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2. Das Lager im Busch

Die armen Reisenden blieben in einer wenig beneidenswerten Lage zurück. Den meisten taten noch die Glieder von dem rauhen Sturz weh. Der Wagen war umgeworfen, die Pferde im Geschirr verwickelt, der Ermordete lag zwischen ihnen. Der Kutscher, um den sich keiner der Räuber gekümmert hatte, lag noch immer bewußtlos im Sand ausgestreckt. So standen die Leute ratlos da und wußten im ersten Augenblick gar nicht, was sie zuerst beginnen sollten.

»Sind sie weg?« sagte da plötzlich eine immer noch vorsichtig gedämpfte Stimme. Als sich alle rasch umdrehten sahen sie zu ihrem Erstaunen, daß es der Kutscher war, der bislang den Halbtoten gespielt hatte. Allerdings war er wohl auch ziemlich unsanft gestürzt. Als er wieder zu sich kam und die Szene übersah, wußte er recht gut, was hier vorging. Also verhielt er sich ruhig – das war das Beste, was er tun konnte. Die Kutscher wurden bei diesen Überfällen, nach einem stillschweigenden Übereinkommen der Räuber, nie belästigt. Jedenfalls galt das so lange, wie sie sich nicht zur Wehr setzten, was aber eigentlich nie geschah. Da die Kutscher kein persönliches Interesse an der Sache hatten, kümmerte es sie auch wenig, was mit den Passagieren oder den Poststücken geschah – er konnte dafür nicht verantwortlich gemacht werden.

Sowie er übrigens die Bestätigung erhielt, daß die Räuber oder Bushranger im Busch verschwunden waren, erhob er sich langsam und stand dann, sich verlegen am Kopf kratzend, neben seinem arg zugerichteten Geschirr, das er mit sehr betrübten Blicken betrachtete. Um den Erschossenen, um den sich jetzt die übrigen Reisenden versammelten, kümmerte er sich gar nicht. Das war ja nur ein Passagier.

Der junge, kräftige Mann, den niemand weiter kannte, mochte vielleicht der Sohn eines Stationsbesitzers sein. Er lag regungslos in seinem Blut am Boden. Das matte, unsichere Licht des Mondes verriet nur, daß die mörderische Kugel ihm in die Brust gegangen war – aber er war noch nicht tot, sein Röcheln verriet noch Leben in dem mißhandelten Körper. Ein alter Herr mit weißen Haaren kniete jetzt neben ihm, hob ihm den Kopf auf sein Knie und begann die Wunde zu untersuchen.

Der Kutscher hatte sich inzwischen darangemacht, die Pferde zu entwirren. Es gelang ihm schließlich, denn hier oben konnten sie nicht haltenbleiben. Das wichtigste war jetzt, den umgestürzten Wagen wieder aufzurichten.

Glücklicherweise war kein Rad gebrochen, und der Kutscher – jetzt ganz sicher, daß ihn die Bushranger nicht mehr hören konnten – fluchte in einer Weise, wie man sie vielleicht nur in Australien zu hören bekommt. Er schimpfte auf die Halunken, die seinem Fuhrwerk in so heimtückischer Weise eine Falle gegraben hatten. Über die Art, wie sie hier überlistet wurden, blieb natürlich kein Zweifel mehr – die tief aufgewühlte Spurrinne verriet das deutlich genug.

Während sich der alte Mann noch immer um den Verwundeten kümmerte, halfen die anderen Passagiere beim Aufrichten des umgestürzten Karrens, was nicht gerade leichte Arbeit war. Nach einer guten Stunde hatten sie wenigstens die Genugtuung, ihr Fuhrwerk wieder soweit hergerichtet zu haben, daß sie ihre Fahrt fortsetzen konnten. Von hier aus waren auch die beiden zurückgebliebenen Pferde imstande, die königliche Post fortzubringen, denn der Weg ging fast ausschließlich bergab. Die Frage blieb, was mit dem Verletzten werden sollte.

Der alte Herr verlangte, daß vier Mann ihn bis zum nächsten Haus tragen sollten, da ihm das rüttelnde Fuhrwerk vielleicht den Tod bringen konnte. Dagegen protestierten aber alle anderen und erklärten, sie hätten genug erlebt und keine Lust, noch eine Leiche stundenlang zu tragen. Die Brustwunde sei tödlich, und es wäre am einfachsten, den armen Teufel hier unter einen Baum zu legen und dann vom nächsten Haus Leute herzuschicken, die ihn begraben oder mit ihm machen sollten, was sie wollten. Was kümmerte sie überhaupt der fremde Mensch!

