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10. Jack

Etwa zwei englische Meilen vom Strombett des Turon lag auf einem Plateau im Schatten eines niedrigen Wattelgebüsches eine der Rindenhütten, wie sie überall auf dem australischen Kontinent von Schäfern und Hutkeepern errichtet werden. Dicht daneben war noch die Stelle deutlich sichtbar, wo die Hürden gestanden hatten, in die die Schafe abends getrieben wurden. So waren sie unter der Obhut des Hutkeepers sicher vor den Überfällen der Dingos und den nicht weniger hungrigen Eingeborenen.

Der Besitzer hatte aber wohl einen andere Weidegrund für seine Herde gesucht, die ihm in der unmittelbaren Nähe der Minen vielleicht zu sehr gefährdet war. Nur die Rindenhütte blieb stehen, um vielleicht später einmal wieder benutzt zu werden oder einfach um zu vermodern. Versetzt werden konnte sie nicht, und Rinde gab es überall genug, um eine neue viel schneller herzustellen.

Trotzdem war sie bewohnt, denn dünner blauer Rauch stieg aus ihr auf und suchte sich zwischen den Rindenstücken seine Bahn ins Freie. Es war sicher, daß wieder ein Weißer von ihr Besitz genommen hatte, denn die Eingeborenen meiden ängstlich solche verlassenen Wohnungen der Bleichgesichter und würden nicht einmal bei einem starken Sturm in einer solchen Hütte kampieren.

Und doch ließ die jetzt nur halb geöffnete Tür in diesem Augenblick einen Eingeborenen heraus. Er war vollkommen nackt und nur mit ein paar weißen Streifen bemalt. In der rechten Hand trug er einen kurzen Holzspeer und unter dem linken Arm ein großes Stück Damper, das hiesige Brot.

Bevor er das Freie betrat, warf er eine forschenden Blick über den offenen Raum. Dann glitt er wie eine Schlange in die dicht angrenzenden Büsche hinein, in deren Schatten er bald spurlos verschwunden war.

Eine volle Stunde blieb der Platz leer, dann endlich stieg ein Weißer langsam den Hang herauf, hinter dem die Minen des Turon lagen. Als er die Höhe des Plateaus erreichte, wischte er sich den Schweiß von der Stirn. Mitten in der Bewegung hielt er inne, denn sein Blick war auf die Tür des Hauses gefallen. Er hatte sie an diesem Morgen selbst mit einem Holzpflock verschlossen. Jetzt stand sie halb offen. Irgend jemand hatte den Platz in seiner Abwesenheit betreten – gegen alle Gesetze des Waldes. Er befand sich vielleicht noch jetzt im Innern. Zwar hätte ein Blick in die Hütte jeden überzeugt, daß es fast unmöglich war, etwas daraus zu stehlen, aber der jetzige Bewohner des Platzes schien anders zu denken. Er wurde blaß, riß einen Revolver unter der Jacke hervor und spannte ihn. Im nächsten Moment sprang er mit funkelnden Augen auf die Tür zu.

Ein einziger Blick überzeugte ihn, daß die Hütte leer war. Kein menschliches Wesen hätte sich dort anders verstecken können, als sich flach auf den Boden zu legen. In der einen Ecke lag nur ein alter, abgenutzter Sattel mit ein paar schon lange nicht mehr benutzten Mehlsäcken, die jetzt als Lager dienten. Darüber hing ein mit Rohhautstreifen geflickter Zaum und ein einzelner eiserner Sporn. In der anderen Ecke lagen, mit einem Stück Rinde bedeckt, zwei zusammengerollte Wolldecken. Am Feuerplatz, der ziemlich den Mittelpunkt der Hütte bildete, lehnten eine alte eiserne Bratpfanne und ein umgeworfener Topf. Das war das ganze Mobiliar und ist von dem Eindringling nicht berührt worden.

Der Weiße warf aber zuerst seinen Blick nicht nach Sattel und Decken, sondern in eine vollkommen leere Ecke des Hauses, in dem nur eine alte, halbzerbrochene Brotschüssel lag. Dann erst schweifte sein Augen über die anderen Gegenstände und haftete zuletzt an der Asche des Feuerplatzes, die allerdings durchwühlt und nicht so erschien, wie er sie verlassen hatte. Er zerbiß einen grimmigen, gotteslästerlichen Fluch zwischen den Zähnen, als er sich der Stelle näherte und sie mit der Fußspitze untersuchte.

