Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

23. An Bord

Der nächste Morgen kam, aber Becker ging vergeblich zum Shakespearehaus. Zu so früher Tageszeit sah es wüst und verloren aus mit seinen schläfrigen Kellnern, schmutzigen Räumen und Tischen und zahllosen, ungewaschenen Gläsern. Die Atmosphäre in den ungelüfteten Räumen nahm ihm fast den Atem. Keine Botschaft war für ihn hinterlassen worden. Der Wirt weigerte sich sogar, ihm zu sagen, was er mit dem Zettel gemacht hatte und ob er an den Ort seiner Bestimmung gelangte. Er könne sich gar nicht mehr erinnern, ein Papier erhalten zu haben. Sollte das doch der Fall gewesen sein, dann hätte er es jetzt nicht mehr. Das war alles, was aus ihm herauszubringen war.

Bis elf Uhr blieb er noch in der Nähe des Hotels. Da er aber keine Nachricht erhielt, wollte er eben die Straße hinuntergehen, als ein kleiner Junge hinter ihm hergelaufen kam und rief:

»Sie haben da etwas verloren!« Dabei hielt er ihm einen kleinen, ziemlich verschmutzten Zettel entgegen.

Der Kapitän nahm ihn und sah ihn an. Es standen nur ein paar mit Bleistift geschriebene Worte darauf, die er mit Mühe entzifferte.

»Wir kommen an Bord – denken Sie an Ihr Versprechen!«

»Da haben wir's«, brummte der Kapitän leise vor sich hin. »Und wer, mein kleiner Bursche...« Er sah sich überall nach dem Jungen um, aber er war wie vom Erdboden verschwunden. Was hätte ihm der Junge auch geholfen! Von dem konnte er keine Auskunft erhalten. Er riß den Zettel in kleine Stücke und ging die Pitt Street zum Wasser hinunter. Er hatte keine Zeit mehr zu verlieren, um für die morgige Abfahrt alles zu regeln.

Der Tag verging ihm außerordentlich schnell. Sehr viel Fracht kam noch an Bord, Wasser und Proviant wurden eingenommen, und am nächsten Morgen mit Tagesanbruch hatte er seine eingefangenen Leute an Bord bestellt. Mit ihnen und einigen gemieteten Tagelöhnern, aber auch erfahrenen Matrosen, wollte er die Segel an die Rahen schlagen und den großen Anker aufwinden.

Die Gefangenen wurden ihm durch die Wasserpolizei an Bord gebracht. Die Leute, die sie ihm brachten, erhielten auch die Belohnung. Sie sollten an Bord bleiben, bis die »Susanna Baxter« wirklich zum Ablegen bereit war, damit keiner der Burschen einen neuen Fluchtversuch machen konnte. Kapitän Becker hielt das nicht für nötig, aber die Polizisten meinten, es wäre besser so. Sie hätten auch den Auftrag erhalten, an Bord zu bleiben, und durften gar nicht eher fort.

Dagegen ließ sich nichts sagen, und die Arbeit ging jetzt rasch vonstatten. Die aus den Goldminen zurückgeholten Ausreißer schnitten zwar mißvergnügte Gesichter und warfen manchmal einen sehnsüchtigen Blick zu den grünen Büschen am Ufer, aber sie wußten auch recht gut, daß ihnen kein Widerstand mehr nutzte. Sie würden ihre Lage dadurch nur verschlimmern. Es war einmal geschehen, und sie mußten die Folgen ihrer Flucht tragen.

Die Segel wurden aufgeholt, um mit der schwachen Westbrise den leichten Anker etwas gegen die noch aufströmende Flut zu unterstützen. Der Hauptanker war schon unter Bord geholt und an dem Hauptmast wehte das Signal für die Wasserpolizei, daß das Schiff segelfertig sei und in Kürze abgehen werde.

Vom Vormast wehte aber eine andere kleine, brennendrote Flagge. Es war ein Privatzeichen, wie es von Handelsschiffen häufig gegeben wird, um mit dem vorher vereinbarten Zeichen noch etwas an Bord zu bekommen. Übrigens war es so klein, daß es vom Land aus kaum mit bloßem Auge unterschieden werden konnte.