Aber da widersprach der alte Herr ganz entschieden. Den Verwundeten hier ohne Hilfe zurückzulassen wäre kein geringeres Verbrechen als der Mord selbst. Obwohl sich noch ein paar der Rohesten dagegen sträubten, setzte er doch endlich die Mitnahme durch. So gut es die Umstände erlaubten, wurde dem Unglücklichen ein bequemer Platz hergerichtet. Der alte Herr nahm ihn dann selbst in die Arme. Mit der Ermahnung des Kutschers, bis zur nächsten menschlichen Wohnung nur langsam zu fahren, setzte sich der geplünderte Postwagen endlich wieder in Bewegung.

Inzwischen hatten sich die Bushranger in den Wald bis an einen ihnen gut bekannten Abhang zurückgezogen, wo sie ganz sicher waren, daß keiner sie in der Nacht entdecken würde. Hier konnten sie auch unbesorgt ein Lagerfeuer anzünden. Lebensmittel und Getränke waren schon tagsüber hierher geschafft worden, und mit dem behaglichen Gefühl eines vollständig geglückten Unternehmens suchten die Verbrecher diesen Zufluchtsort auf. Sie wollten sich vor allen Dingen stärken und dann ihr weiteres Verhalten besprechen.

An ihrem Lagerplatz hatten sich die an das Buschleben gewöhnten und abgehärteten Männer bald behaglich eingerichtet, brieten fette Hammelrippen auf den Kohlen und ließen eine Rumflasche kreisen. Dabei gaben sie sich dem Gefühl völliger Sicherheit hin, das nur durch einen Umstand getrübt wurde – den ausgeführten Mord. Die Beraubung der königlichen Postkutsche und der Passagiere hätte ihnen sonst wenig Sorge gemacht.

»Sag mal, Bill«, begann Jim, »was dir auf einmal durch den Kopf ging, als du den jungen Swell so einfach über den Haufen geschossen hast. Die ganze Geschichte ging so schnell und so ruhig ab, daß ich nicht einmal klug daraus geworden bin, obwohl ich dicht daneben stand.«

»Er hatte mich erkannt und – mußte sterben«, erwiderte der junge Mann. Er schien sich Mühe zu geben, bei diesen Worten gleichgültig zu bleiben. Aber so abgebrüht hatte ihn seine Tätigkeit noch nicht, daß er von einem Mord teilnahmslos sprechen konnte – auch wenn er das seinen abgehärteteren Kameraden weismachen wollte. Sein Gesicht sah totenbleich aus, und seine Hand zitterte, als er nach der Flasche griff, um mit dem starken Getränk die aufsteigenden Gedanken zu betäuben.

»Hm – 's bleibt immer eine verfluchte Geschichte«, brummte der Trompeter vor sich in den Bart. »Blut ist Blut, und je weniger man damit zu tun hat, um so besser. Wird jetzt ein Riesengeschrei in der Kolonie geben und die ganze Polizei monatelang auf den Beinen halten.«

»Was macht's?« lachte der junge Verbrecher höhnisch zurück. »Wir wissen alle, wohin wir gehen müssen, um dem Lärm aus dem Weg zu gehen, bis er vorübergeblasen ist. Sowie wir geteilt haben, brechen wir auf. Es müßte schon mit dem Bösen zugehen, wenn sie uns auf die Spur kommen wollten. Ich jedenfalls fürchte die ganze Polizeibande nicht.«

»Blut ist Blut«, knurrte aber auch Bob, der nichtsdestotrotz dabei an einer erst halbgaren Hammelrippe kaute, und das Fett lief an seinen Mundwinkeln herunter. »Es bleibt immer ein unangenehmes Gefühl, wenn man den Strick hinter sich weiß!«

»Sollte ich ihn vielleicht laufenlassen, damit er nach in Sydney Alarm schlägt und wir alle wie ein Dingo im Wald zu Tode gehetzt werden?«

»Das wäre auch eine verdammte Geschichte, das ist wahr«, bestätigte Jim. »Daß du aber auch den schwarzen Lappen vom Gesicht verlieren mußtest! Es geht doch bei solchen Gelegenheiten nichts über das Anmalen, und man hat nie Unannehmlichkeiten dadurch.«

»Jetzt ist es passiert und nicht mehr zu ändern«, sagte Bill trotzig. »Jedenfalls verrät der nichts mehr!«

»Bist du auch sicher, daß er tot ist?« fragte Jenkins, der sich bislang nicht um das Gespräch gekümmert und nur mit der Behandlung des Fleisches auf den Kohlen beschäftigt hatte.

Bill sah ihn rasch an.

»Ganz bestimmt«, sagte er. »Die Ladung muß ihm ja die Jacke verbrannt haben, so nahe war ich, und den Schuß kann er keine Minute überlebt haben.«

»Dann ist es auch unnötig, hinterher noch ein so großes Geschrei zu machen«, philosophierte der Bushranger. »Blut ist Blut, das ist richtig, aber ein Strick ist auch ein Strick, und sicher bleibt sicher. Bill hat wie ein Mann gehandelt, ich hätt's selbst nicht besser machen können.« Als ob das das größte Lob sei, daß er spenden konnte, stach er mit seinem Messer in ein paar der jetzt durchgebratenen Rippenstücke und begann seine eigene Mahlzeit.