»War doch das verbrannte Gesindel wieder da«, brach er endlich heraus. »Aber, straf mich Gott, jetzt ist meine Geduld zu Ende. Der erste Schuft, der mir wieder mein Brot aus der Asche holt, soll wenigstens wissen, was er verschluckt hat, wenn er's im Magen wegträgt.«

Mit diesen Worten schob er seinen Revolver wieder in den Gürtel und blies das schon fast erloschene Feuer zu heller Flamme an. Dann nahm er die Brotschüssel und holte vom Boden der Hütte – einem auf die Balken gelegten Streifen Baumrinde – seinen kleinen Mehlbeutel herunter. Mit dem Topf holte er von draußen Regenwasser, das immer gesammelt wurde. Ohne Rücksicht auf Sauberkeit mischte er schließlich einen Damper, das Brot. Als er fertig war, rührte er aus einer kleinen Flasche noch eine Portion weißes Pulver hinein und grub den Damper in die heiße Asche ein. Mit dem darauf geschürten Feuer wurde das Brot dann durchgebacken.

Als er soweit war, holte er sich seine Decken aus der Ecke, breitete sie aus, schob sich einen Klotz als Kopfkissen heran und streckte sich lang am Feuer aus. Finster brütend starrte er in die Flammen. Hin und wieder rührte er sich, um mit der Spitze seines groben Buschschuhes das durchgebrannte Holz wieder in die Glut zu schieben und frisch anzufachen. Sonst verrieten nur seine blitzenden Augen, daß er lebte.

Plötzlich richtete er sich auf seinen Ellbogen auf und hob horchend den Kopf. Irgendein fremdes Geräusch mußte an sein Ohr gekommen sein – jetzt wieder. Er sprang rasch auf, und fast unwillkürlich suchte seine Hand die Stelle, an der der Revolver steckte, ohne aber die Waffe zu ziehen. Es war auch nicht nötig.

»Hallo! Jemand im Haus?« rief eine Stimme.

Jack antwortete nicht, ging aber zur Tür, sah durch einen Ritz hinaus und stieß dann die Tür auf.

Draußen stand ein erhitzter junger Mann. Er trug nicht die Minerkleidung, sondern war wie ein Städter gekleidet. Durch den Marsch im Busch und vielleicht auch ein Nachtlager hatte seine Kleidung allerdings gelitten. Sein Halstuch hatte er abgebunden, und das braune, lockige Haar hing ihm wirr unter dem Hut hervor.

»Hallo, Fremder«, sagte Jack, der die Gestalt ruhig von Kopf bis Fuß musterte. »Welcher Wind hat Sie denn auf das Plateau geweht? Doch nicht der Goldstaub?«

»Ich hatte mich verirrt«, sagte der Fremde, »und bin in dem verdammten Busch halb verschmachtet. Gott sei Dank, daß ich Sie und Ihr Haus gefunden habe.«

»Es hört sich so an, als fluchen und beten Sie in einem Atemzug«, lachte Jack trocken. »Aber kommen Sie herein und setzen Sie sich ans Feuer, bis ein Topf Tee fertig ist. So lange müssen Sie mit Ihrer Mahlzeit schon warten.«

Er trat von der Tür zurück, um den Eingang frei zu geben, und sein Besuch folgte ihm, jedoch nicht ohne einen scheuen Blick durch den leeren Raum zu werfen. Hatte er befürchtet, hier noch mehr Gesellschaft zu finden? Als er zum Feuer trat und sich vergeblich nach einem Sitz umsah, sagte er:

»Sie scheinen verwünscht einfach zu leben, Freund. Was Ihre Möblierung betrifft, kann man nicht gerade sagen, daß Sie den Raum überladen haben.«

»Sie sollten froh sein, daß Sie ein Dach über dem Kopf und einen Topf Tee in Aussicht haben«, brummte Jack. »Es gibt Plätze, wo es schlechter ist als hier.«

»Und leben Sie hier ganz allein?«

»Habe ich Sie schon gefragt, ob Sie allein reisen?«

»Hm, nichts für ungut, wußte nicht, daß Ihnen die Frage unbequem war.«

»Die Frage nicht, nur der Frager«, sagte Jack trocken, setzte aber trotzdem seine Vorbereitungen zu der versprochenen Mahlzeit fort. Er kletterte an einem Eckpfahl ein Stück in die Höhe, wo er auf sinnreiche Weise ein Säckchen Tee und ein anderes mit Zucker versteckt hatte, beides ein paar unentbehrliche Lebensmittel im Busch. Unter der Asche sah er nach dem jetzt garen Damper, den er aber wieder mit Asche bedeckte.