Aus dem inneren Hafen kamen zwei mit Wimpeln geschmückte Boote gerudert. Im einen war das junge Ehepaar an Bord, dem sich aber eine große Begleitung angeschlossen haben mußte. Kapitän Becker konnte wenigstens durch sein Glas eine Anzahl heller Frauenkleider erkennen und schien davon nicht besonders erbaut zu sein.

»Krieg man gan die Gläser klar und die Flaschen mit Sherry und Port«, sagte er zu seinem Steward, der eben aus der Kombüse kam. »Und setz ein Zigarrenkistchen auf den Tisch, aber ein volles, verstanden! Und daß nachher keine davon fehlen, oder ich zähle sie dir auf dem Buckel ab, mein Junge.«

»Jawoll, Kaptein!« sagte der Mann und brummte dann, während er in die Kajüte hinabstieg, leise vor sich hin: »Ist wieder blendender Laune, der Kaptein, wird eine recht vergnügte Reise werden. Der Stürmann sieht auch so aus, als wollte er einen jeden Augenblick am Kragen fassen. Hol's der Henker, ich hab's satt! Ich wollte, ich wäre auch weggelaufen. Mich hätten sie nicht wieder erwischt.«

Die Boote kamen immer näher, und der Kapitän stand am Spiegel seines Schiffes und versuchte, die Personen mit dem Fernglas zu unterscheiden.

»Na ja, Mrs. und Miß Pitt, natürlich, und Paulinchen hat gerade noch gefehlt. Selbst die Jüngste wird mit eingeschifft, daß die Kajüte nur voll wird. Und Herr von Hafften auch. Hat sich natürlich dicht neben Miß Pauline weggestaut und steuert sogar. Dazu eine ganze Partie andere junge Wesen, alle bewimpelt und beflaggt, und in dem anderen Boot – alle Teufel! Da ist auch der Leutnant!« rief er erschrocken aus. »Na, den kann ich heute morgen gebrauchen. Wenn der Wind von der Geschichte bekommt, gratuliere! Und Augen hat der wie ein Falke! So ein Polizeileutnant muß doch überall seine Nase haben.«

In dem Augenblick bekam er einen ziemlich heftigen Stoß auf den Kopf, der von niemand anderem als dem unglücklichen Schiffsjungen herrührte. Er war in den Besanmast hinaufgeschickt, um einen Block klarzumachen. Als er herunterkam, sah er sich nicht weiter um und trat in dem Moment von der Want herunter, als der Kapitän mit seinem Kopf darunter durch wollte.

»Ach, Kaptein!« schrie der Junge entsetzt und blieb in den Wanten hängen.

»Döskopp!« sagte sein Vorgesetzter, zog ihn an den Beinen herunter, gab ihm eine schallende Ohrfeige, die ihn bis vorn an die Quarterdeckstreppe sandte, und fügte als Trost hinzu: »Das ist auf Abschlag. Später wollen wir unsere Unterhaltung fortsetzen.«

Der Junge lief heulend nach vorn, und der Kapitän ging mit dem Fernrohr in der Hand auf dem Quarterdeck auf und ab. Dabei sah er ständig über das Wasser und suchte auch einigemal die bewaldeten Ränder des Nordufers ab. Er erwartete doch noch das andere Boot mit der gefährlichen Mannschaft und zerbrach sich dabei den Kopf, wie er die Leute am besten an Bord nehmen könne, ohne sie mit seiner Gesellschaft in Berührung zu bringen.

Er hatte sich vorgenommen, Holleck sofort in einer Koje im Vorcastle unterzubringen. Dort konnte er den Kranken spielen, bis die »Susanna« unterwegs war. Dann konnte er sich am Vorcastle aufhalten und durfte das Quarterdeck unter keiner Bedingung während der ganzen Reise betreten. Nur so war es möglich, ein fatales Erkennen zu vermeiden.

Die Boote kamen inzwischen immer näher. Schon konnte man das fröhliche Lachen des leichtherzigen jungen Volkes hören, und jetzt – da drüben kam tatsächlich das Boot mit den Leuten, die die Mannschaft verstärken sollten. Blitzschnell richtete Becker sein Glas auf sie. Er erkannte fünf wie Matrosen gekleidete Männer, die von einem einzelnen, wahrscheinlich dem Bootsbesitzer, gerudert wurden. Der schien sich die größte Mühe zu geben, wenn nicht gleichzeitig mit den Damen, dann doch unmittelbar nach ihnen an Bord zu kommen.

