt, indem er sich im Zimmer umsah, ob sie allein wären, zu seinem Erstaunen aber noch einen langen, hagern, hellbraunen Burschen entdeckte, der in der einen Ecke auf einem Stuhl lehnte und weit eher einem Indianer als einem Weißen ähnlich sah; selbst das lange, straffe Haar hing ihm wild über den Rockkragen nieder; übrigens trug er die chilenische Tracht und beobachtete den Deutschen von oben bis unten mit eben nicht besonders freundlichen Blicken.

»Gewiß, Señor,« sagte der Chilene sehr artig, »und es freut mich, daß Sie gekommen sind. Es ist eigentliche schon eine gute Weile zehn Uhr vorbei, und ich fürchtete, Sie würden sich den hübschen Verdienst entgehen lassen.«

»Hatte noch einige Abhaltung unterwegs, Señor,« entschuldigte sich Meier, »ein alter Herr aus Concepcion wollte mich nach der Otra Banda engagieren.«

»Der arme Don Enrique,« sagte der Chilene; »es ist zu spät in der Jahreszeit, er wird bis zum Frühling warten müssen.«

»Das hab' ich ihm auch gesagt,« brummte der Halbindianer, denn ein solcher mußte es jedenfalls sein, »wollte mich auch mit haben, er läuft in der ganzen Stadt herum.«

»Also, Don Carlos, Sie wissen, um was es sich handelt,« sagte der Chilene jetzt, zu seinem Geschäft überspringend, denn Don Enriques Angelegenheiten interessierten ihn nicht weiter.

»Könnte es nicht bestimmt sagen, Señor,« meinte Don Carlos aber ausweichend, »irgend etwas in Ihrem Hause vielleicht zu reparieren oder den Garten umgraben? Wir werden dieses Jahr doch etwas Dünger fahren müssen.«

»Sie wissen doch, daß das Hamburger Schiff eingelaufen ist?«

»Allerdings, Señor, war gestern abend unendlich vergnügt mit den Passagieren; fideles Volk, die Deutschen.«

»Sie wissen auch, was es geladen hat?« fragte der Chilene weiter, der seinen Mann schon kannte und keineswegs die Geduld verlor.

»Bedauere,« erwiderte aber Don Carlos, »Ihnen darüber keine Auskunft geben zu können; ich habe die Schiffspapiere noch nicht nachgesehen, läßt sich aber sehr leicht erfahren.«

»Es hat eine gemischte Ladung,« fuhr der chilenische Kaufmann ruhig fort, »und wird etwa die Hälfte derselben hier und die andere Hälfte in Valparaiso löschen, also nicht sämtliche Fracht hier ausladen. Sie rauchen gern gute Zigarren, Don Carlos, nicht wahr?«

»Bitte, Señor,« sagte der Deutsche, der die Anspielung wohl verstehen mußte; aber er warf dabei einen unruhigen Blick auf den Halbindianer, den er bisher noch nie in Valdivia gesehen, und von dem er nicht wußte, inwieweit er in die hier im Hause betriebenen Geschäfte eingeweiht war, »wenn Sie eine gute bei der Hand haben?«

Der Chilene lächelte, nahm aber aus einer neben ihm stehenden Kiste eine Zigarre und sagte dann:

»Sie brauchen sich vor Señor Cruzado, einem sehr tüchtigen und getreuen Freund, nicht zu genieren; er wird mit von der Partie sein. Haben Sie Lust, Mittwoch abend eine kleine Extrafahrt zu machen?«

»Caramba!« sagte Meier jetzt, indem er sich hinter dem Ohr kratzte; über den Anwesenden war er wohl beruhigt, aber doch wohl noch nicht recht über die Sache selber, auf die er jedoch nun ohne weiteres Zögern einging; »es ist eigentlich eine verteufelte Geschichte, und es wäre das vorigemal beinahe schief abgelaufen. Die Mauthbeamten passen jetzt verflucht auf, und wenn sie uns einmal erwischen, geht es uns mordschlecht. Ich möchte doch nicht gern der erste Deutsche sein, der in Valparaiso mit einer hübschen Kette am Bein spazieren geht und dabei zu seiner Unterhaltung die Straße kehrt.«