Der Fremde wußte nicht, was er mit dem rauhen Wesen seines Wirtes machen sollte, kannte aber derartige Buschleute auch von früher. Er glaubte, es wäre am besten, sich so ungeniert wie möglich zu benehmen und es sich bequem zu machen. Mit einem Stückchen Holz grub er den wieder eingegrabenen Aschekuchen heraus, blies ihn ab, brach ein Stück herunter und sagte lachend:

»Sie müssen schon entschuldigen, Mate, aber ich habe furchtbaren Hunger und in den letzten sechsunddreißig Stunden keinen Bissen mehr über die Lippen gebracht. Werde inzwischen mit dem hier anfangen.«

Jack hatte ihm ruhig zugesehen, bis er das Brot zum Mund hob, dann sagte er trocken:

»Nehmen Sie lieber nichts, was ich Ihnen nicht selber gebe – denn das Brot ist mit Arsen gebacken.«

»Teufel auch!« rief der Fremde, dessen Zähne schon durch die frische braune Kruste gedrungen waren. Er sprang erschrocken vom Boden auf und ließ das todbringende Brot in die Asche zurückfallen. »Wenn das Ihre Gastfreundschaft ist, mit der Sie einen armen Verirrten aufnehmen, dann danke ich!«

»Ereifern Sie sich nicht, Mate«, sagte aber Jack, ohne sich von der Stelle zu rühren. »Daß ich Sie rechtzeitig gewarnt habe, beweist doch, daß dieses Brot nicht für Sie gebacken wurde. Sie sollen nicht an Weizenbrot sterben, vielleicht eher einmal an – Hanfbrot«, setzte er mit einem trockenen, fast unheimlichen Lachen hinzu.

Im Gesicht des Fremden zuckte es, und mißtrauisch flog sein Blick zu dem anderen hinüber. Was wußte der von ihm? Aber Jack hatte seine alte Beschäftigung wieder aufgenommen und schob den Topf, auf dem sich schon Blasen bildeten, mit dem Buschschuh näher ans Feuer. Mit einem Seitenblick auf den Fremden sagte er lächelnd:

»Daß Sie mich nicht mehr kennen, kann ja kein Grund sein, daß ich Sie nicht mehr kennen sollte. Oder sind Sie gar nicht Bill Holleck, der sich für die Postbeutel von Ihrer Majestät Regierung interessiert?«

Der Fremde stand kaum einen Schritt von seinem Wirt und hatte ihm die rechte Seite zugedreht. Obwohl er sich zusammenriß, wurde er in diesem Moment blaß. Es war aber nur einen Moment, und seine rechte Hand glitt langsam an der Weste hinauf. Im nächsten Augenblick riß sie einen gespannten Revolver heraus. Aber Jack war nicht der Mann, sich so fangen zu lassen. Schnell wie ein Gedanke hatte seine eiserne Hand nicht nur den Arm gefaßt, sondern ihn auch nach oben gebogen und halb aus dem Gelenk gedreht. Holleck sank mit einem Schmerzensschrei auf die Knie.

Jack blieb dabei fast regungslos und nahm nur die Waffe aus der Hand. Dann ließ er den Mann frei und sagte mit einem verächtlichen Lächeln, das über sein wetterbraunes Gesicht zuckte:

»Nur Ruhe, mein Bursche. Solches Spielzeug ist nichts für dich. Und jetzt, Bill Holleck, was hindert mich jetzt, deinen glücklichen Raub mit dir zu teilen oder, noch besser, dir deine freundliche Absicht mit gleicher Münze zurückzuzahlen? Glaubst du, wenn ich dir jetzt eine von deinen eigenen Kugeln durch den Kopf jage und dann das alt Nest über dir in Brand stecke, daß auch nur eine Seele in der ganzen Welt nach dir fragen würde? Aber steh auf, Mann, und lieg da nicht wie ein krankes Weib. Der Flügelknochen wird nicht ganz ausgerenkt sein. Setz' dich wieder zum Feuer und sei vernünftig. Glaubst du denn, daß ich dich umbringen will? Dann hätte ich dich vorhin das Brot essen lassen. Narr, ich brauche den lebendigen, nicht den toten Bill Holleck. Aber wenn du brauchbar sein willst, mußt du ein anderes Gesicht machen als jetzt. Zum Teufel, ich hatte dir Courage zugetraut!«

Holleck sah in das Gesicht seines Wirtes, als ob er ihm noch immer nicht traute. Aber er schämte sich wegen seines Auftritts, und um gute Miene zum bösen Spiel zu machen, sagte er, als er mit der linken Hand sein rechtes Schultergelenk drückte und untersuchte:

»Courage? Was hilft die dir, wenn man in ein Maschinenrad gerät und einem die eisernen Walzen über die Knochen fahren? Du mußt Knochen aus Eisen haben, um einen so zu packen und zuzurichten. Ich hatte bis jetzt geglaubt, daß es nur einen Menschen auf der Welt mit solcher Kraft gäbe. Der aber sitzt in Norfolk Island und schleppt Steine und Eisenkugeln. Aber trotzdem – wenn ich dich so ansehe, zum Teufel auch, Mann, bist du Jack Burnett?«

»Pst, Kamerad, wir sind hier oben zwar ziemlich ungestört, aber besser ist besser, und Jack Burnett ist ein so guter Freund von mir, daß ich... selbst seinen Namen hier nicht laut genannt haben möchte.«

»Dann erklär mir aber dein feindseliges Verhalten, das vergiftete Brot, die halb verdeckte Drohung bei meiner Namensnennung.«

»Pah«, sagte Jack verächtlich. »Was du gesehen hast, hast du durch das Vergrößerungsglas des schlechten Gewissens gesehen. Feindseliges Verhalten? Ich habe dir Tee ans Feuer gestellt und dich davon abgehalten, das vergiftete Brot zu essen. War das feindselig? Und was die Drohung betrifft – glaubst du, Mate, ich habe Nutzen davon, wenn ich dich anzeige?«

»Aber weshalb hast du das Brot vergiftet?«

»Weil so ein paar verdammte schwarze Halunken hier in der Nachbarschaft herumschwärmen und mir schon ein paarmal mein Abendbrot vor der Nase weggeschnappt hatten, wenn ich hungrig nach Hause kam. Das will ich ihnen austreiben. Wenn die Kerle für sich selbst nichts haben, dann geht mich das nichts an, aber ich mache ihren Leiden gleich mit einemmal ein Ende und – habe wenigstens meinen Spaß dabei.«

»Ein verdammt gefährliches Experiment«, brummte Holleck. »Wenn ich nun halb verhungert niemand in der Hütte gefunden und unter der warmen Asche nach Brot gesucht und das da gefunden hätte?«

»Wäre dir schlecht bekommen, Kamerad«, sagte Jack trocken. »Aber du kennst auch das alte Buschgesetz: keine Hütte betreten, wenn der Pflock von außen vorgeschoben ist. Aber ich denke, wir verstehen uns jetzt, und als Beweis, daß ich dir vertraue, ist hier dein Revolver zurück. Steck das Ding wieder ein, und wenn du meinem Rat folgen willst, zieh es nie wieder gegen Freunde.«

»Die Sache ist nur die«, sagte Holleck etwas verlegen, »daß man seine Freunde nicht immer gleich an der Jacke oder am Bart erkennen kann.«

»Ich gebe dir vielleicht ein anderes Erkennungszeichen«, sagte Jack und sah ihn fest an. »Wir beide sind Leute, denen eine kleine Seereise bis zum Ostindischen Archipel sehr guttun würde. Vorausgesetzt, sie wird auf der Basis eines erworbenen Vermögens durchgeführt. Leider haben wir beide nicht genug Zeit für den Erwerb, und – wenn sich von einem Baum die Äpfel nicht herunterschütteln oder pflücken lassen, wofür ist dann die Axt da?«

Holleck sah seinen Wirt erstaunt an, denn er begriff noch nicht, was der mit seinen Andeutungen meinte. Jack wühlte die Asche seines Feuerherdes an anderer Stelle auf und fuhr fort:

»Das sind alles Dinge, die wir später genauer besprechen. Jetzt ist es Zeit, daß du satt wirst, denn der Tee ist lange gut. Hier hast du Brot dazu, mehr kann ich im Moment nicht anbieten. Der verdammte Schäfer hat seine Herde über den anderen Berg hinübergetrieben. Es ist ein mühsamer Weg durch die Schlucht nebenan, um sich ein Stück Fleisch zu holen.«

»Und das Brot hier...«

»Kannst du ruhig essen, Mate«, lachte Jack. »'s ist nicht gesalzen wie das andere da, das wir für neue, ungebetene Besuche wieder bereitlegen wollen. Jetzt iß, du hast lange genug gefastet.«

Holleck ließ sich nicht länger nötigen. Erst nachdem er mehr als die Hälfte des Dampers gegessen und auch einen zweiten Topf Tee getrunken hatte – ein trauriges Getränk übrigens, aus Regenwasser und dem sogenannten Stock and rider Tea –, taute er wieder auf. Bei dem zweiten Topf wurde er sogar gesprächig und erzählte jetzt dem neugefundenen Freund, dem er doch nichts Wesentliches mehr zu verheimlichen hatte, die letzten Ereignisse in Sydney, die ihn in die Berge getrieben hatten. Aber selbst hier konnte noch der lange Arm des Gesetzes nach ihm greifen und sein Verderben besiegeln.