»Steh bei einer von euch da vorn, um die Mannschaft an Bord zu nehmen«, befahl Kapitän Becker dem Segelmacher, der in der Nähe stand. »Halt! Einer ist genug, die anderen brauche ich hier, um den Damen zu helfen. Aber dazu sind sie auch zu ungeschickt. Ach, Gentlemen«, wandte er sich an die beiden Wasserpolizisten, »sind Sie wohl so freundlich, die Damen etwas zu unterstützen?«

»Mit dem größten Vergnügen!« riefen die beiden Männer, durch den Auftrag geschmeichelt. Sie hatten auch schon einen ihrer Offiziere in dem zweiten Boot erkannt.

Die kleinen Fahrzeuge schossen rasch heran, die Fallreepstreppe war ausgehängt, und zuerst legte Mr. Pitts Boot an. Während einer der Bootsleute die kleine Therese vorweg an Bord hob, folgten die Damen nach. Aber es war ein schweres Stück Arbeit, sie heraufzuholen. Durch die weiten Kleider waren sie gehemmt. Sie fürchteten sich auch vor der schwankenden, wenn auch völlig sicheren Leiter.

Kapitän Becker stand bei ihnen, aber er sah ständig zu dem anderen Boot, das jetzt noch kaum zwei Längen vom Bug des großen Schiffes entfernt war. Während sich die Polizisten emsig bemühten, die Damen heraufzuhieven, ging der Kapitän nach vorn, um seine Anordnungen zu treffen und die verdächtigen Leute aus dem Weg zu bringen.

Anstatt daß die kleine Therese auf das Quarterdeck kletterte, ging sie mit ihm nach vorn. Der Kapitän, der den Kopf voll hatte, achtete nicht auf das Kind.

Die Leute in dem herankommenden Boot hatten die Passagierjollen genauso aufmerksam betrachtet, wie sie vom Kapitän im Auge behalten wurden. Sie wollten möglichst gleichzeitig an Bord kommen. Das war vermutlich der Augenblick, wo sie am allerwenigsten beachtet wurden. Daß sie der Kapitän dann gleich aus dem Weg schaffte, war seine Sache. Im Vorcastle kamen sie mit dem Besuch überhaupt nicht in Berührung, denn der hielt sich nur auf dem Quarterdeck und in der Kajüte auf.

So fest übrigens Holleck selbst jetzt noch dem Kapitän vertraute, so unsicher fühlten sich die anderen. Selbst jetzt wußten sie nicht, ob sie das Schiff betreten sollten oder nicht.

Bob saß hinten am Steuerruder, Holleck hatte seinen Rücken der »Susanna Baxter« zugedreht, um nicht durch ein Fernglas erkannt zu werden. »Eine verfluchte Geschichte wäre es, wenn uns der Deutsche hier in eine Falle gelockt hätte«, sagte Bob. »Ich wollte, Jack hätte sich nicht so dumm erwischen lassen, den könnten wir jetzt gebrauchen!«

»Unsinn, Bob«, beruhigte ihn Holleck. »Glaubst du, daß ich mitgegangen wäre, wenn ich den Mann nicht genau kennen würde? Wer hat denn mehr zu befürchten, wenn wir entdeckt werden, ihr oder ich? Und er muß mehr Leute haben, um hier aus der Bai herauszukommen. Außerdem hat er uns sein Wort gegeben.«

»Er wäre ein Esel, wenn er sich daran hält«, meinte Bob trocken.

»Sein eigenes Interesse an uns bindet ihn. Das ist die größte Sicherheit, die er uns geben könnte«, antwortete Holleck.