»Aber, bester Don Carlos,« beruhigte ihn der Chilene, »was soll denn schief gehen? Sie wissen, wie alles so vortrefflich eingeleitet ist, daß ein Mißlingen kaum möglich wäre. Wir haben jetzt dunkle Nächte, die Lancha ist gut bemannt und unsere Wasserpolizei so außerordentlich gefällig und bequem, daß sie wohl ihre Pflicht tut, aber auch wahrhaftig kein Jota mehr. Sobald das Schiff einmal seine Anker gehoben hat und in See geht, kümmert sich kein Mensch mehr darum, und es ist in der Tat diesmal weiter gar nichts, als eben eine Spazierfahrt bei Nacht. Sie haben nicht mehr Unbequemlichkeit davon, als daß Sie etwas später als gewöhnlich ins Bett kommen.«

»Ich wollte, ich läge erst drin,« meinte Don Carlos, »hier in der Stube bespricht sich das breiweich, aber der Henker soll's holen, wenn auf einmal draußen, unter den Büschen vom Ufer her, so ein langes dunkles Boot herausschießt. Ich vergesse in meinem Leben die Heidenangst nicht, die ich das letztemal ausgehalten, und damals schwur ich es mir auch heilig zu, daß es eben das letztemal bleiben sollte.«

»Aber ist Ihnen denn auch nur das Geringste geschehen, und haben Sie nicht einen hübschen Taler Geld dabei verdient?«

»Ja, das ist alles recht schön,« meinte der Deutsche, »geschehen ist uns freilich nichts, denn die paar Kugeln, die sie hinter uns dreinschickten, schlugen ins Wasser oder in ein paar Zigarrenkisten, aber das war reiner Zufall, denn wenn das Steuerboot nicht im Dunkeln auf einen Baum gefahren wäre, daß es ihnen den Kiel entzwei und ein paar Planken auseinander riß, so hätten sie uns auch keine zehn Minuten später beim Kragen gehabt, denn zwei von unserer tapfern Bemannung waren schon über Bord gesprungen.«

»Aber mein lieber, bester Don Carlos,« schmunzelte der Chilene, »ein Zoll vorbei ist so gut wie eine Meile.«

»Jawohl,« meinte der Deutsche, »jenes Mal war's ein Zoll, aber der Teufel traue, wie's das nächste Mal ausfallen kann, und das nächste Mal passen sie schärfer auf, das ist sicher. Lieber wär's mir, ich hätte mit der Geschichte nichts zu tun.«

»Ich würde Sie auch diesmal gar nicht belästigt haben,« sagte der Kaufmann, »aber keiner von meinen Leuten spricht ein Wort Deutsch, und Ihr Kapitän, trotzdem er die Reise schon öfter gemacht hat, kann sich im Spanischen gar nicht verständigen.«

»Gut,« sagte Meier, »dann will ich an Bord fahren und dort das Geschäft in Ordnung bringen; nachher brauche ich wenigstens nicht mit in das verwünschte Boot hinein.«

»Hm,« nickte der Chilene leise vor sich hin, »das ließe sich schon eher hören; dadurch kämen wir wenigstens über die Hauptschwierigkeit hinweg. Aber Sie wissen, Don Carlos, daß ich dann noch einen andern Mann engagieren müßte, um das Steuer zu führen, und ganz abgesehen von der Schwierigkeit, einen zuverlässigen Menschen in dieser kitzeligen Sache zu finden, würde es auch meine Kosten so bedeutend vermehren, daß Ihr Anteil an dem Geschäft, wo Sie nachher gar kein Risiko laufen, verhältnismäßig sehr gering ausfallen würde. Sie müssen das selbst einsehen.«

Don Carlos hatte sich seine Zigarre angezündet und zog daran. Der Einwand war, wie er sich nicht gut verhehlen konnte, ziemlich gerechtfertigt, und er wußte genau, was er für seine Teilnahme an der letzten Schmuggelei bekommen hatte – sollte er das jetzt im Stich lassen? – Der Chilene störte ihn auch nicht in seinem Überlegen, denn daß Don Carlos seinen eigenen Vorteil kannte, war außer aller Frage.