Auch den anderen war die Unterhaltung unangenehm, noch dazu, wo jetzt die Teilung der Beute bevorstand, die sich als reicher auswies, als sie alle erwartet hatten. »Bill«, wie er von den Gefährten kurz genannt wurde, da sie seinen richtigen Namen nicht kannten, hatte das Unternehmen eingeleitet, weil er erfahren hatte, daß an diesem Tag eine große Summe Bargeld nach Sydney geschickt werden sollte. Jetzt befand es sich zusammen mit dem Besitz der Passagiere in ihren Händen. Die harten und rauhen Fäuste wühlten mit Behagen in den vor ihnen auf eine Wolldecke ausgeschütteten Goldstücken. Keiner von ihnen hatte jemals in seinem Leben so viel Geld und Gold auf einem Fleck zusammen gesehen – und jedem von ihnen gehörte ein Viertel davon!

Jim lachte vergnügt vor sich hin und schob seine Hand in den Haufen Goldstücke, um dann die Münzen einzeln durch seine Finger gleiten zu lassen. »Jungens, Gott straf mich, aber das ist die schönste Musik, die ich in meinem ganzen Leben gehört habe. Da kommt auch die beste Fiedel der Welt nicht mit. Hol's der Teufel, das kann selbst der Gouverneur nicht.« Mit diesen Worten warf er sich übermütig auf den ausgebreiteten Schatz, um sich im wahrsten Sinne des Wortes im Gold zu wälzen.

»He, Jim!« rief aber der Trompeter. »Paß auf, daß dir nicht aus Versehen ein paar Stücke in die Jackentasche oder den Kragen fallen! Ehrliches Spiel! Vorher wollen wir teilen, und nachher kannst du mit deinem Teil machen, was du willst.«

»Hast du Angst, daß ich mir ein Taschengeld vorab hole?« lachte der Irländer. »Keine Sorge, es bleibt noch genug für dich übrig, um dir die Tage zu versüßen, bis du gehängt wirst!«

»Hoffentlich nicht vor dir!« knurrte der Trompeter, der über diese Anspielung nicht gerade erfreut war. »Ich möchte nämlich bei deiner Beerdigung noch eine Zitrone in der Hand und eine Rumflasche in der Tasche tragen, das nennt man bei uns Leichenpunsch.«

»Bleibt friedlich«, sagte Bill, der sich bis jetzt mit seinen eigenen düsteren Gedanken beschäftigt hatte. »Und malt den Teufel nicht an die Wand. Kommt und laßt uns das Gold zählen, je eher wir fertig sind, desto besser. Dann kann jeder über seinen eigenen Anteil wachen.«

Dieser Aufforderung folgten sie rasch. Bill, der schon verschiedene kleine Pakete für sich in Sicherheit gebracht hatte, warf jetzt alles auf die Decke, wo es Jim und der Trompeter zählen mußten, während er selbst beim Schein des Feuers und seiner Laterne die Briefbeutel zerschnitt und die enthaltenen Papiere durchsah.

Die Briefe wurden geöffnet. Waren sie leer, kamen sie in die Flammen. Aber hier und da fanden sich auch einige schwere mit Banknoten. Die kamen, da Bob kein Auge von den Fingern des jungen Mannes ließ, mit zur Masse. Ein paar gefundene Wechsel wurden als zu gefährlich ebenfalls verbrannt. Die Teilung selbst nahm nicht viel Zeit in Anspruch. Als jeder seinen Anteil in das Halstuch fest eingewickelt hatte, suchten die Verbrecher ihr Lager auf, um noch vor Tag ein paar Stunden Schlaf zur Stärkung zu finden. Nur Bill legte sich nicht hin. Als die anderen schon lange, fest in ihre Decken gewickelt, laut und ruhig schnarchten, saß er noch immer auf derselben Stelle. Er hatte den Blick auf die verglimmenden Kohlen gerichtet und raffte sich erst aus seinem düsteren Brüten auf, als die über die Höhen streichende kalte Luft ihn daran erinnerte, das fast schon niedergebrannte Feuer wieder anzuschüren.

Er warf frisches Holz darauf, das es hier im Überfluß gab. Dann streckte er sich selbst dicht am Feuer aus, ohne aber Ruhe zu finden. Ein paarmal hob er den Kopf hoch und horchte zu den Kameraden hinüber, bis er sicher war, daß sie alle fest und sicher schliefen. Dann stand er auf, nahm sein Geldpaket unter den Arm, hing seine Waffen um, warf noch einen scheuen Blick auf die Schläfer und stieg dann geräuschlos den Hang hinunter, mitten in den Wald hinein.


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