»Und wenn nachher mit den Matrosen an Bord nichts anzuzetteln ist«, warf einer der anderen ein. Es war ein übel aussehender Bursche mit einer breiten Narbe über der Stirn. »Was ist, wenn er wirklich mit uns nach Neuseeland fährt?«

»Das laß meine Sorge sein«, versetzte Holleck. »Das Schiff will ich sehen, wo wir schon die Hälfte der Besatzung bilden und es nicht in unsere Gewalt bringen. Die reiche Ladung, die wir an Bord haben, ist noch eine schöne Zugabe. Erst einmal auf offner See und keine Wasserpolizei mehr an Bord, die Signale geben kann, und alles andere ist ein Kinderspiel.«

»Aber die Wasserpolizei ist noch nicht von Bord«, sagte Bob. »Und wenn mich nicht alles täuscht, sitzt in dem einen Boot sogar so ein Lump mit einem Goldstreifen um die Mütze. Den bekommen wir noch als Zugabe.«

»Der gehört mit zum Besuch«, sagte Holleck, nachdem er einen vorsichtigen Blick in die Richtung geworfen hatte. »Wir müssen uns in acht nehmen beim Betreten des Schiffes. Aber Patrick, der Bootsführer, bleibt unter dem Bug liegen, bis wir ihm selbst das Zeichen zur Rückfahrt geben. Wenn es nötig sein sollte, haben wir immer noch ein Fluchtfahrzeug.«

»Die Polizeiboote rudern verdammt schnell!« meinte Bob.

»Aber dem hier können sie nur nachsehen«, lachte Patrick. »Vier Riemen liegen bereit. Wenn wir uns da hineinlegen, möchte ich das Polizeiboot in der Bai sehen, das uns einholt! Wie ein Pfeil geht das kleine Ding durchs Wasser. Es heißt nicht umsonst ›The arrow‹.«

»Wenigstens ein Trost«, brummte Bob. »Einmal am Ufer, hätten sie nur das Nachsehen.«

»Aber soweit kommt es nicht«, lachte Holleck. »Seht ihr, da legen die Damen an. Der Kapitän hat fast die ganze Mannschaft nach vorn genommen, und die Polizei steht auch mit dabei. Jetzt ist unsere Zeit, leg dich in die Ruder, Pat, denn jetzt haben wir mindestens eine Viertelstunde Zeit, um unangenehmen Nachfragen aus dem Weg zu gehen.«

»Hast du die Papiere bereit?«

»Alles in Ordnung. Die bekommt der Kapitän gleich in die Hand, damit er uns legitimieren kann. So genau wird das jetzt auch gar nicht mehr genommen.«

»Wer ist das, der da jetzt nach vorn kommt?« wollte der Narbige wissen. Holleck drehte wieder den Kopf halb Seite und flüsterte dann:

»Alles in Ordnung. Es ist der Kapitän, der uns selbst in Empfang nehmen will. Laßt euch jetzt nichts anmerken, damit keiner der anderen etwas vorzeitig bemerkt. Steht einer von euch da vorn, um das Tau zu fangen. Easy your oars, Pat, gut so, das geht prima.«

Das kleine, schlanke Boot glitt wirklich federleicht an den etwas breiten Bug der »Susanna Baxter« heran. Ein Tau wurde herabgeworfen und rasch vorn durch den Ring gezogen. Wie die Katzen kletterten vier Mann an Deck. Nur der mit der Narbe folgte etwas langsamer und vorsichtiger. Er war kein Seemann und deshalb dieses Klettern nicht gewöhnt.

Vorn am Bug stand der Kapitän, um seine Leute zu empfangen.

»Kapitän, wir melden uns eingetroffen!« sagte Holleck. Mit der einen Hand hielt er ihm die Papiere hin, mit der anderen nahm er seinen Hut ab und hielt ihn so, daß er sein Gesicht bedeckte. Er hatte die kleine Therese erkannt, die dicht hinter dem Kapitän stand und erstaunt die fremden Männer betrachtete, die von draußen in das Schiff hereingestiegen kamen.

»Ich wollte Sie vorher sprechen, warum sind Sie nicht gekommen?« flüsterte ihm der Kapitän zu.

»Es ging nicht. Ich konnte mir schon denken, weshalb, ließ sich aber nicht ändern. Was macht denn das Kind hier vorn?«

Kapitän Becker sah sich rasch um und erkannte erst jetzt die kleine Therese, die er bis dahin nicht beachtet hatte.

»He, Jan, bring das Kind aufs Quarterdeck, aber schnell, damit ihm hier nichts passiert. Wer hat sie denn überhaupt hier vorgelassen? Du mußt bei deiner Mama bleiben, Thereschen, und darfst hier nicht an Bord herumlaufen.«

»Wo bringen Sie uns jetzt sicher unter, Kapitän?« erkundigte sich Holleck.