»Hm, ja,« sagte der Deutsche endlich und blies den Rauch in dicken Wolken vor sich, »versteht sich – natürlich – eine verfluchte Geschichte bleibt's aber immer, wenn sie uns einmal beim Kragen erwischen.«

»Aber als Dolmetscher laufen Sie nicht die geringste Gefahr.«

»Dolmetscher – bah!« sagte Don Carlos; »wenn ich mir einmal ein Glas einschenke, trink' ich's auch aus – und die Bedingungen?«

»Wie die früheren, Señor,« sagte der Chilene lächelnd, »nur daß die Ladung diesmal noch etwas bedeutender ist und der Nutzen der einzelnen Teilnehmer, ohne daß sich die Gefahr vergrößerte, auch dadurch steigt, – wenn wir wirklich annehmen wollten, daß irgendwelche Gefahr dabei wäre.«

»Und wann fahren wir ab?«

»Die Lancha liegt schon an Ort und Stelle. Cruzado hier weiß den genauen Platz; Sie haben nichts zu tun, als Mittwoch morgen zu irgendeiner beliebigen Zeit an Bord der Bark zu fahren. Dort werden Sie meinen Agenten treffen, die Verhandlung mit dem Kapitän leiten und alles Weitere von ihm erfahren.«

»Und nachher?«

»Haben Sie weiter nichts zu tun, als die Güter auszuschiffen; sobald die Lancha, die indessen Cruzado herüberbringen wird, längsseits legt, dann fahren Sie so rasch als möglich – jedenfalls vor Tag – zu unserem alten Landungsplatz hinauf. Sind Sie damit einverstanden?«

Meier seufzte tief auf. Die Sache war ihm eigentlich nicht ganz recht, aber der Verdienst für die kurze Arbeit auch viel zu verlockend, um dem ganz widerstehen zu können. Der Chilene hielt ihm die Hand zum Einschlagen hin; er hatte die seinige noch in der Tasche, aber er holte sie endlich heraus, warf den Poncho mit einem Ruck über die rechte Schulter, und dann herzhaft einschlagend, rief er:

»Na, denn meinetwegen – wenn einen der Teufel holen soll, kann er's gerade so gut jetzt wie später tun – abgemacht!«

»Abgemacht!« nickte ihm freundlich der Chilene zu, »und die beiden Herren kennen sich jetzt?«

Der Halbindianer hatte in der ganzen Zeit kein Wort gesprochen, ja kaum durch einen Blick verraten, daß ihn die ganze Verhandlung das geringste anginge. Nur sein dunkles Auge haftete forschend auf dem Fremden, der ihm solcher Art als Gefährte beigegeben wurde. Jetzt stand er auf, reichte dem Deutschen seine Hand und sagte:

»Gewiß, Compañero – wir kennen uns, aber – weiß der Aleman auch mit einem Gewehr umzugehen?«

»Caramba,« rief Meier, »ich hoffe doch nicht, daß es zum Schießen kommen soll, denn darauf sind die Regierungsbeamten weit besser eingerichtet als wir.«

»Allerdings,« sagte Cruzado, »aber eine Lancha geht nicht so rasch von der Stelle, wie ein leichtes Boot, vorausgesetzt daß wir keinen Wind zum Segeln haben, und wenn wir ihnen die Zähne zeigen können, haben sie immer mehr Respekt, als wenn wir uns nur auf unsere Beine verlassen.«

»Don Carlos weiß mit einem Gewehr vortrefflich umzugehen,« bemerkte der Chilene, »ich habe ihn selber auf dem deutschen Schießstand draußen oft das Schwarze in der Scheibe treffen sehen, und ich werde schon dafür sorgen, daß Waffen ins Boot kommen.«