Jedenfalls mußte er eine Weile untertauchen, bis die Sache etwas verraucht war. Nirgends konnte er das leichter als hier. Gab es doch Hunderte von Goldgräbern, die einsame Schluchten und Hänge aufsuchten, um da zu arbeiten. Ja, sie kamen sogar heimlich nachts zu den Proviantzelten, um sich Lebensmittel zu kaufen. Dann schlichen sie wieder einzeln zu ihren versteckten Arbeitsplätzen zurück, nur damit niemand erfuhr, wo sie ihre Schätze ausgruben. Wem wäre da ein einzelner Mann aufgefallen, der allein und abgeschieden in den Bergen lebte.

Aber Jack, der entflohene Sträfling von Norfolk Island, hatte andere Pläne. Er wußte, daß man sich zwar einige Zeit hier verbergen konnte, aber dann, durch die lange Sicherheit leichtsinnig, genügte ein einziger unglücklicher Moment, um wieder alles über den Haufen zu werfen. Eine solche Gefahr durfte nicht ruhig erwartet, sie mußte vermieden werden. Nur ein kühner Helfer fehlte dazu, um die Mittel zu einer erfolgreichen Flucht aus Australien zu beschaffen, denn Jack konnte nicht allein weg. Die herrschenden Verhältnisse kamen seinem Plan fast entgegen, ja, er baute immer kühnere Luftschlösser.

Bei der Durchführung seines Planes fehlte ihm jedoch ein entschlossener Mann, der außerdem auch ein Schiff führen konnte. Den hatte er jetzt in Bill Holleck gefunden.

Jack war auch nicht der Mann, eine Idee lange hinauszuschieben. Kaum mit dem Essen fertig, forderte er Holleck auf, ihm zu einer anderen Hütte zu folgen, wo er einen »alten Kameraden« finden würde. Mehr wollte er ihm nicht mitteilen, und kaum zehn Minuten später waren die beiden Männer unterwegs. Sie stiegen den Hügel hinab einer Felsenschlucht entgegen, durch die ein dünnes Bergwasser seine mühselige Bahn ins Tal suchte.

Schon neigte sich die Sonne den fernen blauen Bergwänden entgegen, die hier den phantastisch ausgezackten und malerischen Horizont bildeten. Da belebte sich das einsame Plateau wieder. Diesmal waren es aber nicht Europäer, sondern ein Trupp der Schwarzen auf der Wanderung. Es waren dieselben, denen wir schon auf Mr. Suttons Station begegneten.

Voran gingen zwei junge nackte Burschen. Nur einer hatte einen Strick um die Taille gebunden und ein dünnes Band um die Stirn. Beide trugen den lagen Speer in der linken, einen kurzen, kräftigen Waddie in der rechten Hand.

Sie schienen als Späher vorauszugehen, denn der Eingeborene betritt wie das Wild nicht gern eine Lichtung, ohne sich überzeugt zu haben, daß alles sicher ist und kein Feind im Hinterhalt lauert. Die beiden jungen Burschen glitten von verschiedenen Seiten auf das Haus zu, immer sprungbereit, beim geringsten Anzeichen von Gefahr in den Busch zu flüchten. Völlig geräuschlos waren sie herangekommen und spähten durch die zahlreichen Spalten der Rindenwände ins Innere der Hütte. Alles lag still und tot, nur der leichte, kaum sichtbare Rauch, der noch von den fast zu Kohle verbrannten Holzstücken aufstieg, verriet, daß überhaupt Menschen den Platz bewohnten. Aber wo waren sie jetzt?

Der harte und rauhe Boden erzählte wenig von den Spuren, die ihm selbst der schwere Buschschuh eindrückt, aber diese Söhne der Wildnis verlangten auch keine deutliche Schrift, wo ihnen ein aus seiner natürlichen Lage geschobener Stein, ein einziger in den Sand gedrückter Nagel so viel verriet, wie sie wissen wollten. Zwei Männer hatten den Platz vor kurzer Zeit verlassen, die Spur führte zum Hang. Dort hatten die Schuhe sich tief in den weichen, nachgebenden Boden eingedrückt, und die Spur führte ins Tal.