»Gehen Sie ins Vorcastle hinunter und legen Sie sich in eine der dunklen Kojen. Ich habe der Polizei schon gesagt, daß einer meiner älteren Matrosen, der mit auf meiner Liste steht, krank ist. Man wird Sie dort nicht behelligen. Einer kann gleich nach vorn gehen und sich da beschäftigen.«

»Das kann Bob tun.«

»Und die anderen arbeiten hier am Anker. Ich werde gleich den Befehl zum Aufwinden geben, denn die Flut staut schon. Wir haben keine Zeit mehr zu verlieren. Die beiden Polizisten bekommen eben vom Steward eine Flasche Sherry und werden schon abgelenkt sein. Fort an eure Plätze!«

Ohne sich weiter um die Leute zu kümmern, ging er zurück auf das Quarterdeck. Er wußte, daß es nicht auffallen würde, wenn eine frisch angeheuerte Mannschaft erst im letzten Augenblick an Bord kam. In dieser Zeit mußte man ja froh sein, wenn sie überhaupt kamen.

Hinten auf dem Quarterdeck der »Susanna Baxter« ging es inzwischen lebendig zu. Die Damen lachten und kicherten zuerst über ihre Kletterpartie, dann wollten sie den Platz sehen, wo Gertrud während der kurzen Überfahrt hausen würde. Dann wurden sie in die Kajüte geladen, um da einen kleinen Imbiß einzunehmen. Nur Mr. Pitt ging mit seinem Sohn mit raschen Schritten auf dem Quarterdeck auf und ab. Er mußte ihm noch einiges mitteilen, und der Sohn nahm das Notizbuch heraus, um Einzelheiten festzuhalten. Was dabei um sie her vorging, sahen sie natürlich nicht.

Der Kapitän beschäftigte sich inzwischen mit der Wasserpolizei. Leutnant Beatty war mit in die Kajüte hinuntergegangen. Becker musterte mit den Herren am Gangspill die Mannschaft, während sie ihren Sherry und nebenbei auch Cognac tranken. Das heißt, er zeigte ihnen die Papiere und die verschiedenen Leute, die über Bord und in der Takelage verstreut waren. Er erwähnte auch den Kranken, der in seiner Koje lag. Die Wasserpolizei machte sich die Sache leicht. Sie wußten, daß der Kapitän mit Polizeileutnant Beatty gut befreundet war, also hier auch nichts zu befürchten sei. Der Sherry war ausgezeichnet und der Cognac noch besser. Das Zeug an Land konnte man jetzt kaum noch trinken. Bei dem rasend gewachsenen Bedarf wurde es nur noch gemischt und verfälscht. Warum sich also das Leben nicht so bequem wie möglich machen?

Ein anderes Boot legte jetzt noch an. Es brachte den Diener und Gepäck des jungen Ehepaares. Der Kapitän rief Christian und den Segelmacher mit dem Jungen nach hinten, damit sie sich darum kümmerten. Einer der Polizisten sah dabei über Bord und bemerkte die Jolle, die die Mannschaft an Bord gebracht hatte.

»Holla, Bursche, auf wen wartest du da unten?« rief er dem faul ausgestreckten Patrick zu.

»Auf niemanden, Sir. Wollte nur sehen, ob ich nicht einen Passagier an Land rudern kann.«

»Hier ist nichts für dich! Wirf das Ende los und mach, daß du da vorn wegkommst, verstanden? Oder ich bringe dich auf Trab!«

»Aye, aye, Sir«, sagte der Mann mürrisch und erhob sich langsam. Er wußte, daß er dem Befehl folgen mußte. Der Polizist beobachtete ihn dabei, bis er wirklich von Bord abstieß. Etwas entfernt hörte er jedoch wieder auf zu rudern. Dann wandte sich der Polizist an den Kapitän und sagte:

»Passen Sie ein bißchen auf den Halunken auf. Ich kenne den Schuft, er ist mit allen Hunden gehetzt und hat das schnellste Boot in der Bai. Der lauert da noch, um Ihnen den einen oder anderen Ihrer alten Matrosen abzufangen.«

»Na, das fehlt mir noch«, brummte der Kapitän. »Stürmann, achten Sie auf die Jolle da. Lassen Sie den Burschen nicht wieder heran!«

»Jawohl, Sir«, sagte der Steuermann. Er hatte sich die Abfahrt von Sydney ganz anders vorgestellt. »Wo der Kapitän nur auf einmal die Mannschaft hergekriegt hat, während ich mir in Sydney die Beine abgelaufen habe!«

Der Kapitän drängte jetzt zur Abfahrt. Der Lotse kam ebenfalls an Bord. Die Ebbe setzte ein. Das Schiff hatte sich schon allmählich mit dem Bug zur Stadt gedreht, und der Mann in der Jolle mußte sich mit langsamen Ruderschlägen an der Stelle halten, wenn er nicht in die Bai hinaustreiben wollte.