Meier schüttelte mit dem Kopf, denn die letzte Andeutung gefiel ihm gar nicht. In einem so schwerfälligen Leichterboot waren sie auch gar nicht Herr ihrer Bewegungen und durften kaum hoffen, einem Regierungsboot zu entgehen, falls sie wirklich bemerkt und verfolgt werden sollten. Aber jetzt halfen keine weiteren Bedenklichkeiten, die jedenfalls zu spät kamen. Der Kontrakt war durch Handschlag geschlossen, und ein derartiges abenteuerliches Unternehmen auch eigentlich ganz nach dem Geschmack des Deutschen. Er haßte nichts mehr als eine stete, andauernde Arbeit; hier dagegen bot sich ihm die Gelegenheit, in ein paar Stunden – wenigstens in einer Nacht, eine hübsche runde Summe zu verdienen. Es mußte freilich schwer dabei gearbeitet werden und konnte – im schlimmsten Fall, noch außerdem schlecht ablaufen, dauerte aber auch nicht lange, und ohne deshalb weiter und länger darüber nachzudenken, drückte er sich den Hut auf den Kopf, reichte dem Chilenen und dann dem Halbindianer die Hand und verließ ohne weiter ein Wort zu sagen, das Haus. – Was er zu tun hatte, wußte er gut genug; es war nicht nötig, weitere Worte darüber zu verlieren.


Einen schweren Gang hatte indessen der alte Señor Rimas, um bei dem chilenischen Gouverneur in seiner Herzensangst und Not Hilfe zu suchen.

Der Gouverneur empfing ihn zwar mit der größten Freundlichkeit und Teilnahme, denn er hatte schon selber von Concepcion aus Nachricht über das Vorgefallene erhalten, und bedauerte den Verlust, den der unglückliche Vater gelitten, aber was konnte er selber tun, um ihm zu helfen? Truppen hinübersenden und erst mit Güte und, wenn die nicht half, mit Gewalt die Entführte befreien, wie es der alte Herr von ihm erbat? Er zuckte dazu die Achseln, denn erstlich durfte er, ohne Zustimmung und Befehl des Präsidenten, gar keinen Einfall in feindliches Gebiet machen, und dann verfügte er hier in Valdivia nicht einmal über eine hinreichende Truppenmacht, um etwas Derartiges selbst in der günstigsten Jahreszeit auszuführen.

Und was hoffte Don Enrique überhaupt von Gewalt bei jenen Stämmen, die er doch selber recht gut kannte, und von denen er wußte, wie rasch sie sich, wenn wirklich und ernsthaft bedroht, in ihre wildesten Einöden zurückzogen, in welche ihnen kein chilenisches Militär hätte wagen dürfen zu folgen. Was er aber tun konnte, versprach er zu tun: er wollte augenblicklich, sobald der Dampfer von Puerto Monti zurückkam, an den Präsidenten selber schreiben und selber befürworten, daß er mit den ersten Tagen des Frühjahrs, sobald nur die Wasser ein klein wenig gefallen waren und einen Durchgang möglich machten, nicht allein Militär hinüberschicken, sondern auch Freiwillige aufrufen solle, die Truppe zu verstärken. Dann konnte man energisch gegen diese trotzigen Wilden, die bis jetzt noch ungestraft jeden Frevel verübt hatten, vorgehen und ihnen einmal zeigen, daß sie auch nicht in ihrer Veste – den weiten Pampas – sicher wären, und daß der Arm der mächtigen Weißen selbst bis dort hinüberreichte.

Für jetzt aber war gar nichts zu tun, als jene Zeit ruhig und geduldig abzuwarten; das Unglück, so schwer es sein mochte, mußte eben ertragen werden. Wer konnte gegen die Hand Gottes ankämpfen!