Wenige Minuten später hatten die Eingeborenen das Plateau wieder erreicht. Ihr leises und vorsichtig ausgestoßenes »Ku-ih« rief in der nächsten Sekunde die anderen herbei, die noch immer scheu zur Hütte hinübersahen. Die Furcht vor den Weißen und ihren Waffen verließ sie keinen Augenblick. Aber es bohrte ein anderes Gefühl in ihnen, noch mächtiger als die Furcht: der Hunger.

Wo Weiße lagerten oder ihre Wohnung hatten, da bewahrten sie auch immer Lebensmittel auf, die sie auf schlaue Weise mit Karren und Pferden heranbrachten. Das Haus hier barg vielleicht einen Vorrat, die Eigentümer waren fern, sollten sie die verführerische Gelegenheit ungenutzt verstreichen lassen?

Der junge Mann mit dem alten abgetragenen Frack war der erste, der einen Eingriff in das Recht der Fremden beging. Kaum hatte er von den Spähern gehört, wohin die Spuren führten, und sich selbst überzeugt, daß die Hütte leer war, als er auch schon den Pflock aus der Tür zog und seinen Kopf hineinsteckte. Einer der anderen wollte sich an ihm vorbeidrängen, aber das ließ er nicht zu. Mit dem Arm und dem Fuß schob er ihn zurück und glitt wie eine Schlange pfeilschnell auf den Feuerplatz zu. Die Asche durchwühlte er mit beiden Armen, ehe ihm die anderen zuvorkommen konnten.

Diese schlauen Burschen wissen immer ganz genau, wo die Ansiedler ihre Lebensmittel aufbewahren oder verstecken, und selten kann etwas vor ihnen geheim gehalten werden. Die warme Asche des Feuers war außerdem der übliche Aufbewahrungsplatz für das Brot. Während der mit dem Frack mit graubestäubten Ärmeln triumphierend ein frisches Brot hervorholte, hatten die beiden anderen die von Holleck übriggelassene Hälfte des anderen entdeckt und rasch für gute Beute erklärt. Weiter sahen sie sich in dem Haus nicht um. Das sonstige Eigentum der Weißen konnten sie nicht gebrauchen. Außerdem bestand immer die Gefahr der Entdeckung bei ihnen, denn wo hätten sie es verstecken sollen?

Die Frauen und Mädchen hatten inzwischen das offene Plateau noch gar nicht betreten, sondern am Rande der Lichtung gewartet. Bei dem geringsten Geräusch, beim Schrei eines Kakadus oder dem leisen Flattern einer wilden Taube fürchteten sie schon für das Leben ihrer Freunde. Jetzt kamen sie zurück. Rasch wurden die beiden Brote verteilt und in die verschiedenen Netze geworfen, um am nächsten Lagerplatz in aller Ruhe und Sicherheit mit etwas Wattelharz und einigen gerösteten Engerlingen verzehrt zu werden.

Nur die alte Frau in Kleid und Hut konnte ihre Gier nicht bezähmen und verschlang mehr, als sie aß, ihr Teil gleich auf der Stelle und bettelte dann noch ihrem Sohn im Frack etwas von seinem ab.

Einer der jungen Männer hatte aus der Hütte auch noch einen Feuerbrand mitgebracht, den er in der Luft schwang, um die Glut zu erhalten. Damit zog sich der Trupp wieder den Hang hinunter zu einer Stelle, wo er eine kaum bemerkbare Abflachung zeigte, deren Ausläufer bis zum Wasser des Turon reichten. Hätte man eine Bahn durch den Wald gehauen, so könnte wohl ein beladener Wagen bis zur Hütte hinauf fahren.

Die Eingeborenen gingen aber nicht weit. Sie hatten das Plateau kaum zehn Minuten verlassen, als die alte Frau plötzlich über Unwohlsein klagte, am Boden niederkauerte und sich krümmte und winselte. Der Sohn wollte sie aufnehmen und eine Strecke tragen, denn die beraubte Hütte schien ihnen hier noch zu nah, aber die geringste Bewegung verursachte ihr furchtbare Schmerzen. Eine halbe Stunde verging, und während die anderen sie in scheuer Furcht umstanden, weil sie in jeder Krankheit den bösen Zauber eines Feindes sehen, wand sich das arme unglückliche Geschöpf in dem dürren Laub. Sie riß sich ihren unheimlich aussehenden Kleiderputz vom Leib und stöhnte, ächzte und schrie, daß es einen Stein hätte erbarmen mögen.