»Mr. Pitt«, sagte Becker und ging auf den Herrn des Schiffes zu. »Ich glaube, es wird Zeit, daß ich hier wegkomme. Wenn Sie nicht noch etwas Besonderes zu tun haben, wäre es mir lieb, wenn ich meinen Anker heraufholen und segeln könnte. Wir versäumen die schöne Zeit, und ich möchte gern noch vor Einbruch der Nacht ein gutes Stück von der Küste entfernt sein.«

»Gut, Kapitän«, rief Mr. Pitt vergnügt. »Ich bin der letzte, der Sie zurückhält. Je früher Sie hinüberkommen, desto besser. Charley, ruf die Damen herauf, damit wir sie wieder ins Boot schaffen. Das wird ohnehin noch eine Weile dauern.«

Die Damen erschienen an Deck, aber es dauerte wirklich noch eine ganze Weile, ehe sie auch nur begannen, sich wieder »einzuschiffen«, denn Damen nehmen so gern und nachdrücklich Abschied voneinander. Das war ein Umarmen und Küssen mit Gertrud, die alle in der kurzen Zeit so liebgewonnen hatten. Es war fast, als würden sie sie nie wiedersehen, obwohl ihr Aufenthalt in Neuseeland nur auf zwei Jahre festgelegt war.

Inzwischen gab auch Mr. Pitt seinem Sohn noch Verhaltensregeln.

»Also, mein Junge, halte dich tapfer und laß bald etwas von dir hören. Wenn du selbst drüben bist, kannst du am besten sehen, für welche Waren du den besten Markt findest. Das schreibst du mir dann ganz genau.«

»Darauf kannst du dich verlassen, Vater.«

»Und noch etwas. Mit der nächsten Gelegenheit schicke ich dir eine große Ladung Schaufeln, Spitzhacken und anderes Minengerät hinüber.«

»Nach Neuseeland?«

»Natürlich, denn ich zweifle keinen Augenblick daran, daß sie da drüben in den Bergen auch nach Gold graben und auch Gold finden werden. Außerdem wird dieses Gerät wahrscheinlich bald in großen Mengen auf den Markt geworfen und dadurch spottbillig werden. Wir haben es dann drüben zur Stelle. Wir riskieren nicht viel damit, und du wirst sehen, daß ich recht habe.«

»Gut, die Sachen verlieren ja auch ihren Wert nicht«, sagte Charles.

»Laß dich nicht zu sehr mit den Eingeborenen ein, besonders nicht mit den christlichen. Ich traue den Halunken nicht.«

»Ich werde wohl kaum viel in das Landesinnere kommen.«

»Na, das wirst du auch an Ort und Stelle besser sehen, als ich es dir hier sagen kann. Aber jetzt wird es mit der Abfahrt ernst. Also – mit Gott, mein Junge, meinen Segen hast du.« Er schüttelte ihm derb und herzlich die Hand.

»Was die da hinten für eine Ewigkeit mit ihrem Abschiednehmen vertrödeln«, brummte Bob seinem Nachbarn mit der Narbe leise zu. »Na warte nur, mein Herzchen, wir kommen auch noch an die Reihe mit den Zärtlichkeiten, wenn wir erst auf hoher See sind. Wenn Bill glaubt, daß er das glatte Gesicht für sich allein behalten will, so irrt er sich verdammt.«

»Ruhe, der Steuermann kommt«, mahnte ihn der andere.