Den einzigen Rat, den er ihm noch geben konnte, das einzige, durch was er hoffen durfte, vielleicht sein Ziel zu erreichen, war: sich in Valdivia ein paar Begleiter, Dolmetscher und Diener zu suchen und mit Geschenken für die Häuptlinge, wozu er ein paar Packpferde gebrauche, ungesäumt nach der Otra Banda aufzubrechen. Dann aber mußte er sich ebenfalls darauf gefaßt machen, den Winter über unter den Pehuenchen zuzubringen, hatte aber, wie der Gouverneur fest glaubte, nichts für seine eigene Sicherheit zu besorgen. Außerdem wollte er ihm auch ein Schreiben an Jenkitruss mitgeben, das doch vielleicht einigen Einfluß auf ihn ausüben konnte – es war das einzige, was ihm zu tun übrig blieb. – Die einzige Hoffnung, und wie gering war selbst diese, da Don Enrique schon den ganzen Morgen vergebens gesucht hatte, einige Männer für sein Unternehmen zu gewinnen.

Jener Cruzado war ihm als ein mit der Sprache und den Sitten der Indianer vollkommen vertrauter Mann geschildert worden, und er hatte ihn deshalb schon heute morgen aufgesucht; aber dieser weigerte sich, in jetziger Zeit, wo die Wilden aus ihrem trunkenen Zustand gar nicht herauskommen, die Otra Banda zu betreten; es sei, wie er meinte, eine »zu gewagte Sache«. – Einen ähnlichen Einwand hatten ihm noch einige, ebenfalls mit den Sitten der Wilden vertraute Chilenen gemacht; auch der Fremde, den er angeredet, unser Don Carlos, brachte die nämlichen Bedenken vor – sie fürchteten für ihr Leben – nicht so der Vater.

Im ersten Augenblick drückte ihn das Gefühl seines Verlassenseins nieder; aber nicht lange währte dieser Zustand der Hoffnungslosigkeit. Nicht das Unglück hatte ihn niedergedrückt, nein, nur das Gefühl der Ungewißheit, ob er handeln könne oder nicht; das war jetzt abgeschüttelt, und das Haupt erhoben, die Augen von einem wilden Feuer glühend, schritt er durch die Straßen der Stadt, seiner eigenen Wohnung, die er bei einem Freunde genommen, wieder zu.

Dort aber verlor er keine Zeit mehr mit müßigen Betrachtungen und weiteren Plänen, sondern ging frisch ans Werk, das, was er unternehmen wollte, auch augenblicklich mit allen ihm zu Gebot stehenden Kräften anzugreifen.

Er selber kannte die Indianer und ihre Bedürfnisse gut genug und wußte deshalb ganz genau, welche Geschenke er auswählen müsse, um sich ihre Gunst zu gewinnen. An Geld fehlte es ihm nicht, außerdem hatte er jeden Kredit in der Stadt, und während er seinem mitgebrachten Diener Auftrag gab, sich nach tüchtigen Pferden zu erkundigen, die einen so langen, beschwerlichen Marsch gut aushalten könnten, machte er die Runde in den verschiedenen Warenlagern, um einzukaufen, was er eben brauchte.

Und er mäkelte nicht; wohl einen halben Zentner Glasperlen, blaue, weiße, rote besonders, aber auch von allen anderen Farben, ließ er in verschiedene Pakete packen, den ganzen Indigo fast, der in der Stadt zu haben war, kaufte er auf. Tabak, das Monopol der Regierung, bekam er nur in dem Munizipalgebäude in langen Rollen und füllte zwei Ledersäcke damit an. Außerdem vergaß er auch nicht kurze Pfeifen und feines Papier zu Zigarren, Maultrommeln, messingene Fingerhüte, welche die indianischen Frauen durchbohren und als Schmuck um den Hals tragen, bunte Tücher von allen Farben, Messer, Löffel und zwanzig andere Dinge, vor allem aber den roten Spanischen Pfeffer in getrockneten Schoten, das Lieblingsgewürz der Chilenen und Indianer.

Das alles, mit einer Quantität von Provisionen für ihn selbst und seinen Begleiter, wurde in eine Anzahl von Säcken aus roher Haut gepackt, die der Nässe eine lange Weile widerstehen und sich außerdem bequem auf einen Packsattel schnüren lassen. Packsättel schaffte er genügend an, und da sein Diener ebenfalls keine Zeit versäumt hatte, sich nach passenden Tieren umzusehen, die man zu dieser Jahreszeit immer um einen mäßigen Preis kaufen konnte, so dauerte es verhältnismäßig nur kurze Zeit, bis er zum Aufbruch gerüstet war.