Das war der starke Zauber des Weißen, dem sie das Brot gestohlen hatten. Eingeschüchtert von der Wirksamkeit rissen es die Frauen aus ihren Netzen und warfen es von sich. Auch die Männer schlossen sich ihnen an, während ihre Hunde gierig darüber herfielen. Aber der Fluch wich nicht von der Unglücklichen. Immer kläglicher wurde ihr Stöhnen, das zuletzt in ein lautes Kreischen und Heulen ausbrach. Die unglücklichen Menschen, die sie umstanden, konnten nichts für sie tun – noch nicht einmal ein Gebet hatten sie für sie. Sie kannten ja keinen Gott und fürchteten nur die bösen Wesen und Ungeheuer, die in der Sandwüste im Landesinneren hausen und denjenigen mit ihrem giftigen Atem anblasen, auf der der Zauber gelenkt worden ist.

Es war eine entsetzliche Szene: die jammernde Frau auf dem Boden, mit Fetzen des europäischen Kleides behangen, zwischen denen die abgemagerten schwarzen Glieder sich wanden und reckten. Darum die scheuen Eingeborenen, die in den Schmerzen der Gefährtin die Gewalt des bösen Geistes sahen. Von Furcht und Mitleid waren sie an den Platz gefesselt, wagten nicht zu fliehen.

Nur einer trat nicht von ihr zurück, sondern kniete neben ihr, weinte und klagte mit ihr, raufte sich das Haar, wand sich auf dem Boden und stöhnte und wimmerte, als ob in seinen eigenen Eingeweiden das Gift wühlte, das die Mutter erfaßt hatte. Es war der Sohn, der arme Teufel in seiner lächerlichen europäischen Kleidung, in der ganzen Wildheit seines Schmerzes, seiner Verzweiflung.

Aber die Furcht der Eingeborenen wurde noch erhöht und steigerte ihre Überzeugung, daß sie es hier mit einem der gräßlichen überirdischen Wesen zu tun hatten, fast zur Gewißheit. Die mageren Hunde hatten die weggeworfenen Brotstücke kaum aufgefangen und verschlungen, sich noch darum gebissen, denn so viel Nahrung hatten sie schon lange nicht mehr, da krümmten sich schon drei von ihnen ebenfalls auf dem Boden. Sie bekamen Krämpfe, während ihnen der weiße Schaum vor dem Rachen stand, knirschten mit den Fängen und verendeten zuletzt röchelnd zwischen den von ihrem Schaum und Blut bedeckten Steinen.

Da flohen die Frauen kreischend und heulend in den Wald. Wohin, wußten sie selbst nicht. Sie wollten nur so schnell wie möglich fort von diesem furchtbaren Schauplatz. Die Männer griffen den Feuerbrand wieder auf und folgten ihnen. Nur der Sohn blieb bei dem zuckenden Körper zurück. Ratlos dachte er an Rettung und versuchte alle seine einfachen und nutzlosen Gegenzauber, um den mächtigen Teufel zu bannen, der ihren Körper befallen hatte.

Plötzlich zuckte ein verzweifelter Gedanke durch sein Hirn. Noch war Rettung möglich. Die Weißen, die da oben wohnten und den Zauber vollbracht hatten, konnten helfen, wenn sie die Formel aussprachen, die der Mutter das Leben wiedergab. Und wenn sie ihn dann wegen des gestohlenen Brotes bestraften, was machte das? Er wollte es gern ertragen, wenn er nur die Mutter vom Teufel retten und von ihrer Qual befreien konnte.

Der Abend dämmerte, die Sonne war hinter den letzten lichtblauen Bergen eben versunken. Die ausgezackten Konturen verzierte sie mit einem goldenen Band, und schon senkte sich in die Täler der violette Dunst, der in diesem Weltteil unmittelbar der Nacht vorausgeht. Jetzt war es auch noch möglich, die Fremden da oben zu finden, denn vor Einbruch der Nacht kehrte jeder zu seiner Hütte zurück. Mit dem Gedanken an Rettung griff der junge Mann den leichten, zuckenden Körper auf und trug ihn fast laufend den Berg hinauf auf das Plateau.

Jack war inzwischen zurückgekehrt, allerdings ohne seinen neuen Freund, den er bei einem der Kameraden für die Nacht sicher untergebracht hatte. Als er aber die Hütte betrat und den neuen Raub seines Brotes entdeckte, stieß er nicht wieder Flüche und Verwünschungen aus, sondern schlug sich jubelnd in die Hände.