»Auf mit dem Anker, Burschen! Bißchen lebhaft! Ehe wir hier nicht durchs Wasser gehen, ist die Gesellschaft nicht von Bord zu bringen. Rührt euch, my hearties. So ist's recht, mit gutem Willen geht alles, und wir wollen das alte Stück Eisen bald an Deck haben!«

Er brauchte diesen Leuten wirklich nicht zuzureden. Alles, worauf sie nur gewartet hatten, war dieser Befehl gewesen. Mit den Passagieren ging ja auch die Polizei von Bord. Keiner von ihnen fühlte sich wohl, solange er noch die gelben Hüte mit dem schwarzen Band darum in unmittelbarer Nähe wußte.

»Aber Therese, was hast du denn nur?« sagte die Mutter. »Du trittst mir ja ständig auf das Kleid, so drängst du dich an mich. Wovor fürchtest du dich denn so? Sie ist mir nicht einen Schritt von der Seite gewichen.«

»Sie scheut sich wahrscheinlich vor den vielen fremden Menschen, die auf dem Deck herumspringen und in das Segelwerk klettern«, sagte Beatty, der neben ihr stand. »Es tut dir niemand etwas, und wir fahren auch gleich wieder nach Haus zurück.«

»Ach ja«, flüsterte das Kind, »schnell wieder nach Hause!«

»Komisches Mädchen«, sagte die Mutter kopfschüttelnd. »Sie ist sonst nie so ängstlich und gleich mit allen Fremden vertraut.«

»Vorwärts, vorwärts!« mahnte Mr. Pitt. »Der Kapitän wird ungeduldig, und die Segel fangen schon den Wind. Wenn wir jetzt nicht machen, daß wir von Bord kommen, nimmt er uns bis Auckland mit, und wir können auch noch Passage bezahlen.«

Die Damen hatten endlich Abschied genommen und wurden jetzt von Hafften und dem Leutnant in die Boote befördert. Die Polizisten hatten sich an beiden Seiten des Fallreeps aufgestellt und hielten ein kurzes Tau um die Kleider der Hinabsteigenden. Es ist erstaunlich, auf was die Polizei alles zu achten hat!

»Wo ist Therese?« rief Frau Pitt zurück.

»Die nehme ich selbst auf den Arm und bringe sie mit hinunter«, beruhigte sie Beatty. »Also, Kapitän Becker, glückliche Fahrt, und lassen Sie sich bald einmal wieder in Sydney sehen!«

»Also, lebt wohl ihr beiden!« sagte Mr. Pitt und küßte Gertrud auf die Stirn. »Unsere besten Wünsche begleiten euch. Dir noch einmal tausend Dank, daß du unseren Charley so glücklich gemacht hast.«

»Lieber Vater...«

»Schon gut, mein Kind, leb wohl. Na, Beatty, weshalb steigen Sie nicht hinab?«

»Weil ich Sie voranlassen wollte, um Ihnen dann die kleine Therese ins Boot hinabzureichen.«

»Ah so, also, ade!« Mit diesen Worten lief Mr. Pitt rasch an der Fallreepstreppe hinunter und drehte sich unten um, das Kind in Empfang zu nehmen.

»So, mein Schatz«, sagte Beatty, nahm die Kleine auf den Arm und betrat das Fallreep. »Halte dich nur mit deinen Ärmchen fest, ich lasse dich nicht fallen. Siehst du, da steht auch der Papa, der dich in Empfang nimmt.«

»Und fährt Onkel William mit Charley?« fragte die Kleine, ängstlich an sein Ohr gepreßt.

»Wer, mein Engel?« sagte Beatty, um das Kind zu beschwichtigen.

»Onkel William.«

»Onkel William? Wie kommst du auf den?«

»So, jetzt geben Sie sie nur her«, sagte Mr. Pitt, streckte den Arm nach der Kleinen aus und zog sie herüber. »So, mein Kind, setz dich hierher und hab keine Angst, ich halte dich schon, damit du nicht über Bord fällst.«

Die Kleine gehorchte und sagte kein Wort mehr. Aber Beatty entging nicht der scheue Blick, den sie zum Vorcastle des Schiffes warf. Er wußte, daß Holleck in Mr. Pitts Haus stets »Onkel William« von ihr genannt wurde. Das hatte er oft genug selbst gehört, und jetzt...? Aber wäre es denn möglich, daß der Verbrecher es gewagt hatte und ausgerechnet auf dieses Schiff geflüchtet war? Kapitän Becker kannte ihn doch persönlich – es war ganz undenkbar.