Indessen hatte sich das Gerücht über seine beabsichtigte Fahrt und den Grund derselben rasch in der Stadt verbreitet. Der junge Reiwald war gleich Feuer und Flamme für ein solches Unternehmen, und wenn er auch eine sehr unbestimmte Idee von der spanischen Sprache hatte und sich also weder den Chilenen, noch viel weniger den Pehuenchen verständlich machen konnte, faßte er doch, trotz allen Abredens der dortigen Deutschen, den heroischen Entschluß, den alten Mann zu begleiten. Meier sollte zu dem Zweck dolmetschen, war aber nirgends aufzufinden und lag, ganz gegen seine sonstige Gewohnheit, nicht einmal daheim in seinem Bett, um einen vornächtigen Rausch auszuschlafen, und kein Mensch in der ganzen Stadt wollte etwas von ihm wissen.

Indessen hatte auch Doktor Pfeifel, der schon am zweiten Tage seines Aufenthaltes fand, daß ihm die Kolonie wohl schwerlich einen Boden für seine Tätigkeit gewähren würde, da hier das Klima ganz unanständig gesund sein sollte, den Entschluß gefaßt, sich dem Zuge anzuschließen. Er spürte nicht die geringste Lust, »den Acker, den er erntet, selbst zu düngen«, wie Mephisto sagt, oder gar ein bescheidenes Handwerk zu erlernen, um seinen Lebensunterhalt zu verdienen, obgleich ihm von allen Seiten versichert wurde, daß ihm zuletzt nichts anderes übrigbleiben würde, wenn er hier in der Kolonie fortkommen wolle. Deshalb hielt er die Gelegenheit für passend, auf Entdeckungsreisen auszugehen. Wer wußte denn, was nicht vielleicht für ihn dort auftauchen könne, und Reisebeschreibungen mit vielen Abenteuern und Jagden hatten von jeher einen unsagbaren Reiz auf ihn ausgeübt. Nichts konnte ihm deshalb erwünschter kommen, als die Gelegenheit, selber etwas Derartiges zu erleben; und was versäumte er auch indessen hier, was für ein Dasein war das in dem Hotel, wo es ihm fast an jeder Bequemlichkeit fehlte: das Fleisch fand er nicht ordentlich durchgebraten, die Suppe zu fett, den Kaffee zu dünn, den Tee zu stark, kurz nichts, wie er es daheim und später auch in der reichlich versorgten Kajüte der Hamburger Bark gewöhnt gewesen. Viel schlimmer konnte es in den Pampas auch nicht sein, und je eher er deshalb diesem Zustand ein Ende machte, desto besser.

Don Enrique hatte indessen seine Zurüstungen mit einem solchen Eifer betrieben, daß er die Abreise schon auf den Donnerstag morgen festsetzen konnte; er durfte auch in der Tat keine Zeit mehr verlieren, und manches blieb noch immer zu besorgen, was auf ihm lastete; denn auf wen als auf sich selbst hätte er sich verlassen können. Vielen Nutzen versprach er sich von der Begleitung der beiden Deutschen allerdings nicht, aber er konnte und mochte sie auch nicht zurückweisen, denn erst einmal in Feindes Land, war es zu wichtig, einen kleinen Trupp wenigstens zu bilden und auch Leute zu haben, die abwechselnd nachts Wache halten konnten; er allein wäre ja, auf die Länge der Zeit, nicht imstande gewesen, das alles durchzuführen. Dazu ließen sie sich jedenfalls gebrauchen, ebenso um die Packtiere, wo es nötig sein sollte, an die Leine zu nehmen und beim Auf- und Abladen mitzuhelfen; es gab ja bei einem Lager stets genug zu tun, und der Arzt besonders konnte ihnen wichtige Dienste leisten, wenn der eine oder andere vielleicht krank oder verwundet wurde. Es blieb immer eine Hilfe.

 


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