»Brav gemacht, Kanaillen! Richtig die Zeit abgepaßt und die Lockspeise mitgenommen, wie ein alberner Dingo gleich zum erstenmal in die Falle geht. Hoffe, die Portion bekommt euch, und wer sie genommen hat, wird mir die Ehre seines Besuches wohl nicht noch einmal schenken.«

Er untersuchte noch die zurückgelassenen Spuren in der Asche, als er draußen einen merkwürdigen Laut und Aufschrei hörte. Er sprang auf, riß den Revolver heraus und stand an der Tür. Jack war nicht der Mann, der sich wehrlos in seiner Hütte überraschen ließ. Erstaunt blieb er aber an der Tür stehen, als er die beiden unheimlichen Gestalten im Zwielicht des dämmernden Abends vor sich erblickte. Der junge Eingeborene hatte ihn kaum entdeckt, als er auch heulend auf ihn zustürzte, die Sterbende zu seinen Füßen ablegte und mit flehender Stimme in etwas gebrochenem, aber verständlichem Englisch bat, daß er den Zauber von ihr nehmen möge, den er auf sie geworfen habe.

»Aha!« schrie Jack triumphierend. »Bist du eine von den schwarzen Kanaillen, die hier mein Haus umschleichen und mein Brot stehen? Hat das alte Scheusal davon geschluckt? Wohl bekomm's! Du Halunke hättest verdient, daß ich dir als Belohnung noch eine Kugel durch den Dickkopf jage. Aber dann muß ich dich und die da auch aus dem Weg schaffen, damit ihr mir hier nicht die Luft verpestet. Und das wäre zuviel der Mühe. Also, weg mit dir, schlepp das Aas in den Busch, damit es mir nicht mehr vor die Augen kommt. Verstanden? Oder soll ich dir mit der Waffe Beine machen?«

Der junge Mann verstand nur die Hälfte der zornig und höhnisch herausgestoßenen Worte. Aber er verstand wohl, daß der Sinn nicht freundlich war, daß der weiße Mann ihn wegjagen und der Mutter nicht helfen wollte. Der furchtbare Feind ihres Stammes sollte weiterhin seine Macht über sie ausüben. Die Unglückliche lag in ihren Zuckungen vor ihm, schon hatte der Tod seine Hand nach ihr ausgestreckt. In Angst und Verzweiflung warf sich der arme Wilde vor dem Engländer auf die Knie, rang die Hände und bat flehentlich in seiner eigenen Sprache um Hilfe.

Jack verstand natürlich, was der Mann wollte. Er kannte die Furcht der Eingeborenen vor Zauber und bösen Geistern, aber es lag ihm nichts daran, daß dieser Fall einem außerirdischen Wesen zugeschrieben werden sollte. Im Gegenteil, er wünschte, daß die Eingeborenen wußten, wem sie den Tod verdankten, wenn sie seine Hütte wieder zum Rauben betraten. Mit tückischem Grinsen sagte er deshalb:

»Hilft dir nichts, mein Junge. Ich – verstehst du mich? –, ich habe einen Zauber in das Brot getan. Wer das ißt, wer nur etwas berührt, was in dieser Hütte ist, muß sterben, wie die Alte da gerade vor deinen Augen stirbt. Und ich helfe dir auch nicht, und wenn ich es damit könnte, dir den Finger auf den schwarzen Schädel zu legen. Jetzt weg mit dem Scheusal da, oder ich verliere meine Geduld und schicke dich hinterher!«

Der Eingeborene achtete nicht mehr auf die letzten Worte, deren Sinn er verstanden hatte. Es war ihm klargeworden, daß er keine Hilfe erhalten würde. Stier sah er die vor ihm stehende drohende Gestalt an. Aber es war nicht mehr Entsetzen vor dem Fremden, es waren Wut und Rache, die da herausblitzten. Hätte er irgendeine Waffe gehabt, er hätte sich in diesem Augenblick noch nicht einmal vor dem Revolver des Weißen gefürchtet. Jack ahnte wohl etwas Ähnliches, denn er hob unwillkürlich die todbringende Waffe gegen den Unglücklichen. Da stieß die Sterbende am Boden einen letzten Schrei aus – ihre Glieder zuckten und streckten sich, und mit einem wilden Geheul warf sich der junge Mann über die Leiche. Aber es war nur ein Moment. Im nächsten griff er den leblosen Körper auf, warf noch einen Blick auf den Mörder und lief dann, so rasch ihn seine Füße trugen, den Hang hinab in das jetzt völlig dunkle Tal.


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