Die Boote stießen von Bord ab. Auch die Wasserpolizei hatte ihr Boot betreten und der Lotse oben seinen Platz neben dem Steuer eingenommen. Das Schiff war frei, der Anker auf, und die Mannschaft hing an den Brassen, um die Rahen vierkant zu ziehen. Die nicht starke, aber doch frische Brise wehte gerade aus der Bai hinaus. Vorn am Bug kräuselte sich schon das Wasser leicht.

Als er die »Susanna Baxter« unterwegs sah, ruderte Patrick sein Boot langsam zur Küste.

Da schoß ein Verdacht durch Beattys Kopf. Noch hatte er seinen Platz im Boot nicht eingenommen. Er beugte sich zu der kleinen Therese hinüber und flüsterte leise:

»Hast du Onkel William da auf dem Schiff gesehen, mein Herz?«

Die Kleine antwortete nicht, aber wieder warf sie einen scheuen Blick hinüber und nickte dann.

»Was haben Sie, Beatty?« erkundigte sich Mr. Pitt.

»Easy your oars!« sagte der junge Offizier mit ruhiger, leidenschaftsloser Stimme und winkte das Polizeiboot zu sich heran. Die Bootsleute hielten, dem Befehl gehorchend, ihre Ruder still.

»Mr. Hafften, darf ich Sie bitten, mich einen Augenblick zu begleiten?«

»Wohin?«

»An Bord zurück.«

»An Bord?« lachte Mr. Pitt. »Haben Sie etwas vergessen?«

»Ja.«

»Und ich soll mitfahren?« sagte Hafften.

»Ich bitte darum.«

»Aber was haben Sie denn?«

»Wenn Sie die Damen allein fahren lassen, wäre es vielleicht besser, Mr. Pitt. Wir haben vergessen, die zuletzt angekommene Mannschaft zu mustern. Es wäre gut, wenn Sie dabei wären.«

»Aber, um Gottes willen, lieber Beatty«, rief Mr. Pitt. »Halten Sie den armen Becker nicht länger auf, der wird wütend!«

»Das Ganze dauert keine fünf Minuten, aber wir machen uns sonst strafbar. Tun Sie es mir zuliebe.«

Er hatte dabei den Rand des neben ihm anfahrenden Polizeibootes ergriffen und stieg hinein.

»Soll ich Sie wirklich begleiten?« fragte Hafften noch einmal. Er wäre viel lieber bei den Damen geblieben als bei einer langweiligen Musterung zuzusehen. Beatty warf ihm aber einen so merkwürdigen Blick zu, daß er nicht länger zögerte. Es war vielleicht etwas geschehen, bei dem die Damen überflüssig waren.

»Haben Sie Waffen bei sich?« flüsterte ihm Beatty zu, als er an ihm vorbei in das Boot stieg.

»Einen Revolver«, erwiderte Hafften erstaunt, aber ebenfalls leise.

»Gut. Kommen Sie, Mr. Pitt?«

Mr. Pitt kam das alles so sonderbar vor, aber er kannte Beatty als einen ruhigen und tüchtigen Mann, der nichts ohne Grund tat. War etwas vorgefallen? Keinesfalls sollten die Frauen etwas davon merken, daher antwortete er:

»Meinetwegen. Fahrt langsam voraus, wir holen euch mit dem anderen Boot gleich wieder ein. Oder noch besser, laßt euch drüben im botanischen Garten an Land setzen, und wir machen nachher einen Spaziergang nach Haus zurück.«

»Die Herren sind sehr galant, aber was sollen wir machen!« sagte Mrs. Pitt. »Wir fahren also zum botanischen Garten, denn Therese scheint sich schlecht mit dem Wasser zu vertragen. Kommt nur bald nach!«

»In wenigen Minuten!« – Das Boot schoß inzwischen schon zum Schiff zurück. Es mußte eigentlich hinterherfahren, denn die Brise hatte die Segel gesetzt. So langsam und faul sich wohl das Fahrzeug zu bewegen schien, machte es doch schon ganz tüchtigen Fortgang. Es ist merkwürdig, wie man sich an Bord eines Schiffes über die Geschwindigkeit täuscht. Man erkennt oft erst, wie schnell es durch das Wasser schneidet, wenn ein Boot daneben fährt. Die kleinen Schaluppen konnten die »Susanna Baxter« schon nicht mehr einholen.


 << zurück weiter >>